Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.12.2019, Az. 2 StR 512/19

2. Strafsenat | REWIS RS 2019, 236

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Gegenstand

Strafzumessung: Umfang des Doppelverwertungsverbotes bei Zusammentreffen von Strafmilderungsgründen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Juli 2019 im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen 1 und 4 der Urteilsgründe und im [X.] aufgehoben; die Feststellungen bleiben bestehen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung, wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit versuchter Körperverletzung, wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln sowie wegen Betruges zu drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

2

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

3

1. Die Strafzumessung in den Fällen 1 und 4 der Urteilsgründe erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Die Einzelstrafen in diesen Fällen können keinen Bestand haben.

4

a) Das [X.] hat nicht beachtet, dass das Verbot der Doppelverwertung gemäß § 50 StGB nur für die Strafrahmenbestimmung gilt.

5

aa) Zu Fall 1 der Urteilsgründe nimmt die [X.] einen minder schweren Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB an, wobei „ausdrücklich das Vorliegen der verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB und der Umstand, dass die Tat im Versuchsstadium nach §§ 22, 23 Abs. 1 StGB stecken geblieben ist, zur Bejahung eines minder schweren Falles heranzuziehen war“. Eine weitere Milderung „nach § 21, § 23 Abs. 2, 46, 49 StGB“ komme im Hinblick auf § 50 StGB nicht mehr in Betracht, da diese Milderungsgründe bereits verbraucht seien „und auch im Rahmen der weiteren Strafzumessung im engeren Sinne keine Berücksichtigung mehr finden“ könnten.

6

Dies ist insoweit rechtsfehlerhaft, als für die konkrete Strafzumessung eine Gesamtbetrachtung aller Umstände geboten ist, darunter auch diejenigen, die eine Strafrahmenmilderung bewirkt haben; diese sind mit verringertem Gewicht in die Gesamtwürdigung einzustellen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 4. Februar 2014 – 3 [X.]; Senat, Beschluss vom 9. Dezember 1992 – 2 [X.] Rn. 5 f.; MüKo-StGB/[X.], 3. Aufl., § 50 Rn. 13, 14; [X.]/[X.]/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 50 Rn. 4 mwN; SSW/Eschelbach, StGB, 4. Aufl., § 50 Rn. 17). Wenn in einzelnen Entscheidungen darauf hingewiesen wird, der vertypte [X.] "als solcher" dürfe bei der Strafzumessung im engeren Sinne nicht berücksichtigt werden ([X.], Beschluss vom 27. Juli 1987 – 3 [X.]; Senat, Urteil vom 6. September 1989 – 2 [X.], NJW 1989, 3230), so ist damit nicht gemeint, dass ein bestimmter [X.] verbraucht sei, sondern lediglich klargestellt, dass das abstrakt-rechtliche Wertungsergebnis als solches, das die gesetzliche Grundlage für die Strafrahmenmilderung bietet, selbst keinen strafzumessungserheblichen Umstand darstellt. Hingegen ist die Tatsache, dass der Angeklagte nur vermindert schuldfähig war, für die Bewertung der relevanten Strafzumessungstatsachen regelmäßig von wesentlicher Bedeutung und wirkt dann bei der Strafzumessung in engerem Sinne strafmildernd (Senat, Beschluss vom 9. Dezember 1992 – 2 [X.] Rn. 6).

7

bb) Gleiches gilt für die Strafzumessung zu Fall 4 der Urteilsgründe. Die [X.] hat einen besonders schweren Fall im Sinne des § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB trotz des Umstands, dass der Angeklagte bei der Tat ein Messer bei sich führte, mit der Erwägung verneint, dass der Angeklagte im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte. Ob die Verneinung eines besonders schweren Falles unter Berufung auf einen vertypten [X.] die Anwendung des § 50 StGB ohne weiteres nach sich zieht, weil – wie die [X.] meint – der gesetzlich vorgesehene [X.] bereits „verbraucht“ sei, bedarf keiner Entscheidung (vgl. Senat, Beschluss vom 11. September 2003 – 2 [X.], [X.], 200, 201; [X.], [X.] 2015, 339 jeweils mwN). Die konkrete Strafzumessung, bei der zugunsten des Angeklagten lediglich berücksichtigt wurde, dass die Widerstandshandlung von vergleichsweise geringer Intensität war, lässt besorgen, dass die [X.] (wiederum in Verkennung der Reichweite des § 50 StGB) Umstände, die eine Strafrahmenmilderung bewirkt haben, außer Betracht gelassen hat.

8

b) Die [X.] in den Fällen 1 und 4 der Urteilsgründe können auch deswegen keinen Bestand haben, weil die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, dass sich das [X.] des Umstands bewusst war, dass in Fällen, in denen aufgrund besonderer Umstände – etwa verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB – sowohl eine Strafrahmenverschiebung als auch die Annahme eines minder schweren Falls möglich ist, zwei unterschiedliche Strafrahmen zur Wahl stehen, von denen einer für den Angeklagten günstiger sein kann (vgl. [X.], Beschluss vom 11. August 1987 – 3 [X.], [X.], 385; MüKo-StGB/[X.], aaO, § 50 Rn. 15). Zwar ist das Tatgericht nicht verpflichtet, den jeweils für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen zugrunde zu legen. Welchen Strafrahmen es wählt, unterliegt seiner pflichtgemäßen Entscheidung auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommenden Umstände, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Juni 2015 – 5 [X.]; Urteile vom 3. Mai 1966 – 5 [X.], [X.]St 21, 57, 59; vom 19. Januar 1982 – 1 [X.], [X.], 200; [X.]/[X.]/Kinzig, aaO § 50 Rn. 2 mwN). Die Urteilsgründe müssen aber belegen, dass das Gericht die unterschiedlichen Möglichkeiten erkannt und geprüft hat [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 933, 1113 mwN). Ist – wie hier in Fall 4 der Urteilsgründe – ein Regelbeispiel eines besonders schweren Falls gegeben, bedarf es einer Gesamtabwägung aller unter dem Aspekt des gerechten Schuldausgleichs erheblichen Umstände zur Prüfung, ob es beim Strafrahmen des besonders schweren Falles bleibt, ob der Normalrahmen oder – bei vertypten [X.] – der nach § 49 StGB gemilderte Rahmen des besonders schweren Falles Anwendung finden soll [X.]/[X.]/[X.], aaO Rn. 1143 f. mwN).

9

2. Der Wegfall der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Vom Rechtsfehler nicht betroffen sind die auch ansonsten rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen; sie können bestehen bleiben. Der Wegfall zweier Einzelstrafen lässt auch die Unterbringungsentscheidung unberührt.

3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, bei einer neu zu bildenden Gesamtstrafe eine mögliche Zäsurwirkung der Verurteilung des Angeklagten durch den Strafbefehl des [X.] vom 20. November 2018 in den Blick zu nehmen (die Taten der Fälle 3, 4 und 5 der Urteilsgründe sind vor dem 20. November 2018 begangen), dessen Vollstreckungsstand das angefochtene Urteil allerdings nicht mitteilt. Er wird dabei gegebenenfalls das verfahrensrechtliche Verbot der reformatio in peius aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu beachten haben, das zur Folge hat, dass dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB etwa erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden darf (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Juni 2016 – 4 [X.], [X.], 275, 276 mwN; vom 14. September 2016 – 5 [X.]).

[X.]     

      

Eschelbach     

      

Meyberg

      

Grube     

      

[X.]     

      

Meta

2 StR 512/19

18.12.2019

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 18. Juli 2019, Az: 65 KLs 7/19

§ 21 StGB, § 22 StGB, § 23 Abs 2 StGB, § 46 StGB, § 49 StGB, § 50 StGB, § 113 Abs 2 S 2 Nr 1 StGB, § 250 Abs 3 StGB, § 255 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.12.2019, Az. 2 StR 512/19 (REWIS RS 2019, 236)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 236

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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