Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.12.2011, Az. X B 138/10

10. Senat | REWIS RS 2011, 365

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Gegenstand

Entscheidungserheblichkeit bei kumulativer Begründung - Sachaufklärungspflicht des Gerichts


Leitsatz

NV: Wird ein Urteil kumulativ auf mehrere Begründungen gestützt, die jede für sich das Entscheidungsergebnis tragen, kommt eine Zulassung der Revision nur dann in Betracht, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungsstränge ein Zulassungsgrund schlüssig geltend gemacht wird und vorliegt.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) benannten Gründe für eine [X.]ulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) liegen nicht vor.

2

1. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] ([X.]) erfordert. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn das Finanzgericht ([X.]) mit einem das angegriffene Urteil tragenden und entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz einer anderen Gerichtsentscheidung abgewichen ist.

3

a) Ein Rechtssatz ist dann nicht entscheidungserheblich, wenn das Urteil kumulativ auf mehrere Begründungen gestützt ist, die jede für sich nach Auffassung des [X.] das Entscheidungsergebnis tragen. Eine [X.]ulassung der Revision kommt dann nur in Betracht, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungsstränge ein [X.]ulassungsgrund (schlüssig) geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. April 2008 [X.]/07, [X.]/NV 2008, 1345; vom 5. Oktober 2010 [X.]/10, [X.]/NV 2011, 273, und vom 13. Juli 2011 [X.]/10, [X.]/NV 2011, 2075; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 28 sowie § 115 Rz 60, m.w.N.).

4

b) Nach diesen Maßstäben kommt im vorliegenden Fall eine [X.]ulassung der Revision wegen Divergenz nicht in Betracht. Das [X.] hat seine Entscheidung auf zwei Begründungen gestützt. [X.]um einen führt es unter Bezugnahme auf die [X.]-Urteile vom 24. Juni 2004 [X.]/01 ([X.]E 206, 551, [X.], 80) und vom 27. Juni 2006 [X.]/04 ([X.]/NV 2006, 2225) aus, dass die [X.] nicht bis zum 31. Dezember 2002 wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks [X.] (Grundstück) gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung geworden und damit eine Anschaffung im Sinne des § 6b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfolgt sei. Wirtschaftlicher Eigentümer sei derjenige, der die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübe, dass er den Eigentümer für den Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von den Einwirkungen auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen könne. Diese Möglichkeit habe die [X.] bis zum 31. Dezember 2002 nicht gehabt. Die formunwirksame Einigung im Dezember 2002 vermittele der [X.] keine entsprechende dem Vollrecht angenäherte Position oder Anwartschaft.

5

In diesem Erfordernis des Ausschlusses des bisherigen Eigentümers sehen die Kläger einen Widerspruch zum Urteil des [X.] vom 13. Oktober 1972 [X.] ([X.]E 107, 418, [X.] 1973, 209). In dem dortigen Fall reichte es für die Überführung eines Grundstücks aus dem Gesamthandsvermögen einer OHG in das Bruchteilseigentum der Gesellschafter aus, dass die Parteien [X.] der fehlenden erforderlichen notariellen [X.] die von ihnen vereinbarten Wirkungen des [X.] hatten eintreten lassen.

6

Die Kläger übersehen aber, dass das [X.] in einer zusätzlichen Begründung auf S. 12 und 13 seiner Entscheidungsgründe ausgeführt hat, es komme im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis, selbst, wenn es davon ausginge, dass wirtschaftliches Eigentum dann begründet worden sei, wenn die Vertragsparteien die in einem formunwirksamen Vertrag getroffenen Vereinbarungen --unabhängig von der vertraglichen Gestaltung-- tatsächlich durchführten. Die Parteien hätten nämlich die Rechtswirkungen der Vereinbarungen aus dem Dezember 2002 gerade nicht unabhängig von dem Kaufvertrag eintreten lassen, da insbesondere der Kaufpreis als wesentliche Gegenleistung noch nicht entrichtet worden sei. Auch stelle sich die Nutzung des Grundstücks durch A und die B-GmbH nicht als Vollzug der Vereinbarungen aus dem Dezember 2002 dar, sondern diese seien bereits vorher mit dem Insolvenzverwalter abgestimmt gewesen.

7

Mit dieser Begründung wendet das [X.] die Grundsätze des von den Klägern zitierten [X.]-Urteils in [X.]E 107, 418, [X.] 1973, 209 an, kommt jedoch im Streitfall mit einer nachvollziehbaren Begründung zu einem anderen Ergebnis. Eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O liegt aber nicht vor, wenn das [X.] erkennbar von den in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten und auch den (mutmaßlichen) Divergenzentscheidungen zugrunde liegenden Rechtsgrundsätzen ausgeht, unabhängig davon, ob es sie zutreffend auf die Besonderheiten des Streitfalls angewendet hat (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 [X.]/09, [X.]/NV 2010, 600).

8

c) Es liegt ebenfalls keine Abweichung zum Urteil des [X.] vom 29. Januar 2003 [X.]/00 ([X.]E 202, 57, [X.] 2003, 565) vor, da das angefochtene [X.]-Urteil und die (vorgebliche) Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein müssen (Senatsbeschluss vom 17. März 2010 [X.]/09, [X.]/NV 2010, 1291).

9

In dem Urteil in [X.]E 202, 57, [X.] 2003, 565 war die Frage zu beantworten, wann eine Anschaffung vorliegt, wenn ein formgültiger Vertrag abgeschlossen worden ist und erst danach Besitz, Nutzen und Lasten übergehen. Der [X.] hat dazu ausgeführt, weder der Abschluss des schuldrechtlichen Kaufvertrages noch die Auflassung nach §§ 873, 925 des Bürgerlichen Gesetzbuchs führten als solche zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, maßgebend sei allein, wann der Erwerber nach dem Willen beider Vertragsparteien wirtschaftlich über das Wirtschaftsgut verfügen könne.

Das [X.] hatte im Streitfall dagegen die Frage zu beantworten, ob trotz fehlender Formwirksamkeit des Vertrages die vertragschließenden Parteien die von ihnen vereinbarten Wirkungen ihres (unwirksamen) Vertrages eintreten ließen (siehe [X.]-Urteil vom 17. Februar 2004 [X.], [X.]E 205, 204, [X.] 2004, 651). Unter Bezugnahme auf die [X.] Rechtsprechung hat das [X.] diese Frage mit vertretbaren Argumenten (siehe oben unter 1.b) abgelehnt.

2. Die von den Klägern gerügten gravierenden Rechtsanwendungsfehler, die ebenfalls zur [X.]ulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O führen könnten, liegen nicht vor. Voraussetzung ist dabei das Vorliegen besonders schwerwiegender Fehler des [X.] bei der Auslegung revisiblen Rechts, die geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. In diesem Sinne greifbar gesetzwidrig ist eine Entscheidung dann, wenn sie objektiv willkürlich und unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (ständige [X.]-Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 17. August 2011 [X.]/10, [X.]/NV 2011, 2083, m.w.N.).

a) Die Kläger sind der Auffassung, die Einkommensteuer für das Streitjahr 2002 habe durch den Einkommensteuerbescheid vom 28. Oktober 2004 nicht mehr geändert werden dürfen. In dem bestandskräftigen Feststellungsbescheid für die [X.] über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vom 23. Juli 2004 seien die Erklärungen der Feststellungsbeteiligten über die Entstehung der [X.] am 4. Oktober 2002 sowie die Ergänzungsbilanz des Klägers zum 31. Dezember 2002 und die darin erfolgte Rücklagenübertragung gemäß § 6b EStG vollständig anerkannt worden. Das [X.] habe die Bindungswirkung des bestandskräftigen Bescheides in offensichtlich rechtsfehlerhafter Weise übergangen.

b) Mit diesem Vorbringen wird jedoch kein Fehler von erheblichem Gewicht geltend gemacht, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Dem Feststellungsbescheid vom 23. Juli 2004 ist --entgegen der Auffassung der [X.] eben nicht zu entnehmen, dass eine Rücklage gemäß § 6b EStG übertragen worden ist; in ihm wurden nur die von der Ergänzungsbilanz unabhängigen Verluste aus dem Gewerbebetrieb festgestellt und aufgeteilt. Da in der Ergänzungsbilanz aber keine Absetzung für Abnutzung (AfA) für das Gebäude geltend gemacht wurde (vgl. zur Pflicht zur Vornahme einer [X.]/[X.], EStG, 30. Aufl., § 7 Rz 6), konnte sie zwangsläufig keine numerische Auswirkung auf den Feststellungsbescheid haben. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass in dem Feststellungsbescheid die Rücklagenübertragung von dem Finanzamt anerkannt worden sei. Dass das [X.] insoweit dem Feststellungsbescheid keine Bedeutung [X.] hat, ist zumindest gut vertretbar. Es liegt darin kein offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht i.S. einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung.

c) Ein schwerwiegender materieller Fehler liegt auch nicht darin, dass in dem [X.] vom 26. November 2003 das Grundstück der [X.] zum 1. Januar 2003 zugerechnet wurde. Dieser Bescheid ist weder ein Grundlagenbescheid für den Feststellungsbescheid für 2002 noch für den Einkommensteuerbescheid 2002.

3. Die von den Klägern geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

a) Die Kläger sind der Auffassung, das [X.] hätte von sich aus prüfen oder ermitteln müssen, ob eine Berücksichtigung der Übertragung der Rücklage gemäß § 6b EStG bei der [X.] der Mitunternehmerschaft erfolgt sei. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung hat keinen Erfolg.

Die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 [X.]O erfordert, dass das [X.] Tatsachen und Beweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls hätten aufdrängen müssen. Es darf substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen. Da die Sachaufklärungspflicht dazu dient, die Spruchreife der Klage herbeizuführen, hat das Gericht jedoch nur das aufzuklären, was aus seiner (materiell-rechtlichen) Sicht entscheidungserheblich ist ([X.]-Beschluss vom 23. September 2009 [X.]/08, [X.]/NV 2010, 52, m.w.N.).

Das [X.] war der Auffassung, weder das rechtliche noch das wirtschaftliche Eigentum an dem Grundstück sei im [X.] auf die [X.] übergegangen. Dem Feststellungsbescheid für das [X.] war nicht Gegenteiliges zu entnehmen (siehe oben). Warum sich dem [X.] eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen, ist nicht ersichtlich.

b) Aus demselben Grund war das [X.] auch nicht verpflichtet, das Verfahren auszusetzen. Es lag ein bestandskräftiger Feststellungsbescheid für das [X.] vor. Diesem fehlte jedoch eine verbindliche Aussage, dass die Rücklage gemäß § 6b EStG übertragen worden sei. Ein weiteres Feststellungsverfahren war nicht abzuwarten. Ein Feststellungsbescheid mit der verbindlichen Aussage über eine Rücklagenübertragung konnte nicht mehr erlassen werden, da der Feststellungsbescheid vom 23. Juli 2004 bereits bestandskräftig war.

Meta

X B 138/10

15.12.2011

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 26. Mai 2010, Az: 13 K 4404/05 E, Urteil

§ 115 Abs 2 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 76 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.12.2011, Az. X B 138/10 (REWIS RS 2011, 365)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 365

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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