10. Senat | REWIS RS 2013, 6557
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Keine Billigkeitsmaßnahme bei einer auf einem Kirchensteuer-Erstattungsüberhang beruhenden Steuernachzahlung
1. NV: Auch wenn die Anwendung der sog. Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG dazu führt, dass die Steuernachzahlungen die erstatteten Kirchensteuerbeträge bei weitem übersteigen, liegt darin keine unbillige Belastung des Steuerpflichtigen, die im Erlassverfahren korrigiert werden müsste.
2. NV: Ein Vertrauen auf den Fortbestand einer regional begrenzten Verwaltungspraxis, die nicht mit einer gefestigten BFH-Rechtsprechung übereinstimmt, kann keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen.
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden zur Einkommensteuer [X.]. Beide gehören der [X.] an. In den Streitjahren 2000 und 2001 bezog der Kläger u.a. Einkünfte aus der Überlassung von Aktienoptionen, die der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) als Arbeitslohn in Höhe von 1.008.523 DM (2000) und 2.647.525 DM (2001) besteuerte. Das [X.] berechnete die anteilige Einkommensteuer für diese Einkünfte nach der Fünftelregelung gemäß § 34 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG). Dabei berücksichtigte es Kirchensteuer in Höhe von 34.288 DM (2000) und 97.144 DM (2001) als Sonderausgaben.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2002 stellte der Steuerberater der Kläger beim [X.] den Antrag auf Erlass der auf die außerordentlichen Einkünfte entfallenden Kirchensteuer. Diesem Antrag wurde durch Bescheid vom 11. Juli 2002 in Höhe von 8.685,83 € (2000) und 22.944,22 € (2001) entsprochen und den Klägern Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 31.630,05 € erstattet.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das [X.] erklärten die Kläger, sie hätten in diesem Jahr Kirchensteuer in Höhe von 630 € gezahlt und ihnen sei Kirchensteuer in Höhe von 31.630 € erstattet worden. Sie wiesen indes nicht darauf hin, dass ihnen zusätzlich durch den Einkommensteuerbescheid für 2001 Kirchensteuer in Höhe von 4.395,63 € erstattet worden war. Das [X.] errechnete eine Kirchensteuer-Gesamterstattung von 36.025 €. Da eine vollständige Verrechnung der erstatteten Kirchensteuer mit der gezahlten Kirchensteuer nicht erfolgen konnte, kam es zu einem sog. "[X.]" in Höhe von 35.395 €, von dem 31.630 € auf dem Erlass des [X.]s beruhten. Dem Schreiben des [X.] ([X.]) vom 11. Juli 2002 ([X.], 667) entsprechend kürzte das [X.] gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) in den [X.] für 2000 und 2001 vom 23. April 2004 die als Sonderausgaben berücksichtigte Kirchensteuer um 8.055,83 € (2000) und 27.339,80 € (2001), was zu einer Nachzahlung von Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 65.994,83 € führte.
Nachdem das [X.] nicht bereit war, diese Steuerfestsetzungen zu ändern, stellten die Kläger den Antrag, die [X.] wegen sachlicher Unbilligkeit gemäß § 227 [X.] zu erlassen. Zur Begründung führten sie aus, aufgrund der zeitlichen Abläufe --das [X.]-Schreiben stamme ebenso wie die Erlassbescheide des [X.]s vom 11. Juli 2002-- hätte ihr Steuerberater nicht wissen können, dass nach der Verwaltungsauffassung ein Fall des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] gegeben sei. Vielmehr habe er davon ausgehen können, dass sich das [X.] der Äußerung der [X.] ([X.]) gegenüber den ihr nachgeordneten Behörden in der Niederschrift zur [X.], S. 35 ff., unter [X.] (nicht veröffentlicht) --Niederschrift-- entsprechend verhalten würde. Diese Niederschrift sehe vor, dass bei der Erstattung von Kirchensteuer aus [X.] am Grundsatz der Verrechnung im Erstattungsjahr festgehalten werde. [X.] sich durch die Verrechnung der Erstattung mit den in diesem Jahr geleisteten Zahlungen ein [X.] (Erstattung ist höher als die geleisteten Kirchensteuerzahlungen), wirke sich das bei [X.] zugunsten des Steuerpflichtigen aus, weil der [X.] unberücksichtigt bleibe. Die vom [X.] ([X.]) in seinem Urteil vom 26. Juni 1996 [X.] ([X.]E 181, 144, [X.] 1996, 646) gemachte Einschränkung, dass dieses Verfahren nur zulässig sei, solange sich dadurch keine ungerechtfertigten Vorteile ergäben, habe die Finanzverwaltung erst mit dem [X.]-Schreiben in [X.], 667 nachvollzogen. Zum Zeitpunkt der Änderung der Verwaltungsübung sei der vorliegende Sachverhalt jedoch bereits abgeschlossen gewesen.
Das [X.] lehnte den Erlassantrag ab und wies auch den Einspruch der Kläger zurück, da weder ein Fall der persönlichen noch der sachlichen Billigkeit vorliege. Nachteile, welche schon im [X.] enthalten seien und die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes bewusst in Kauf genommen habe, könnten einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht rechtfertigen. Das Argument, ein Erlass sei aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten, könne ebenfalls nicht überzeugen. Die mit [X.]-Schreiben in [X.], 667 getroffene Regelung sei für das [X.] bindend.
Im Klageverfahren betonten die Kläger, sie hätten bei der Stellung des [X.] am 8. Juli 2002 darauf vertraut, das [X.] werde aufgrund der in der Niederschrift enthaltenen Weisung der [X.] im Falle eines Kirchensteuer-[X.]s von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] keinen Gebrauch machen. Zum Beweis hierfür wurde ihr Steuerberater vernommen. Dieser sagte aus, er habe die Kenntnis der entsprechenden Verwaltungshandhabung nicht aus einer schriftlichen Veröffentlichung der [X.] gewonnen, sie sei ihm aber als tatsächliche Verwaltungspraxis aus seiner früheren Tätigkeit bei der Finanzverwaltung, aus Gesprächen mit Kollegen sowie aus mehreren eigenen ähnlichen, wenn auch betragsmäßig "kleineren" Fällen bekannt gewesen.
Das Finanzgericht ([X.]) hat der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1402 veröffentlichten Urteil zum Teil stattgegeben. Das [X.] sei ermessensfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Kläger trotz einer für sie günstigen Weisung der [X.] keinen Anspruch auf einen [X.] gehabt hätten. Die Kläger könnten jedoch nur den Erlass des Betrages beanspruchen, der die erstattete Kirchensteuer übersteige. Den weitergehenden Erlassantrag der Kläger habe das [X.] in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt.
Seine Revision begründet das [X.] damit, dass das Urteil sowohl auf Verfahrensfehlern beruhe als auch gegen die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zum Vertrauensschutz verstoße. Das [X.] habe im Streitfall zu Unrecht das Vorliegen vertrauensbegründender Umstände unterstellt und Vertrauensschutz gewährt, obwohl die Kenntnis der vertrauensbegründenden Umstände nicht vorhanden gewesen sei.
Das [X.] beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben weder einen Antrag gestellt noch zum Vorbringen des [X.] Stellung genommen.
II. Die Revision des [X.] ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).
1. Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass den Klägern aus Billigkeitsgründen kein Teilerlass ihrer Steuerschuld zu gewähren sei.
a) Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Nach § [X.] können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Der Zweck der §§ 163, 227 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, [X.], 482, [X.] 1994, 833, unter 1. der Gründe; vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, [X.], 268, [X.] 1972, 806, und vom 20. September 2012 IV R 29/10, [X.], 518). Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte-- im Sinne der beabsichtigten [X.] entschieden hätte (ständige [X.]-Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Urteil in [X.], 482, [X.] 1994, 833, unter 2. der Gründe, m.w.N.; [X.] vom 12. September 2007 X B 18/03, [X.], 102, unter [X.] der Gründe, m.w.N.). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine [X.] ([X.]-Urteile vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, [X.], 865, unter II.2. der Gründe; vom 4. Februar 2010 II R 25/08, [X.], 130, [X.] 2010, 663, jeweils m.w.N.). Die Billigkeitsprüfung muss sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen erstrecken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind (Senatsurteil vom 26. Oktober 1994 [X.], [X.], 3, [X.] 1995, 297, m.w.N.).
Die Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 [X.]O i.V.m. § 121 [X.]O grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 [X.] 3/70, [X.], 101, [X.] 1972, 603). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen ([X.]-Urteile vom 6. September 2011 VIII R 55/10, [X.], 269, m.w.N.; in [X.], 3, [X.] 1995, 297, m.w.N.).
b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat das [X.] im Streitfall das Vorliegen der Voraussetzungen für eine [X.] ermessensgerecht verneint, so dass das [X.] die Klage hätte abweisen müssen.
aa) Die Besteuerung der Kläger verstößt nicht gegen die materiell-rechtlichen Wertungen des Einkommensteuerrechts, wie das [X.] zu Recht ausgeführt hat.
(1) Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG beträgt die für außerordentliche Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer das Fünffache des Unterschiedsbetrages zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte. Der aus dieser Art der Berechnung resultierende Vorteil ist umso größer, je geringer die nicht begünstigten Einkünfte sind (s.a. [X.]-Urteil vom 22. September 2009 IX R 93/07, [X.], 510, [X.] 2010, 1032). Eine Erhöhung der nicht begünstigten Einkünfte oder der Wegfall oder die Minderung von Abzugsbeträgen oder --wie im [X.] von Sonderausgaben bewirkt dementsprechend eine Minderung dieser Begünstigung und damit einen starken Anstieg der Steuerprogression (vgl. [X.]-Urteile vom 28. April 2010 III R 86/07, [X.], 294, [X.] 2011, 259, und vom 19. April 2012 III R 50/08, [X.], 1429).
Obwohl die Steuernachzahlungen im Streitfall die erstatteten Kirchensteuerbeträge bei weitem übersteigen, führt dies bei den Klägern nicht zu einer untragbaren oder unbilligen Belastung. Zum einen ist die Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte des Klägers nach § 34 Abs. 1 EStG trotz Rücktrags der erstatteten Kirchensteuer für die Kläger vorteilhafter als eine Besteuerung sämtlicher Einkünfte mit dem normalen Steuertarif (s.a. [X.]-Urteil in [X.], 294, [X.] 2011, 259). Zum anderen wurde durch die [X.] vom 23. April 2004 genau die Einkommensteuer festgesetzt, die sich auch ergeben hätte, wenn die Kirchensteuer von Beginn an um die [X.] ermäßigt gewesen wäre. Dass die Kläger eine geringere Steuerbelastung gehabt hätten, wenn sie den Erlassantrag nicht gestellt hätten, kann keine Unbilligkeit begründen.
(2) Da für die Beurteilung, ob eine Ermessensentscheidung rechtmäßig war, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend ist (hier die Einspruchsentscheidung vom 16. März 2006), kommt dem Umstand keine Bedeutung zu, dass ab 2012 gemäß § 10 Abs. 4b des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1. November 2011 ([X.], 2131) ein Erstattungsüberhang bei der Kirchensteuer nicht (mehr) in das Jahr der Zahlung zurückgetragen wird, sondern im Jahr der Erstattung dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen ist.
bb) Das [X.] hat es zu Recht abgelehnt, den Klägern aus Billigkeitsgründen aufgrund von Vertrauensschutz die Steuern zu erlassen.
(1) Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von [X.] und Glauben kann nur in besonders liegenden Fällen in Betracht kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen (z.B. [X.]-Urteile vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, [X.], 90, 95; vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, [X.], 478, [X.] 1991, 610). In diesem Zusammenhang verlangt der Grundsatz von [X.] und Glauben einen Vertrauenstatbestand, aufgrund dessen der Steuerpflichtige disponiert hat ([X.]-Urteile vom 26. April 1995 XI R 81/93, [X.], 4, [X.] 1995, 754; vom 10. April 1991 XI R 25/89, [X.] 1991, 720; in [X.], 478, [X.] 1991, 610, m.w.N.). Der Vertrauenstatbestand besteht in einer bestimmten Position oder einem bestimmten Verhalten des einen Teils, aufgrund dessen der andere bei objektiver Beurteilung annehmen konnte, jener werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten (z.B. [X.]-Urteil in [X.], 478, [X.] 1991, 610; in [X.], 4, [X.] 1995, 754). Ein schützenswertes nachhaltiges Vertrauen in den Fortbestand der früheren Rechtsauffassung ist demzufolge nur dann und solange gegeben, als der Steuerpflichtige nicht mit einer Änderung rechnen oder ihm zumindest Zweifel hätten kommen müssen ([X.]-Urteil vom 23. Februar 1979 III R 16/78, [X.], 476, [X.] 1979, 455).
(2) Im Streitfall fehlt es an einem diesen Grundsätzen entsprechenden Vertrauenstatbestand, auf den die Kläger sich hätten stützen können und der ursächlich für ihre Disposition --die Beantragung des Teilerlasses der Kirchensteuer 2000 und 2001-- war.
(a) Das Vertrauen der Kläger konnte sich nicht aus der [X.] ergeben, da der Steuerberater der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgesagt hat, dass er den konkreten Wortlaut der Niederschrift nicht gekannt habe. Damit ist es unerheblich, ob die Niederschrift als Billigkeits- oder Übergangsmaßnahme zu verstehen war oder ob sie nicht vielmehr angesichts ihres ausdrücklichen Wortlauts als [X.] angesehen werden musste.
(b) Der Vertrauenstatbestand, auf den die Kläger ihre Disposition gründeten, war eine (regional begrenzte) Verwaltungspraxis, die jedoch mit einer seit dem Jahr 1996 bestehenden [X.]-Rechtsprechung nicht übereinstimmte. Bereits mit Urteil in [X.], 144, [X.] 1996, 646 hatte der erkennende Senat die Auffassung abgelehnt, wonach erstattete Sonderausgaben stets nur mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung verrechnet werden könnten, sofern der Rückforderungsanspruch nicht schon im [X.] feststehe. Dadurch würden ungerechtfertigte Steuervorteile entstehen, falls gleichartige Sonderausgaben im [X.] nicht anfielen. Der Steuerpflichtige würde steuerlich entlastet, obwohl er wegen der Erstattung der Kirchensteuer wirtschaftlich nicht endgültig belastet sei. Es sei nicht vertretbar, den Sonderausgabenabzug lediglich dann zu versagen, wenn bereits im Zahlungszeitpunkt abgesehen werden könne, dass die Aufwendungen in einem späteren Veranlagungsjahr zurückgezahlt würden. In Fortführung dieses Urteils entschied der erkennende Senat bereits zwei Jahre später, dass in dem Fall, in dem im Jahr der Erstattung an den Steuerpflichtigen eine Kompensation mit gleichartigen Aufwendungen nicht möglich sei, der Sonderausgabenabzug des Jahres der Verausgabung um die nachträgliche Erstattung gemindert werden müsse. Ein bereits bestandskräftiger Bescheid sei nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] zu ändern (Senatsurteil vom 28. Mai 1998 [X.], [X.], 521, [X.] 1999, 95).
Ein berechtigtes Vertrauen auf einen Fortbestand der Verwaltungspraxis in dem [X.] konnte sich bei den Klägern infolgedessen wegen entgegenstehender gefestigter [X.]-Rechtsprechung nicht bilden.
(c) Selbst wenn den Klägern dahingehend gefolgt würde, dass im Zeitpunkt der Antragsstellung des [X.] am 8. Juli 2002 die Rechtslage trotz der [X.]-Rechtsprechung noch nicht geklärt gewesen sei, weil zu diesem Zeitpunkt das BMF-Schreiben vom 11. Juli 2002 noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden war, würde dennoch eine ausreichende Vertrauensbasis für eine Disposition der Kläger fehlen, die eine [X.] hätte rechtfertigen können. Der [X.] hat bereits mehrfach entschieden, dass bei einer noch nicht geklärten Rechtslage kein entsprechender Vertrauenstatbestand vorliegt (vgl. z.B. Urteile vom 18. Februar 1982 IV R 85/79, [X.]E 135, 311, [X.] 1982, 397; vom 10. Juni 2008 VIII R 79/05, [X.]E 222, 320, [X.] 2008, 863, und vom 14. Juli 2009 VIII R 10/07, [X.] 2009, 1815, jeweils m.w.N.).
(d) Ein Vertrauenstatbestand konnte sich auch nicht dadurch bilden, dass im [X.] die Steuerbescheide des [X.]es bei einem [X.] jahrelang von der Finanzverwaltung nicht geändert wurden, da ein "Verwaltungsunterlassen" keine Grundlage für eine [X.] sein kann (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 865).
cc) Ebenso zu Recht hat das [X.] entschieden, dass die Kläger die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen auch nicht unter Hinweis darauf erreichen können, dass im [X.] bei anderen Steuerpflichtigen selbst nach Veröffentlichung des [X.] in [X.], 667 ein Kirchensteuerüberhang im [X.] nicht in das [X.] zurückgetragen worden sei. Unabhängig davon, dass diese Verfahrensweise nicht belegt ist, vermittelt nach ständiger [X.]-Rechtsprechung bereits Art. 3 des Grundgesetzes keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis (z.B. Entscheidungen vom 26. September 2007 V B 8/06, [X.]E 219, 245, [X.] 2008, 405; vom 13. Februar 2007 II B 32/06, [X.] 2007, 966; vom 11. Januar 2006 II R 12/04, [X.] 2006, 615, m.w.N.; vom 18. Juli 2002 V B 112/01, [X.]E 199, 77, [X.] 2003, 675). Umso weniger kann ein rechtswidriges Verwaltungshandeln die Grundlage für eine [X.] bilden.
2. Da die Revision des [X.] bereits mit der Sachrüge Erfolg hat, kommt es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr an (vgl. Senatsurteil vom 19. Oktober 2011 [X.], [X.]E 235, 304, [X.] 2012, 345).
Meta
17.04.2013
Urteil
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 17. Dezember 2009, Az: 3 K 49/09, Urteil
§ 163 AO, § 227 AO, § 10 Abs 1 Nr 4 EStG 1997, § 34 Abs 1 EStG 1997
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.04.2013, Az. X R 6/11 (REWIS RS 2013, 6557)
Papierfundstellen: REWIS RS 2013, 6557
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Keine sachliche Unbilligkeit bei fehlender einkommensteuerlicher Auswirkung von Sonderausgaben; Anforderungen an die Rüge der Voreingenommenheit …
(Hinzurechnung eines Kirchensteuer-Erstattungsüberhangs i.S. des § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG setzt keine Kirchensteuerzahlung …
Erstattung von Lohnkirchensteuer an den Arbeitgeber
Zum Zusammentreffen eines Erstattungsüberhangs mit einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte
Sonderausgabenabzug bei Verrechnung erstatteter nur begrenzt abziehbarer Krankenversicherungsbeiträge mit unbegrenzt abziehbaren Krankenversicherungsbeiträgen