Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2022, Az. AK 31/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2022, 5988

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Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

Die Angeklagte wurde aufgrund des [X.]ftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 24. Juni 2020 (2 [X.] 392/20) am 31. März 2022 festgenommen und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des [X.]ftbefehls ist der Vorwurf, die Angeklagte habe sich im Zeitraum ab September 2014 bis zum 5. Januar 2019 durch dieselbe [X.]ndlung - bis zum 6. April 2015 als Jugendliche im Besitz strafrechtlicher Reife und ab dem 7. April 2015 bis zum 6. April 2018 als Heranwachsende - in verschiedenen Orten in [X.] mitgliedschaftlich an einer [X.] im Ausland beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 [X.]) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 [X.]) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, §§ 1, 3, 105 JG[X.]

2

Der Angeklagten wird in dem [X.]ftbefehl im Sinne eines dringenden Tatverdachts zur Last gelegt, gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten    [X.]  , ihrem Ehemann nach [X.] Ritus, im Juli 2014 über die [X.] nach [X.] ausgereist und sich dort spätestens im September 2014 dem [X.] angeschlossen zu haben.

3

Unter dem 9. August 2022 hat der [X.] wegen dieser Tat Anklage beim [X.] erhoben. In der Anklageschrift hat der [X.] - über den [X.]ftbefehl hinausgehend - weitere mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen der Angeklagten genannt, und zwar das [X.] gegenüber dem [X.], an einem bewaffneten Anschlag in [X.] teilzunehmen, das Absolvieren einer [X.]ießausbildung und das Sammeln von Geld.

II.

4

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

5

1. Gegenstand der [X.]ftprüfung nach §§ 121, 122 [X.] ist der vollzogene [X.]ftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.]. Zu dessen Anpassung oder Erweiterung ist gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 [X.] nur das [X.] befugt. Bereits die haftbefehlsgegenständlichen Beteiligungshandlungen tragen die Anordnung der [X.]ftfortdauer.

6

2. Die Angeklagte ist der ihr im [X.]ftbefehl angelasteten Tat dringend verdächtig.

7

a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

8

aa) Die [X.]" ([X.]) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen [X.] und die historische Region "ash-Sham" - die heutigen [X.] [X.], [X.] und [X.] sowie [X.] - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu das Regime des [X.] Präsidenten [X.] und die schiitisch dominierte Regierung im [X.] zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der [X.] als legitimes Mittel des Kampfes an.

9

Die Führung der [X.], die sich mit der Ausrufung des "Kalifats" am 29. Juni 2014 aus "[X.] im [X.] und in Großsyrien" ([X.]IG) in "[X.]" ([X.]) umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 [X.] inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des [X.] [X.] zum "Kalifen", dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Kurz nach dem Tod [X.]s berief die [X.] zu dessen Nachfolger.

Dem Anführer des [X.] unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "[X.]" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "[X.]". Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der [X.] besteht aus dem "Prophetensiegel" (einem weißen Oval mit der Inschrift "[X.] - [X.] - [X.]") auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem [X.] Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem "[X.]" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die [X.] teilte von ihr besetzte Gebiete in [X.] ein und richtete einen [X.] ein; diese Maßnahmen zielten auf die [X.]affung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der [X.] und [X.] Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum [X.] stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des [X.] in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom [X.] zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht er immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in [X.], etwa in [X.], [X.] und [X.], die Verantwortung.

[X.] gelang es dem [X.], große Teile der Staatsterritorien von [X.] und dem [X.] zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete [X.] und des [X.]. Ab dem [X.] geriet die [X.] militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nord[X.] Hochburg in [X.] verdrängt. Im März 2019 galt der [X.] - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ost[X.] [X.] - sowohl im [X.] als auch in [X.] als militärisch besiegt, ohne dass aber die [X.] als solche zerschlagen wäre.

bb) Die Angeklagte radikalisierte sich in [X.] im Sinne der [X.]-Ideologie und identifizierte sich mit dessen [X.]ndlungsweisen und Zielen. Sie heiratete nach islamischem Ritus den gesondert Verfolgten    [X.]  , der ebenfalls dem salafistischen Islam anhing, und reiste mit ihm im Juli 2014 über die [X.] nach [X.] in das Herrschaftsgebiet der [X.] aus. Dort schlossen sich beide spätestens im September 2014 dem [X.] an. Der Ehemann versah nach einer Waffenausbildung Dienste in verschiedenen Einheiten der Organisation, die Angeklagte kümmerte sich der [X.]-Ideologie folgend um den [X.]ushalt und die Erziehung der beiden in [X.] geborenen gemeinsamen Kinder. Der gesondert Verfolgte und die Angeklagte wurden von der Organisation alimentiert. Jedenfalls ab August 2015 warb die Angeklagte zudem im [X.] für den [X.] und bemühte sich, Mädchen und Frauen in [X.] zu einer Reise nach [X.] zu bewegen, was teilweise auch gelang. Dazu gab sie über das [X.] [X.]tschläge, wie eine Ausreise und die Heirat eines [X.]-Kämpfers zu bewerkstelligen seien. Eine der von der Angeklagten zur Ausreise aufgeforderten Mädchen war    [X.].    , die ihren Versuch, nach [X.] zu gelangen, allerdings abbrach und nach [X.] zurückkehrte.    [X.].    griff am 26. Februar 2016 im Auftrag des [X.] im [X.]     einen Bundespolizisten mit einem Messer an und verletzte ihn.

Die Angeklagte verblieb mit ihrer Familie bis Anfang des Jahres 2019 im Herrschaftsgebiet des [X.]. Sie ergab sich gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern am 6. Januar 2019 den Kräften der Demokratischen Kräfte [X.]s ([X.]). Zunächst wurde die Angeklagte in dem von kurdischen Kräften geführten Lager  [X.].  in [X.] untergebracht. Nachdem sie sich im März 2019 an einem Angriff auf kurdische Sicherheitskräfte im Camp  [X.].  beteiligt hatte, wurde sie in eine Sicherheitszelle bei [X.]und dann im Mai 2019 in das Lager [X.]  im Nordosten [X.]s verlegt, welches von der autonomen kurdischen Verwaltung Nordost-[X.] betrieben wird. Die Angeklagte wurde im Zuge einer vom [X.] organisierten und koordinierten Rückholaktion am 30./31. März 2022 von [X.] nach [X.] verbracht.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

aa) Hinsichtlich der außereuropäischen [X.]" beruht er auf islamwissenschaftlichen Gutachten sowie auf verschiedenen polizeilichen Auswerteberichten. Hierzu liegen zwei Sachaktenordner "Strukturerkenntnisse [X.]" vor.

bb) Zu den Tatvorwürfen hat sich die Beschuldigte bislang nicht im Einzelnen eingelassen. Die bei der Rückholaktion der Bundesregierung eingesetzten Beamten des [X.] haben sie allerdings während des Flugs nach [X.] am 30./31. März 2022 im [X.]hmen eines Gefahrenabwehrvorgangs befragt, nachdem sie sie vorsorglich über die [X.] nach § 136 [X.] belehrt hatten. Nach dem über die Befragung erstellten Vermerk vom 1. April 2022 hat sich die Angeklagte vor allem zu ihren persönlichen Verhältnissen, ihrer Hinwendung zum Islam, ihrer Heirat nach islamischem Ritus, ihrer Ausreise und ihrem Grenzübertritt nach [X.] im Juli 2014, ihrem Aufenthalt im Herrschaftsgebiet des [X.] und den dortigen [X.] der Familie, der Versorgung des [X.]ushalts und ihrer Kinder sowie der abschließenden Internierung in den Flüchtlingslagern geäußert. Die Umstände der [X.]dikalisierung, der Heirat nach islamischem Ritus und der Ausreise nach [X.] werden belegt durch weitere Angaben der Angeklagten gegenüber den Zeuginnen   S.     (Terrorismusforscherin der Universität [X.]            ) und D.     (Hilfsorganisation [X.]) sowie gegenüber zwei Journalisten und durch die Bekundungen früherer [X.]ulfreundinnen der Angeklagten sowie durch Ausweis- und Personenstandsdokumente, Ermittlungsvermerke, [X.] und Behördenerklärungen des Bundesnachrichtendienstes.

Durch die eigenen Angaben der Angeklagten, mehrere [X.] und [X.] aus dem familiären Umfeld, [X.]ilderungen im Buch einer Zeugin "[X.] - [X.]" und insbesondere auch durch Interviews des Ehemanns der Angeklagten im Jahr 2019, aufgefundene [X.]-Registrierungsbögen und von [X.]ausgewertete weitere Dokumente des [X.] wird des Weiteren belegt, dass sich die Angeklagte auf die Kampfausbildung ihres Ehemannes - nach dessen Registrierung als Kämpfer in J.      - zunächst in einem Frauenhaus des [X.] unterbringen ließ und anschließend durch die [X.]ushaltsführung und Kindererziehung dessen mutmaßlich infolge einer Beinverletzung lediglich leistbaren Einsatz für Polizei- und Wachdienste in A.    , [X.], [X.].    und [X.].   ermöglichte und unterstützte. Aus den durch das [X.] nachgereichten Unterlagen des [X.] und den Angaben des Ehemanns in Interviews ergibt sich auch, dass dieser und die Angeklagte durch die [X.] alimentiert wurden.

Dass die Angeklagte verschiedene Personen zur Ausreise zum [X.] nach [X.] zu bewegen versuchte, was ihr teilweise gelang, stützt sich auf die Angaben mehrerer Zeugen, die Ausführungen in dem Buch einer Zeugin "[X.] - [X.]", Ermittlungsberichte und Behördenerklärungen des [X.] sowie hinsichtlich der geplanten Ausreise der Zeugin [X.].    auch auf entsprechende [X.].

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den [X.]ftbefehl, die Anklageschrift (S. 18 bis 33) und die dort jeweils angeführten Nachweise aus der Sachakte Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht ist der unter Gliederungspunkt II. 2. a) geschilderte Sachverhalt im [X.]ftbefehl zutreffend dahin gewürdigt, dass die Angeklagte einer mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen [X.] im Ausland dringend verdächtig ist (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB). Dies gilt sowohl unter Zugrundelegung des bis zum 21. Juli 2017 nach der Rechtsprechung des [X.] maßgeblichen [X.]sbegriffs als auch auf der Grundlage der Legaldefinition des seit dem Folgetag gültigen § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB. Nach beiden Varianten setzt die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer [X.] zum einen eine gewisse einvernehmliche Eingliederung des [X.] in die Organisation (die Mitgliedschaft), zum anderen eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele (die Beteiligungshandlungen) voraus. Beide Merkmale sind durch das der Angeklagten vorgeworfene Verhalten erfüllt (zu den insoweit nach [X.] Rspr. anzulegenden Maßstäben s. [X.], Beschluss vom 21. April 2022 - AK 14/22, juris Rn. 28 ff. mwN).

aa) Die Angeklagte wurde einvernehmlich in die [X.] [X.] aufgenommen. Das Ziel der Ausreise mit ihrem Ehemann war dieser [X.]. Sie begab sich aus eigenem Antrieb in das Herrschaftsgebiet der [X.], um an dem religiös-fundamentalistischen, auf den Regeln der Sharia beruhenden Gemeinwesen teilzuhaben. Im Folgenden hielt sie sich jahrelang freiwillig beim [X.] auf, wobei sie dessen Regeln befolgte und sich mit der Ideologie, [X.]ndlungsweise und den Zielen der Organisation identifizierte. Die Angeklagte ordnete sich somit der [X.] unter. Dass dies mit deren Willen geschah, folgt etwa daraus, dass der [X.] ihren Einsatz für die Organisation entlohnte und sie und ihren Ehemann alimentierte.

bb) Die der Angeklagten vorgeworfenen [X.]tivitäten sind auch als aktive Beteiligungshandlungen am [X.] zu beurteilen. Ihr Verhalten erschöpfte sich von vorneherein nicht in einem bloßen Leben im "Kalifat". Vielmehr warb die Angeklagte im [X.] für den [X.], bemühte sich, Mädchen und Frauen in [X.] zu einer Reise nach [X.] zu bewegen, was teilweise auch gelang, und gab [X.]tschläge, wie eine Ausreise und die Heirat eines [X.]-Kämpfers zu bewerkstelligen seien. Unabhängig davon, dass darin bereits aktive Beteiligungshandlungen zu sehen sind, brachte sie dadurch auch zum Ausdruck, dass es ihr in ihrem Verhalten von vornherein maßgeblich um die Förderung der [X.] ging. Der entschiedene Wille der Angeklagten zur Stärkung des [X.] rechtfertigt es auch, die Betätigungen im [X.]ushalt, die für sich gesehen noch keine Beteiligungsakte darstellen müssen (s. [X.], Beschlüsse vom 22. März 2018 - StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207; vom 21. April 2022 - AK 18/22, juris Rn. 5 ff.; ferner [X.]/[X.], 5. Aufl., § 129 Rn. 38), als auf Dauer angelegtes vereinigungstypisches Verhalten zu bewerten. Sie stellen sich in Anbetracht der langjährigen Einbindung der Angeklagten in den [X.] und ihres Ziels, im [X.]hmen der ihr von der [X.] zugedachten Rolle die Polizei- und Wachdienste ihres Ehemanns zu gewährleisten, nicht lediglich als bloße alltägliche Verrichtungen ohne Organisationsbezug dar (vgl. zum Ganzen [X.], Beschluss vom 21. April 2022 - AK 14/22, juris Rn. 35 mwN).

cc) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt hinsichtlich des [X.] vor.

dd) [X.] Strafrecht ist anwendbar. Dies ergibt sich jedenfalls aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil die Angeklagte [X.] ist und die Tat auch in [X.] - als [X.] an eine terroristische Organisation gemäß Art. 1 und 3 des [X.] Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012 - mit Strafe bedroht i[X.]

3. Es bestehen die [X.]ftgründe der Fluchtgefahr und der [X.]werkriminalität.

a) Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich die Angeklagte, auf freien Fuß gesetzt, dem Strafverfahren entziehen, als dass sie sich ihm zur Verfügung halten werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 [X.]).

aa) Die Angeklagte hat angesichts ihrer langen Mitgliedschaft im [X.] und ihrer vielfältigen Betätigung für die Organisation im Fall ihrer Verurteilung mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe für den Fall der Anwendung von Jugendstrafrecht zu rechnen. Von der Straferwartung geht ein erheblicher Fluchtanreiz aus. Denn nach vorläufiger Einschätzung wird der Aufenthalt der Angeklagten im kurdischen Flüchtlingslager und im [X.] Gewahrsam nicht nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB auf die Freiheitsstrafe anzurechnen sein (vgl. [X.], Beschluss vom 21. April 2022 - AK 14/22, juris Rn. 44; ferner [X.], Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 473/20, NStZ-RR 2021, 387).

bb) Dem Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Eine tragfähige [X.] Einbindung der Angeklagten im [X.] besteht, nachdem die Angeklagte ihre Ausbildung abgebrochen und den Lebensmittelpunkt in [X.] vor ihrer Ausreise insgesamt aufgegeben hatte, derzeit trotz zwischenzeitlicher Unterbringung ihrer Kinder bei der Großmutter ihres Ehemanns nicht. Für ein Untertauchen im In- und Ausland könnte die Angeklagte auch mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein Netzwerk Gleichgesinnter zurückgreifen (zum erforderlichen Verdachtsgrad hinsichtlich der für die Fluchtgefahr maßgeblichen Tatsachen s. [X.], Beschluss vom 5. Oktober 2018 - StB 43/18 u.a., juris Rn. 37 mwN).

b) Die zu würdigenden Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung der Angeklagten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 [X.] (vgl. [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) ebenso auf den dort geregelten [X.]ftgrund gestützt werden kann.

4. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im [X.]hmen des § 112 Abs. 3 [X.] mögliche - Außervollzugsetzung des [X.]ftbefehls (§ 116 [X.]) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

5. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 [X.] für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere [X.]wierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Der [X.]tenbestand umfasst mittlerweile 50 Stehordner. Das Ermittlungsverfahren ist mit der in [X.]ftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden. Die Anklage ist Anfang August 2022 erhoben und der Angeklagten und ihren Verteidigern zugestellt worden. Der Staatsschutzsenat hat mit Beschluss vom 15. September 2022 die Anklage zur [X.]uptverhandlung zugelassen und das [X.]uptverfahren eröffnet. Mit Verfügung vom 15. September 2022 hat der Vorsitzende des Senats Termin zum Beginn der [X.]uptverhandlung auf den 20. Oktober 2022 bestimmt und zudem Termine zur Fortsetzung der [X.]uptverhandlung anberaumt.

6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

[X.]äfer                    Hohoff                     Anstötz

Meta

AK 31/22

18.10.2022

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2022, Az. AK 31/22 (REWIS RS 2022, 5988)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5988

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3 StR 473/20

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