Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2021, Az. 5 StR 208/21

5. Strafsenat | REWIS RS 2021, 1267

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Erfolgsprognose bei fehlenden Deutschkenntnissen des Angeklagten


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. Januar 2021 aufgehoben

a) im Strafausspruch betreffend die Angeklagten [X.]und [X.],

b) im [X.] betreffend den Angeklagten [X.]mit den zugrundeliegenden Feststellungen,

c) mit den zugrundeliegenden Feststellungen, soweit für den Angeklagten [X.].   von der Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten [X.].   und [X.] werden als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittel - an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und drei Monaten bis zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und im Adhäsionsverfahren geltend gemachte Ansprüche zuerkannt. Gegen den Angeklagten [X.]hat es die Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet, während es für die Angeklagten [X.].   und [X.]von einer solchen Anordnung abgesehen hat. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten [X.].    und [X.]mit ihren unbeschränkten Revisionen, mit denen sachlich-rechtliche Beanstandungen geltend gemacht werden, der Angeklagte [X.].   erhebt zudem die nicht näher ausgeführte Formalrüge. Der Angeklagte [X.]wendet sich mit der Sachrüge allein gegen den Strafausspruch. Während das so beschränkte Rechtsmittel dieses Angeklagten in vollem Umfang Erfolg hat, erzielen die Angeklagten [X.].   und [X.]  den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen erweisen sich ihre Rechtsmittel als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Schuldspruchs hat keine die Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben. Soweit das [X.] davon ausgegangen ist, dass die gefährliche Körperverletzung in der Begehungsform mittels gefährlichen Werkzeugs, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, von der schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB im Wege der [X.] verdrängt wird (so [X.], Urteile vom 8. November 1966 - 1 [X.], NJW 1967, 297, 298; vom 7. Februar 1967 - 1 [X.], [X.]St 21, 194, 195; dagegen mit beachtlichen Gründen zum Verhältnis der Tateinheit neigend [X.], Beschluss vom 9. Februar 2021 - 3 [X.] mwN), beschwert dies die wegen gefährlicher Köperverletzung nach den [X.] des § 224 Abs. 1 Nr. 4 und 5 StGB verurteilten Angeklagten jedenfalls nicht.

3

2. Jedoch kann der Strafausspruch betreffend die Angeklagten [X.]und [X.]  keinen Bestand haben.

4

Zwar besorgt der Senat - anders als der [X.] in seiner Antragsschrift - nicht, dass das [X.] bei der Prüfung des minder schweren Falls des § 226 Abs. 3 StGB nicht bedacht haben könnte, dass das Hinzutreten des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB einen minder schweren Fall dort begründen kann, wo die allgemeinen Milderungsgründe hierfür nicht ausreichen (vgl. [X.], Urteil vom 28. Februar 2013 - 4 [X.]; Beschlüsse vom 2. März 2016 - 5 [X.]; vom 10. August 2021 - 1 StR 250/21). Denn es hat in die Würdigung des Vorliegens des minder schweren Falls eingestellt, dass bei den beiden Angeklagten „die durch die zusätzliche Einnahme von Betäubungsmitteln potenzierte Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens“ hinzukomme, den Sonderstrafrahmen aber dennoch abgelehnt und erst dann den [X.] gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert.

5

Allerdings weist der [X.] zu Recht auf rechtsfehlerhafte [X.] hin. Hierzu hat er ausgeführt:

Das [X.] hat zulasten des Angeklagten [X.](und des Angeklagten [X.] ) berücksichtigt, dass dieser keinen eigenen nachvollziehbaren Grund für den Übergriff hatte. Damit hat es das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes als schulderhöhend gewertet. Dies erweist sich - worauf die Revision zutreffend hinweist - als rechtsfehlerhaft (vgl. [X.]/[X.]/Kinzig, StGB, § 46 Rdnr. 57i m.w.N.).

Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass die [X.] die „außerordentliche Brutalität“ sowie die „erhebliche Intensität des Übergriffs“ und das „hohe Maß an Menschenverachtung“ ohne jede Einschränkung strafschärfend bei dem Angeklagten [X.](und dem Angeklagten [X.]) eingestellt hat. Zwar liegt darin kein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB. Jedoch hat das [X.] nicht erkennbar bedacht, dass die im Verhalten des Angeklagten zu Tage getretene Brutalität ihren Grund (auch) in seinem rauschbedingten Zustand haben kann, der zur Anwendung von § 21 StGB und zur Milderung des Strafrahmens geführt hat. Immerhin hat der Sachverständige - dessen Einschätzungen die [X.] gefolgt ist - dargelegt, dass es bei den Angeklagten [X.]und [X.] infolge der Wechselwirkung von Alkohol und Kokain beziehungsweise Amphetamin zu einem Abbau von Hemmungen gekommen sein könnte. Ausgehend hiervon ist es ... widersprüchlich, de[n] Angeklagten ... die objektiven Umstände der Tatbegehung uneingeschränkt strafschärfend anzulasten (hierzu näher [X.]R StGB § 21 Strafzumessung 1 f.).

Bereits auf den beiden aufgezeigten [X.] beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht. Rechtsfehlerhaft sind lediglich daraus abgeleitete Schlussfolgerungen.

6

Dem schließt sich der Senat an.

7

3. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB gegen den Angeklagten [X.]kann keinen Bestand haben. Dies gilt schon deswegen, weil nach den Urteilsgründen nur „nicht ausgeschlossen“ sei, „dass die Therapie zum Erfolg führen“ werde. Dies lässt besorgen, dass das [X.] einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt und die Anforderungen des § 64 Satz 2 StGB, wonach es einer positiv festzustellenden hinreichend konkreten Erfolgsaussicht bedarf (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 16. März 1994 - 2 BvL 3/90, [X.]E 91, 1; [X.], Urteil vom 28. Mai 2018 - 1 StR 51/18, NStZ-RR 2018, 275, 276; Beschlüsse vom 13. Januar 2010 - 2 [X.], [X.], 141, 142; vom 14. August 2019 - 4 StR 147/19, NStZ-RR 2020, 38; vom 30. Juli 2019 - 2 [X.], NStZ-RR 2020, 71), nicht beachtet haben könnte. Hinzu kommt, dass die fehlenden Sprachkenntnisse des Angeklagten als prognoserelevanter Umstand (vgl. hierzu [X.], Beschlüsse vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12, [X.], 241; vom 20. Mai 2020 - 2 StR 62/20; vgl. demgegenüber aber [X.], Beschluss vom 8. Juni 2021 - 2 StR 91/21, [X.], 645) nicht in eine gebotene Gesamtwürdigung der für und gegen die Therapierbarkeit sprechenden Aspekte (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. August 2019 - 4 StR 147/19, NStZ-RR 2020, 38; vom 30. Juli 2019 - 2 [X.], NStZ-RR 2020, 71) eingestellt worden sind, sich das [X.] insoweit allein auf den [X.]n des Angeklagten gestützt hat.

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4. Die [X.] der Unterbringung in der Entziehungsanstalt gegen den Angeklagten [X.].   weist ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler auf. Denn das [X.] hat der Ablehnung der Anordnung im [X.] an die Ausführungen des Sachverständigen zugrunde gelegt, dass es an einem symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Alkohol und der Tat fehle. Zwar habe der Alkohol zu einer Enthemmung des Angeklagten bei der Tat geführt, der Übergriff habe aber letztlich einen anderen Grund gehabt. Dies legt nahe, dass das [X.] verkannt hat, dass es für ein Zurückgehen der [X.] auf den Hang nicht erforderlich ist, dass dieser alleinige Ursache oder bestimmender Auslöser für die [X.] war, es vielmehr genügt, dass der Hang neben anderen Umständen mitursächlich war (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschluss vom 19. April 2018 - 3 StR 24/18) bzw. negativen Einfluss auf die Qualität der Straftat hatte ([X.], Urteil vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 351/16, [X.], 321, 322; Beschluss vom 15. August 2013 - 2 [X.]/13, NStZ-RR 2014, 43). Soweit das [X.] auch keine „ernsthafte Therapiewilligkeit“ des Angeklagten feststellen konnte, kann auch dies das Unterbleiben der [X.] nicht tragen. Denn es stützt diese Ansicht ohne weitere Würdigung auf die Einschätzung des Sachverständigen, wonach der [X.] nur formaler Natur sei und es dem Angeklagten tatsächlich um eine Haftvermeidung gehe. Woran der Sachverständige dies festmacht, bleibt ebenso offen wie die Frage, wie sich die nur „formale“ Behandlungsbereitschaft zu dem Resultat eines in 2018 durchlaufenen zweiwöchigen Klinikaufenthalts mit nachfolgender Kokainabstinenz verhält.

9

Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. nur [X.], Beschluss vom 22. September 2021 - 1 StR 131/21). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

Cirener     

        

Gericke     

        

[X.]

        

Köhler     

        

von Häfen     

        

Meta

5 StR 208/21

09.11.2021

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Itzehoe, 8. Januar 2021, Az: 14 KLs 304 Js 2110/20

§ 64 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2021, Az. 5 StR 208/21 (REWIS RS 2021, 1267)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1267

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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