Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.02.2014, Az. III ZR 311/13

3. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7921

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Gegenstand

Entschädigung wegen überlanger Dauer einer Strafvollzugssache: Angemessenheitsprüfung für die Dauer des Ausgangsverfahrens in Ansehung des Prozessverhaltens des Entschädigungsklägers


Leitsatz

1. Die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff. GVG) ist auf das gerichtliche Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG unmittelbar anzuwenden.

2. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung wesentlich, wie sich der Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren verhalten hat. Dabei kommt es auf eine Prozessverschleppungsabsicht oder eine sonstige Vorwerfbarkeit des Prozessverhaltens nicht an.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 5. Juni 2013 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des [X.].

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff [X.] in Anspruch.

2

Der Kläger verbüßt in der [X.]       eine lebenslange Freiheitsstrafe. Ein im Jahre 2002 im Strafvollzug begonnenes Studium der Wirtschaftswissenschaften an der [X.]betrieb er zunächst als Freizeitmaßnahme und setzte es ab Juli 2007 als Vollzeitstudent fort.

3

Ende 2008 teilte die [X.]  dem Kläger mit, dass die ordnungsgemäße Weiterführung des Studiums künftig einen Personal Computer mit Internetanschluss voraussetze. Mit Schreiben vom 1. September 2009 beantragte der Kläger gegenüber der [X.]      die zeitnahe Einrichtung eines eingeschränkten ("getunnelten") Onlinezugangs zu den Internetseiten der [X.]. Daraufhin erhielt er vom pädagogischen Dienst der Vollzugsanstalt die Zusage, dass er einen Laptop erhalten werde, um einen eingeschränkten Internetzugang vom Haftraum aus nutzen zu können. Die Installation des Internetzugangs sollte nach dem damaligen Planungsstand bis Ende Oktober 2009 erfolgen.

4

Mit Bescheid vom 11. Januar 2010 widerrief die [X.]      wegen ungenügender Leistungen sowohl die Genehmigung des Studiums als Vollzeitmaßnahme als auch die Kostenübernahmeerklärung für das Fernstudium. Seitdem setzt der Kläger, der den Rücknahmebescheid erfolglos angegriffen hatte (Beschluss des [X.]    - 2. Strafvollstreckungskammer - vom 4. Mai 2010), das Studium wieder als Freizeitmaßnahme fort.

5

Da er in der Folgezeit weder einen Internetzugang noch einen Laptop erhielt, stellte er mit Schreiben vom 3. Februar 2010 beim [X.]    - 2. Strafvollstreckungskammer - Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff [X.] mit dem Ziel, die [X.]      zu verpflichten, ihm einen eingeschränkten Internetzugang zur [X.] einzurichten sowie einen anstaltseigenen Laptop zur Verfügung zu stellen.

6

Nach mehrfachen wechselseitigen Stellungnahmen teilte die [X.]    schließlich mit Schreiben vom 5. Oktober 2010 mit, dass grundsätzlich nichts gegen die Einrichtung des beantragten Internetzugangs und die Aushändigung eines Laptops spreche. Der Internetzugang könne jedoch aus technischen, außerhalb der Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten der Vollzugsanstalt liegenden Gründen derzeit nicht eingerichtet werden.

7

Mit Schreiben vom 24. März 2011 informierte der Kläger das [X.] darüber, dass er schwer erkrankt sei, und bat um "globale Fristverlängerung", da er sich in allen offenen Verfahren noch äußern werde.

8

Den Antrag des [X.] vom 30. Mai 2011, eingegangen bei Gericht am 20. Juni 2011, auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 [X.], mit dem er die sofortige Einrichtung eines getunnelten [X.] begehrte, wies die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 8. November 2011 zurück, da der Kläger nicht gehindert sei, solche Klausuren zu schreiben, für die er in der Vergangenheit bereits Klausurberechtigungen erworben habe, und die Hauptsache durch die einstweilige Anordnung nicht vorweggenommen werden dürfe.

9

In einem Telefonat vom 27. Juli 2011 bat der Kläger die Strafvollstreckungskammer um eine möglichst schnelle Entscheidung in den von ihm als vorrangig angesehenen Verfahren, in denen er [X.] angefochten hatte.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2011 erhob er gegenüber dem [X.] eine "Untätigkeitsrüge".

Mit Beschluss vom 17. Januar 2012 verpflichtete das [X.]   die [X.]          , dem Kläger die Nutzung eines eingeschränkten Internetzugangs zur [X.]zu ermöglichen und ihm einen Laptop zur Nutzung in seinem Haftraum auszuhändigen. Auf Grund der bereits im Jahre 2009 gegebenen Zusage sei das Ermessen der Vollzugsanstalt auf Null reduziert. Diese sei für die Einrichtung und Nutzung des Internetzugangs verantwortlich und habe etwaige technische Schwierigkeiten zu beseitigen.

Der Kläger hat geltend gemacht, das Verfahren auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff [X.] habe unangemessen lange gedauert und sei spätestens im April 2011 entscheidungsreif gewesen.

Das [X.] hat die auf Zahlung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von 2.300 € gerichtete Klage abgewiesen.

Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die [X.] sei unbegründet, da das Verfahren auf gerichtliche Entscheidung nicht unangemessen lange im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] gedauert habe.

Der prüfungsrelevante [X.]raum, innerhalb dessen das Ausgangsverfahren auf konkrete Phasen der Verzögerung untersucht werden müsse, beginne mit dem Antrag des [X.] vom 3. Februar 2010 und ende mit der Rechtskraft des Beschlusses vom 17. Januar 2012, die am 24. Februar 2012 eingetreten sei (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 [X.]). Das [X.] habe das Verfahren zunächst zeitnah gefördert. Mit dem Schreiben der [X.]       vom 5. Oktober 2010 sei eine gewisse Zäsur des Ausgangsverfahrens eingetreten. Nunmehr hätten dem [X.] alle entscheidungserheblichen Umstände vorgelegen. Auch wenn zwischen diesem [X.]punkt und dem Erlass der verfahrensabschließenden Entscheidung 15 Monate lägen, sei das Ausgangsverfahren nicht unangemessen verzögert worden, da dieser [X.]raum unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und insbesondere des Prozessverhaltens des [X.] als vertretbar anzusehen sei. Die aufgeworfenen Rechtsfragen seien als schwierig einzustufen, zumal es dazu keine gesetzlichen Vorgaben und bislang auch keine über allgemein zugängliche Datenbanken aufzufindende Rechtsprechung gebe. Für die sorgfältige rechtliche Prüfung müsse daher - trotz besonderer persönlicher Bedeutung des Rechtsstreits für die Wiedereingliederung des [X.] nach dem Strafvollzug - ein ganz erheblicher [X.]raum angesetzt werden. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer müsse auch berücksichtigt werden, dass der Kläger durch sein Prozessverhalten die Verfahrensdauer erheblich verlängert habe.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand. Durch die Verfahrensführung des [X.]s ist die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener [X.] zum Abschluss zu bringen, nicht verletzt worden.

1. Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff [X.]) auf das gerichtliche Verfahren nach §§ 109 ff [X.] unmittelbar anzuwenden ist.

Nach § 2 EG[X.] gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und damit auch die Entschädigungsregelung bei überlangen Gerichtsverfahren für die ordentliche Gerichtsbarkeit und deren Ausübung. Davon umfasst sind nach § 13 [X.] alle Zivil- und Strafsachen. Auf andere Gerichtsbarkeiten ist das Gerichtsverfassungsgesetz nicht unmittelbar anzuwenden, sondern nur insoweit, als seine Geltung durch Verweisungsnormen ausdrücklich vorgeschrieben ist (zum Beispiel § 173 VwGO, § 202 SGG, § 155 FGO; [X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 [X.] Rn. 9).

Das gerichtliche Verfahren ist in §§ 109 ff [X.] nicht abschließend geregelt und entzieht sich einer eindeutigen Einordnung. § 120 Abs. 1 [X.] verweist zwar ergänzend auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften der Strafprozessordnung; dies ist jedoch nicht unproblematisch. Denn das Verfahren nach §§ 109 ff [X.] ähnelt seiner Struktur nach dem Verwaltungsstreitverfahren und ist kein Strafprozess, so dass bei jeder Norm der Strafprozessordnung sorgfältig geprüft werden muss, ob sie für das Strafvollzugsgesetz passt, das heißt mit dem materiellen Strafvollzugsrecht und dem [X.] ausgestalteten Antragsrecht nach §§ 109 ff [X.] in Einklang zu bringen ist (AK-[X.]/[X.]/[X.], 6. Aufl., § 120 Rn. 3; [X.], [X.], 3. Aufl., § 120 Rn. 1 f). Dies hat zu einer weitgehend richterrechtlichen Ausgestaltung des Verfahrens geführt ([X.] aaO § 120 Rn. 1).

Die unmittelbare Geltung des Gerichtsverfassungsgesetzes ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber die gemäß §§ 109 ff [X.] zu treffenden Entscheidungen den ordentlichen Gerichten (§ 12 [X.]) zugewiesen hat. Der zuständige erstinstanzliche Spruchkörper ist die Strafvollstreckungskammer des [X.]s (§ 78a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 [X.]), der auf Grund der [X.] im Rahmen der Entscheidungen nach §§ 462a, 463 [X.] auch insoweit besondere Sachkunde zukommt (AK-[X.]/[X.]/[X.] aaO § 110 Rn. 1; [X.] aaO § 110 Rn. 1). Über die Rechtsbeschwerde nach § 116 [X.] entscheidet ein Strafsenat des [X.]s, in dessen Bezirk die Strafvollstreckungskammer ihren Sitz hat (§ 117 [X.]). Für das [X.] nach § 121 Abs. 2 [X.] ist der [X.] zuständig. Die vorgenannten Gerichte werden bei Entscheidungen nach §§ 109 ff [X.] als ordentliche Gerichte tätig (§ 12 [X.]) und üben ordentliche Gerichtsbarkeit aus (vgl. [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 9; nicht eindeutig insoweit [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., § 12 [X.] Rn. 4 einerseits sowie Einleitung Rn. 2 und § 2 EG[X.] Rn. 2 andererseits).

Für dieses Ergebnis spricht auch, dass §§ 23 ff EG[X.], die im Bereich des Strafvollzugsrechts subsidiär gelten ([X.] aaO Vorbemerkung zu § 108 Rn. 8), die Zuständigkeit der sachnäheren ordentlichen Gerichte für die Überprüfung der in § 23 Abs. 1 EG[X.] bezeichneten Maßnahmen abweichend von der Generalklausel des § 40 VwGO bestimmen ([X.], [X.], 56. Aufl., vor § 23 EG[X.] Rn. 1).

2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das [X.] eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens zu Recht verneint. Die Verfahrensförderung durch das [X.] weist keine sachwidrigen Lücken auf.

a) Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 [X.] benennt die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BT-Drucks. 17/3802 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung gegenläufigen Rechtsgüter (Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen, Beachtung der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen [X.]s). Erforderlich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - [X.], NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - [X.], BeckRS 2013, 22861 Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - [X.], BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

b) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.], wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 [X.] ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 [X.] folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener [X.] zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 36 ff und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 35 ff, jeweils mwN).

Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher [X.]raum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 [X.] definierte [X.] (vgl. [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der [X.] nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

Die Verfahrensdauer muss vielmehr eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 31; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 42 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 38; vgl. [X.], [X.], 789, 791 f; [X.], NJW 2014, 96 Rn. 39; siehe auch [X.], BeckRS 2013, 96642 Rn. 53; BSG aaO: "deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen").

c) Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht ein Ermessen des verantwortlichen [X.]s hinsichtlich der Verfahrensgestaltung. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 33; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 44 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 39). Dementsprechend wird die Verfahrensführung des [X.]s im nachfolgenden [X.] nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (vgl. Senatsurteile vom 4. November 2010 - [X.], [X.], 286 Rn. 14 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 45 f). Da der Rechtssuchende keinen Anspruch auf optimale Verfahrensförderung hat ([X.], Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10, juris Rn. 16), begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (vgl. Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 46).

Erst wenn die Verfahrenslaufzeit, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt ist, in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 [X.] auch bei Berücksichtigung des weiten richterlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 33; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 44 ff und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 40; [X.] aaO Rn. 42).

d) Bei Zugrundelegung der vorstehenden Grundsätze hält die Beurteilung des [X.]s, die Dauer des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff [X.] sei nicht als unangemessen zu bewerten, den Angriffen der Revision stand.

Die Überprüfung der Verfahrensführung im Ausgangsprozess obliegt grundsätzlich dem Tatrichter, der über die [X.] entscheidet. Bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Verfahrensdauer hat das Revisionsgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und ist in seiner Prüfung darauf beschränkt, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind (vgl. Senatsurteile vom 4. November 2010 aaO Rn. 18; vom 14. November 2013 aaO Rn. 34 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 47; Musielak/Ball, ZPO, 10. Aufl., § 546 Rn. 12).

Solche Rechtsfehler liegen nicht vor. Die vom [X.] an den nach § 198 Abs. 1 Satz 2 [X.] maßgeblichen Kriterien ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls belegt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener [X.] zum Abschluss zu bringen, nicht verletzt worden ist.

aa) Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigen die vom [X.] getroffenen Feststellungen die Annahme, dass die in dem Ausgangsverfahren zu beurteilenden rechtlichen Fragen als schwierig einzustufen sind.

Die Einrichtung und technische Ausgestaltung eines (eingeschränkten) [X.]zugangs für Strafgefangene betrifft unmittelbar die Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt. Einschlägige Vorschriften finden sich weder im Strafvollzugsgesetz noch in den [X.] der Länder. § 36 Abs. 1 H[X.] enthält lediglich die Regelung, dass den Gefangenen Telefongespräche gestattet werden können und aus wichtigen Gründen die Nutzung "anderer Kommunikationsmittel" durch Vermittlung und unter Aufsicht der Anstalt in Betracht kommt. Im Zusammenhang mit der [X.]nutzung durch Strafgefangene stellen sich somit viele neue Rechtsfragen, ohne dass auf gesetzliche Vorgaben oder eine gefestigte Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. In der Literatur wird deshalb de lege ferenda die Schaffung einer Norm für erforderlich gehalten, die die Kommunikation über das [X.] explizit regelt (AK-[X.]/Joester/[X.] aaO § 32 Rn. 13).

Die Strafvollstreckungskammer musste darüber hinaus der Frage nachgehen, ob die Zusage der Vollzugsanstalt aus dem Jahre 2009 durch den zwischenzeitlich erfolgten Widerruf der Genehmigung des Fernstudiums als Vollzeitmaßnahme gegenstandslos geworden ist.

Abschließend war die Frage zu beurteilen, ob die Vollzugsanstalt dazu verpflichtet werden konnte, technische Schwierigkeiten bei der Einrichtung eines eingeschränkten [X.]zugangs gegebenenfalls unter Hinzuziehung externer Fachkräfte zu beseitigen (dazu AK-[X.]/[X.]/[X.] aaO § 37 Rn. 7).

Nach alledem ist die Einschätzung des [X.]s, dass die Strafvollstreckungskammer über eine im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 [X.] schwierige Rechtslage zu befinden hatte, nicht zu beanstanden (vgl. [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 105).

bb) Das [X.] hat auch berücksichtigt, dass die zeitnahe Entscheidung des Ausgangsverfahrens für den Kläger von besonderer persönlicher Bedeutung war. Die erfolgreiche Absolvierung des Fernstudiums diente seiner beruflichen Wiedereingliederung nach dem Strafvollzug. Ab Mitte Juni 2011 konnten die zum Erwerb von Klausurberechtigungen erforderlichen Einsendearbeiten nur noch online angefertigt werden. Aus dem vom [X.] in Bezug genommenen Beschluss des [X.]s vom 8. November 2011 ergibt sich allerdings auch, dass der Kläger nicht gehindert war, an Klausuren teilzunehmen, für die er bereits in der Vergangenheit Berechtigungen erworben hatte. Demgemäß konnte er eine Verzögerung seines Studiums dadurch vermeiden, dass er zunächst solche Klausuren schrieb. Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass die Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss vom 4. Mai 2010 den Widerruf der Genehmigung des Fernstudiums als Ausbildungsmaßnahme nach § 37 [X.] als ermessensfehlerfrei gewertet hat, weil der Kläger nicht willens und in der Lage gewesen sei, die erforderlichen Leistungsnachweise in angemessener [X.] zu erbringen, und deshalb die Justizvollzugsanstalt den Kläger als ungeeignet für das Studium als Vollzeitmaßnahme ansehen durfte.

cc) Vergeblich wendet die Revision ein, die umfangreichen Stellungnahmen, die der Kläger auch nach Eingang des Schreibens der Vollzugsanstalt vom 5. Oktober 2010 abgegeben habe, sowie das parallele Betreiben einer Vielzahl weiterer Verfahren vor der nämlichen Strafvollstreckungskammer hätten bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer nicht berücksichtigt werden dürfen.

Die Frage, wie sich der [X.] selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat, ist unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Mitverursachung wesentlich für die Beurteilung der Verfahrensdauer (BT-Drucks. 17/3802 S. 18). Denn von ihm verursachte Verzögerungen können keine Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen ([X.] aaO § 198 [X.] Rn. 116). Dabei kommt es auf eine "Prozessverschleppungsabsicht" oder eine sonstige Vorwerfbarkeit des Verhaltens nicht an. Auch durch zulässiges Prozessverhalten herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen in den Verantwortungsbereich des Betroffenen. Dies gilt beispielsweise für häufige umfangreiche Stellungnahmen und Anfragen, Fristverlängerungsanträge und Anträge auf Ruhenlassen des Verfahrens ([X.] aaO § 198 [X.] Rn. 117 f). In allen diesen Fällen wird die [X.], die für das Gericht zur ordnungsgemäßen Reaktion auf ein Prozessverhalten erforderlich ist, nicht dem Staat zugerechnet ([X.]/[X.], NJW 2012, 1, 2; [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 118; [X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 [X.] Rn. 12; [X.], Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, Rn. 52; [X.]/Lückemann, ZPO, 30. Aufl., § 198 [X.] Rn. 3).

Dem [X.] ist deshalb auch darin beizupflichten, dass im Rahmen der zu treffenden [X.] zu bedenken war, dass der Kläger durch zahlreiche umfangreiche Stellungnahmen und Anfragen, die er nach Eingang des [X.] vom 5. Oktober 2010 abgegeben hat, einen erheblichen zeitlichen Mehraufwand verursacht hat, der nicht in den Verantwortungsbereich des Gerichts fiel. Es kommt hinzu, dass er mit Schreiben vom 24. März 2011 um "globale Fristverlängerung" nachgesucht und im Juli 2011 um eine vorrangige Bearbeitung derjenigen Verfahren gebeten hat, in denen er [X.] angefochten hatte.

Eine weitere Verfahrensverzögerung hat der Kläger dadurch herbeigeführt, dass er während des laufenden Hauptsacheverfahrens zusätzlich den Erlass einer inhaltsgleichen - jedoch vorrangig zu bearbeitenden - einstweiligen Anordnung beantragt hat.

dd) Die Wertung des [X.]s, dass der [X.]raum von rund 15 Monaten zwischen dem Eingang des Schreibens der [X.]     vom 5. Oktober 2010 und dem das Verfahren beendenden Beschluss vom 17. Januar 2012 noch angemessen war, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Wie bereits dargelegt, ist ein weiteres bedeutsames Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens die Verfahrensführung durch das Gericht. Zu prüfen ist, ob Verzögerungen, die mit der Verfahrensführung im Zusammenhang stehen, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind. Dabei kann die Verfahrensführung nicht isoliert für sich betrachtet werden. Sie muss vielmehr zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 [X.] benannten Kriterien in Bezug gesetzt werden. Maßgebend ist, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer in jedenfalls vertretbarer Weise gerecht geworden ist (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 32; vgl. [X.] aaO Rn 41; [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 127).

Die Strafvollstreckungskammer hatte eine schwierige, bislang weitgehend ungeklärte Rechtslage zu beurteilen. Der Kläger hat den [X.] durch zahlreiche Eingaben, die das Gericht inhaltlich erfassen und gegebenenfalls zur Stellungnahme an die Justizvollzugsanstalt weiterleiten musste, beträchtlich ausgeweitet. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, die weiteren Stellungnahmen des [X.] seien zur Begründung seines Antrags nicht mehr erforderlich und die Sache seit Oktober 2010 entscheidungsreif gewesen, übersieht sie, dass es nicht darauf ankommt, wie sich der Verfahrenslauf im Nachhinein bei einer Ex-post-Betrachtung darstellt. Entscheidend ist, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 32; [X.] aaO Rn. 41; [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 81). Es war daher schon zur Wahrung des Anspruchs des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erforderlich, seine zahlreichen Schreiben zu lesen und auszuwerten sowie den Eingang angekündigter [X.] binnen angemessener Frist abzuwarten. Daneben hatte das Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorrangig zu bearbeiten und musste die zahlreichen vom Kläger parallel betriebenen Verfahren ebenfalls sachgerecht fördern.

Die vorgenannten Umstände tragen in der Gesamtschau die Annahme des [X.]s, dass der [X.]raum von Oktober 2010 bis Januar 2012 für eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands jedenfalls vertretbar war, um der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung zu tragen. Der dem Gericht eingeräumte Gestaltungsspielraum wurde nicht überschritten.

Die Revision irrt, wenn sie meint, das Gericht habe sämtliche bei ihm anhängigen Verfahren in gleicher Weise fördern müssen, und zwar ohne Rücksicht darauf, dass es durch die weiteren Anträge und Verfahren des [X.] in seiner Arbeit behindert wurde. Der den Gerichten zuzubilligende Gestaltungsspielraum gibt dem erkennenden [X.] die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, wann er welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. Die besonders intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren führt zwangsläufig dazu, dass während dieser [X.] die Förderung anderer diesem [X.] zugewiesener Verfahren vorübergehend zurückstehen muss. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht verlangt (Senatsurteil vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 39; [X.] aaO Rn. 54). Demgemäß konnte von der Strafvollstreckungskammer nicht erwartet werden, alle vom Kläger betriebenen Verfahren überobligationsmäßig mit gleicher Intensität zu fördern.

ee) Berücksichtigt man im Rahmen einer Gesamtabwägung den erheblichen Schwierigkeitsgrad des Verfahrens in rechtlicher Hinsicht, seine Bedeutung für die spätere Resozialisierung des [X.], dessen zu erheblichen Verzögerungen führendes Prozessverhalten sowie die jedenfalls vertretbare Verfahrensführung durch die Strafvollstreckungskammer, dann erweist sich die Annahme des [X.]s, dass der Rechtsstreit nicht unangemessen verzögert wurde, als rechtsfehlerfrei.

Schlick                     Herrmann                     Wöstmann

               Seiters                          Reiter

Meta

III ZR 311/13

13.02.2014

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 5. Juni 2013, Az: 4 EntV 10/12, Urteil

§ 198 Abs 1 GVG, § 198 Abs 6 Nr 1 GVG, §§ 198ff GVG, § 109 StVollzG, §§ 109ff StVollzG, § 23 GVGEG, §§ 23ff GVGEG, Art 2 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.02.2014, Az. III ZR 311/13 (REWIS RS 2014, 7921)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7921

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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