Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.11.2010, Az. 1 StR 574/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2010, 959

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Gegenstand

Unerlaubter Waffenbesitz: Konkurrenz bei gleichzeitiger Ausübung der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen an verschiedenen Orten


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Juli 2010, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sechs tatmehrheitlich begangener Waffendelikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); einer Erörterung der Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.

2

Das angefochtene Urteil weist durchgreifende materiell-rechtliche Fehler auf, so dass es insgesamt keinen Bestand hat:

3

1. Soweit das [X.] den Angeklagten im Fall [X.] der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen unerlaubten [X.] einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe an einen Nichtberechtigten gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 7 [X.] verurteilt hat, hält der Schuldspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4

a) Nach den Feststellungen des [X.]s verkaufte der Angeklagte im Februar 2009 einen Revolver, den er im Oktober 2008 in [X.] erworben und nach [X.] verbracht hatte (Fall [X.] 2.), an eine Vertrauensperson der Polizei. Entgegen der Annahme des [X.]s erfüllt ein solches „Scheingeschäft“ nicht den Tatbestand des „[X.]“ im Sinne des § 52 Abs. 3 Nr. 7 [X.], da das von dieser Vorschrift geschützte Rechtsgut, nämlich zu verhindern, dass Waffen unter Missachtung der waffenrechtlichen Vorschriften in Umlauf kommen bzw. bleiben, in einer solchen Fallgestaltung nicht gefährdet wird ([X.], Beschluss vom 5. Mai 2009 - 1 StR 737/08, [X.], 456, 457). Insoweit fehlt es im vorliegenden Fall an einer Tatvollendung. Der Versuch ist nicht strafbar. Die [X.] gemäß § 52 Abs. 2 [X.] bezieht sich, was sich aus der systematischen Stellung dieser Vorschrift ergibt, ausschließlich auf Delikte nach § 52 Abs. 1 [X.], nicht aber auf solche des § 52 Abs. 3 [X.] (MüKo-[X.], [X.], § 52 Rn. 116; vgl. auch [X.] aaO).

5

b) Ob sich der Angeklagte aufgrund dieses Tatgeschehens wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Schusswaffen gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2c [X.] strafbar gemacht hat, vermag der Senat aufgrund der unzureichenden Feststellungen des [X.]s nicht zu beurteilen.

6

Allein der Umstand, dass es sich bei dem Waffengeschäft um ein Scheingeschäft mit einer Vertrauensperson der Polizei gehandelt hat, steht hier einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Schusswaffen nicht entgegen. Handeltreiben stellt auch im Waffenrecht kein [X.] dar. Deshalb ist es für die Tatvollendung rechtlich unerheblich, ob der durch das Handeltreiben erstrebte Umsatz im Einzelfall überhaupt möglich oder - wie hier - undurchführbar war, weil die zum Schein als Käufer auftretende Vertrauensperson der Polizei diesen Umsatz durch ihren Einsatz gerade verhindern wollte (zur vergleichbaren Fallkonstellation im Betäubungsmittelstrafrecht vgl. [X.], Urteil vom 25. März 1981 - 3 [X.], [X.] 1981, 257 mwN).

7

Eine Schuldspruchänderung durch den Senat kommt hier nicht in Betracht, da es - abgesehen von der Frage der Vereinbarkeit einer solchen Schuldspruchänderung mit § 265 StPO - hinsichtlich der für die Tatbestandsverwirklichung zusätzlich erforderlichen Gewerbsmäßigkeit (vgl. Anlage 1 Abschnitt 2 Nr. 9 zu § 1 Abs. 4 [X.]) an entsprechenden eindeutigen Feststellungen fehlt. Auch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe lässt sich eine Gewerbsmäßigkeit nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, auch wenn die Feststellungen insbesondere im Hinblick auf die Größe des [X.]s sowie auf den Umstand, dass der Angeklagte wenige Wochen nach dem Revolver auch noch eine weitere Waffe, nämlich eine Maschinenpistole, an die Vertrauensperson verkauft hat (Fall [X.] 4.), eine solche Annahme nahe legen. Falls der Verkauf des Revolvers an die Vertrauensperson den Tatbestand des Handeltreibens erfüllen würde, käme in diesem Fall zudem die Annahme einer Tateinheit mit dem Erwerb des Revolvers und dessen Verbringen nach [X.] im Fall [X.] 2. der Urteilsgründe in Betracht. Dies setzt allerdings voraus, dass der Angeklagte schon beim Erwerb des Revolvers den Entschluss gefasst hätte, diesen weiterzuverkaufen. Tateinheit wäre allenfalls dann ausgeschlossen, wenn sich der Angeklagte erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund eines neuen Tatentschlusses zum Verkauf des Revolvers entschieden hätte (vgl. [X.], Urteil vom 16. März 1989 - 4 StR 60/89, [X.]St 36, 151, 153; [X.], Beschluss vom 13. Januar 2009 - 3 StR 543/08; [X.]/[X.]/ [X.], Waffenrecht, 9. Aufl., [X.] § 52 Rn. 70d). Welche Vorstellungen sich der Angeklagte beim Erwerb des Revolvers gemacht hat, ob er ihn für sich behalten oder weiterverkaufen wollte, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

8

2. Auch die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten durch das [X.] hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9

a) Rechtsfehlerhaft ist die Verurteilung wegen zweier selbständiger Taten in den Fällen [X.] und [X.] 7. der Urteilsgründe.

Nach den Feststellungen des [X.]s wurden bei einer polizeilichen Durchsuchung am 9. Juli 2009 unter anderem mehrere Schusswaffen, darunter ein Revolver und ein Gewehr, eine halbautomatische Kurzwaffe, ein Griffstück einer Maschinenpistole, ein Schnellfeuergewehr [X.] sowie Magazine und Munition sichergestellt. Ein Teil der Waffen (Revolver, Gewehr) und Munition wurden in der Wohnung des Angeklagten aufgefunden (Fall [X.]), der Rest wurde in dem bereits erwähnten [X.] sichergestellt, das sich auf dem Gartengrundstück befand, das der Angeklagte gemeinsam mit dem gesondert verfolgten [X.] gepachtet hatte (Fall [X.] 7.). Der Angeklagte hatte nicht nur bei dem Ausheben des Depots geholfen, er hatte auch Kenntnis von den dort versteckten Waffen und einen ungehinderten Zugang zu diesen. Das [X.] hat zwar diese einzelnen Verstöße gegen das [X.] bzw. das [X.] rechtlich zutreffend gewertet. Seine Annahme, diese Zuwiderhandlungen stünden in [X.] zueinander, begegnet jedoch rechtlichen Bedenken. Es ist vielmehr von Tateinheit auszugehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] hat das gleichzeitige Ausüben der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen, auch wenn diese nicht unter dieselben Strafbestimmungen fallen, zur Folge, dass die verschiedenartigen Verstöße gegen das [X.] bzw. das [X.] tateinheitlich zusammentreffen ([X.], Beschluss vom 14. Januar 2003 - 1 [X.], [X.]-RR 2003, 124; [X.], Beschluss vom 13. Januar 2009 - 3 StR 543/08 mwN; [X.], Beschluss vom 16. Dezember 1998 - 2 StR 536/98 mwN). Dies gilt selbst dann, wenn diese Waffen - wie im vorliegenden Fall - an unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden ([X.], Beschluss vom 28. März 1990 - 2 StR 22/90, [X.]R [X.] § 53 Abs. 3a Konkurrenzen 1; [X.], Beschluss vom 10. März 1993 - 2 StR 4/93, [X.]R [X.] § 53 Abs. 3a Konkurrenzen 2; [X.]/[X.]/[X.] aaO Rn. 70c).

b) Weiter ist das Konkurrenzverhältnis zwischen den Zuwiderhandlungen im Fall [X.] 6. und den Verstößen hinsichtlich des Tatgeschehens in den Fällen [X.] und [X.] 7. vom [X.] rechtlich fehlerhaft als tatmehrheitlich bewertet worden.

Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte am 26. April 2009 auf einer Waffenmesse in [X.] einen weiteren Revolver, den er nach [X.] verbrachte (Fall [X.] 6.) und in seiner Wohnung aufbewahrte, wo er am 9. Juli 2009 zusammen mit einem Gewehr und Munition von der Polizei sichergestellt wurde. Damit stehen das Verbringen des Revolvers nach [X.] und das gleichzeitige Ausüben der tatsächlichen Gewalt über diesen sowie über die weiteren in seiner Wohnung und in dem [X.] auf dem Gartengrundstück gelagerten Waffen nebst Munition (Fälle [X.] und 7., vgl. auch oben unter 2.) bis zu deren Sicherstellung durch die Polizei entgegen der Annahme des [X.]s ebenfalls in Tateinheit zueinander ([X.], Beschluss vom 12. Dezember 1997 - 3 [X.] mwN). In weiterer Tateinheit hierzu könnte auch ein unerlaubtes Handeltreiben mit Schusswaffen gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2c [X.] stehen, wenn der Angeklagte schon beim Erwerb des Revolvers vorgehabt hätte, diesen im Wege gewerbsmäßigen Handelns in [X.] zu verkaufen (vgl. oben unter 1. b). Ob der Angeklagte - was angesichts der beiden von der [X.] festgestellten vorangegangenen [X.] (Fall [X.] und 4.) nahe liegt - mit einer entsprechenden Vorstellung gehandelt hat, ist aus den Urteilsgründen nicht hinreichend ersichtlich.

c) Das [X.] hat schließlich rechtsfehlerhaft nicht erörtert, ob hier möglicherweise sämtliche Taten oder zumindest ein großer Teil von ihnen durch die andauernde Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Waffen im Wege der Verklammerung tateinheitlich verbunden sind. Hierfür könnte sprechen, dass der Angeklagte nach seiner im Urteil wiedergegebenen geständigen Einlassung in der Hauptverhandlung angegeben hat, dass das auf dem Gartengrundstück befindliche [X.] bereits „[X.] oder Anfang 2009“ eingerichtet worden sei. Bei der Einrichtung habe er, der Angeklagte, gesehen, welche „Gegenstände“ dort versteckt worden seien. Aufgrund der Einlassung des Angeklagten besteht daher die nahe liegende Möglichkeit, dass die Errichtung des Depots und dessen Bestückung mit Waffen zeitlich mit der ersten vom [X.] abgeurteilten Tat des Angeklagten, dem Verbringen des Revolvers von [X.] nach [X.] im Oktober 2008, zusammenfällt. In diesem Fall kann der Besitz und Erwerb sämtlicher vom Angeklagten seit der Errichtung und Bestückung des [X.]s angesammelter Schusswaffen und Munition, losgelöst von deren waffenrechtlicher Einordnung, zu einer tateinheitlichen waffenrechtlichen Dauerstraftat verbunden sein, deren Bindeglied der zeitgleiche Besitz der vielen Waffen bildet ([X.], Beschluss vom 13. März 1997 - 1 StR 800/96, [X.] 1997, 446 mwN; [X.], Beschluss vom 16. Dezember 1998 - 2 StR 536/98). Weder die kurze Dauer des Besitzes (Fall [X.] 4.) noch die Aufbewahrung der Waffen an unterschiedlichen Orten lässt dabei den sachlich-rechtlichen Zusammenhang entfallen (vgl. oben 2.; [X.], Beschluss vom 13. März 1997 - 1 StR 800/96, [X.] 1997, 446 mwN; [X.], Beschluss vom 28. März 1990 - 2 StR 22/90, [X.]R [X.] § 53 Abs. 3a Konkurrenzen 1; [X.], Beschluss vom 10. März 1993 - 2 StR 4/93, [X.]R [X.] § 53 Abs. 3a Konkurrenzen 2). Angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Errichtung des [X.]s und den übrigen waffenrechtlichen Verstößen hätte sich das [X.] mit der Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte die Waffen, auf die sich die Taten bezogen, (zumindest teilweise) gleichzeitig in Besitz hatte.

d) Der Senat kann den Schuldspruch nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO insgesamt auf Tateinheit umstellen. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil hinsichtlich der Tat [X.] (i.V.m. der Tat [X.] 2.; vgl. oben unter 1. a) über den Schuldspruch neu zu befinden ist. Ungeachtet dessen setzt eine Schuldspruchänderung klare, erschöpfende und eindeutige Feststellungen voraus; sie ist dagegen nicht möglich, wenn eine neue Hauptverhandlung andere oder ergänzende Feststellungen erwarten lässt, oder wenn eine dem Tatrichter vorbehaltene Würdigung der Feststellungen erforderlich ist ([X.], Beschluss vom 25. Mai 2010 - 1 StR 59/10 mwN). Hier fehlt es an den entsprechenden Feststellungen. Aus den Urteilsgründen lässt sich schon nicht entnehmen, wann der Angeklagte bezüglich der in den Fällen [X.] und 7. sichergestellten Waffen - mit Ausnahme des in Fall [X.] 6. erworbenen Revolvers - und Munition jeweils Besitz begründet hat. Aus dem Urteil ergibt sich auch nicht, zu welchem Zeitpunkt das [X.] tatsächlich eingerichtet worden ist. Da es insoweit an einer tragfähigen Grundlage für die Entscheidung fehlt, ob sämtliche Taten aufgrund des möglicherweise gleichzeitigen Waffenbesitzes in Tateinheit miteinander verbunden sind, kommt eine Schuldspruchänderung vorliegend auch deshalb nicht in Betracht. Das Urteil ist vielmehr mit den Feststellungen aufzuheben, soweit dieser Angeklagte verurteilt wurde. Der Mitangeklagte, der wegen einer anderen Tat verurteilt wurde, hat keine Revision eingelegt.

Wahl     

Rothfuß     

     Hebenstreit

Elf     

Ri[X.] Dr. Graf ist wegen
Urlaubsabwesenheit an der
Unterschrift gehindert.

Wahl

Meta

1 StR 574/10

30.11.2010

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aschaffenburg, 5. Juli 2010, Az: KLs 110 Js 6967/09, Urteil

§ 52 StGB, § 52 Abs 1 Nr 1 WaffG, § 52 Abs 3 Nr 7 WaffG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.11.2010, Az. 1 StR 574/10 (REWIS RS 2010, 959)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 959

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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