Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.01.2015, Az. VI ZR 27/14

6. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 16908

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STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF STRAF- UND BUSSGELDAKTEN STRAFURTEIL ADHÄSIONSVERFAHREN MATERIELLE RECHTSKRAFT

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Gegenstand

Klage auf weiteres Schmerzensgeld nach einem rechtskräftigen Urteil über einen unbezifferten Schmerzensgeldantrag im Adhäsionsverfahren


Leitsatz

Zur Rechtskraftwirkung eines im Adhäsionsverfahren ergangenen rechtskräftigen Urteils über einen unbezifferten Schmerzensgeldantrag.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des [X.] vom 18. Dezember 2013 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000 € wegen einer tätlichen Auseinandersetzung am 28. Mai 2011. Der Kläger erstattete danach gegen den Beklagten Strafanzeige und stellte im Ermittlungsverfahren mittels eines von der Landesjustizverwaltung [X.] herausgegebenen Vordrucks "2 in 1 - Schadensersatz im Strafprozess" unbezifferte Anträge auf Ersatz seines finanziellen Schadens und Zuerkennung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Außerdem beantragte er die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten, ihm "weitere materielle und immaterielle Schäden" zu ersetzen. Auf Nachfrage hielt der Kläger im anschließenden Strafverfahren gegen den Beklagten diese Anträge in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht (Strafrichter) aufrecht. Mit Urteil des Amtsgerichts wurde der Beklagte der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ferner wurde er verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 € zu zahlen. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den aus der Tat vom 28. Mai 2011 entstandenen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen. Hinsichtlich des Antrags auf Ersatz des materiellen Schadens sah das Gericht von einer Entscheidung ab. Der Angeklagte (jetzige Beklagte) legte gegen dieses Urteil Berufung ein, die er in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer des [X.] auf die Feststellungsentscheidung beschränkte. Das [X.] sah durch Beschluss von einer Entscheidung über den Feststellungsantrag des [X.] ab. Im Übrigen wurde das Urteil des Amtsgerichts im Strafverfahren rechtskräftig.

2

Im vorliegenden [X.] macht der Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € nebst Zinsen geltend. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil durch die rechtskräftige Entscheidung im Adhäsionsverfahren abschließend über den Schmerzensgeldanspruch des [X.] entschieden worden sei. Die hiergegen gerichtete Berufung des [X.] hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

I.

3

[X.] ist der Auffassung, die Klage sei unzulässig, da im Adhäsionsverfahren zwischen denselben Parteien über denselben Streitgegenstand bereits rechtskräftig entschieden worden sei. Im hiesigen Verfahren verlange der Kläger aufgrund einer behaupteten Körperverletzung des Beklagten immateriellen Schadensersatz in Höhe von 5.000 €, obwohl ihm bereits im Strafurteil auf seinen unbezifferten Antrag ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 € zugesprochen worden sei. Dem habe derselbe Sachverhalt zugrunde gelegen, auf den sich der Kläger auch mit der vorliegenden Klage stütze. Eine Entscheidung über einen Adhäsionsantrag stehe einem im bürgerlichen Rechtsstreit ergangenen Urteil gleich. Werde aber in einem Zivilurteil über einen unbezifferten Antrag auf Zuerkennung eines angemessenen Schmerzensgeldes befunden, sei dies in der Regel abschließend.

II.

4

Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

5

[X.] ist mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund der im Adhäsionsverfahren ergangenen rechtskräftigen Verurteilung des Beklagten, an den Kläger aufgrund des Schadensereignisses vom 28. Mai 2011 ein Schmerzensgeld von 1.500 € zu zahlen, eine erneute Klage zwischen denselben Parteien über denselben Streitgegenstand gemäß § 322 ZPO unzulässig ist.

6

1. Der Antrag auf Zahlung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren hat dieselben Wirkungen wie die Erhebung einer entsprechenden Klage im bürgerlichen Rechtsstreit (vgl. § 404 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die in einem Strafverfahren ergangene rechtskräftige Entscheidung über den Antrag, durch den der Verletzte den ihm aus einer Straftat des Beschuldigten erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch (§§ 403 f. StPO) geltend macht, steht gemäß § 406 Abs. 3 Satz 1 StPO einem im bürgerlichen Rechtsstreit ergangenen rechtskräftigen Urteil gleich (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2012 - [X.], NJW 2013, 1163 Rn. 8). Nur soweit der Anspruch nicht zuerkannt ist, kann er nach § 406 Abs. 3 Satz 3 StPO anderweit geltend gemacht werden. Eine solche Ausnahme liegt im Streitfall nicht vor.

7

2. Streitgegenstand des [X.] war hier ein (einheitlicher) Anspruch des [X.] gegen den Beklagten auf Schmerzensgeld aus dem Schadensereignis vom 28. Mai 2011. [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass es der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des [X.] zu bemessen (vgl. [X.], Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955, [X.], [X.]Z 18, 149, 151 ff.; Senatsurteile vom 6. Dezember 1960 - [X.], [X.], 164 f. und vom 20. März 2001 - [X.], [X.], 876).

8

a) Verlangt ein Kläger für erlittene Körperverletzungen - wie im Streitfall - uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (st. Rspr.: vgl. Senatsurteile vom 11. Juni 1963 - [X.], [X.], 1048, 1049; vom 8. Juli 1980 - [X.], [X.], 975 f.; vom 24. Mai 1988 - [X.], [X.], 929 f.; vom 7. Februar 1995 - [X.], [X.], 471, 472; vom 20. März 2001 - [X.], aaO; vom 20. Januar 2004 - [X.], [X.], 1334 und vom 14. Februar 2006 - [X.], [X.], 1090 Rn. 7, jeweils mwN). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des [X.] zu bemessen (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 2006 - [X.], aaO mwN). Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Folge nicht umfasst und können deshalb die Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld sein (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 2006 - [X.], aaO mwN).

9

b) Solche Spätfolgen macht der Kläger im Streitfall jedoch nicht geltend. Er ist vielmehr lediglich der Auffassung, dass ihm das Amtsgericht (Strafrichter) im Adhäsionsverfahren ein zu geringes Schmerzensgeld zuerkannt hat. Damit kann er jedoch im vorliegenden Rechtsstreit kein Gehör finden. Denn an einer erneuten Beurteilung dieser Frage ist das Zivilgericht aufgrund der Rechtskraft des im Adhäsionsverfahren ergangenen Urteils gehindert (vgl. Senatsurteil vom 24. Mai 1988 - [X.], aaO, 930 mwN; [X.]/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. vor § 322 Rn. 49 mwN). Der Kläger hat ausweislich der Feststellungen des Berufungsgerichts im Adhäsionsverfahren einen unbestimmten Antrag auf Verurteilung zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gestellt. Hierüber hat der Strafrichter uneingeschränkt entschieden.

c) Wie bereits ausgeführt kann nach § 406 Abs. 3 Satz 3 StPO ein Anspruch nur anderweit geltend gemacht werden, soweit er im Adhäsionsverfahren nicht zuerkannt worden ist. In diesem Fall muss das Strafgericht von einer Entscheidung absehen (§ 406 Abs. 1 Satz 3). Dies ist im Streitfall hinsichtlich des Antrags auf Verurteilung zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nicht erfolgt. Da der Kläger im Strafverfahren nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lediglich einen unbezifferten Antrag auf Zuerkennung eines angemessenen Schmerzensgeldes gestellt, also weder einen die zuerkannten 1.500 € übersteigenden Mindestbetrag noch eine den zuerkannten Betrag übersteigende Größenordnung angegeben hatte, bestand für den Strafrichter keine Veranlassung, von einer diesbezüglichen Entscheidung teilweise abzusehen (vgl. § 406 Abs. 1 Sätze 3 und 6 StPO) und dem Kläger damit die Möglichkeit zu eröffnen, den nicht entschiedenen Teil gemäß § 406 Abs. 3 Satz 3 StPO weiter zu verfolgen (vgl. [X.], Urteil vom 13. Mai 2003 - 1 [X.], [X.], 565, 566).

d) Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass die Strafkammer des [X.] aufgrund eines vermeintlichen "Deals" von einer Entscheidung über den Feststellungsantrag des [X.] hinsichtlich des weiteren immateriellen Schadens abgesehen hat. [X.] ist dadurch lediglich eine Entscheidung über Spätfolgen, die im Adhäsionsverfahren noch nicht voraussehbar waren. Solche Spätfolgen macht der Kläger - wie oben bereits ausgeführt - im Streitfall aber gar nicht geltend.

[X.]                         [X.]

             von [X.]

Meta

VI ZR 27/14

20.01.2015

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Wuppertal, 18. Dezember 2013, Az: 8 S 43/13

§ 322 ZPO, § 406 Abs 3 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.01.2015, Az. VI ZR 27/14 (REWIS RS 2015, 16908)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 1252 REWIS RS 2015, 16908

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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