Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2015, Az. X ARZ 115/15

10. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 10171

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Gegenstand

Örtliche Zuständigkeit: Bindungswirkung eines fehlerhaften Verweisungsbeschlusses


Leitsatz

Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt nicht schon dann, wenn das Gericht eine seine örtliche Zuständigkeit begründende Norm, auf die sich der Kläger nicht berufen hat, übersieht (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011, X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364).

Tenor

Zuständig ist das [X.].

Gründe

1

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen eines Mangels einer von dieser erworbenen Immobilie in Anspruch. In der Klageschrift hat sie unter Hinweis auf die Belegenheit des Grundstücks in der Gemarkung [X.] ausgeführt, dass sie das [X.] nach § 24 ZPO für örtlich zuständig halte.

2

Mit Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens hat das [X.] Bedenken gegen eine Zuständigkeit am dinglichen Gerichtsstand für die geltend gemachten Ansprüche geäußert. Die Beklagte hat in der Klageerwiderung die Zuständigkeit des [X.] gerügt, da § 24 ZPO nicht einschlägig sei. Das [X.] hat sich daraufhin für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das [X.] verwiesen. Dieses hat den Rechtsstreit zurückverwiesen. Es ist der Ansicht, der Verweisungsbeschluss entfalte keine Bindungswirkung.

3

Das [X.] hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und das [X.] um Entscheidung über den Gerichtsstand ersucht. Dieses hat die Sache gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem [X.] vorgelegt. Es möchte das [X.] für zuständig erklären, sieht sich hieran jedoch durch den Beschluss des [X.]s vom 17. Mai 2011 ([X.], NJW-RR 2011, 1364) und den Beschluss des [X.] vom 27. Juli 2010 (1 AR 25/10, juris) gehindert.

4

II. Die Vorlage ist zulässig.

5

Nach § 36 Abs. 3 ZPO hat ein [X.], wenn es bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen [X.]s oder des [X.]s abweichen will, die Sache dem [X.] vorzulegen. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Das an sich nach § 36 Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufene [X.] möchte seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde legen, dass der Verweisungsbeschluss des [X.] objektiv willkürlich und mithin nicht bindend sei, weil das verweisende Gericht sich nicht mit der Frage befasst habe, ob es gemäß § 29 ZPO örtlich zuständig ist. Damit würde es von der Rechtsauffassung des [X.]s und des [X.] abweichen.

6

III. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

7

Die beiden mit der Sache befassten Landgerichte haben sich im Sinne dieser Vorschrift bindend für unzuständig erklärt.

8

IV. Zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist das [X.], da der Verweisungsbeschluss des [X.] gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend ist.

9

1. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch [X.] erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist ([X.], Beschluss vom 19. Februar 2013 - [X.] 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 7; Beschluss vom 17. Mai 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 1364 Rn. 9).

2. Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Verweisungsbeschluss des [X.] nicht als willkürlich anzusehen, sondern entfaltet die im Gesetz vorgesehene Bindungswirkung.

a) Zwar kann ein Verweisungsbeschluss als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar zu beurteilen sein, wenn das verweisende Gericht eine seine Zuständigkeit begründende Norm nicht zur Kenntnis genommen oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat ([X.], Beschluss vom 10. September 2002 - [X.] 217/02, NJW 2002, 3634, 3635). Jedoch ist eine Verweisung nicht stets als willkürlich anzusehen, wenn das verweisende Gericht sich mit einer seine Zuständigkeit begründenden Norm nicht befasst hat, etwa weil es die Vorschrift übersehen oder deren Anwendungsbereich unzutreffend beurteilt hat. Denn für die Bewertung als willkürlich genügt es nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen ([X.], Beschluss vom 9. Juli 2002 - [X.] 110/02, NJW-RR 2002, 1498; Beschluss vom 10. Juni 2003 - [X.] 92/03, [X.], 3201). So hat der Senat die von einem zuständigen Gericht ausgesprochene Verweisung als willkürlich und daher nicht bindend erachtet, weil sie darauf beruhte, dass das Gericht eine schon mehrere Jahre vor dem Verweisungsbeschluss erfolgte Gesetzesänderung nicht beachtet hatte, die Verweisungen der in Rede stehenden Art gerade verhindern sollte ([X.], Beschluss vom 10. September 2002 - [X.] 217/02, NJW 2002, 3634, 3635). Umgekehrt hat der Senat in dem vom vorlegenden [X.] in Bezug genommenen Beschluss vom 17. Mai 2011 entschieden, dass ein Verweisungsbeschluss nicht schon deshalb als unwirksam anzusehen ist, weil das verweisende Gericht eine mögliche Zuständigkeit nach § 29 ZPO nicht geprüft hat. Er hat dies im damaligen Streitfall damit begründet, dass eine Befassung mit diesem Gerichtsstand sich nach den Umständen, insbesondere da die Parteien die Frage des [X.] nicht thematisiert hatten, nicht derart aufgedrängt habe, dass die getroffene Verweisungsentscheidung als schlechterdings nicht auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden könne ([X.], NJW-RR 2011, 1364 Rn. 12). Mit den gleichen Erwägungen hat das Brandenburgische [X.] in seinem Beschluss vom 27. Juli 2010 angenommen, dass es für sich allein noch keine objektive Willkür darstelle, wenn das verweisende Gericht den Gerichtsstand des [X.] übersehen oder verkannt habe (1 AR 25/10, juris Rn. 9).

Die Vorlage des [X.]s Celle gibt keinen Anlass, von den diesen Entscheidungen zugrunde gelegten Kriterien für die Beurteilung eines [X.] als willkürlich abzuweichen. Zwar hat das Gericht die Frage seiner Zuständigkeit stets von Amts wegen zu prüfen und dabei - worauf das vorlegende [X.] auch zutreffend hinweist - den vorgetragenen Sachverhalt unter allen in Frage kommenden Gesichtspunkten zu würdigen sowie gegebenenfalls nicht vorgetragene, für die Zuständigkeit relevante Umstände aufzuklären (vgl. [X.]/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 12 Rn. 13). [X.] man jedoch in Fällen, in denen ein Gericht sich nicht mit einer seine Zuständigkeit begründenden Norm befasst hat, die Willkürlichkeit des [X.] allein deshalb, weil das Gericht es unterlassen habe, den von den Parteien unterbreiteten Sachverhalt von Amts wegen nach Anhaltspunkten für eine eigene Zuständigkeit zu erforschen, ohne das Vorliegen zusätzlicher Umstände, die über das bloße Übersehen oder Verkennen einer Zuständigkeitsnorm hinausgehen, zu verlangen, wie etwa, dass die nicht beachtete Norm gerade den Zweck hat, Verweisungen der in Rede stehenden Art zu unterbinden oder sich eine Befassung mit der zuständigkeitsbegründenden Norm den Umständen nach aufgedrängt hat, liefe dies darauf hinaus, dass letztlich auch auf einfachen Rechtsfehlern beruhende [X.] als nicht bindend anzusehen wären. Dies stünde nicht im Einklang mit der in § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO normierten Unanfechtbarkeit von [X.]n, die im Interesse der [X.] das Verfahren verzögernde und verteuernde Zuständigkeitsstreitigkeiten vermeiden soll. Dementsprechend ist auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung entzogen ([X.], NJW 2002, 3634).

b) Der Umstand, dass das [X.] sowohl im Verweisungsbeschluss als auch in dem zuvor erteilten Hinweis die Frage nach seiner örtlichen Zuständigkeit nur unter dem Gesichtspunkt des dinglichen Gerichtsstands (§ 24 ZPO) erörtert und insoweit verneint hat, ohne eine mögliche Zuständigkeit am Gerichtsstand des [X.] (§ 29 ZPO) in Erwägung zu ziehen, macht den Verweisungsbeschluss zwar fehlerhaft, begründet aber nicht den Vorwurf der Willkür.

aa) Der Schadensersatzanspruch wegen eines Mangels der [X.] folgt aus dem auf Übereignung einer mangelfreien Sache gerichteten Erfüllungsanspruch und ist beim Grundstückskauf am selben Ort wie dieser, nämlich am Ort der Belegenheit des Grundstücks, zu erfüllen ([X.]/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 29 Rn. 25 Stichwort: Kaufvertrag; [X.] Beschluss vom 24. September 1987 - I ARZ 749/86, juris). Danach ergab sich eine Zuständigkeit des [X.] aus § 29 Abs. 1 ZPO, so dass die Voraussetzungen für den Erlass des [X.] nach § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorlagen.

bb) Da die Klägerin Gewährleistungsansprüche aus einem Grundstückskaufvertrag geltend macht und in der Klageschrift auf die Belegenheit des Grundstücks hingewiesen hat, mag eine Prüfung der Zuständigkeit aufgrund von § 29 ZPO zwar nahegelegen haben. Eine Befassung mit dem Gerichtsstand des [X.] drängte sich aber nicht derart auf, dass die getroffene Verweisungsentscheidung als schlechterdings nicht auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann. Die Klägerin hat zwar die Belegenheit des von der Beklagten erworbenen Grundstücks als maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit des von ihr angerufenen Gerichts angegeben. Sie hat die Zuständigkeit dieses Gerichts aber lediglich unter dem Gesichtspunkt des dinglichen Gerichtsstands gemäß § 24 ZPO in Betracht gezogen. Weder sie noch die Beklagte haben die Frage nach dem Erfüllungsort für die geltend gemachten Ansprüche thematisiert und die Belegenheit des Grundstücks damit in Verbindung gebracht. Dass das [X.] diese Frage nicht von sich aus aufgegriffen hat, stellt vor dem Hintergrund, dass die Klägerin nicht einen auf das Grundstück bezogenen Erfüllungsanspruch, sondern einen auf Geldzahlung gerichteten Gewährleistungsanspruch eingeklagt hat, und im Hinblick darauf, dass eine Leistung nach § 269 Abs. 1 BGB im Regelfall an dem Ort zu erbringen ist, an dem der Schuldner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seinen Wohnsitz hat, lediglich einen einfachen Rechtsfehler dar, lässt die getroffene Entscheidung aber nicht als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen.

c) Die Bindungswirkung des [X.] entfällt auch nicht deshalb, weil die Klägerin den [X.] nur aufgrund des unzutreffenden Hinweises des [X.] auf seine fehlende Zuständigkeit gestellt hat. Ein auf einem einfachen Verfahrensfehler beruhender Verweisungsbeschluss ist grundsätzlich bindend, wenn den Parteien vor der Verweisung rechtliches Gehör gewährt worden ist ([X.], Beschluss vom 19. Februar 2013 - [X.] 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 9). Die anwaltlich vertretene Klägerin hatte mit der Nachfrage des [X.], ob Verweisung beantragt werde, vor der Verweisung des Rechtsstreits Gelegenheit erhalten, auf eine sich gegebenenfalls aus anderen Vorschriften ergebende Zuständigkeit des [X.] hinzuweisen.

Meier-Beck                         Gröning                              Grabinski

                    Hoffmann                       Kober-Dehm

Meta

X ARZ 115/15

09.06.2015

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

vorgehend OLG Celle, 24. Februar 2015, Az: 4 AR 2/15

§ 24 ZPO, § 29 ZPO, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 281 Abs 2 S 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2015, Az. X ARZ 115/15 (REWIS RS 2015, 10171)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 2737 REWIS RS 2015, 10171

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