Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 01.10.2021, Az. V ZR 48/21

5. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 2184

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Gegenstand

Wohnungseigentum: Aktivlegitimation des Wohnungseigentümers zur Geltendmachung von auf die Abwehr von Störungen seines Sondernutzungsrechts gerichteten Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen


Leitsatz

Nach der zum 1. Dezember 2020 in Kraft getretenen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes kann ein Wohnungseigentümer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gemäß § 1004 BGB, die auf die Abwehr von Störungen seines im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts gerichtet sind, weiterhin selbst geltend machen (Fortführung von Senat, Urteil vom 11. Juni 2021 - V ZR 41/19, WuM 2021, 521).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 13. Zivilkammer des [X.] vom 11. Februar 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Klageantrag zu 1 abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien bilden eine aus zwei Einheiten bestehende Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie sind jeweils Eigentümer einer Einheit. Der Klägerin steht zudem ein Sondernutzungsrecht an zwei Stellplätzen zu. Ein Verwalter ist nicht bestellt. Im [X.] 2018 errichtete der Beklagte ohne Zustimmung der Klägerin auf einer im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Grundstücksfläche eine Betonmauer, brachte darauf einen Holzzaun an und baute [X.] ein.

2

Mit der Klage nimmt die Klägerin den Beklagten in der Hauptsache auf Beseitigung der Mauer- und Zaunanlage in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage, soweit von Interesse, mit Urteil vom 25. Februar 2020 stattgegeben. Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt. Das [X.] hat die Klage nach mündlicher Verhandlung vom 4. Februar 2021 abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Beseitigung der Mauer- und Zaunanlage weiter.

Entscheidungsgründe

I.

3

Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. in [X.] 2021, 277 veröffentlicht ist, meint, die Klägerin könne die Beseitigung der Mauer- und Zaunanlage nicht verlangen. Abwehrrechte aus dem an die Stelle des § 15 Abs. 3 [X.] aF getretenen § 14 Abs. 1 Nr. 1 [X.] stünden nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht nur noch der [X.] zu. Insoweit sei die Klägerin nicht mehr aktivlegitimiert. Ein Beseitigungsanspruch bestehe auch nicht in Bezug auf das Sondernutzungsrecht an dem Stellplatz. Das Sondernutzungsrecht werde nicht beeinträchtigt, da der Stellplatz für die Klägerin weiter erreichbar sei und die Mauer- und Zaunanlage lediglich das Rangieren mit Fahrzeugen auf der dem Stellplatz vorgelagerten [X.]sfläche erschwere. Für die Ansprüche aus § 1004 BGB auf Beseitigung von Beeinträchtigungen des [X.]seigentums sei gemäß § 9a Abs. 2 Alt. 1 [X.] die [X.] der Wohnungseigentümer zuständig. Insoweit habe die Klägerin ihre Prozessführungsbefugnis verloren.

II.

4

Die Revision hat Erfolg. Zu entscheiden ist durch Versäumnisurteil. Inhaltlich beruht das Urteil jedoch nicht auf der Säumnis des Beklagten, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. [X.], Urteil vom 4. April 1962 - [X.], [X.], 79, 82 ff.).

5

1. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht allerdings an, dass die Klägerin nach der zum 1. Dezember 2020 in [X.] getretenen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes für den Anspruch aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 [X.] nicht mehr aktivlegitimiert ist. Der Anspruch aus dem an die Stelle von § 15 Abs. 3 [X.] aF getretenen § 14 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ist nunmehr allein der [X.] zugewiesen (vgl. [X.]. 19/18791 S. 52; [X.], Urteil vom 16. Juli 2021 - [X.], juris Rn. 13).

6

2. Im Ergebnis zu Recht verneint das Berufungsgericht auch einen Anspruch der Klägerin aus § 1004 Abs. 1 BGB, soweit er das Sondernutzungsrecht an dem Stellplatz betrifft.

7

a) Allerdings ist die Klägerin für den Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung des Sondernutzungsrechts an dem Stellplatz aus § 1004 Abs. 1 BGB prozessführungsbefugt. Dem steht § 9a Abs. 2 Alt. 1 [X.] nicht entgegen.

8

aa) Die alleinige Ausübungsbefugnis der [X.] der Wohnungseigentümer gemäß § 9 Abs. 2 [X.] bezieht sich auf die Abwehr von Störungen des [X.]seigentums. Ein Wohnungseigentümer kann deshalb, wie der [X.] bereits entschieden hat, nach der zum 1. Dezember 2020 in [X.] getretenen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes Unterlassungs- oder [X.] gemäß § 1004 BGB und § 14 Abs. 2 Nr. 1 [X.], die auf die Abwehr von Störungen im räumlichen Bereich des Sondereigentums gerichtet sind, weiterhin auch dann selbst geltend machen, wenn zugleich das [X.]seigentum von den Störungen betroffen ist ([X.], Urteil vom 11. Juni 2021 - [X.], [X.], 521 Rn. 13).

9

bb) Entsprechendes gilt für den Anspruch eines Wohnungseigentümers gemäß § 1004 Abs. 1 BGB auf Abwehr einer Störung eines dinglich wirkenden [X.].

(1) Nach der bis zum 30. November 2020 geltenden Rechtslage konnte der Inhaber eines im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts im Rahmen von dessen Zuweisungsgehalt (vgl. dazu Urteil vom 18. November 2016 - [X.], [X.] 2017, 409 Rn. 24; [X.], Beschluss vom 26. November 2020 - [X.] 151/19, [X.], 132 Rn. 15) Störungen durch andere Wohnungseigentümer und Dritte gemäß § 1004 Abs. 1 BGB selbst abwehren (vgl. [X.], Urteil vom 21. Oktober 2016 - [X.], [X.] 2017, 355 Rn. 9; Urteil vom 20. März 2020 - [X.], [X.], 136 Rn. 39) und Ansprüche aus § 985 und § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB selbst geltend machen (vgl. [X.], Urteil vom 25. Oktober 2013 - [X.], [X.], 327 Rn. 20; Urteil vom 20. März 2020 - [X.], aaO). Die [X.] der Wohnungseigentümer konnte diese Ansprüche nicht durch Beschluss an sich ziehen.

(2) Daran hat § 9a Abs. 2 [X.] nichts geändert (so auch [X.]/[X.], 8. Aufl., § 9a [X.] nF Rn. 31; [X.], [X.] 2021, 188, 190). Bei dem Anspruch auf Abwehr einer Störung des Sondernutzungsrechts handelt es sich nicht um ein sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebendes Recht. Nach der zum 1. Dezember 2020 in [X.] getretenen Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes kann ein Wohnungseigentümer Unterlassungs- und [X.] gemäß § 1004 BGB, die auf die Abwehr von Störungen seines im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts gerichtet sind, deshalb weiterhin selbst geltend machen.

b) Die Voraussetzungen für einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB in Bezug auf das Sondernutzungsrecht sind jedoch nicht erfüllt. Die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, wonach das Sondernutzungsrecht der Klägerin an dem Stellplatz deshalb nicht beeinträchtigt ist, weil infolge der Errichtung der Mauer- und Toranlage lediglich das Rangieren mit Fahrzeugen auf der vor dem Stellplatz gelegenen Fläche, nicht aber der Zugang zu dem Stellplatz selbst erschwert wird, nimmt die Revision hin und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

3. Rechtsfehlerhaft ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die Prozessführungsbefugnis für den sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Anspruch aus § 1004 BGB mit Inkrafttreten der Neuregelung des § 9a Abs. 2 [X.] am 1. Dezember 2020 verloren.

a) Nach § 9a Abs. 2 [X.] übt zwar die [X.] der Wohnungseigentümer die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte aus. Damit ist nunmehr allein die [X.] der Wohnungseigentümer für die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Unterlassungs- und [X.] aus § 1004 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes prozessführungsbefugt (vgl. [X.]. 19/18791 S. 46).

b) Für die bereits vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängigen Verfahren besteht - wie der [X.] inzwischen, allerdings nach Erlass des Berufungsurteils, entschieden hat - die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend macht, über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 [X.] aber fort, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b [X.] vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der [X.] der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht wird. Beurteilungsgrundlage für das Vorliegen eines entgegenstehenden Willens der [X.] ist die - im Außenverhältnis maßgebliche - Äußerung ihres nach § 9b [X.] vertretungsberechtigten Organs. Auf die Wirksamkeit der Entscheidungsbildung der Wohnungseigentümer im Innenverhältnis, insbesondere die Wirksamkeit eines dazu gefassten Beschlusses, kommt es dagegen nicht an (näher [X.], Urteil vom 7. Mai 2021 - [X.], [X.], 392 Rn. 12 ff., 20 ff.). Diese Grundsätze gelten für alle Wohnungseigentümergemeinschaften, auch für die verwalterlose Zweiergemeinschaft.

c) Danach ist die Klägerin prozessführungsbefugt, soweit es um den Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB wegen Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums geht. Insoweit ist sie auch aktivlegitimiert.

III.

Die Revision hat somit Erfolg. Das Berufungsurteil war im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil das Berufungsgericht hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin aus § 1004 Abs. 1 BGB wegen Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen getroffen hat. Sie ist deshalb zur Verhandlung und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist beim [X.] in [X.] von einem an diesem Gericht zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

Die Einspruchsschrift muss das Urteil, gegen das der Einspruch gerichtet wird, bezeichnen und die Erklärung enthalten, dass und, wenn das Rechtsmittel nur teilweise eingelegt werden solle, in welchem Umfang gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde.

In der Einspruchsschrift sind die Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie [X.], die die Zulässigkeit der Klage betreffen, vorzubringen. Auf Antrag kann die Vorsitzende des erkennenden [X.]s die Frist für die Begründung verlängern. Bei Versäumung der Frist für die Begründung ist damit zu rechnen, dass das nachträgliche Vorbringen nicht mehr zugelassen wird.

Im Einzelnen wird auf die Verfahrensvorschriften in § 78, § 296 Abs. 1, 3, 4, § 338, § 339 und § 340 ZPO verwiesen.

[X.]     

      

Brückner     

      

Göbel 

      

Haberkamp     

      

Laube     

      

Berichtigungsbeschluss vom 10. Dezember 2021

Das Versäumnisurteil des [X.]s vom 1. Oktober 2021 wird wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass es in Randnummer 9 statt „[X.]“ richtig heißen muss:

„Sondernutzungsrechts“.

[X.]     

  

Brückner     

  

Göbel

  

Haberkamp     

  

Laube     

  

Meta

V ZR 48/21

01.10.2021

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Frankfurt, 11. Februar 2021, Az: 2-13 S 46/20, Urteil

§ 1004 Abs 1 BGB, § 9 Abs 2 WoEigG, § 9a Abs 2 WoEigG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 01.10.2021, Az. V ZR 48/21 (REWIS RS 2021, 2184)

Papier­fundstellen: MDR 2022, 90-91 REWIS RS 2021, 2184

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