Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 13.02.2020, Az. 4 Ca 3111/19

4. Kammer | REWIS RS 2020, 12116

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Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Lohn für die Zeit von Februar 2019 bis Mai 2019 in Höhe von 571,33 € (i. W. fünfhunderteinundsiebzig Euro, Cent wie nebenstehend) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.10.2019 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

4. Streitwert: 7.470,51 €.

5. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche auf Zahlung von Zuschlägen aus einem Tarifvertrag und hierbei über die Frage, ob eine tarifvertragliche Begrenzung der Zuschlagshöhe zulässig ist.

Die Beklagte betreibt Spielbanken in B., N. und Q.. Die Klägerin ist bei der Beklagten bereits seit dem 01.05.1980 als Croupier beschäftigt. Sie arbeitet seit 1994 in Teilzeit mit einem Anteil von 75 % einer Vollzeitstelle.

Im Arbeitsvertrag der Parteien vom 31.03.1980 heißt es wörtlich:

„Nach Abschluss tarifvertraglicher Regelungen und/oder Betriebsvereinbarungen werden diese in ihrer jeweils gültigen Fassung Vertragsbestandteil“

Bereits seit dem Ende der 1980er Jahre existieren bei der Beklagten Haustarifverträge. Eine Neuordnung des Vergütungssystems erfolgte durch tarifvertragliche Regelungen im Jahr 2012. Seitdem existieren bei der Beklagten unterschiedliche Tarifliche Regelungen für Altbeschäftigte (Eintritt ins Unternehmen bis zum 30.06.2012) und Neubeschäftigte (Eintritt ab 01.07.2012).  Die Klägerin, welcher die Beklagte insoweit eine Wahlmöglichkeit einräumte, entschied sich für die Anwendbarkeit der tariflichen Regelungen für Neubeschäftigte auch auf ihr Arbeitsverhältnis (vgl. Bl. 78 d.A.).

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden demnach derzeit folgende Tarifverträge Anwendung:

-          Manteltarifvertrag II vom 15.05.2013.

-          Entgeltrahmentarifvertrag für die festvergüteten Arbeitnehmer/innen der J. & Co. KG in der Spieltechnik und in der Kasse vom 15.05.2013.

-          Zuschlagstarifvertrag vom 01.02.1996.

Bezüglich des genauen Inhaltes der Tarifverträge wird zunächst vollumfänglich auf die von der Beklagten eingereichten Ablichtungen (Bl. 78 ff. d.A.) verwiesen.

Der anwendbare Zuschlagstarifvertrag sieht die Zahlung von Zuschlägen für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit vor. Vorgesehen sind Zuschläge von 25 % bis hin zu 190 % beispielsweise für an Feiertagen geleistete Nachtarbeit.

Der derzeit anwendbare Entgelttarifvertrag sieht Entgelttabellen vor. Der Klägerin steht hiernach seit dem 01.03.2015 gemäß der Entgeltgruppe 5, 13. Berufsjahr ein Betrag in Höhe von 3.672,00 € brutto für eine Vollzeitstelle zu. Umgerechnet auf die Teilzeittätigkeit der Klägerin mit 75 % Stellenanteil bedeutet dies rechnerisch eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 2.754,00 €.

Oberhalb der Entgelttabelle (vgl. Bl. 88 d.A.) heißt es wörtlich: „Das max. monatliche Tarifentgelt beträgt ab dem 1. März 2015:“ sodann folgt die Entgelttabelle. Darunter heißt es:

„Das maximale Gesamtgehalt gem. der oben stehenden Tabelle teilt sich auf in ein Grundgehalt (77 %) und einem maximalen Zuschlagsgehalt (23 %) bei > 30 % Schichtarbeit.“

Der Manteltarifvertrag enthält in § 12 eine Ausschlussfrist / Verfallsklausel. Dort heißt es:

„Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und alle Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, sind innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Fälligkeit schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend zu machen. Nach ablehnendem Bescheid durch die Gesellschaft sind Ansprüche innerhalb einer weiteren Frist von drei Kalendermonaten gerichtlich geltend zu machen. Werden die vorgenannten Fristen nicht eingehalten, sind die Ansprüche verfallen.“

Die Beklagte erteilt der Klägerin regelmäßig monatliche Lohnabrechnungen. Die Lohnabrechnungen, wegen deren genauen Inhaltes zunächst auf die von der Klägerin für den Zeitraum von Januar 2016 bis Mai 2019 eingereichten Ablichtungen (Bl. 15 bis 65 d.A.) Bezug genommen wird, enthalten jeweils detaillierte Aufzählungen bzw. Nachweise der im jeweiligen Monat von der Klägerin erarbeiteten Zuschläge.

Auf den Abrechnungen ist ersichtlich, dass von den Zuschlägen teilweise Beträge wieder ins Minus gesetzt werden. Die so ersichtlichen „Abzüge“ werden in den Abrechnungen als „Kappung Zeitzuschl. stpfl.“ oder als „Kappung Zeitzuschl. stfr.“ bezeichnet. In dem durch die eingereichten Lohnabrechnungen umfassten Zeitraum wurden nahezu in jedem Monat derartige Kappungen vorgenommen. Teilweise sind in den Lohnabrechnungen für die Monate Dezember 2016, Dezember 2017, September 2018 und Dezember 2018 auch Zuzahlungen erkennbar, die als „Kappungsausgleich“ bezeichnet werden.

Mit ihrer am 08.10.2019 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen und der Beklagten am 15.10.2019 zugestellten Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Nachzahlung aller in der Zeit von Januar 2016 bis Mai 2019 „gekappten“ Zuschläge wie auf den Lohnabrechnungen ersichtlich.

Die Klägerin ist der Auffassung die Beklagte nehme monatlich unberechtigter Weise Kürzungen bei den erarbeiteten Zuschlägen vor. Für die von der Beklagten vorgenommene Kappung gebe es keine rechtliche Grundlage. Die Zuschläge seien ein Ausgleich für die besondere Belastung von Arbeitsleistungen, die sie zu ungünstigen Zeiten wie beispielsweise nachts oder an Wochenenden erbracht habe. Der hierfür von den Tarifparteien vorgesehene Ausgleich könne nicht nach oben hin begrenzt und einer späteren Kürzung unterzogen werden.

Auf die Ausschlussfristen aus dem Manteltarifvertrag könne sich die Beklagte nicht berufen, da sie über die vorgenommene Abzüge Lohnabrechnungen erteilt habe. Den Abrechnungen ließen sich die streitgegenständlichen Zahlungsansprüche detailliert entnehmen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie Lohn für die Zeit von Januar 2016 bis Mai 2019 in Höhe von 7.470,51 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist zunächst der Auffassung, die von der Klägerin geltend gemachten Beträge seien nach der anwendbaren Ausschlussfrist größtenteils verfallen. Eine vorgerichtliche Geltendmachung sei - insoweit unstreitig – erst zum 19.08.2019 bei ihr eingegangen. Beträge bis einschließlich Januar 2019 seien daher verfallen.

Im Übrigen sei die Klage bereits unschlüssig. Die Klägerin könne sich nicht einfach auf die eingereichten Lohnabrechnungen berufen, sondern habe detailliert darzulegen aus welcher Rechtsgrundlage heraus sie Zahlungen fordere.

Aber auch im Grundsatz bestünden keine Ansprüche der Klägerin auf Zahlung der abgerechneten Zulagen. Die Klägerin verkenne die tariflichen Regelungen. Hiernach sei lediglich ein Grundgehalt in Höhe von 2.754,00 € (zuzüglich Troncbeteiligung, Arbeitgeberzuschuss zur vermögenswirksamen Leistung und geldwertem Vorteil für die Unfallversicherung) geschuldet. Dieses habe die Klägerin auch nachweislich der vorgelegten Lohnabrechnungen in jedem der geltend gemachten Monate erhalten. Es bestünden aufgrund der tarifvertraglichen Regelungen – wie sie unterhalb der Entgelttabellen aufgeführt seien – keine über das dort festgelegte Maximalgehalt hinausgehenden Vergütungsansprüche. Festgelegt sei ein Anteil von 23 % maximalem Zuschlagsgehalt was ca. 633,00 € bei der Klägerin entspreche (ausgehend vom Tarifgehalt in Höhe von 2.754 €). Erwirtschafte sie in einem Monat theoretisch mehr Zuschläge, so sei eine Kappung vorzunehmen. Wäre der Zuschlagsanteil kleiner, so finde jeweils eine Aufstockung bis zum maximalen Gehalt statt. Es sei daher auch eigentlich unzutreffend von Kappungen oder gar Lohnabzügen zu sprechen. Denn letztlich erhalte die Klägerin immer genau das ihr zustehende Tarifentgelt.

Bezüglich des Weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Niederschriften zum Güte- und Kammertermin verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die als Zahlungs- bzw. Leistungsklage unproblematisch zulässige Klage ist nur teilweise aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.

1. Der Klägerin stehen die von ihr geltend gemachten Zahlungsansprüche für den Zeitraum von Januar 2016 bis einschließlich Januar 2019 nicht zu. Die Ansprüche sind nach der unproblematisch auf das Arbeitsverhältnis aufgrund der erfolgten vertraglichen Bezugnahme anwendbaren Ausschlussfrist aus § 12 Manteltarifvertrag verfallen.

Nach § 12 Manteltarifvertrag verfallen alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von sechs Monaten, soweit sie nicht rechtzeitig gegenüber der Gegenseite schriftlich geltend gemacht werden. Hiernach werden von der Ausschlussfrist alle eingeklagten Beträge bis einschließlich Januar 2019 erfasst, da die Beklagte die Zahlungsansprüche erst im August 2019 gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht hat.

Die tarifvertragliche Verfallfrist ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie wurde wirksam und durch hinreichend transparente vertragliche Regelung zum Gegenstand des Arbeitsvertrages gemacht. Da es sich jedoch nach wie vor um eine tarifliche Regelung handelt ist diese einer Inhaltskontrolle an Hand der §§ 305 ff. BGB nicht zugänglich (vgl. BAG, Urteil vom 06.05.2009 – 10 AZR 390/08, Rn. 28 ff.; juris). Die Ausschlussfristenregelung ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Es liegt hier keine unwirksame Beschränkung der gesetzlichen Mindestlohnansprüche vor. Die Regelung ist – anders als eine rein vertragliche AGB – nach § 3 Satz 1 MiLoG nur insoweit unwirksam, als hiervon Mindestlohnansprüche direkt betroffen sind (vgl. BAG, Urteil vom 23.01.2019 – 4 AZR 541/17, Rn. 41; juris). Mindestlohnansprüche sind hier aufgrund der lediglich streitigen Zuschlagszahlungen jedoch nicht betroffen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sich die Beklagte auch auf die Ausschlussfrist berufen. Die erteilten Lohnabrechnungen stehen dem nicht entgegen. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dann, wenn der Arbeitgeber als Schuldner der Lohnleistungen eine Lohnabrechnung erstellt hat und diese dem Arbeitnehmer übermittelt, der Arbeitnehmer die darin ausgewiesene Forderung nicht mehr fristgerecht gelten machen muss. Hierin wird eine überflüssige Förmelei gesehen, weil durch das Überlassen der Abrechnung und der darin enthaltenen Erklärung des Arbeitgebers der Sinn und Zweck der Ausschlussfrist bereits erfüllt ist. Zudem würde sich der Arbeitgeber widersprüchlich verhalten, wenn er eine Leistung zunächst abrechnen, dann aber verweigern würde. Die Ansprüche werden quasi streitlos gestellt (vgl. LAG Hessen, Urteil vom 10.08.2011 – 18 Sa 1986/10, Rn. 146; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.10.2003 – 6 Sa 562/03, Rn. 25; juris).

Hier hat die Beklagte jedoch durch die Abrechnungen die Ansprüche der Klägerin gerade nicht streitlos gestellt, sondern - wie ja auch die Klägerin geltend macht – Beträge abgezogen. Auch wenn die Abrechnungen Auflistungen der einzelnen Zuschlagszeiten enthalten verbleibt es doch letztlich dabei, dass die Beklagte durch die Abrechnung nur das dort positiv erfasste geschuldete Entgelt „streitlos“ stellt. Daher kann sich die Klägerin auch nicht auf die oben zitierte Rechtsprechung berufen.

2. Der Klägerin stehen jedoch für den nicht verfallenen Zeitraum von Februar 2019 bis einschließlich Mai 2019 die im Tenor ersichtlichen Zahlungsansprüche zu. In Höhe der ausgeurteilten 571,33 € brutto steht der Klägerin ein Anspruch aus § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem anwendbaren Zuschlagstarifvertrag zu.

In dieser Höhe hat die Beklagte für den Zeitraum Februar 2019 bis Mai 2019 Abzüge vorgenommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt der Nachweis der Abzüge in den Lohnabrechnungen für die erkennende Kammer als schlüssiger Nachweis der geltend gemachten Ansprüche. Die Beklagte selbst führt in den Abrechnungen detailliert die grundsätzlich geschuldeten Zuschläge auf. Die Zuschläge werden sowohl einzeln nach Rechtsgrund (Nacht-, Sonn- oder Feiertagszuschlag), nach prozentualer Höhe und umgerechnet in den Geldwert aufgeführt. Zudem führt die Beklagte die Gesamthöhe der Zuschläge in der Spalte „Zeitzuschläge informell“ nochmal detailliert auf. So zum Beispiel im Monat April 2019 mit 983,61 € (vgl. Bl. 16 d.A.). Sodann führt die Beklagte die vorgenommene Kappung aus. Im Beispiel April 2019 sind dies 350,61 €. Dies entspricht rechnerisch genau der von der Beklagten angeführten Kürzung in Bezug auf ein ihrer Auffassung nach im Fall der Klägerin maximal geschuldetes Zuschlagsgehalt (23 % des Grundlohns) von 633,00 €. Es ist mithin eindeutig erkennbar welche Beträge einer Kappung unterzogen werden und daher von der Klägerin hier nachgefordert werden.

Aufgrund der im Einzelnen in den Abrechnungen aufgeführten Zuschläge ist auch hinreichend ersichtlich, dass die Klägerin diese erarbeitet hat und die Beklagte diese nach dem anwendbaren Zuschlagstarifvertrag schuldet.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus den anwendbaren Tarifverträgen jedoch keine wirksame Rechtsgrundlage für die erkennbar vorgenommene Kürzung der eigentlich erarbeiteten Zuschläge. Mit den von der Beklagten angeführten tariflichen Regelungen lässt sich dies nicht rechtfertigen.

Selbst wenn man der Auslegung der Beklagten folgen würde, wonach der Tarifvertrag durch die im Tatbestand zitierten Regelungen eine Begrenzung des Zuschlagsgehaltes auf maximal 23 % der ebenfalls nach oben begrenzten maximalen Gesamtvergütung vornimmt, so kann dies nicht zur Wirksamkeit der vorgenommenen Abzüge führen.

Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der Wortlaut der Regelungen dafürspricht, dass die Tarifparteien eine maximale Begrenzung des Zuschlagsgehaltes auf 23 % des geschuldeten Gesamtlohnes vornehmen wollten (wenn auch eine genaue Regelung zur eigentlichen Kürzung in den Tarifverträgen fehlt).

Allerdings verstößt der Tarifvertrag durch diese Regelung gegen den in Art. 3 GG festgeschriebenen Gleichheitssatz. Dies führt zur Unwirksamkeit der Begrenzungsregelung und zu einer sogenannten Angleichung nach oben und daher zu einem Anspruch der Klägerin auf Zahlung der gekappten Beträge.

Die von der Beklagten angeführte Tarifregelung ist an Art. 3 GG zu messen. Als selbständigen Grundrechtsträgern kommt den Tarifvertragsparteien aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht.

Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer Gruppenbildung führen, mit der Art. 3 GG verletzt wird. Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Die aus dem Gleichheitssatz folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. BAG, Urteil vom 21.03.2018 – 10 AZR 34/17, Rn. 43 f., m.w.N.; juris).

Nach Auffassung der erkennenden Kammer verstößt die von der Beklagten vorgebrachte Tarifregelung, die eine Kappung der von den Arbeitnehmern erarbeiteten Zuschläge bei 23 % ihres tariflichen Gesamtgehaltes vorsieht gegen Art. 3 GG. Es liegt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Im Wesentlichen werden durch die Regelung zwei Gruppen gebildet. Diejenigen Arbeitnehmer, die monatlich weniger Zuschläge erwirtschaften und die Grenze von 23 % ihres Tarifmaximalgehaltes nicht überschreiten. Sie erhalten eine Aufstockungszahlung zur Erreichung ihres Gesamtgehaltes. Auf der anderen Seite diejenigen Arbeitnehmer, die, wie die Klägerin in den allermeisten Monaten des streitgegenständlichen Zeitraums, Zuschläge erwirtschaften, die einen Betrag von 23 % ihres Tarifgehaltes überschreiten. Diesen Arbeitnehmern werden die eigentlich erarbeiteten Zuschläge gekürzt. Zudem gibt es auch bei denjenigen Arbeitnehmern, die eine Kürzung erfahren ungleiche Lohnabzüge je nach Höhe der monatlich erarbeiteten Zuschläge. Desto mehr Zuschläge erarbeitet werden, desto höher fällt der vorgenommene Abzug aus.

Eine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung besteht nicht. Vielmehr ist zu beachten, dass gerade Zuschlägen für Arbeitsleistungen die zu „ungünstigen“ Zeiten wie an Sonn- und Feiertagen aber vor allem auch während der Nachtzeit gezahlt werden mehrere Funktionen zukommen. Sie sollen einerseits den betroffenen Arbeitnehmern einen finanziellen Ausgleich für die Arbeit zu diesen Zeiten gewähren und hierdurch auch die Bereitschaft zur Arbeitsleistung zu solchen Zeiten steigern. Zudem sollen gerade Nachtzuschläge aber auch die Nachtarbeit grundsätzlich verteuern, um zu erreichen, dass Arbeitgeber Nachtarbeit nur dann verlangen, wenn diese unverzichtbar ist bzw. hiervon nur zurückhaltend Gebrauch machen. Dies dient auch dem Gesundheitsschutz, da die gesundheitsbelastenden Wirkungen von Nachtarbeit allgemein anerkannt sind (vgl. mit zahlreichen Nennungen: Kohte, jurisPR-ArbR 19/2019 Anm. 5).

Gerade diese Gesundheitsbeeinträchtigungen der Nachtarbeit, aber auch die Belastungen durch Arbeit an Sonn- und Feiertagen treten natürlich bei denjenigen Arbeitnehmern am stärksten hervor, die am meisten Arbeiten zu diesen Zeiten ableisten. Soweit die streitgegenständlichen Tarifregelungen geraden den hiervon betroffenen Arbeitnehmern die zum Ausgleich festgelegten Zuschläge wieder entziehen, liegt hierin einen nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu Arbeitnehmern, die gar keine Arbeitsleistungen zu Zuschlagspflichtigen Zeiten geleistet haben, jedoch am Ende trotzdem (mit Ausnahme etwaiger Steuervorteile für die Zuschläge) dasselbe Entgelt erhalten.

Eine ergänzende Auslegung der gegen Art. 3 GG verstoßenden Regelungen, um diese in Einklang mit den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG zu bringen, ist der Kammer nicht möglich. Die gleichheitswidrige Ungleichbehandlung der Klägerin kann für die im Streit stehende Vergangenheit nur durch eine Anpassung „nach oben“ beseitigt werden (vgl. BAG, Urteil vom 21.03.2018, a.a.O., Rn. 55 ff.; juris). Mithin hat die Klägerin den im Tenor ersichtlichen Anspruch auf Nachzahlung der gekappten Zuschläge für den nicht verfallenen Zeitraum von Februar 2019 bis einschließlich Mai 2019.

Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 3 ff. ZPO im Urteil festzusetzen und entspricht dem Zahlungsantrag. Die Berufung war – soweit nicht bereits gesetzlich zulässig – nach § 64 Abs. 3 Nr. 2 b ArbGG zuzulassen.

Meta

4 Ca 3111/19

13.02.2020

Arbeitsgericht Aachen 4. Kammer

Urteil

Sachgebiet: Ca

Nachgehend: Landesarbeitsgericht Köln, 11 Sa 214/20

BGB §§ 305ff., BGB § 611a Abs. 2, GG Art. 3 Abs. 1

Zitier­vorschlag: Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 13.02.2020, Az. 4 Ca 3111/19 (REWIS RS 2020, 12116)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 12116


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 11 Sa 214/20

Landesarbeitsgericht Köln, 11 Sa 214/20, 25.11.2020.


Az. 4 Ca 3111/19

Arbeitsgericht Aachen, 4 Ca 3111/19, 13.02.2020.


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4 AZR 541/17

10 AZR 34/17

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