Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2020, Az. 1 StR 622/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1614

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Gegenstand

Besetzungsrüge in Strafsachen: Zulässigkeit der Zuweisung von bei einer Wirtschaftsstrafkammer bereits anhängigen Wirtschaftsstrafsachen an eine neu errichtete Wirtschaftsstrafkammer zur gleichmäßigen Auslastung der Strafkammern


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. März 2017, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]unter Freisprechung im Übrigen wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen, Untreue in Tateinheit mit Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in zwei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung und mit Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten [X.]       hat es wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 17 Fällen sowie Bestechung im geschäftlichen Verkehr in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagten M.      und [X.]     hat das [X.] jeweils wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren (M.     ) bzw. einem Jahr und acht Monaten ([X.]     ) verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Des Weiteren hat die [X.] getroffen.

2

Die hiergegen jeweils mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts geführten Revisionen der Angeklagten haben mit einer inhaltsgleichen Besetzungsrüge (§ 338 Nr. 1 [X.], Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) Erfolg.

3

1. Dem liegt - soweit es zur Darstellung des rügespezifischen Verfahrensablaufs von Bedeutung ist - folgendes Geschehen zugrunde:

4

Die Staatsanwaltschaft erhob unter dem 25. März 2013 Anklage zur 2. Wirtschaftsstrafkammer des [X.]s. Nach Zustellung der Anklageschrift vermerkte der Vorsitzende der [X.], dass aufgrund der Regelung im Geschäftsverteilungsplan des [X.]s eine Sonderzuständigkeit der 1[X.] als Wirtschaftsstrafkammer mit Blick auf die angeklagten Fälle der Bestechung bzw. Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gegeben sei und verfügte die Abgabe der Strafsache an die 1[X.]. Die 1[X.] übernahm am 19. Juli 2013 das Verfahren. Mit Schreiben vom 26. August 2013 zeigte der Vorsitzende der 1[X.] die Überlastung der [X.] unter Darlegung der anhängigen Verfahren gegenüber dem Präsidenten des [X.]s an. In der Sitzung vom 29. August 2013 erörterte das Präsidium des [X.]s die Überlastungssituation der 1[X.] und stellte eine Entscheidung zunächst zurück. In der Sitzung vom 11. Oktober 2013 erörterte das Präsidium den hohen Auslastungsgrad bei den Wirtschaftsstrafkammern und die auf sie im [X.] voraussichtlich zukommenden Großverfahren und stellte die Prüfung der Einrichtung einer weiteren Wirtschaftsstrafkammer in Aussicht.

5

Nach weiteren Sitzungen beschloss das Präsidium schließlich am 17. Dezember 2013 den Geschäftsverteilungsplan für das [X.] ohne explizit auf die Belastungsanzeige der 1[X.] einzugehen oder deren aktuelle Belastungssituation zu dokumentieren. Die 24. [X.] wurde im Rahmen der Geschäftsverteilung als weitere Wirtschaftsstrafkammer eingerichtet und die bei ihr noch anhängigen Verfahren zum 1. Januar 2014 an eine andere [X.] übertragen. Darüber hinaus beschloss das Präsidium die 1[X.] durch Übertragung bei ihr noch anhängiger Verfahren zum neuen Geschäftsjahr 2014 entsprechend nachfolgender Regelung zu entlasten: „Die am 31.12.2013, 24.00 Uhr, in der 1[X.] anhängigen, im Zeitraum vom 02.02.2013 bis heute eingegangenen oder nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch das [X.] erneut eingegangenen und noch nicht terminierten Strafverfahren in Wirtschaftsstrafsachen werden mit Wirkung vom 01.01.2014, 00.00 Uhr, von der 1[X.] auf die 24. [X.] übertragen.“

6

Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 23. Dezember 2013 leitete die 1[X.] die vorliegende Strafsache der 24. [X.] unter Hinweis auf deren Zuständigkeit ab dem 1. Januar 2014 zu. Am 24. September 2014 beschloss die 24. [X.] in wesentlichen Anklagepunkten die Eröffnung des Hauptverfahrens.

7

In der Hauptverhandlung vom 12. März 2015 erhoben die Verteidiger der [X.] vor der Vernehmung des ersten Angeklagten einen [X.] (§ 222b Abs. 1 [X.]). Sie beanstandeten die Übertragung des Strafverfahrens von der 1[X.] auf die 24. [X.], weil die Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 [X.] wegen fehlender Überlastung der 1[X.] nicht vorgelegen haben sollen. Sie stützten ihre Begründung aufgrund unvollständiger Gewährung von Akteneinsicht und einer unzutreffenden Auskunft zu den Besetzungsunterlagen darauf, dass eine Überlastungsanzeige der 1[X.] nicht vorgelegen habe. Nach Klarstellung des Umstands, dass die 1[X.] am 26. August 2013 eine Überlastung gegenüber dem Präsidium angezeigt hatte, ergänzten die [X.] rechtzeitig ihren Sachvortrag und rügten, dass es an einem hinreichenden Grund für die unterjährig erfolgte Änderung des [X.] fehle, weil die 1[X.] zum Zeitpunkt der [X.] weder überlastet noch die 24. [X.] ungenügend ausgelastet gewesen sei (§ 21e Abs. 3 [X.]). Zudem sei die vom Präsidium konkret gewählte Maßnahme zu beanstanden, denn die Anforderungen unter denen die Übertragung ausschließlich anhängiger Verfahren allenfalls noch zulässig sein könnte, seien nicht erfüllt gewesen.

8

Die 24. [X.] des [X.]s stellte mit Beschluss vom 14. April 2015 gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 [X.] fest, dass “das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt“ sei. Der [X.] der Angeklagten sei begründet, soweit das gegenständliche Strafverfahren durch die Entscheidung des Präsidiums des [X.]s vom 17. Dezember 2013 von der 1[X.] auf die 24. [X.] übertragen worden sei. Es handele sich zwar entgegen der Ansicht der Angeklagten nicht um eine unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung für das [X.], sondern um eine Entscheidung über die [X.] für das [X.]. Gleichwohl sei auch im Rahmen der [X.] bei Änderung der Zuständigkeit bereits anhängiger Verfahren immer ein zwingender sachlicher Grund erforderlich. Die Entscheidung zur Übertragung bereits anhängiger Verfahren müsse generell gefasst sein und auch in die Zukunft wirken. Die relevanten Gründe seien zu dokumentieren. Diesen Anforderungen genüge der Präsidiumsbeschluss vom 17. Dezember 2013 nicht, weil keine Feststellungen zur konkreten Belastungssituation der 1[X.] zum Entscheidungszeitpunkt getroffen worden seien und es zudem an einer abstrakt generellen, auch in die Zukunft gerichteten Regelung hinsichtlich der abzuleitenden Verfahren fehle. Die getroffene Regelung habe ausschließlich anhängige Verfahren zum Gegenstand, die von der 1[X.] auf die 24. [X.] übertragen worden seien; eine Erstreckung auf weitere bis zum Wirksamwerden der neuen [X.] 2014 eingehende Sachen sei gerade nicht erfolgt, so dass im Ergebnis lediglich einzelne Verfahren umverteilt worden seien.

9

Nach Anhörung des Vorsitzenden der 1[X.], der die Zuständigkeit der 24. [X.] für das Strafverfahren aufgrund der Übertragung im Rahmen der [X.] 2014 weiterhin für gegeben erachtet hatte, beschloss das Präsidium des [X.]s mit Blick auf „Meinungsverschiedenheiten“ über die Auslegung der Geschäftsverteilung am 29. April 2015, dass die 24. [X.] für das Strafverfahren zuständig sei. Durch die von der 24. [X.] gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 [X.] getroffene Feststellung, dass sie für das Strafverfahren nicht zuständig sei, werde das Präsidium des [X.]s nicht gebunden. Die Übertragung des Strafverfahrens von der 1[X.] auf die 24. [X.] sei wirksam erfolgt, weil im Rahmen der [X.] Bestände ohne weiteres umverteilt werden können, um starke [X.] zwischen den [X.]n auszugleichen. Sachliche Gründe für die Änderung der Geschäftsverteilung hätten vorgelegen. Zudem sehe der Geschäftsverteilungsplan vor, dass bei einer Verteilung von Verfahren außerhalb des Turnus, eine [X.], die über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden habe, weiter mit der Sache befasst bleibe, auch wenn sich ihre Unzuständigkeit nachträglich ergäbe. Unberührt hiervon blieben nur gesetzliche Zuständigkeitsregeln, „was die §§ 222a, 222[X.]“ nicht seien.

Mit Beschluss vom 22. Juni 2015 stellte die 24. [X.] des [X.]s ihre Unzuständigkeit erneut fest und legte das Verfahren dem [X.] analog §§ 14, 19 [X.] zur Entscheidung vor. Das Präsidium des [X.]s sei nicht zur Entscheidung über die Zuständigkeit der 24. [X.] zuständig gewesen, weil keine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung des [X.] vorgelegen habe, sondern eine bindende Feststellung der 24. [X.] im Verfahren nach § 222[X.], dass sie nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei.

Das [X.] wies mit Beschluss vom 27. August 2015 den Antrag der 24. [X.] auf Bestimmung einer Zuständigkeit zurück. Die Vorlage sei unzulässig, da kein [X.] vorgelegen habe. Über negative Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Spruchkörpern gleicher Art desselben Gerichts, die auf Meinungsverschiedenheiten über die Geschäftsverteilung zurückzuführen seien, entscheide gemäß § 21e [X.] bindend das Präsidium. Dem Verfahren sei durch die 24. [X.] des [X.]s der Fortgang zu geben, auch wenn sie weiterhin der Meinung sei, sie sei nicht ordnungsgemäß besetzt.

Die 24. [X.] terminierte das Strafverfahren sodann ab dem 28. Januar 2016. Die Angeklagten erhoben erneut rechtzeitig den [X.], den das [X.] nunmehr zurückwies. In der Sache hielt es an seiner Auffassung fest, für das Strafverfahren nicht zuständig zu sein, gab dem Verfahren gleichwohl seinen Fortgang und beendete die Hauptverhandlung durch Sachurteil.

2. Die von den Beschwerdeführern erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Die Übertragung des die Angeklagten betreffenden Verfahrens von der 1[X.] auf die 24. [X.] ist nicht gesetzmäßig erfolgt. Diese war nicht zur Verhandlung und Entscheidung im vorliegenden Verfahren berufen; das erkennende Gericht war somit nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 338 Nr. 1 [X.]).

a) Allerdings ist die Übertragung des vorliegenden Wirtschaftsstrafverfahrens von der 1[X.] auf die 24. [X.] im Rahmen der [X.] 2014 nach allgemeinen, abstrakten und sachlich objektiven Merkmalen erfolgt. Entgegen der Ansicht der Revision handelte es sich nicht um eine unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung nach § 21e Abs. 3 [X.]. Das Präsidium des [X.]s war mit Blick auf die Belastung der Wirtschaftsstrafkammern nicht gehindert, im Rahmen der [X.] 2014 eine weitere Wirtschaftsstrafkammer zu errichten und ihr bereits anhängige Verfahren einer anderen Wirtschaftsstrafkammer zuzuweisen, um eine gleichmäßige Auslastung der [X.]n zu erzielen (vgl. [X.], Urteil vom 3. Februar 1982 - 2 [X.] Rn. 13, [X.]St 30, 371 Rn. 13).

b) Die Besetzungsrüge dringt aber aus dem Grund durch, dass die Ableitung des vorliegenden Verfahrens aufgrund der vom Präsidium des [X.]s getroffenen Regelung zu den Voraussetzungen der Übertragung des Verfahrens hinsichtlich der zeitlichen Festlegungen zu unbestimmt ist, so dass eine Manipulation der Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern nicht ausgeschlossen ist mit der Folge, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Dezember 2016 - 2 BvR 2023/16 Rn. 22 f.).

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 26. Februar 2005 - 2 BvR 581/03 Rn. 22) ist bei der Prüfung, ob in einem bestimmten Verfahren dem grundrechtsgleichen Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters genügt worden sei, zwar die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen grundsätzlich nur zu beanstanden, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erschienen und offensichtlich unhaltbar - mithin willkürlich - seien. Jedoch sei dies anders, wenn nicht die fehlerhafte Auslegung oder Anwendung einer Zuständigkeitsregel (etwa eines [X.] oder der Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 [X.]) durch das Gericht, sondern die Verfassungsmäßigkeit der Regelung im Geschäftsverteilungsplan, die der Rechtsanwendung unterliege, betroffen sei. An die verfassungsrechtliche Überprüfung der Umverteilung von bereits anhängigen Verfahren durch das Präsidium müsse vielmehr ein Kontrollmaßstab angelegt werden, der über eine reine Willkürprüfung hinausgehe und in den Fällen der nachträglichen Zuständigkeitsänderung jede Rechtswidrigkeit einer solchen durch das Präsidium getroffenen Regelung im Geschäftsverteilungsplan erfasse.

bb) Nach diesem auch zugrunde zu legenden Prüfungsmaßstab (vgl. [X.], Urteil vom 9. April 2009 - 3 [X.] Rn. 16, [X.]St 53, 268) erweist sich die Übertragung des vorliegenden Verfahrens von der 1[X.] auf die 24. [X.] des [X.]s aufgrund des [X.] vom 17. Dezember 2013 als rechtsfehlerhaft. Die Rechtsprechung des [X.] sieht zur Gewährleistung der Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) vor, dass sämtliche Regelungen eines [X.], der die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper ergänzt, die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen ([X.], Beschluss vom 23. Dezember 2016 - 2 BvR 2023/16 Rn. 25 mwN). Die Regelungen eines [X.] müssen also im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung [X.] regeln, damit die einzelne Sache „blindlings“ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an [X.] gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird ([X.] aaO mwN).

cc) Die Regelung im Präsidiumsbeschluss vom 17. Dezember 2013 zur Übertragung der bei der 1[X.] des [X.]s anhängigen Wirtschaftsstrafverfahren auf die 24. [X.] genügt diesen Anforderungen nicht. Die Regelung macht die Übertragung von im Zeitraum vom 2. Februar 2013 bis 17. Dezember 2013 bei der 1[X.] eingegangenen Wirtschaftsstrafsachen auf die 24. [X.] davon abhängig, dass diese von der 1[X.] bis zum Stichtag 31. Dezember 2013, 24.00 Uhr, noch nicht terminiert sind. Diese zeitlich noch mehrere Tage „offene“ [X.] verhindert jedoch die generell-abstrakte Zuständigkeitsbegründung im Voraus, weil sie die Zuständigkeit der 24. [X.] davon abhängig macht, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Terminierung durch die 1[X.] stattfindet. Eine solche Delegation der Entscheidung über die Geschäftsverteilung an die Spruchkörper, die gerade Adressaten der [X.] Zuständigkeit sein sollten, ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar (vgl. [X.], aaO Rn. 31).

c) Die Besetzungsrüge ist auch nicht präkludiert. Zwar erfordert § 338 Nr. 1 Buchst. [X.] (in der Fassung bis 12. Dezember 2019 - aF), dass der [X.] bereits in der Hauptverhandlung vor dem [X.] rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemacht worden ist. Die Vorschrift des § 338 Nr. 1 Buchst. [X.] nimmt dabei Bezug auf § 222b Abs. 1 Satz 2 [X.], der bestimmt, dass die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben sind.

aa) Das auf den [X.] eröffnete Zwischenverfahren dient dazu, die Prüfung und Beanstandung der Gerichtsbesetzung auf den von § 222b Abs. 1 Satz 1 [X.] beschriebenen Zeitpunkt vorzuverlegen, damit ein Rechtsfehler rechtzeitig aufgedeckt und gegebenenfalls geheilt wird. Damit wird auch dem Recht des Angeklagten, sich nur vor [X.] verantworten zu müssen, effektiver Rechnung getragen, als wenn er darauf verwiesen würde, dieses Recht erst mit der Revision geltend zu machen ([X.], Beschluss vom 12. Januar 2016 - 3 StR 490/15 Rn. 11 und Urteile vom 7. September 2016 - 1 [X.] Rn. 27 und vom 9. April 2009 - 3 [X.], [X.]St 53, 268, 279). Mit den durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1979 eingeführten Rügepräklusionsvorschriften der § 338 Nr. 1, § 222b Abs. 1 [X.] wollte der Gesetzgeber erreichen, dass [X.] bereits in einem frühen Verfahrensstadium erkannt und geheilt werden, um zu vermeiden, dass ein möglicherweise mit großem Aufwand zustande gekommenes Strafurteil allein wegen eines [X.]s aufgehoben und in der Folge die gesamte Hauptverhandlung wiederholt werden muss (BT-Drucks. 8/976, [X.] ff.; [X.], Urteil vom 25. Oktober 2006 - 2 [X.] Rn. 7). Deshalb müssen alle Beanstandungen gleichzeitig geltend gemacht werden (§ 222b Abs. 1 Satz 3 [X.]). Ein Nachschieben von Gründen ist nicht statthaft ([X.] aaO). Inhaltlich erfordert der [X.] nach § 338 Nr. 1 Buchst. [X.] daher eine klare Bezeichnung des geltend gemachten Mangels und der Darlegung der den Mangel enthaltenden Tatsachen (vgl. [X.], Urteil vom 7. September 2016 - 1 [X.] Rn. 29 ff.).

bb) Nach diesen Grundsätzen könnte zwar zweifelhaft sein, ob der [X.] in der erforderlichen Klarheit den auf die Stichtagsregelung beruhenden Mangel geltend gemacht hat. Er stellt - ebenso wie der Beschluss des [X.]s vom 14. April 2015, mit dem es seine Unzuständigkeit nach § 222b Abs. 2 Satz 2 [X.] feststellt - darauf ab, dass die materiellen Voraussetzungen für eine Übertragung des Verfahrens von der 1[X.] auf die 24. [X.] nicht vorgelegen hätten. Die Rechtsfehlerhaftigkeit der Stichtagsregelung wird hingegen nicht explizit als Mangel aufgeführt.

cc) Gleichwohl ist die Besetzungsrüge nicht präkludiert, weil die Voraussetzungen des § 338 Nr. 1 Buchst. d [X.] vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts alternativ (auch) darauf gestützt werden, dass das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit es nach § 222b Abs. 2 Satz 2 [X.] festgestellt hat, falls das Gericht tatsächlich nicht vorschriftsmäßig besetzt war.

dd) Diese Voraussetzungen sind vorliegend - auch wenn sich die Fehlerhaftigkeit des [X.] vom 17. Dezember 2013 aus einem anderen Grund als dies das [X.] in seinem Beschluss vom 14. April 2015 zugrunde gelegt hat - gegeben.

§ 338 Nr. 1 Buchst. d [X.] setzt nach seinem Wortlaut nicht voraus, dass der von der Verteidigung mit dem [X.] geltend gemachte Besetzungsmangel zu Recht vom erkennenden Gericht als Grund für seine Feststellung, dass es nicht vorschriftsmäßig besetzt sei (§ 222b Abs. 2 Satz 2 [X.]), zugrunde gelegt wurde. Eine solche Verknüpfung zwischen vom erkennenden Gericht - möglicherweise rechtsirrig - angenommenen Mangel der Besetzung und einem tatsächlich zur Fehlerhaftigkeit der Besetzung führenden Mangel lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen. Ebenso wenig knüpft die Regelung daran an, dass die Formvorschriften und die [X.] nach § 338 Nr. 1 Buchst. b, § 222b Abs. 1 [X.] beachtet worden sind (aA, jedoch ohne Begründung: [X.], [X.], 26. Aufl., § 338 Rn. 60), auch wenn eine Entscheidung des erkennenden Gerichts nach § 222b Abs. 2 Satz 2 [X.] die Erhebung eines [X.]s voraussetzt. Hiergegen spricht bereits die Gesetzsystematik, die lediglich eine Präklusionswirkung der Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 Buchst. b, § 222b Abs. 1 [X.] statuiert. Würde auch für § 338 Nr. 1 Buchst. d [X.] die Präklusionswirkung des § 338 Nr. 1 Buchst. [X.] Anwendung finden, verbliebe für die Norm kein Anwendungsbereich. Schließlich ist zu beachten, dass die Präklusionsvorschriften wegen ihrer einschneidenden Folgen, die [X.] eines Verstoßes gegen [X.] geltend zu machen, strengen Ausnahmecharakter haben (vgl. [X.], Urteil vom 7. September 2016 - 1 [X.] Rn. 28). Schon deshalb verbietet sich eine über dem Wortsinn hinausgehende Auslegung.

Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird im Falle einer neuerlichen Verurteilung eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren von einem Jahr zu kompensieren haben.

Raum     

        

Jäger     

        

Bellay

        

Cirener     

        

Fischer     

        

Meta

1 StR 622/17

27.01.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 16. März 2017, Az: 5/24 KLs 7810 Js 231098/09 (3/4)

§ 222b StPO, § 21e GVG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2020, Az. 1 StR 622/17 (REWIS RS 2020, 1614)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1614

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Voraussetzungen einer Besetzungsrüge


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