LSG München, Entscheidung vom 19.05.2015, Az. L 15 RF 3/15

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Gegenstand

Grundsätzlich keine Wiedereinsetzung bei Arbeitsüberlastung


Leitsatz

1.

§ 2 Abs. 2 JVEG sieht nur eine Wiedereinsetzung auf Antrag vor. (amtlicher Leitsatz)

2.

Mit einer Arbeitsüberlastung kann eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht begründet werden. (amtlicher Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 16.07.2014 wird abgelehnt.

Entscheidungsgründe

I.

Streitig ist, ob dem Antragsteller für die Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an einem Gerichtstermin Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.

Im Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) mit dem Aktenzeichen L 16 R 851/13 nahm der Antragsteller als Geschäftsführer der Beigeladenen nach Anordnung des persönlichen Erscheinens an der mündlichen Verhandlung am 16.07.2014 teil.

Mit auf den 15.12.2014 datiertem Entschädigungsantrag, beim LSG eingegangen am 17.12.2014, machte der Antragsteller Verdienstausfall und Fahrtkosten wegen des Gerichtstermins vom 16.07.2014 geltend.

Die Kostenbeamtin teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 17.12.2014 dazu mit, dass der Entschädigungsanspruch wegen der dreimonatigen Antragsfrist des § 2 Abs. 1 JVEG erloschen sei, und wies ihn auf die Möglichkeit, Wiedereinsetzung zu beantragen, hin.

Mit einem am 30.12.2014 beim LSG eingegangenen (undatierten) Schreiben hat der Antragsteller die Wiedereinsetzung wegen der Entschädigung für den Gerichtstermin am 16.07.2014 beantragt. Er hat vorgetragen, dass er als Unternehmensgründer mit einer mindestens 80-Stunden-Woche leben müsse und daher vermeintlich unwichtige Dinge etwas auf der Strecke bleiben würden. Reisekosten und Auslagen seiner Mitarbeiter würden auch nicht innerhalb von drei Monaten verfallen. Die (kostenrechtliche) Gesetzgebung sei nicht im Sinn der Bürger.

Auf das gerichtliche Schreiben vom 12.02.2015, mit dem der Antragsteller über die fehlenden Erfolgsaussichten seines Antrags auf Wiedereinsetzung aufgeklärt worden ist, ist keine Reaktion erfolgt.

II.

Der Wiedereinsetzungsantrag, der einer Entscheidung durch den Kostenbeamten entzogen ist, ist abzulehnen.

Der Entschädigungsantrag ist verfristet gestellt worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor.

1. Anzuwendende Fassung des JVEG

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der ab dem 01.08.2013 geltenden Fassung. Denn der Antragsteller als Berechtigter ist nach dem gemäß Art. 55 2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden (Ladung vom 18.06.2014).

2. Entschädigungsantrag zu spät gestellt

Der Entschädigungsanspruch war bereits erloschen, als der Antragsteller die Entschädigung für sein Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung am 16.07.2014 beim Bayer. LSG geltend gemacht hat.

Der Anspruch auf Entschädigung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG im Falle der Teilnahme an einem vom Gericht angeordneten Termin mit der Beendigung dieses Termins zu laufen. Darauf ist der Antragsteller im Übrigen auch - sogar besonders hervorgehoben durch Fettdruck - im Ladungsschreiben vom 18.06.2014 hingewiesen worden. Lediglich dann, wenn der Berechtigte in demselben Verfahren, im gerichtlichen Verfahren in demselben Rechtszug, mehrfach herangezogen wird, ist für den Beginn aller Fristen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 JVEG die letzte Heranziehung maßgebend.

Vorliegend ist die (einmalige) Heranziehung des Antragstellers am 16.07.2014 erfolgt. Die dreimonatige Frist zur Geltendmachung des dafür entstandenen Entschädigungsanspruchs ist am 16.10.2014 (Freitag) abgelaufen.

Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Vergütungsforderung bedarf es nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13 - m. w. N.).

Der Entschädigungsantrag vom 15.12.2014 ist erst deutlich nach Ablauf der dreimonatigen Frist für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs beim LSG eingegangen.

3. Wiedereinsetzung

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitert daran, dass der Antragsteller einen Wiedereinsetzungsgrund nicht vorgetragen hat.

3.1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen

Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn

- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d. h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung (zur Geltung dieser zeitlichen Anforderung bei allen drei im Folgenden genannten Voraussetzungen: vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12),

* einen Wiedereinsetzungsantrag stellt,

* einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang die ausführlichen Erwägungen im Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12) und

* den Vergütungsanspruch beziffert

sowie

- sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d. h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 7 i. V. m. § 4 Abs. 6 Satz 1 JVEG sind die im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags erforderlichen Erklärungen (Wiedereinsetzungsantrag, Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds und Bezifferung des Vergütungs- oder Entschädigungsanspruchs) zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben oder schriftlich einzureichen.

Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG nicht mehr beantragt werden.

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist dem JVEG - im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen - fremd (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschlüsse des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 27.03.2013, Az.: L 15 SF 181/12 B). Das Antragserfordernis verbietet es zudem, allein in der verspäteten Geltendmachung einer Entschädigungsforderung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 03.01.2013, Az.: L 15 SF 255/10, und vom 15.02.2013, Az.: L 15 SF 211/12 B).

3.2. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall

3.2.1. Fristgerechte Antragstellung

Der Antragsteller hat fristgerecht einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Jedenfalls ab Erhalt des gerichtlichen Schreibens vom 17.12.2014 musste dem Antragsteller bewusst sein, dass sein Entschädigungsantrag vom 15.12.2014 verspätet war. Für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG eine Frist von zwei Wochen eröffnet.

Mit dem beim LSG am 30.12.2014 eingegangenen undatierten Schreiben hat der Antragsteller einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Dieser Antrag ist innerhalb der mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 17.12.2014, der bei entsprechender Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post fingiert werden kann, in Lauf gesetzten Frist von zwei Wochen, nämlich am 30.12.2014, bei Gericht eingegangen.

3.2.2. Fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds

Es fehlt an einer fristgerechten Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds, weil der Antragsteller überhaupt keinen Wiedereinsetzungsgrund vorgetragen hat.

Voraussetzung für eine fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds ist, dass Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG gehindert war. Dazu hat er Tatsachen anzugeben und glaubhaft zu machen, die erklären, warum er an einem fristgerecht, d. h. innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG zu stellenden Entschädigungsantrag ohne Verschulden gehindert war.

Um die vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG vorgesehene Möglichkeit der Wiedereinsetzung nicht ins Leere laufen zu lassen, ist von einer Glaubhaftmachung schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründet, und keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12 - mit ausführlichen Erläuterungen auch zu verfassungsrechtlichen Aspekten).

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller in seinem beim LSG am 30.12.2014 eingegangenen Schreiben einen Wiedereinsetzungsgrund, nämlich dass er unverschuldet an einer rechtzeitigen Beantragung der Entschädigung gehindert gewesen wäre, nicht vorgetragen.

Der vom Antragsteller angegebene Grund für die Fristversäumnis ist, dass wegen seiner erheblichen und seit Jahren bestehenden beruflichen Belastung die Stellung des Entschädigungsantrags zurückstehen habe müssen, da er vorrangig wichtigere Aufgaben zu erledigen gehabt habe. Dieses Vorbringen kann, auch wenn den Angaben des Antragstellers einschränkungslos gefolgt wird, einen Wiedereinsetzungsgrund nicht begründen.

Es ist in der Rechtsprechung und Literatur unstrittig, dass mit einer erheblichen zeitlichen beruflichen Inanspruchnahme auch im Sinn einer massiven Arbeitsüberlastung ein Wiedereinsetzungsgrund grundsätzlich nicht begründet werden kann, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten (vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluss vom 11.03.2015, Az.: 9 B 5/15; Bundesgerichtshof - BGH -, Beschluss vom 01.02.2012, Az.: XII ZB 298/11; Beschluss des Senats vom 03.11.2008, Az.: L 15 SF 167/08 U KO). Besondere Umstände, die der Antragsteller vortragen und glaubhaft machen muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.01.2015, Az.: 4 BN 18/14), liegen beispielweise vor, wenn die Arbeitsüberlastung plötzlich und unvorhersehbar eingetreten und durch sie die Fähigkeit zu konzentrierter Arbeit erheblich eingeschränkt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08.05.2013, Az.: XII ZB 396/12). In einem solchen Fall muss der Antragsteller zudem vortragen und glaubhaft machen, dass er alles seinerseits Mögliche getan hat, um die Fristversäumung trotz der Arbeitsüberlastung zu vermeiden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 60, Rdnr. 20).

Im vorliegenden Fall kann der vom Antragsteller für eine Wiedereinsetzung vorgetragene Sachverhalt schon deshalb keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, da es sich bei der Arbeitsüberlastung nach den Angaben des Antragstellers um einen Dauerzustand gehandelt hat. Dem Umstand, dass der Antragsteller offensichtlich auch keinerlei organisatorische Vorkehrungen getroffen hat, dass - aus seiner subjektiven Sicht - eher unwichtige, aber fristgebundene Aufgaben fristgerecht erledigt werden, kommt daher keine weitergehende rechtliche Bedeutung zu.

4. Keine „Nachsichtgewährung“

Bei allem Verständnis für die möglicherweise aus beruflichen Gründen zeitlich sehr angespannte Situation des Antragstellers besteht keine Möglichkeit, ihm bezüglich der Entschädigung im Weg der Nachsicht entgegen zu kommen. Denn dafür geben die Regelungen des JVEG keine Rechtsgrundlage. Eine Nachsichtgewährung durch richterliches Ermessen würde einen Gesetzesverstoß darstellen (vgl. Beschluss des Senats vom 04.12.2014, Az.: L 15 SF 53/13 - m. w. N.).

Dem Antragsteller kann daher bezüglich der Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 16.07.2014 keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden und auch nicht auf andere Weise entgegen gekommen werden.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf Wiedereinsetzung als Einzelrichter zu entscheiden gehabt (§ 2 Abs. 2 Satz 7, § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 7, § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 7, § 4 Abs. 8 JVEG).

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

Meta

L 15 RF 3/15

19.05.2015

LSG München

Entscheidung

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: LSG München, Entscheidung vom 19.05.2015, Az. L 15 RF 3/15 (REWIS RS 2015, 10882)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10882

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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9 B 5/15

XII ZB 298/11

4 BN 18/14

XII ZB 396/12

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