Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.01.2019, Az. 4 StR 456/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 11395

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Gegenstand

Rechtfertigung gefährlicher Körperverletzung: Voraussetzungen des Notwehrrechts bei provoziertem Angriff


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 14. März 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

I.

1

Das [X.] hat die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Dagegen richtet sich die vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Der Beschuldigte, der seit 2013 an einer [X.] Psychose leidet, begab sich am Abend des 28. September 2017 mit seiner damaligen Lebensgefährtin [X.]    zum Gleis 5 des D.    er [X.]. Dort urinierte die alkoholisierte Frau [X.]    in einem Wartehäuschen, während sich der Beschuldigte als Sichtschutz vor sie stellte. Der Zeuge [X.]     , der hinzukam, sagte daraufhin zu ihr, „Entschuldigung, hier ist keine Toilette“. Es entwickelte sich nun ein Streitgespräch zwischen dem Zeugen [X.]      und dem Beschuldigten, die sich beide deutlich erregten. Der Beschuldigte verließ den Bereich des [X.] und begab sich auf dessen andere Seite, wodurch sich die Distanz zum Zeugen vergrößerte. Er begann nun herumzuspringen und [X.] von sich zu geben. Vom Zeugen [X.]      unbemerkt zog er ein klappbares Jagdmesser mit 7 cm langer Klinge aus der Tasche. Der Zeuge [X.]      fühlte sich durch das Herumspringen herausgefordert und ging auf den Beschuldigten zu, um ihm unvermittelt einen Schlag mit dem Arm zu versetzen. Der Beschuldigte schätzte die Situation zutreffend ein und stieß mit dem Messer in die linke Körperflanke des Zeugen, um den bevorstehenden körperlichen [X.] abzuwehren. Es konnte nicht sicher festgestellt werden, ob der Beschuldigte im Tatzeitpunkt unter akuten Symptomen seiner [X.] Psychose litt. Ein psychotisches Erleben war jedenfalls nicht handlungsleitend.

3

Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt, weil es bereits an einer rechtswidrigen [X.] fehle. Der Messerstich sei nach Maßgabe des [X.] gemäß § 32 StGB gerechtfertigt gewesen. Der Zeuge [X.]      habe den Beschuldigten rechtswidrig angegriffen. Der Beschuldigte habe mit Verteidigungswillen gehandelt, dies selbst dann, wenn seine Psychose handlungsleitend gewesen wäre. Der Stich mit dem Jagdmesser sei zu seiner Verteidigung auch erforderlich gewesen. Ein vorheriges Androhen des [X.]es sei nicht geeignet gewesen, den in Sekunden bevorstehenden [X.] abzuwehren, zumal der Beschuldigte davon ausgegangen sei, dass [X.]      das Messer bereits wahrgenommen habe. Auf einen ungewissen Kampf habe er sich nicht einlassen müssen.

II.

4

Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Begründung, mit der das [X.] das Vorliegen einer rechtswidrigen [X.] für eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus – einer zumindest rechtswidrig begangenen gefährlichen Körperverletzung – verneint hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Erwägungen zum Handeln des Beschuldigten in Notwehr sind in mehrfacher Hinsicht durchgreifend rechtlich bedenklich.

5

1. Die vom [X.] getroffenen Feststellungen gaben Anlass zu der Prüfung, ob der Beschuldigte den [X.] des Zeugen [X.]      mitverschuldet hat, also ein Fall der [X.] mit der Folge der Einschränkung des [X.] des Beschuldigten vorlag.

6

a) Für die Fälle der [X.] ist zu unterscheiden: Eine Absichtsprovokation begeht, wer zielstrebig einen [X.] herausfordert, um den Gegner unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen. In einem solchen Fall ist dem Täter Notwehr – jedenfalls grundsätzlich – versagt, weil er rechtsmissbräuchlich handelt, indem er einen Verteidigungswillen vortäuscht, in Wirklichkeit aber angreifen will ([X.], Urteile vom 7. Juni 1983 – 4 [X.], NJW 1983, 2267; vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, [X.], 143; vom 12. Februar 2003 – 1 [X.], NJW 2003, 1955, 1958; vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 20 jeweils mwN). Erfolgt die Provokation (nur) vorsätzlich, wird dem Täter das [X.] nicht vollständig und nicht zeitlich unbegrenzt genommen; es werden an ihn jedoch umso höhere Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung gefährlicher Konstellationen gestellt, je schwerer die rechtswidrige und vorwerfbare Provokation der Notwehrlage wiegt. Wer unter erschwerenden Umständen die Notwehrlage provoziert hat, muss unter Umständen auf eine sichere erfolgversprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein minder gefährliches Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen hat ([X.], Urteil vom 26. Oktober 1993 – 5 [X.], [X.]St 39, 374, 378 f.). Auch wenn der Täter den [X.] auf sich lediglich leichtfertig provoziert hat, darf er von seinem grundsätzlich gegebenen [X.] nicht bedenkenlos Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem [X.] nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst Zuflucht nehmen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit nicht bietet, ist er zu der erforderlichen Verteidigung befugt ([X.], Beschlüsse vom 7. Juli 1987 – 4 [X.], [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 1; vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4; vom 1. September 1993 – 3 [X.], [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 10; Urteile vom 18. August 1988 – 4 [X.], [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 3; vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 20 jeweils mwN).

7

Ein rechtlich gebotenes oder erlaubtes Tun führt hingegen nicht ohne weiteres zu Einschränkungen des [X.], auch wenn der Täter wusste oder wissen musste, dass andere durch dieses Verhalten zu einem rechtwidrigen [X.] veranlasst werden könnten ([X.], Urteil vom 19. November 1992 – 4 [X.], [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 9; Beschlüsse vom 10. November 2010 – 2 [X.], NStZ-RR 2011, 74, 75 und vom 26. Juni 2018 – 1 [X.], [X.], 34, 35 jeweils mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] setzt eine Notwehreinschränkung vielmehr voraus, dass die tatsächlich bestehende Notwehrlage durch ein rechtswidriges, jedenfalls aber [X.] zu missbilligendes [X.] des Angegriffenen verursacht worden ist und zwischen diesem [X.] und dem rechtswidrigen [X.] ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht ([X.], Beschluss vom 4. August 2010 – 2 [X.], [X.], 82; Urteile vom 2. November 2005 – 2 [X.], [X.], 332; vom 25. März 2014 – 1 [X.], [X.], 451, 452; vom 3. Juni 2015 – 2 StR 473/14, [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 22 jeweils mwN).

8

b) Das [X.] hat, obwohl sich dies nach den Feststellungen aufgedrängt hätte, nicht geprüft, ob der Beschuldigte im oben dargelegten Sinne den [X.] des Zeugen [X.]      provoziert hatte und sein [X.] deshalb eingeschränkt war. Dass sein – mit [X.]n verbundenes – Herumspringen vor dem Zeugen [X.]      in einer durch die vorausgegangene verbale Auseinandersetzung angespannten und aufgeheizten Situation einen [X.] konnte und möglicherweise auch sollte, lag, auch mit Blick darauf, dass der Beschuldigte in dieser Situation sein Messer für den Zeugen unbemerkt zog, nahe. Selbst wenn der Beschuldigte den [X.] lediglich leichtfertig provoziert hätte, wäre zu prüfen gewesen, ob sein Verhalten angesichts der vorangegangenen Auseinandersetzung [X.] zu missbilligen war mit der Folge einer Einschränkung des [X.]. Die Frage einer [X.] war deshalb erörterungsbedürftig.

9

2. Das [X.] hat in diesem Zusammenhang auch einen Verteidigungswillen des Beschuldigten nicht mit Tatsachen belegt. Eine von Verteidigungswillen getragene Handlung des Beschuldigten ergibt sich lediglich aus dessen Einlassung, der das [X.] aber in wesentlichen Teilen nicht gefolgt ist. Vielmehr hat es die im Widerspruch zu dieser Einlassung stehende Aussage des Zeugen [X.]      insgesamt für glaubhaft befunden. Soweit das [X.] darauf abgestellt hat, dass der Beschuldigte den Zeugen [X.]      mehrfach gebeten habe, sich zu entfernen, erfolgte dies vor dem den [X.] auslösenden Verhalten des Beschuldigten.

3. Nicht mehr entscheidungserheblich ist deshalb, dass auch die Begründung des [X.]s zur Frage der Erforderlichkeit des Messerstichs als Notwehrhandlung an durchgreifenden Rechtsfehlern leidet.

a) Das [X.] hat schon keine ausreichenden Feststellungen zu den räumlichen Verhältnissen und zur genauen Kampflage zum Zeitpunkt des [X.]sbeginns – Beginn des Zugehens des Zeugen [X.]      auf den herumspringenden Beschuldigten, um ihn zu schlagen – getroffen. Die Annahme, der sofortige [X.] sei erforderlich gewesen, um den [X.] abzuwehren, kann demgemäß nicht nachgeprüft werden. Gegen die vom [X.] angenommene Notwendigkeit eines sofortigen [X.]es könnte etwa sprechen, dass zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugen eine räumliche Distanz eingetreten war, was dem Beschuldigten das Androhen eines [X.]es ermöglicht haben könnte, zumal er sich selbst dahin eingelassen hat, den [X.] vorher angedroht zu haben.

b) Die Überzeugung des [X.]s, der Beschuldigte sei davon ausgegangen, dass der Zeuge das Messer zum Zeitpunkt seines Zugehens auf ihn wahrgenommen hatte, wird von der Beweiswürdigung nicht getragen. Soweit das [X.] zu dieser Frage der Einlassung des Beschuldigten gefolgt sein sollte, fehlt es hierfür an einer widerspruchsfreien Begründung. Denn im Urteil ist andererseits – der für glaubhaft erachteten Aussage des Zeugen folgend – festgestellt, dass der Beschuldigte das Messer vom Zeugen [X.]      unbemerkt aus der Tasche zog.

4. Der neue Tatrichter wird sich daher nochmals im Sicherungsverfahren mit dem Vorliegen einer rechtswidrigen [X.] zu befassen haben. Sollte er dies bejahen, jedoch – wie im angefochtenen Urteil – einen Zusammenhang der Tat mit der psychischen Erkrankung des Beschuldigten nicht feststellen können und dessen Schuldfähigkeit bejahen, wird ggf. die Überleitung des Verfahrens ins Strafverfahren zu prüfen sein.

Sost-Scheible     

      

Roggenbuck     

      

Cierniak

      

Bender     

      

Feilcke     

      

Meta

4 StR 456/18

17.01.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dortmund, 14. März 2018, Az: 6 Ss 295/18

§ 32 Abs 1 StGB, § 32 Abs 2 StGB, § 224 Abs 1 Nr 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.01.2019, Az. 4 StR 456/18 (REWIS RS 2019, 11395)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 1623 REWIS RS 2019, 11395

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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