Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 18.03.2020, Az. 1 BvR 34/17

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 2773

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zu Sorgfaltsanforderungen der Presse bei Verdachtsberichterstattung - hier: keine Verletzung von Art 5 Abs 1 S 1 und 2 GG durch Verpflichtung zur Unterlassung einer  Verdachtsberichterstattung, die sich lediglich auf Maßnahmen der behördlichen Informationsgewinnung stützte


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Verurteilung zur Unterlassung einer Verdachtsberichterstattung über ein Steuerstrafverfahren.

2

Die Beschwerdeführerin berichtete im Jahr 2014 in zwei auf ihrer Internetseite abrufbaren Filmbeiträgen darüber, dass eine deutschlandweit bekannte Schlagersängerin gegenüber dem Finanzamt Honorare und Gagen aus dem [X.] nicht angegeben haben soll und deswegen ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet worden sei. Das zuständige Finanzamt hatte sich selbst nicht öffentlich zu dem Fall geäußert und keine Auskünfte erteilt. Es hatte jedoch ein Auskunfts- und Vorlageersuchen an einen Zeugen versandt, in dem dieser aufgefordert wurde, unter anderem Kopien von Verträgen mit der Beschuldigten zu übergeben sowie mitzuteilen, ob und welche Zahlungen er für Leistungen der Beschuldigten getätigt hatte.

3

Daraufhin verurteilte das [X.] nach vorheriger gleichlautender einstweiliger Verfügung die Beschwerdeführerin, diese Berichterstattung zu unterlassen. Ein Mindestbestand an [X.], der für den Wahrheitsgehalt des mitgeteilten Verdachts spreche, sei nicht gegeben. Einziger Anhaltspunkt sei das an den Zeugen gerichtete Schreiben des Finanzamts gewesen. Die bloße Tatsache der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genüge ohne weitere Recherche und Anhaltspunkte jedoch nicht für eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Die Schwelle für einen Anfangsverdacht liege zu niedrig und auch Anzeigen mit falschen Tatsachenbehauptungen könnten bereits zu Ermittlungsverfahren führen. Aus dem Auskunftsersuchen gehe auch nicht hervor, dass dem Finanzamt bereits Tatsachen bekannt gewesen seien, die einen erhärteten Tatverdacht begründet hätten. Die Berufung der Beschwerdeführerin wies das [X.] mit im Wesentlichen gleicher Begründung zurück. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG.

4

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Den angegriffenen Entscheidungen liegt eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Anwendung der Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung zugrunde.

5

Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung sind in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. [X.], 199 <203 ff.>) und verfassungsgerichtlich gebilligt. Der Umfang der an eine Verdachtsberichterstattung zu stellenden Sorgfaltspflichten ist dabei im Einklang mit den grundrechtlichen Anforderungen zu bemessen (vgl. [X.] 99, 185 <198>; 114, 339 <353>). Zu berücksichtigen ist, dass die [X.] Ausdruck der Schutzpflicht sind, die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt (vgl. [X.] 12, 113 <130>; 99, 185 <198>; 114, 339 <353>). Je stärker die Äußerung die Rechtspositionen der durch sie betroffenen [X.] beeinträchtigt, desto höher sind die [X.]; dabei ist das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen abwägend zu berücksichtigen (vgl. [X.], 327 <329>). Insbesondere dürfen die Gerichte im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen stellen, welche die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so auf die Meinungsfreiheit insgesamt einschnürend wirken können (vgl. [X.] 85, 1 <17>; [X.], 317 <321>). Eine Überspannung der [X.] liegt indes nicht bereits darin, dass die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung von einem Mindestmaß an [X.] abhängig gemacht wird, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen (vgl. [X.], 317 <322>).

6

Vor diesem Hintergrund halten sich die angegriffenen Entscheidungen im fachgerichtlichen Wertungsrahmen.

7

Die Entscheidungen betonen zu Recht, dass sich aus dem Schreiben des Finanzamtes lediglich ergab, dass die Behörde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ein Auskunftsersuchen an einen Zeugen mit offen gehaltenen Fragen gerichtet hatte, aus denen weder der Ermittlungsstand, seine Erhärtung noch der konkrete Grund für die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens ersichtlich waren und daher weitere Recherche zur Erhärtung des publizierten Verdachts geboten gewesen wäre. Daran ändert auch nichts, dass Verfasserin des Schreibens, wie die Beschwerdeführerin in ihrer Verfassungsbeschwerde betont, eine Behörde ist. Denn es handelt sich nicht um eine offizielle Verlautbarung, sondern um eine Maßnahme der behördlichen Informationsgewinnung. Die Gerichte haben daher zu Recht angenommen, dass das Schreiben nur eine wenig aussagekräftige Anknüpfungstatsache für den daraus geschlussfolgerten und publizierten Verdacht darstellte. Denn ein die Strafverfolgungsbehörden zu Ermittlungen und zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts verpflichtender Anfangsverdacht kann schon bei sehr entfernten [X.] bestehen. Auch die Tatsache, dass das Ermittlungsverfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] noch nicht abgeschlossen war, führt zu keinem anderen Ergebnis. Allgemein gültige Rückschlüsse aus der Länge eines Ermittlungsverfahrens auf den jeweiligen [X.] lassen sich nicht ziehen; konkrete Umstände legt die Beschwerdeführerin insoweit nicht dar. Auch ist nicht erkennbar, dass Anhaltspunkte für eine besonders weitreichende Dimension der etwaigen Straftaten im Raum stehen.

8

Auch wenn wegen der Allgemeinschädlichkeit der Steuerhinterziehung und der Leitbild- und Kontrastfunktion der Beschuldigten (vgl. zur Leitbildfunktion prominenter Personen [X.] 101, 361 <390>; 120, 180 <203>) das öffentliche Berichterstattungsinteresse grundsätzlich als hoch zu gewichten war, durften die Gerichte zugunsten der Beschuldigten berücksichtigen, dass aufgrund ihrer Tätigkeit als Schlagersängerin jedenfalls kein besonders gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit gerade an ihrem Finanzgebaren bestand.

9

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 34/17

18.03.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Köln, 7. Dezember 2016, Az: 15 U 125/16, Beschluss

Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 93a Abs 1 BVerfGG, § 93b S 1 BVerfGG, § 823 Abs 1 BGB, § 1004 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 18.03.2020, Az. 1 BvR 34/17 (REWIS RS 2020, 2773)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2773

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

VI ZR 262/21

15 U 112/20

15 U 230/19

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