Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.09.2019, Az. 1 AV 5/19

1. Senat | REWIS RS 2019, 3231

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Gründe

I

1

Das [X.] hat mit Beschluss vom 4. September 2019 das [X.] zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts angerufen. Für die Anträge der in [X.] aufhältigen Antragsteller zu 2 und 3, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Ersuchen der [X.] ([X.]) auf Übernahme ihrer Asylverfahren stattzugeben und sich für die Durchführung des Asylverfahrens für zuständig zu erklären, sei das [X.] gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO zuständig. Für den entsprechenden Antrag des Antragstellers zu 1, der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 [X.] sei und derzeit in [X.] wohne, wo er auch seinen Wohnsitz zu nehmen habe, sei das [X.] gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO zuständig. Da es sich bei den Antragstellern um (unechte) notwendige Streitgenossen handele, bedürfe es einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO.

II

2

1. Das [X.] ist für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 VwGO als nächsthöheres Gericht zuständig, weil Gerichtsstände verschiedener Länder in Betracht kommen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Juli 1962 - 7 ER 420.62 - [X.] 310 § 52 VwGO Nr. 2 S. 2, vom 20. Januar 1978 - 7 ER 401.77 - [X.] 310 § 53 VwGO Nr. 11 S. 6 und vom 29. Mai 2017 - 3 AV 3.16 - juris Rn. 5).

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a) Für die Anträge der Antragsteller zu 2 und 3 ist das [X.] als das Gericht der Hauptsache (§ 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO) gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 3 Satz 2, 3 und Nr. 5 VwGO örtlich zuständig. Nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich - auch für die vorliegend begehrte Mitwirkung des [X.] im sogenannten [X.] - nach § 52 Nr. 3 VwGO und - soweit auch danach keine örtliche Zuständigkeit bestimmt werden kann - nach der Auffangregelung in § 52 Nr. 5 VwGO.

4

Bei den von den Antragstellern begehrten Handlungen der Antragsgegnerin, die sich nach den Bestimmungen der Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. [X.]) - [X.] - richten, handelt es sich um "Streitigkeiten nach dem Asylgesetz" (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 5). Der mit der Schaffung von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO verfolgte Zweck einer asylrechtlichen Zuständigkeitsdezentralisierung zur Entlastung des [X.] und des [X.] in [X.] ([X.]. 8/1836 S. 4, 8/1935 S. 5 sowie 8/1936 S. 5 f.), ohne dabei unterschiedliche [X.] unterschiedlichen Gerichten zuzuweisen ([X.]. 9/875 S. 27), streitet für eine weite Auslegung dieser Bestimmung. Maßgeblich ist, ob das Asylanerkennungsverfahren im weiteren Sinne betroffen ist (BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1984 - 9 A 1.84 - [X.] 310 § 50 VwGO Nr. 11 S. 2 f.). Die Abgabe von Erklärungen in einem Überstellungsverfahren ist genauso wie die Überstellung selbst zwar nicht im Asylgesetz, sondern in der [X.] geregelt. Das unionsrechtliche Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats und eine daran anknüpfende Überstellung stehen als denknotwendige Vorstufe aber in einem engen Zusammenhang mit dem im Asylgesetz geregelten Asylanerkennungsverfahren. Zudem enthält das Asylgesetz eine Verordnungsermächtigung zur (innerstaatlichen) Bestimmung der zuständigen Behörden in [X.] (§ 88 Abs. 1 [X.]). Nach der hiernach erlassenen [X.] ist das [X.] ([X.]) u.a. auch für Entscheidungen über Auf- und [X.] anderer Mitgliedstaaten zuständig (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Nr. 2 AsylZBV).

5

Da die in [X.] aufhältigen Antragsteller zu 2 und 3 (derzeit) ihren Aufenthalt nicht nach den Vorschriften des [X.] Asylgesetzes zu nehmen haben (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO) und im [X.] auch nicht über einen Wohnsitz verfügen (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), kommt für die örtliche Zuständigkeit wegen der Rechtsfolgenverweisung in § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwGO hier nur die Auffangregelung in § 52 Nr. 5 VwGO in Betracht. Danach ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die [X.] gerichtet, ist auf den Sitz der Behörde abzustellen, die gehandelt hat oder handeln soll (BVerwG, Urteil vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183 <188> und Beschluss vom 9. März 2000 - 1 AV 2.00 - juris Rn. 2). Dies ist hier das [X.], das seinen Sitz in [X.] und damit im örtlichen Zuständigkeitsbereich des [X.] hat (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 6).

6

b) Für den Eilantrag des in [X.] lebenden Antragstellers zu 1 ist das [X.] gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 3 Satz 2 VwGO örtlich zuständig, weil er nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 [X.] seinen Wohnsitz nicht mehr nach dem Asylgesetz, sondern allenfalls nach § 12a [X.] an einem bestimmten Ort zu nehmen hat. Der Umstand, dass sein Asylverfahren abgeschlossen ist, nimmt - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - der von ihm begehrten Mitwirkung des [X.]s bei der Bestimmung des für die Asylbegehren der Antragsteller zu 2 und 3 zuständigen Mitgliedstaats nicht den Charakter einer asylrechtlichen Streitigkeit.

7

c) Die Annahme einer (notwendigen) Streitgenossenschaft der Antragsteller liegt - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - jedenfalls nicht fern, sodass eine Zuständigkeitsbestimmung auch erforderlich ist (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 8).

8

Zwar ist im Regelfall einer subjektiven Klagehäufung kein Raum für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 VwGO. Denn gemäß § 64 VwGO i.V.m. §§ 59 f. ZPO ist u.a. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verbindung mehrerer prozessualer Ansprüche in einem Verfahren, dass für die Verfahren dasselbe Gericht örtlich zuständig ist; ist dies nicht der Fall, ist dem durch Abtrennung und teilweise Verweisung zu begegnen. [X.] gilt bei einer notwendigen Streitgenossenschaft (§ 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO) auf [X.] oder Antragstellerseite. § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO lässt genügen, dass verschiedene Gerichte "in Betracht kommen", dass ein solcher Fall zumindest nicht fernliegt; es ist nicht Sinn eines Verfahrens zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit, schwierige Rechtsfragen, die im eigentlichen Verfahren vom zuständigen Gericht zu klären sind, abschließend zu entscheiden (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 9 m.w.N.).

9

Die Annahme einer (unechten) notwendigen Streitgenossenschaft gemäß § 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO liegt hier jedenfalls nicht fern. Sie liegt vor, wenn mehrere Kläger bzw. Antragsteller derart miteinander verbunden sind, dass einerseits zwar ein gesondertes Verfahren Einzelner möglich ist, andererseits aber, wenn sie gemeinschaftlich um Rechtsschutz nachsuchen, die Sachentscheidung für oder gegen alle identisch sein muss. Die Anträge der Antragsteller sind auf das gleiche Ziel gerichtet und gründen auf einem identischen Lebenssachverhalt. Sollte der geltend gemachte Anspruch sowohl den Antragstellern zu 2 und 3 als auch dem Antragsteller zu 1 zustehen, liegt es zudem nahe, dass eine Sachentscheidung einheitlich ergehen müsste (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 10).

Für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 VwGO ist ein Anspruch und die sich daraus ableitende Antragsbefugnis des in der [X.] aufhältigen Antragstellers zu 1 für den auf Familienzusammenführung mit den Antragstellern zu 2 und 3 im [X.] gerichteten Rechtsschutzantrag jedenfalls nicht - offenkundig - ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist der Ehegatte eines Ausländers gegen einen Bescheid, der diesem die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagt, selbst dann klagebefugt, wenn dieser den Bescheid hat bestandskräftig werden lassen, soweit er einen Eingriff in seine von Art. 6 GG geschützte Sphäre geltend macht (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 11 m.w.N).

Eine - offenkundige - Unzulässigkeit des [X.] des Antragstellers zu 1 mangels Antragsbefugnis folgt auch nicht aus Unionsrecht. Die Regelungen der [X.] schließen eine Antragsbefugnis sowohl des im zuständigen Mitgliedstaat ansässigen Familienangehörigen als auch derjenigen, die aus einem anderen Mitgliedstaat in den zuständigen Staat überstellt werden wollen, jedenfalls nicht ausdrücklich aus. Vielmehr kommt auch nach Unionsrecht - vorbehaltlich einer etwaigen abschließenden Klärung durch den Gerichtshof der [X.] - ein subjektives Recht nicht nur der Antragsteller zu 2 und 3, sondern auch des Antragstellers zu 1 auf die gerichtliche Durchsetzung der Einhaltung der Art. 9 ff. [X.] und der daran anknüpfenden Überstellungsregelungen (Art. 18, 29 ff. [X.]) in Betracht. Dies legen die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der [X.], Art. 47 der Charta der Grundrechte der [X.] ([X.]) sowie Art. 6 GG nahe. Der [X.] hat für Vorschriften der [X.] verschiedentlich dahin erkannt, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt, im gerichtlichen Verfahren auf eine Einhaltung dieser Regelungen berufen kann (vgl. nur [X.], Urteile vom 26. Juli 2017 - [X.]/16 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] - Rn. 62 und vom 25. Oktober 2017 - [X.]/16 [[X.]:[X.]:C:2017:

805], [X.] - Rn. 44). Ob diese Rechtsprechung auf die vorliegende Fallkonstellation zu übertragen ist, ist nicht - offenkundig - ausgeschlossen und wird das nach der Zuständigkeitsbestimmung zuständige Gericht zu entscheiden haben (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 12.).

2. Die - hier dem [X.] als nächsthöherem Gericht vorbehaltene - Entscheidung nach § 53 Abs. 1 VwGO hat sich an den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung zu orientieren (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 AV 2.19 - juris Rn. 13 m.w.N.). Der Senat hält es hiernach für zweckmäßig, das [X.] als zuständiges Gericht zu bestimmen.

Der Antragsteller zu 1 wohnt in [X.], und die Antragsgegnerin verfügt dort über eine (unselbständige) Außenstelle. Für die Bestimmung des Verwaltungsgerichts [X.] als zuständiges Gericht spricht zudem, dass - sollte eine Familienzusammenführung erfolgen und die Antragsteller zu 2 und 3 ihren Aufenthalt bei dem Antragsteller zu 1 in [X.] begründen - das [X.] für alle weiteren asylrechtlichen Streitigkeiten gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO örtlich zuständig wäre. Damit wird zugleich dem Anliegen entsprochen, einzelne [X.] nicht unterschiedlichen Gerichten zuzuweisen. Demgegenüber hat das Interesse der Antragsgegnerin an einer Konzentration der Rechtsschutzverfahren im Zusammenhang mit Überstellungsbegehren bei dem für den [X.] zuständigen Verwaltungsgericht zurückzutreten.

Meta

1 AV 5/19

25.09.2019

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AV

vorgehend VG Hamburg, 4. September 2019, Az: 1 AE 3804/19, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.09.2019, Az. 1 AV 5/19 (REWIS RS 2019, 3231)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3231

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