Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.10.2019, Az. 4 StR 515/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 2343

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Beweiswürdigung in Strafsachen: Erörterungspflicht der Bedeutung einer geänderten Zeugenaussage


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und dem [X.]    am 13. Februar 2019 vor einer Flüchtlingsunterkunft in [X.]    zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte den Zeugen schubste und mit den Fäusten schlug. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass er dem Zeugen dadurch erhebliche Schmerzen zufügen würde. Als der Zeuge wegzulaufen versuchte, stürzte er und verlor dabei sein Handy, ohne dies zu bemerken. Der Angeklagte und ein hinzugekommener Bewohner rannten dem Zeugen schnell hinterher, wobei der Angeklagte möglicherweise erneut auf den gestürzten Zeugen einschlug. Schließlich konnte der Zeuge weglaufen. Das herausgefallene Handy nahm der Angeklagte an sich und verwendete es für sich.

3

Der Angeklagte hat bestritten, den [X.]    geschlagen zu haben. Die [X.] hat ihre Überzeugung „vom Tatablauf“ auf die Angaben des Zeugen Do.     gestützt, die „mit den ursprünglichen Angaben des Geschädigten M.   “ übereingestimmt hätten ([X.]). Die Feststellungen „zur Täterschaft“ des Angeklagten hat das [X.] „insbesondere“ aufgrund der Angaben des [X.]    in der Hauptverhandlung getroffen, der den Angeklagten wiedererkannt habe (UA 7).

4

2. Die Beweiswürdigung leidet an einem durchgreifenden Erörterungsmangel, weil nicht mitgeteilt wird, ob und wie sich der Zeuge M.    in der Hauptverhandlung zum Tatgeschehen geäußert hat und warum dies ohne Einfluss auf das Beweisergebnis geblieben ist.

5

a) Nach der Rechtsprechung müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. [X.], Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, [X.]St 44, 153, 159; [X.] in: [X.], 1. Aufl., § 261 Rn. 108 mwN). Stützt er seine Überzeugung auf die Bekundungen nur eines von mehreren vernommenen unmittelbaren Tatzeugen, hat er in der Regel darzulegen, welche Angaben die anderen Zeugen gemacht haben und warum diese die Überzeugungsbildung nicht beeinflussen (vgl. [X.], Beschluss vom 3. März 1995 - 2 StR 58/95, [X.], 340; Beschluss vom 10. August 1994 - 4 StR 274/94, [X.], 6, 7). Ändert ein Zeuge seine Angaben und folgt der Tatrichter seinen früheren Bekundungen, ist im Allgemeinen auch die geänderte Aussage mitzuteilen und erkennbar zu machen, warum dieser Änderung keine durchgreifende Bedeutung zukommt (vgl. [X.], Urteil vom 16. August 1989 - 2 StR 205/89, [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 5 - Darstellungsmangel).

6

b) Danach hätte die [X.] in den Urteilsgründen darlegen müssen, ob der Zeuge M.    in der Hauptverhandlung die Bekundungen des Zeugen Do.     zum Tatablauf ebenfalls bestätigt und seine hierzu gemachten Angaben gegenüber der Polizei aufrechterhalten hat oder hiervon abgewichen ist. Sollte Letzteres der Fall gewesen sein, was nach den Ausführungen im Urteil naheliegt, hätten sich hieran weitere klärende Erörterungen anschließen müssen. Offensichtlich hat sich der Zeuge auch zum Tatablauf geäußert, denn sonst ließe sich die Annahme des [X.]s, die Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten beruhten auf entsprechenden Bekundungen des [X.]    in der Hauptverhandlung, nicht erklären.

7

3. Auch die Strafzumessung weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Soweit ihm angelastet wird, er habe „sich durch eine kurz zuvor verbüßte längere Haftstrafe nicht abschrecken lassen“ ([X.] f.), findet sich dafür in den Urteilsgründen kein Beleg. Gegen den Angeklagten wurden zwar in den Jahren 2016 und 2017 Freiheitsstrafen verhängt; ob und wann diese vollstreckt wurden, ergeben die Feststellungen aber nicht. Auch für die zur Begründung der Versagung einer Bewährung herangezogene Erwägung, der Angeklagte habe „bislang keine der ihm eingeräumten [X.] zu nutzen“ vermocht ([X.]), findet sich in den Urteilsgründen keine Stütze. Bezüglich keiner der festgestellten Vorverurteilungen zu Freiheitsstrafen ist eine Strafaussetzung zur Bewährung festgestellt.

8

4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Feststellung gelangen, dass dem [X.]    das Handy unbemerkt aus der Tasche fiel, bevor es der Angeklagte aufnahm und sich zueignete, wird er zu prüfen haben, ob der Zeuge dadurch seinen Gewahrsam verloren hatte (vgl. dazu [X.], Urteil vom 10. Mai 1968 - 4 [X.], [X.] 1969, 25; [X.] in: [X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 28; [X.] in: [X.] StGB, 43. Edition, § 242 Rn. 17; [X.] in: [X.], 4. Aufl., § 242 Rn. 21; [X.] in: [X.] Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 66 mwN).

Sost-Scheible     

        

Bender     

        

Quentin

        

Feilcke     

        

Bartel     

        

Meta

4 StR 515/19

23.10.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 18. Juni 2019, Az: 52 KLs 10/19

§ 267 Abs 1 StPO, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.10.2019, Az. 4 StR 515/19 (REWIS RS 2019, 2343)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2343

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 515/19 (Bundesgerichtshof)


1 StR 329/17 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren u.a. wegen Verabredung zum besonders schweren Raub: Beweiswert mittelbar eingeführter Angaben einer Vertrauensperson der …


2 StR 19/13 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Abwesenheit des beurlaubten Angeklagten und seines Pflichtverteidigers während der Vernehmung eines Zeugen


1 StR 142/22 (Bundesgerichtshof)


6 StR 249/22 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Notwendige Urteilsfeststellungen zur Einlassung des Angeklagten sowie zu belastender Zeugenaussage


Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 515/19

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.