Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.08.2011, Az. X R 49/09

10. Senat | REWIS RS 2011, 3634

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Gegenstand

Keine Aussetzungszinsen für fehlerhaft ausgesetzte Beträge bei vollem Erfolg des Rechtsbehelfs - Verzinsung bei Aussetzung der Vollziehung eines Grundlagenbescheids


Leitsatz

Hatte ein Rechtsbehelf in vollem Umfang Erfolg, können auch dann keine Aussetzungszinsen gemäß § 237 AO festgesetzt werden, wenn das FA rechtsirrig einen zu hohen Betrag von der Vollziehung ausgesetzt hatte.

Tatbestand

1

I. Der Revisionsbeklagte ist [X.]rbe der während des Revisionsverfahrens verstorbenen Klägerin ([X.]).

2

[X.] war Gesellschafterin einer GbR. Während eines Rechtsbehelfsverfahrens betreffend negative Gewinnfeststellungsbescheide der GbR war die Aussetzung der Vollziehung ([X.]) gewährt worden. Infolgedessen wurde die Vollziehung der Bescheide über [X.]inkommensteuer und Solidaritätszuschlag aufgehoben (künftig: ausgesetzt/Aussetzung). Diese Aussetzung erfolgte allerdings in größerem Umfang als es der Streitgegenstand hinsichtlich der Feststellungsbescheide erfordert hätte. Nach dem Vorbringen des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --[X.]--) im Revisionsverfahren beruhte dies darauf, dass bei der Berechnung fälschlich frühere --zwischenzeitlich geänderte-- Bescheide zugrunde gelegt worden waren.

3

Das Rechtsbehelfsverfahren hatte in vollem Umfang [X.]rfolg. Wegen der überhöhten [X.] hatte [X.] gleichwohl Nachzahlungen zu leisten. Das [X.] setzte deswegen gegen [X.] für [X.]inkommensteuer 1994 und 1996 nebst Solidaritätszuschlag 1996 Aussetzungszinsen in Höhe von zuletzt insgesamt 375.774 € fest. Der [X.]inspruch hatte keinen [X.]rfolg.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab mit dem in [X.]ntscheidungen der Finanzgerichte 2009, 382 veröffentlichten Urteil, das im Rubrum die [X.]inkommensteuer 1994 und 1996, nicht aber den Solidaritätszuschlag 1996 nannte, der Klage statt. Für die Festsetzung dieser Zinsen fehle es an einer rechtlichen Grundlage. § 237 der Abgabenordnung ([X.]) sei nicht anwendbar, wenn, wie hier, [X.]inspruch oder Klage in vollem Umfange [X.]rfolg gehabt hätten. [X.]s fehle an einer Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Zinsen als Ausgleich für Fehler eines Finanzamts bei einer [X.].

5

Mit der Revision vertritt das [X.] weiterhin die Auffassung, die Nachzahlungsbeträge seien zu verzinsen. Im Rubrum der Revisionsbegründung nennt es, nachdem es im [X.] wie das [X.] ausdrücklich lediglich die [X.]inkommensteuern bezeichnete, wieder den Solidaritätszuschlag 1996.

6

Die in § 237 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorausgesetzte [X.]rfolglosigkeit des Rechtsbehelfs beurteile sich allein danach, inwieweit nach endgültiger [X.]rledigung der ausgesetzte Betrag geschuldet werde, unabhängig davon, aus welchem Grund dies der Fall sei. Daher sei nicht der Streitgegenstand des [X.]inspruchsverfahrens, sondern der geschuldete und von der Vollziehung ausgesetzte Steuerbetrag für den Umfang der Verzinsung maßgebend. Im Verhältnis zwischen Grundlagen- und Folgebescheiden gelte nach § 237 Abs. 1 Satz 2 [X.] nichts anderes. Der Wortlaut des § 237 Abs. 1 Satz 1 [X.] sei daher unter Berücksichtigung seines Zwecks erweiternd so auszulegen, dass ein [X.]inspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid auch insoweit endgültig keinen [X.]rfolg gehabt habe, als trotz Abhilfe des [X.]inspruchs oder der Anfechtungsklage weiterhin ein Betrag geschuldet werde, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt gewesen sei.

7

Dieses Verständnis entspreche dem Zweck des § 237 Abs. 1 [X.]. Die Vorschrift wolle dem Steuerpflichtigen den ihm durch die [X.] eröffneten, jedoch nach materiellem Recht nicht zustehenden Zinsvorteil nehmen. Dem werde lediglich eine Verzinsung gerecht, die unabhängig von der Rechtmäßigkeit der [X.]-[X.]ntscheidung in Grund und Höhe an den tatsächlich ausgesetzten und noch verbliebenen geschuldeten Betrag anknüpfe.

8

Im Übrigen sei [X.] nicht rechtsschutzlos gestellt gewesen, denn sie hätte ihre Zinszahlungspflicht durch verschiedene Maßnahmen vermeiden können, namentlich durch [X.]inspruch gegen die [X.]-Verfügungen, durch Änderungsantrag nach § 131 Abs. 2 Nr. 1 [X.] oder auch durch Zahlung der zuviel von der Vollziehung ausgesetzten Beträge. Die [X.] wäre dann gegenstandslos geworden.

9

Das [X.] beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und [X.]ntscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Der Revisionsbeklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Auffassung des [X.] stehe mit dem Gesetzeswortlaut nicht in [X.]inklang. Danach sei Grundvoraussetzung für die Festsetzung von Aussetzungszinsen, dass ein [X.]inspruch oder eine Anfechtungsklage ganz oder teilweise ("soweit") endgültig keinen [X.]rfolg gehabt habe. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht erfüllt, da der [X.]inspruch in vollem Umfang erfolgreich gewesen sei. Zum zweiten in § 237 [X.] vorgesehenen [X.], der Festlegung der Höhe der Aussetzungszinsen, komme man danach nicht mehr.

Die [X.]ntscheidungen des [X.] ([X.]), auf die sich das [X.] zur Berechnung des zu verzinsenden Betrages stütze, seien jeweils zu Sachverhalten ergangen, in denen die Rechtsbehelfe zumindest teilweise nicht erfolgreich gewesen seien.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Das [X.] hat zu Recht erkannt, dass für die [X.] keine Zinsen festzusetzen waren.

1. Hinsichtlich des Streitgegenstandes stellt der Senat klar, dass der Rechtsstreit auch den Solidaritätszuschlag 1996 umfasst. Einspruch und Klage hatten den Solidaritätszuschlag zum Gegenstand. Soweit die [X.], beginnend mit dem [X.]-Urteil, ihn zunächst nicht mehr enthielten, handelt es sich um offenkundige Versehen.

2. Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid oder gegen eine Einspruchsentscheidung hiergegen endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen. Dies gilt entsprechend, wenn nach Einlegung eines förmlichen Rechtsbehelfs gegen einen Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 [X.]) oder eine Rechtsbehelfsentscheidung hiergegen die Vollziehung eines [X.] ausgesetzt wurde (§ 237 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

Die in Satz 1 dieser Vorschrift genannte Voraussetzung, dass ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage "endgültig keinen Erfolg gehabt" haben dürfe, gilt damit auch in den Fällen des Satzes 2.

An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Die Rechtsbehelfsverfahren gegen die Grundlagenbescheide hatten in vollem Umfang Erfolg.

a) Der Wortlaut des § 237 [X.] ist insoweit eindeutig. Die Frage, ob ein Rechtsbehelf Erfolg hatte, bemisst sich nach dem Verfahrensgegenstand und dem konkretisierten Rechtsbehelfsbegehren und ist unabhängig von der verfahrenstechnischen Art der Erledigung. "Endgültig keinen Erfolg gehabt" hat der Rechtsbehelf insbesondere dann, wenn er durch unanfechtbare Entscheidung abgewiesen, vom [X.] zurückgenommen oder eingeschränkt worden ist, wenn mithin das [X.] dem Begehren, den festgesetzten Steuerbetrag herabzusetzen, im Ergebnis nicht abhilft, gleich, aus welchem Grunde (grundlegend Senatsurteil vom 27. November 1991 [X.], [X.], 311, [X.] 1992, 319, m.w.N.).

Für die Beurteilung der endgültigen Erfolglosigkeit i.S. des § 237 Abs. 1 Satz 2 [X.] ist dementsprechend ausschließlich auf das Ergebnis des gegen den Grundlagenbescheid gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens abzustellen, während die sich auf [X.] des [X.] ergebende steuerliche Auswirkung unbeachtlich ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 2003 [X.] und [X.]/03, [X.], 158; ebenso im [X.] an die Vorinstanz [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 237 [X.] Rz 18, und [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 237 [X.] Rz 14).

b) Soweit der [X.] mehrfach entschieden hat, dass die [X.] nicht von der Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen AdV-Entscheidung, sondern von dem tatsächlich ausgesetzten Betrag abhängt (vgl. Urteile in [X.], 311, [X.] 1992, 319; vom 25. März 1992 [X.], [X.]E 168, 13, [X.] 1992, 997; vom 18. Juli 1994 [X.], [X.]E 175, 294, [X.] 1995, 4; vom 9. November 1998 [X.], [X.]E 187, 400, [X.] 1999, 201, und vom 12. Dezember 2007 [X.], [X.]/NV 2008, 339), beziehen sich diese Entscheidungen auf Konstellationen, in denen die jeweils eingelegten Rechtsbehelfe wenigstens teilweise ohne Erfolg geblieben waren. Die [X.] der AdV-Entscheidung (dazu eingehend Senatsurteil vom 22. Mai 2007 [X.], [X.]/NV 2007, 1817) bezieht sich nur auf die darauf folgende Frage, in welchem Umfang der ausgesetzte Betrag verzinst wird. Sie bezieht sich nicht, wie das [X.] meint, auf den fehlenden Erfolg des Rechtsbehelfs.

c) Überlegungen zu dem systematischen Zusammenhang des § 237 [X.] sowie zum Sinn und Zweck der [X.] vermögen keine abweichende Entscheidung zu rechtfertigen.

Nach § 233 Satz 1 [X.] werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. §§ 233a bis 237 [X.] enthalten eine Reihe von [X.] für bestimmte Konstellationen. Die [X.] bilden einen abschließenden Katalog. Im Fall des in vollem Umfang erfolgreichen Rechtsbehelfs fallen nach der Konzeption des Gesetzes keine Aussetzungszinsen an; entscheidend ist der Erfolg des Rechtsbehelfs; der Umfang der AdV und der Aspekt der Verzinsung sind in diesem Fall unerheblich. Eine erweiternde Auslegung des Tatbestandes des § 237 Abs. 1 [X.] kommt daher nach Sinn und Zweck der Norm nicht in Betracht.

d) Der Senat verkennt nicht, dass dies in anderen Fällen zu scheinbar unbilligen Ergebnissen führen kann. Der Steuerpflichtige, der mit seinem Rechtsbehelf im Wesentlichen Erfolg hatte und nur zu einem Teil unterlegen blieb, hat Aussetzungszinsen für den gesamten zuviel ausgesetzten Betrag zu zahlen (vgl. z.B. [X.]-Urteil in [X.]E 175, 294, [X.] 1995, 4), während derjenige Steuerpflichtige, der vollen Erfolg hatte, hinsichtlich des zuviel ausgesetzten Betrags von der [X.] verschont bleibt. Gerechtfertigt ist diese Differenzierung, weil derjenige, dessen Rechtsbehelf in vollem Umfang Erfolg hat, von der [X.] verschont bleiben soll; der "volle Erfolg" wird gewissermaßen durch die vollständige Entbindung von der [X.] "prämiert".

3. Der angefochtene [X.] lässt sich auch auf keine andere Rechtsgrundlage stützen. § 233a [X.] erfasst Differenzen zwischen Festsetzungen. Die [X.], um die es im Streitfall geht, beruhen nicht auf einer Änderung der Festsetzung, sondern auf dem Umfang der [X.] Eine Zinsvorschrift, die unmittelbar an Überzahlungen des Steuerpflichtigen oder der Finanzbehörde anknüpft, existiert nicht.

Meta

X R 49/09

31.08.2011

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 13. November 2008, Az: 12 K 2457/07 AO, Urteil

§ 237 Abs 1 AO, § 233a AO, § 234 AO, § 235 AO, § 236 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.08.2011, Az. X R 49/09 (REWIS RS 2011, 3634)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3634

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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