Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 14.01.2022, Az. 26 U 142/21

26. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8581

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Tenor

Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das am 18. August 2021 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen teilweise abgeändert.

Die einstweilige Verfügung aus dem Beschluss des Landgerichts Essen vom 13. April 2021 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen, soweit diese lauten:

„b. Versicherungsnehmern der Verfügungsklägerinnen beim Widerspruch gegen eine Weitergabe ihrer personenbezogenen Daten an eine von den Unterlassungsgläubigerin benannte Agentur zu unterstützen, wenn dies erfolgt unter Nutzung von Daten von Versicherungsnehmern der Verfügungsklägerinnen, nämlich Name, Vorname und Adresse, die sich der Verfügungsbeklagte selbst oder durch Dritte mittels Nutzung des EDV-Systems „A“ der Verfügungsklägerinnen verschafft hat und/oder aufgrund von Kopien solcher Daten aus dem EDV-System „A“.“

Im Übrigen bleibt die einstweilige Verfügung aus dem Beschluss des Landgerichts Essen vom 13.04.2021 aufrechterhalten.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

I.

Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung des Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagter) hat teilweise Erfolg.

1. Die Verfügungsklägerinnen (im Folgenden: Klägerinnen) haben einen Anspruch auf Unterlassung der im Antrag zu a. näher bezeichneten Unterstützung von Versicherungsnehmern der Klägerinnen bei dem Ausspruch von Kontaktverboten aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG glaubhaft gemacht (§ 920 Abs. 2 ZPO). Insoweit war der Berufung der Erfolg zu versagen.

a) Die Parteien sind Mitbewerber nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Dies ergibt sich bereits aus dem eigenen Vorbringen des Beklagten. Beide Parteien sind in der Versicherungsbranche tätig. Der Beklagte arbeitet nunmehr als Berater für die Agentur B C, welche exklusiv für die D Versicherung tätig ist, und vertreibt hierbei Versicherungen. Die D bietet den Versicherungsnehmern ein ähnliches Portfolio an, wie die Klägerinnen.

b) Es handelt es sich bei der beanstandeten Maßnahme um eine geschäftliche Handlung des Beklagten im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Indem der Beklagte - wie er selbst im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor der dem Senat schilderte – den Kunden vorformulierte Schreiben der angegriffenen Art zur Verfügung stellte und diese sogar für die Kunden an die Klägerinnen versandte, zielt er auf eine Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen von Versicherungsnehmern, insbesondere auf einen Wechsel und eine Inanspruchnahme der von dem Beklagten nunmehr angebotenen Versicherungsleistungen ab.

c) Es liegt eine gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 4 UWG vor. Diese setzt eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten der Mitbewerber voraus, die über die mit jedem Wettbewerb verbundene Beeinträchtigung hinausgeht und bestimmte Unlauterkeitsmerkmale aufweist. Das betreffende Verhalten muss bei objektiver Würdigung der Umstände in erster Linie auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung des Mitbewerbers und nicht auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs gerichtet sein. Unlauter ist auch eine gezielte Behinderung, die dazu führt, dass der beeinträchtigte Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann (BGH, GRUR 2011, 1018 Rn. 65 – Automobil Onlinebörse; OLG Jena, Urt. v. 27.3.2019 – 2 U 397/18, GRUR-RR 2019, 477 Rn. 14).

Selbst das Leisten einer Kündigungshilfe ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, sofern der Kunde nicht im Einzelfall in seiner Entscheidungsfreiheit durch aggressives Verhalten erheblich beeinträchtigt oder irregeführt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Mitbewerber Kunden auf dessen Initiative vorformulierte Kündigungsschreiben zur Verfügung stellt und unterschreiben lässt. Ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher wird allein durch eine solche Dienstleistung, wenn sie nicht von den genannten weiteren Unlauterkeitsmomenten begleitet ist, nicht unsachlich zum Abschluss eines Vertrags mit einem Mitbewerber veranlasst (BGH, GRUR 2005, 603, 604 – Kündigungshilfe).

Auch das Abwerben von Kunden gehört grundsätzlich zum Wettbewerb und kann nur dann eine Behinderung des Mitbewerbers sein, wenn weitere Unlauterkeitsmomente wie Irreführung, Überrumpelung oder Herabsetzung hinzutreten (OLG Jena, Urt. v. 27.3.2019 – 2 U 397/18, GRUR-RR 2019, 477 Rn. 15).

Eine Irreführung, Überrumpelung oder Herabsetzung ist im vorliegenden Fall unzweifelhaft nicht gegeben. Die streitgegenständlichen Schreiben haben jedoch einen entsprechenden unlauteren, weil den Kunden gegenüber der Klägerinnen vollständig abschottenden Inhalt, selbst wenn hiermit keine unmittelbare Kündigung des Vertragsverhältnisses ausgesprochen wird. Die Unlauterkeit ergibt sich insbesondere aus dem Satz „Einer eventuell gegebenen UWG widerrufe ich hiermit und wünsche keinen Kontakt“. Damit wird tatsächlich eine vollständige Abschottung der Kunden gegenüber den Klägerinnen bezweckt und erreicht.

Der Widerruf „einer eventuell gegebenen UWG“ ist hierbei als Widerruf einer etwaig bestehenden Einwilligung zur Kontaktaufnahme für Werbezecke im Sinne des § 7 UWG aufzufassen, welche den Klägerinnen insbesondere eine telefonische Kontaktaufnahme oder Kommunikation mit den Kunden per elektronischer Post ermöglicht. In den streitgegenständlichen Schreiben wird weiterhin zugleich ausgesprochen, dass kein Kontakt zu den Kunden mehr hergestellt werden darf („wünsche keinen Kontakt“), mithin liegt hierin ein umfassendes Kontaktverbot.

Die streitgegenständlichen Schreiben führen dazu, dass den Klägerinnen jegliche Kontaktaufnahme mit ihren Kunden untersagt wird, sogar noch vor Ausspruch einer etwaigen Kündigung und damit eine Kontaktaufnahme mit ihren derzeitigen Vertragspartnern. Es wird – selbst im Rahmen von bestehenden Verträgen – eine möglicherweise sogar zur Erfüllung des Vertragszwecks notwendige Kommunikation abgeschnitten. So kann der Ausspruch des Kontaktverbotes die Durchführung oder Abwicklung des Versicherungsverhältnisses erschweren, beispielsweise bei der Schadensabwicklung, Klärung von Leistungsansprüchen, Beitragsrückständen oder der Anpassung der Versicherung im Falle der Änderung der persönlichen Verhältnisse. Auch im Falle einer - zu erwartenden - Kündigung sind mögliche Rückwerbeversuche der Klägerinnen, mittels gegebenenfalls für die Kunden günstigeren Konditionen, abgeschnitten. Wäre ein Kunde über die möglichen Anlässe für eine solche Kontaktaufnahme informiert, hätte er möglicherweise von einem solchen Kontaktverbot abgesehen. Indem der Beklagte mit den vorformulierten Schreiben auch Nachfragen zu dem Widerspruch der Datenweitergabe verhindert, kann er die Interessen der Verbraucher beeinträchtigen (vgl. OLG Dresden, Urteil v. 14.7.2015 – 14 U 584/15, GRUR-RS 2015, 14501 Rn. 14).

Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass sich das Kontaktverbot nur auf den neuen Betreuer und nicht auf die Klägerinnen selbst beziehe. Dies ist dem Wortlaut der Schreiben nicht zu entnehmen. Hiergegen spricht weiterhin, dass die Klägerinnen selbst Adressaten der Schreiben waren. Auch sind nur die Klägerinnen – und nicht der neue Betreuer – überhaupt zu einer Datenweitergabe in der Lage. Ebenso kann sich der Widerruf einer etwaig bestehenden Einwilligung im Sinne des § 7 UWG nur auf die Klägerinnen beziehen, da diese – sofern sie besteht - den Klägerinnen gegenüber erteilt wurde. Schließlich hat der Beklagte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung selbst eingeräumt, dass der tatsächliche Hintergrund der Schreiben nicht Bedenken gegen die neue Agentur der Klägerinnen waren, sondern tatsächlich ein Wechsel der Kunden zu der von dem Beklagten nunmehr vertretenen D Versicherung vorbereitet werden sollte.

Ein entgegenstehendes berechtigtes Interesse an der Mithilfe bei der Formulierung und dem Versenden solcher Schreiben hat der Beklagte nicht dargetan. Zunächst kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, dass die Kunden ihn selbst kontaktiert und um Hilfe gebeten hätten, wobei an dieser Stelle dahinstehen kann, ob dies tatsächlich der Fall war. Der Beklagte hat sich nicht mit einer mündlichen Beratung der Kunden begnügt, sondern diesen im eigenen Interesse aktiv vorformulierte Schreiben zur Verfügung gestellt, diese gesammelt und für die Kunden verschickt. Zwar wäre es jedem Kunden grundsätzlich möglich gewesen, ein solches Schreiben im Rahmen der Privatautonomie auch selbst zu erstellen und zu versenden. Es ist jedoch fernliegend, dass die Kunden dann von sich aus ein Kontaktverbot ausgesprochen hätten, da attraktive Angebote zur Rückwerbung oder Verbesserung der bestehenden Vertragskonditionen durchaus im eigenen Interesse der Kunden sind. Zudem geht es vorliegend gerade nicht um ein autonomes Kundenhandeln, sondern um eine geschäftliche Handlung eines Mitbewerbers, der die Kunden selbst entsprechend beraten hat und bei der Abschottung zielgerichtet mitgewirkt hat. Der Mitbewerber hat sich im Rahmen des lauteren Wettbewerbes solcher Maßnahmen zu enthalten (vgl. OLG Jena, Urt. v. 27.3.2019 – 2 U 397/18, GRUR-RR 2019, 477 Rn. 22).

d) Es liegt eine Wiederholungsgefahr vor.

Die Wiederholungsgefahr ist ein tatsächlicher Umstand, der objektiv nach den Verhältnissen der Person des Zuwiderhandelnden zu beurteilen ist. Die Gefahr der Wiederholung eines schon einmal begangenen Wettbewerbsverstoßes ist gegeben, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte die ernsthafte und greifbare Besorgnis besteht, dass es in Zukunft erneut zu demselben oder einem kerngleichen Wettbewerbsverstoß kommt. Hierfür reicht es grundsätzlich aus, dass ein erneuter Verstoß objektiv jederzeit oder jedenfalls innerhalb überschaubarer Zeiträume praktisch möglich ist und nicht jede Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung des Verstoßes ausgeräumt ist. Wer bereits einmal eine unzulässige Handlung vorgenommen hat, dem ist im Grundsatz zuzutrauen, dass er später bei sich bietender Gelegenheit wieder in gleicher Weise handelt. Ein einmal erfolgter Wettbewerbsverstoß begründet deshalb die tatsächliche Vermutung für seine Wiederholung.

Die durch die Verletzungshandlung begründete tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr ist widerleglich. Hierfür trägt der Unterlassungsschuldner die Darlegungs- und Beweislast (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, 5. Aufl. 2021, UWG § 8 Rn. 72 ff).

Die durch die Zuwiderhandlung begründete Wiederholungsgefahr kann nachträglich wegfallen. An den Wegfall der Wiederholungsgefahr sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Die Wiederholungsgefahr entfällt nur dann, wenn der Verletzte bei objektiver Betrachtung und vernünftiger Würdigung aller Umstände hinreichend sicher sein kann, dass es zu dem auf Grund der vergangenen Verletzungshandlung vermuteten drohenden neuen Wettbewerbsverstoß doch nicht kommen werde (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, a.a.O. § 8 Rn. 85).

Vorliegend hat der Beklagte das Fortbestehen einer Widerholungsgefahr nicht widerlegt. Insbesondere hat der Beklagte keine Unterwerfungserklärung abgegeben, durch welche regelmäßig eine Widerholungsgefahr beseitigt werden kann. Die Wiederholungsgefahr ist auch nicht durch den Ablauf der 14-tägigen Widerspruchsfrist gegen die Datenweitergabe, welche spätestens im März 2021 endete, entfallen. Eine Unterstützung von Versicherungsnehmern bei dem Ausspruch von Kontaktverboten ist dem Beklagten weiterhin möglich. Zudem hat der Beklagte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat selbst eingeräumt, dass es im Laufe des Jahres 2021 immer noch weitere Versicherungsnehmer gegeben habe, die aufgrund des Agenturwechsels an ihn herangetreten seien und er diese – wenn auch nicht mehr unter Zurverfügungstellung der hier streitgegenständlichen Schreiben – in ihrem Ansinnen eines Wechsels unterstützt habe. Insofern ist eine Wiederholungsgefahr nicht sicher ausgeschlossen.

2. Neben dem Verfügungsanspruch ist auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige Verfügungsgrund glaubhaft gemacht worden (§§ 935, 940, 936, 920 Abs. 2 ZPO).

Die Dringlichkeit wird hierbei in § 12 Abs. 2 UWG widerleglich vermutet.

Die Vermutung der Dringlichkeit ist widerlegt, wenn der Anspruchsteller nach Kenntniserlangung von dem Wettbewerbsverstoß und der Identität des Verletzers oder nach dem Eintritt von Umständen, die den Vorwurf einer grob fahrlässigen Unkenntnis von dem Wettbewerbsverstoß und der Identität des Verletzers begründen, längere Zeit zuwartet und hierdurch zu erkennen gibt, dass es „ihm nicht eilig ist“, wobei grundsätzlich nicht länger als einen Monat zugewartet werden darf (OLG Hamm, Urt. v. 21.4.2016 – 4 U 44/16, BeckRS 2016, 13674 Rn. 3).

Vorliegend haben die Klägerinnen die Dringlichkeit nicht durch ihr eigenes Verhalten widerlegt. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ging noch innerhalb der Monatsfrist am 12.04.2021 beim Landgericht Essen ein (Bl. 864 d.A.).

Der im Rahmen der Dringlichkeit zu berücksichtigende Zeitraum begann erst mit dem 12.03.2021. An diesem Tag erlangte die Rechtsabteilung der Klägerinnen Kenntnis von der „Berechtigung zur Anfrage“. Zwar waren die Geschehnisse um die Agentur E und auch eine irgendwie geartete Beteiligung des Beklagten den Klägerinnen bereits vorher bekannt. Insofern kommt es auch nicht darauf an, dass bereits eidesstattliche Versicherungen der Mitarbeiterin der Klägerinnen, insbesondere die er Frau F mit Datum vom 11.03.2021, vorlagen. Es ist nicht dringlichkeitsschädlich, dass die Klägerinnen intern bereits ein mögliches Vorgehen gegen den Beklagten vorbereitet haben. Auch ist durchaus möglich, dass die eidesstattlichen Versicherungen zunächst in den anderen Erfahren gegen E und dessen Mitarbeiter verwendet werden sollten. Außerdem ergibt sich aus dieser eidesstattlichen Versicherung der Frau F vom 11.03.2021 lediglich, dass die Versicherungsnehmerin Frau G bestätigt habe, dass ihr von dem Beklagten ein Schreiben zur Unterschrift vorgelegt sei, wobei sie sich an dessen Inhalt nicht mehr erinnern könne. Diese eidesstattliche Versicherung ist insofern von geringer Bedeutung, insbesondere da die Versicherungsnehmern Frau G sich auch aufgrund eines Versicherungsfalls an den Beklagten gewandt hatte und dieses nicht näher bezeichnete Schreiben hiermit in Verbindung stehen könnte.

Entscheidend ist vielmehr, dass ein gerichtliches Vorgehen gegen den Beklagten bis zum Eingang der „Berechtigung zur Anfrage“ nicht erfolgsversprechend war. Erst mit Übersendung der „Berechtigung zur Anfrage“ lagen ausreichende Mittel zur Glaubhaftmachung vor. Erst hiermit stand – wie bereits in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt – eine Beteiligung des Beklagten an dem Vorgehen der Agentur E fest. Der Beklagte übersandte am 05.03.2021 per E-Mail eine Schadensmeldung des Herrn H. Zu dieser Zeit lagen bereits Widersprüche der Versicherungsnehmer H und G vom 17.02.2021 vor. Die Klägerinnen forderten sodann einen Nachweis an, dass der Beklagte berechtigt war, für die Versicherungsnehmer aufzutreten, worauf hin eben die „Berechtigung zur Anfrage“ des Herrn H übersandt wurde. Zwar enthält die „Berechtigung zur Anfrage“ nicht den Namen des Beklagten, jedoch exakt das Datum vom 17.02.2021, so dass hierüber ein persönlicher Bezug des Beklagten zu den Widerspruchsschreiben herzustellen war.

Maßgeblich für die Kenntnis der Klägerinnen von der Beteiligung des Beklagten ist hierbei erst der am 12.03.2021 erfolgte Eingang der „Berechtigung zur Anfrage“ in der Rechtsabteilung der Klägerinnen und nicht bereits deren Eingang in der Landesdirektion der Klägerinnen am Vortag, dem 11.03.2021.

Maßgeblich ist in arbeitsteiligen Unternehmen die Kenntnis der für die Ermittlung oder Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zuständigen Mitarbeiter und Wissensvertreter, wozu sogar Sachbearbeiter zu rechnen sein können, von denen nach ihrer Funktion erwartet werden darf, dass sie die Wettbewerbsrelevanz des Verhaltens erkennen und ihre Kenntnis an die weitergeben, die im Unternehmen zu Entscheidungen über das Einleiten entsprechender Maßnahmen befugt sind (OLG Köln, Beschluss vom 22.01.2010, GRUR-RR 2010, 493, beck-online). Vorliegend war dies bei den Klägerinnen deren Rechtsabteilung, wie sie durch Vorlage der Freizeichnungsrichtlinie Recht (Anlage BE 8) glaubhaft gemacht hat. Danach ist bei den Klägerinnen intern für die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen ausschließlich die Rechtsabteilung zuständig.

Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es hierbei auch nicht darauf an, ob die Landesdirektion zur Entgegennahme der „Berechtigung zur Anfrage“ beauftragt war. Es kommt nicht auf die Wirkung der in dem Schriftstück enthaltene Willenserklärung bzw. Vollmacht bezüglich der Versicherungsverträge an, vielmehr ist das Schreiben als urkundliches Beweismittel anzusehen. Entscheidend ist der Eingang bei der intern zuständigen Rechtsabteilung, die beurteilen musste, ob ausreichende Mittel zur Glaubhaftmachung vorlagen. Hinzu kommt, dass allein die „Berechtigung zur Anfrage“ auch keinen Rechtsverstoß des Beklagten hätte belegen können. Insofern hätte die Landesdirektion allein hieraus auch keinen Rechtsverstoß ersehen können.

3. Im Übrigen hat die Berufung des Beklagten Erfolg. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Unterlassung der in Antrag b. näher bezeichneten Handlungen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts haben die Klägerinnen insofern keinen Anspruch aus §§ 6, 4 und 2 GeschGehG glaubhaft gemacht (§ 920 Abs. 2 ZPO).

a) Zutreffend hat das Landgericht zunächst ausgeführt, dass es sich bei den Kundendaten um Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG handelt (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2006 – I ZR 126/03, juris Rn. 19; BGH, Urteil vom 26. Februar 2009 – I ZR 28/06, juris Rn. 13). Der Beklagte war nach der Freistellung der Agentur E durch Schreiben der Klägerinnen vom 27.01.2021 nicht mehr berechtigt, die Daten der Klägerinnen zu nutzen (§ 4 Abs. 2 GeschGehG).

b) Es ist jedoch nicht gemäß § 294 ZPO hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Beklagte die Kundendaten der Klägerinnen nach dem 27.01.2021 zur Vorbereitung von Widerspruchsschreiben und anschließender Kontaktierung der Versicherungsnehmer auch tatsächlich genutzt hat. Dies geht zu Lasten der beweisbelasteten Klägerinnen.

Der Beklagte hat hierbei zunächst zugestanden, die streitgegenständlichen Schreiben in mindestens 37 Fällen Kunden zur Verfügung gestellt zu haben. Insofern schilderte er im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat, dass die Kunden sich telefonisch an ihn gewandt hätten und er diesen nach dem Telefonat mittels bloßer Eingabe der Mobilfunknummer über das Programm „I“ ein Formular habe zukommen lassen, in welches die Kunden ihre Daten eingegeben und ihm – ebenfalls über dieses Programm - zurückgeschickt hätten. Anschließend habe er anhand der so übermittelten Daten die streitgegenständlichen Schreiben erstellt und den Kunden wiederum über „I“ zukommen lassen. Diese hätte auf Ihren Mobiltelefonen die Schreiben unterschrieben und ihm über das Programm zurückgesendet. Er habe diese gesammelt, ausgedruckt und an die Klägerinnen geschickt. Die so erlangten Daten habe er dann in das neue System eingepflegt.

Diesen Vortrag hält der Senat für möglich. Es bleibt, auch unter Berücksichtigung sämtlicher Mittel der Glaubhaftmachung, zweifelhaft, ob der Beklagte zur Unterstützung der Kunden beim Ausspruch des Kontaktverbots überhaupt auf Daten der Klägerinnen zurückgegriffen und diese genutzt hat.

Zwar steht durchaus fest, dass bei den Klägerinnen eine ungewöhnlich hohe Zahl von Widerspruchsschreiben von Kunden der Agentur E, darunter auch von dem Beklagten betreute Kunden, einging.

Der entsprechende Vortrag der Klägerinnen in der Berufungserwiderung zu den Widerspruchsquoten ist, entgegen der Rüge des Beklagten, durchaus im Berufungsverfahren zu berücksichtigen. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bleibt die Beschränkung nach § 529 Abs. 1 ZPO außer Betracht (MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 529 Rn. 2).

Die Klägerin haben demnach eine auffällig hohe Widerspruchsquote von Kunden der Agentur E glaubhaft gemacht. Diese Glaubhaftmachung folgt aus der Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Herrn J K vom 16.12.2021 (Anlage BE 1). Aus dieser ergibt sich eine Widerspruchsquote von Kunden der Agentur E von 8,6 %. Bei anderen Agenturen ergeben sich, nach Berechnung der in der eidesstattlichen Versicherung genannten Zahl der Widersprüche in Relation zu der Kundenzahl, Widerspruchsquoten zwischen 0,4 und 2,8 %. Zwar ist die Widerspruchsquote vorliegend auffällig hoch, widersprich jedoch nicht jeglicher „Lebenserfahrung“. Nicht auszuschließen ist insoweit, dass der Beklagte tatsächlich, so wie er im Rahmen seiner Anhörung schilderte, ein besonders gutes persönliches Verhältnis zu seinen Kunden pflegt. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Quote nicht konkret auf Kunden des Beklagten bezogen wurde, sondern nur auf die gesamte Agentur E.

Die eidesstattlichen Versicherung der Regionalbeauftragten L F vom 11.03.2021 (Bl. 834 d.A) ist für die vorliegende Entscheidung hingegen nicht mehr erheblich. Die sich hieraus ergebenden Tatsachen sind mittlerweile unstreitig. Der Beklagte hat zugestanden, dass er mit zumindest 37 derjenigen Personen, welche die Widersprüche unterzeichnet haben, in Kontakt stand und diese bei der Anfertigung unterstützt hat. Ebenso kommt es danach auf die Bestätigung eines Kontakts der Versicherungsnehmer G und H zu dem Beklagten zeitlich vor Eingang der Widerrufsschreiben nicht mehr an, da auch dies nicht mehr bestritten wird.

Demgegenüber sprechen gewichtige Indizien gegen eine Nutzung der Daten der Klägerinnen durch den Beklagten. Nach den Angaben des Beklagten im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat und den vorgelegten Beweismitteln zur Glaubhaftmachung ist der Vortrag der Klägerinnen, bereits die große Zahl der Widersprüche könne nur durch einen rechtswidrigen Zugriff auf ihren Datenbestand erklärt werden, erschüttert. Es erscheint dem Senat durchaus möglich, dass sich eine nicht unerhebliche Zahl von Kunden selbst an den Beklagten gewandt hat, wobei er die anschließende Datenerlangung mittels „I“ plausibel darzulegen vermochte.

Hierbei sind zunächst die eidesstattlichen Versicherungen des Beklagten selbst vom 06.04.2021 und 28.07.2021 (Bl. 1039 f. und 1043 d.A.) zu berücksichtigen. In diesen versichert er an Eides statt, dass er sich nach seinem Ausscheiden bei der Agentur E keine Kundendaten verschafft oder diese zurückbehalten habe und sich auch keine Listen anderweitig verschafft habe. Er selbst habe im Zusammenhang mit der Freistellung auch keine Kunden kontaktiert und diese auch nicht zu einem Widerspruch oder Kontaktverbot aufgefordert oder geraten. Vielmehr hätten sich die Kunden aus eigenem Antrieb bei ihm gemeldet.

Auch im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat hat er dies so geschildert. Zwar hält der Senat die Ausführungen des Beklagten nicht für vollumfänglich glaubhaft. So sind seine Ausführungen bezüglich des Wechsels hin zur D Versicherung, der weiteren Tätigkeit des Herrn E und den entsprechenden Vertragsverhältnissen zwischen ihm – dem Beklagten -, der Agentur B C und der D Versicherung auffallend lückenhaft und vage. Die Agentur B C ist hierbei als Nachfolgerin der Agentur E anzusehen, da – wie der Beklagte schilderte – diese die Räumlichkeiten der ehemaligen Agentur E nutzt und Verbindungen in personeller Hinsicht bestehen. So arbeitet nicht nur der Beklagte selbst nunmehr bei der Agentur B C, sondern deren Vertragspartnerin mit der D ist auch die Ehefrau des Inhabers der Agentur E. Ebenso ist der neue Exklusivvertrag mit der D in zeitlicher Hinsicht nach der Freistellung der Agentur E auffällig schnell zustande gekommen, was für einen durchaus bereits zuvor angelegten Versicherungswechsel und eine möglicherweise gezielte Aktion zur Mitnahme von Kunden spricht, woraus allerdings nicht zwingend auf eine rechtswidrige Datennutzung geschlossen werden kann. Ferner erfolgte der Vortrag zu Nutzung des Tools „I“ erstmals im Rahmen der Anhörung des Beklagten vor dem Senat, wobei durchaus fraglich erscheint, warum dieser für den Beklagten günstige Vortrag nicht bereits zuvor erfolgt ist.

Andererseits hält es der Senat durchaus für glaubhaft, dass – wie vom Beklagten angegeben - eine nicht unerhebliche Zahl von Kunden den Beklagten im Rahmen des Betreuerwechsels von sich aus kontaktiert hat. In diesem Zusammenhang vermochte der Beklagte anschaulich, nachvollziehbar und schlüssig die Nutzung des Programms „I“ für die Übersendung der streitgegenständlichen Schreiben zu schildern, mit Hilfe dessen er die Schreiben - auch ohne Zugriff auf das System „A“ der Klägerinnen - den Kunden zur Verfügung zu stellen vermochte. Zwar ist hierbei nicht zu verkennen, dass dieser Vortrag nicht förmlich durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht wurde, jedoch handelt es sich hierbei nur um die Vertiefung der bereits durch den Beklagten eidesstattlich versicherten Tatsachen. Auch ist es nicht erforderlich, dass der Beklagte seinen Vortrag vollumfänglich beweist, sondern vielmehr obliegt es den insoweit beweisbelasteten Klägerinnen, die Anspruchsbegründenden Tatsachen glaubhaft zu machen.

Schließlich bestätigen auch die weiteren beklagtenseits vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen in dem wesentlichen Punkt der Kontaktaufnahme den Beklagtenvortrag. In den sechs eidesstattlichen Versicherungen der Versicherungsnehmer G, M, N, O, P und Q (Bl. 895 bis 900 d.A.), versichern diese übereinstimmend, dass sie von sich aus den Beklagten kontaktiert hätten. Es erscheint insofern auch fraglich, ob sich diese Kunden, bei denen ein persönlicher, über das geschäftliche Verhältnis hinausgehender Bezug zum Beklagten nicht erkennbar ist, mit einer falschen eidesstattlichen Versicherung der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen würden. Auch aus der eidesstattlichen Versicherung des R S (Anlage BF 1, Bl. 1174 d.A.) ergibt sich, dass zahlreiche Kunden den Beklagten im Zusammenhang mit den Widersprüchen von sich aus kontaktiert hätten.

Nach alledem hält es der Senat durchaus für möglich, dass die Kunden tatsächlich in größerem Umfang von sich aus auf den Beklagten zugegangen sind und dieser die Kundendaten mittels „I“ erhoben hat, wodurch er für Erlangung der Kontaktdaten nicht auf das „A“-System der Klägerinnen zurückgreifen musste.

4. Ein Anspruch auf Unterlassung im Sinne des Antrags b. ergibt sich auch nicht aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 UWG. Mit diesem Antrag wird nicht die Unterlassung der Unterstützung bei dem Ausspruch von Kontaktverboten geltend gemacht, vielmehr zielt dieser auf Unterlassung der Nutzung von Daten aus dem EDV-System „A“ der Klägerinnen. Deren Nutzung vermochte die Klägerinnen jedoch – wie vorstehend dargestellt – bereits nicht ausreichend glaubhaft zu machen. Im Übrigen ist die bloße Unterstützung von Kunden bei einem unzweifelhaft zulässigen Widerspruch gegen die Datenweitergabe lauterkeitsrechtlich nicht zu beanstanden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Einer Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, weil das vorliegende Urteil als zweitinstanzliche Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Verfügung keinem Rechtsmittel mehr unterliegt (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO) und ohne besonderen Ausspruch endgültig vollstreckbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. September 2019 – I-2 U 28/19, juris Rn. 85).

Meta

26 U 142/21

14.01.2022

Oberlandesgericht Hamm 26. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: U

Vorgehend: Landgericht Essen, 43 O 29/21

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 14.01.2022, Az. 26 U 142/21 (REWIS RS 2022, 8581)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8581

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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