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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Schadensersatzprozess wegen Produkthaftung: Anforderungen an den Parteivortrag zu medizinischen Fragen
Stellen sich in einem Schadensersatzprozess wegen Produkthaftung medizinische Fragen, dürfen weder an den klagebegründenden Sachvortrag einer Partei noch an ihre Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten hohe Anforderungen gestellt werden.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des [X.] vom 18. Juni 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: bis 30.000 €
I.
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen behaupteter Fehlerhaftigkeit einer Hüftprothese geltend.
Der Klägerin wurde 2007 rechtsseitig eine [X.], deren Herstellerin die Beklagte ist, implantiert. Ab 2014 ließ sie regelmäßig Blutuntersuchungen zur Ermittlung der Chrom- und [X.] durchführen. Sie ist der Auffassung, die Prothese weise einen Produktfehler auf, weil sie zu einem ausgeprägten Metallabrieb führe; die zu erwartende Abriebmenge werde bei dem Produkt der Beklagten deutlich überschritten. Es müsse schon vor Ablauf der durchschnittlichen 15- bis 20-jährigen Standzeit einer Hüftendoprothese von der Notwendigkeit einer Revisionsoperation mit [X.] ausgegangen werden. Die Klägerin hat daher die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für (künftige) materielle und immaterielle Schäden beantragt.
Das [X.] hat die Klage nach Einholung eines toxikologischen Gutachtens der Sachverständigen [X.] abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das [X.] zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Hüftprothese könne nicht als fehlerhaft im Sinne von § 3 [X.] angesehen werden. Das [X.] sei auf der Grundlage der Ausführungen der Sachverständigen [X.] zu dem Schluss gekommen, dass die im Serum der Klägerin nachgewiesenen Metallbelastungen für Chrom und Kobalt unterhalb eines Referenzwertes für Endoprothesenträger lägen. Auch eine Metallose, die auf ungewöhnlich hohen Metallabrieb zurückgeführt werden könne, habe bei der Klägerin nicht festgestellt werden können. Dem Einwand der Klägerin in der Berufung, das Gericht habe weiteren Beweis durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens erheben müssen, da sich aus dem von der Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2019 eingereichten Attest des [X.] ergebe, dass "typische Symptome eines [X.]" bestünden, folge das Berufungsgericht nicht. Dass sich bei der Klägerin lokale Gewebeneubildungen als Reaktion auf ungewöhnlich hohe Metallpartikelbelastungen (Metallosen) gebildet hätten, sei schon nicht substantiiert behauptet worden. Auch das Attest des [X.] stelle lediglich fest, die Klägerin habe "immer wieder" rezidivierende typische Symptome eines [X.] mit Spannungsgefühlen, ohne näher darzulegen, worauf sich diese Feststellungen gründeten und wie sich diese Symptome konkret darstellten. Da die Sachverständige [X.] angesichts der weit außerhalb des Belastungswerts liegenden Metallkonzentration im Serum der Klägerin zu der Beurteilung gekommen sei, dass es an der Prothese der Klägerin nicht zu einem erhöhten Metallabrieb gekommen sei, bestehe kein Grund für die Annahme einer Metallose. Dies habe die Klägerin, wie ausgeführt, auch nicht substantiiert behauptet, etwa unter Darstellung eines entsprechenden [X.] oder eines sonstigen belastbaren Befundes. Daher habe das [X.] ungeachtet der Frage, ob das Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 28. Oktober 2019 rechtzeitig gewesen sei, ein orthopädisches Sachverständigengutachten nicht einholen müssen.
2. Mit diesen Ausführungen hat das [X.] offenkundig unrichtig überhöhte Anforderungen an die Substantiierungspflicht der Klägerin gestellt und damit deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
a) Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. [X.] 19, 32, 36; 49, 325, 328; 55, 1, 6; 60, 175, 210; 64, 135, 143 f.). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2018 - [X.], [X.], 1001 Rn. 8; [X.] 60, 1, 5; 65, 227, 234; 84, 188, 190; 86, 133, 144 ff.; [X.], NJW 2017, 3218 Rn. 47). Dabei darf das Gericht die Anforderungen an die Substantiierung des [X.]vortrags nicht überspannen. Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verstößt sie gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig ist (Senatsbeschlüsse vom 7. Juli 2020 - [X.], BeckRS 2020, 17823 Rn. 10; vom 2. Juli 2019 - [X.], [X.], 1385 Rn. 5 mwN).
b) Im [X.] dürfen an die Substantiierungspflicht des Patienten nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, weil vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann und er nicht verpflichtet ist, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen (st. Senatsrechtsprechung, vgl. nur Senatsbeschluss vom 12. März 2019 - [X.], [X.], 1450 Rn. 8 mwN). Dies gilt auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gutachten. Insbesondere ist die [X.] berechtigt, ihre Einwendungen gegen das Gutachten zunächst ohne sachverständige Hilfe vorzubringen (Senatsurteil vom 8. Juni 2004 - [X.], [X.], 245, 253, juris Rn. 27 mwN). Da diese Grundsätze auch außerhalb des [X.]es in Fallgestaltungen Anwendung finden, in denen ein Erfolg versprechender [X.]vortrag fachspezifische Fragen betrifft und besondere Sachkunde erfordert (Senatsurteil vom 18. Oktober 2005 - [X.], [X.], 330, 335, juris Rn. 15), gelten sie auch, wenn sich in einem Schadensersatzprozess wegen Produkthaftung medizinische Fragen stellen. Hat eine [X.] nur geringe Sachkunde, dürfen somit weder an ihren klagebegründenden Sachvortrag noch an ihre Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten hohe Anforderungen gestellt werden (Senatsurteil vom 18. Oktober 2005 - [X.], [X.], 330, 335, juris Rn. 15; [X.], Urteil vom 19. Februar 2003 - [X.], NJW 2003, 1400, juris Rn. 10). Die [X.] darf sich in diesem Fall auf den Vortrag von ihr zunächst nur vermuteter Tatsachen beschränken ([X.], Urteil vom 19. Februar 2003 - [X.], NJW 2003, 1400, juris Rn. 10).
c) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht hier offensichtlich verkannt, indem es den Vortrag der Klägerin zum Vorliegen eines [X.] als unsubstantiiert erachtet hat.
aa) Dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Gutachten der Sachverständigen [X.] zufolge sind Zeichen einer Metallose lokale Gewebereaktionen und -neubildungen wie z.B. solide Zellmassen und [X.] (Gutachten [X.], 6, 7). Bei der Klägerin lägen - so das Gutachten - Zeichen einer derartigen lokalen Gewebeneubildung nicht vor und daher könne eine Metallose "alleinig aufgrund der gemessenen Metall-Serumwerte toxikologisch nicht bestätigt werden" ([X.], 7).
Auf dieses Gutachten hin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2019 das ärztliche Attest des [X.] vorgelegt, wonach die Klägerin "immer wieder rezidivierende typische Symptome eines [X.] mit Spannungsgefühlen" habe. Hierzu hat die Klägerin, wie im Berufungsurteil festgestellt, vorgetragen, dass es möglich sei, dass der Körper Metalldepots bilde, die nicht in Blutuntersuchungen zu erkennen seien. Unter Verweis auf die laut ärztlichem Attest bestehenden typischen Symptome eines [X.] hat sie in einem weiteren Schriftsatz geltend gemacht, dass es unzulässig sei, bezüglich etwaiger orthopädischer Fragestellungen (ob ein Pseudotumor vorliege oder nicht) auf ein toxikologisches Gutachten abzustellen, weshalb Beweis durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens erhoben werden müsse. Damit hat die Klägerin geltend gemacht, dass bei ihr entgegen dem Gutachten der Sachverständigen [X.] durchaus Anzeichen für eine Metallose in Form von [X.]n vorlägen, auch wenn die Sachverständige diese aus toxikologischer Sicht nicht habe bestätigen können.
bb) Gemessen an den Anforderungen, die an den Vortrag der Klägerin zu medizinischen Vorgängen gestellt werden dürfen, war dieser Vortrag hinreichend substantiiert und verpflichtete das Gericht zur weiteren Sachaufklärung dazu, ob bei der Klägerin ein Pseudotumor vorliegt. Dies durfte nicht, wie geschehen, mit der Begründung verweigert werden, dass die Klägerin schon nicht substantiiert - etwa unter Darstellung eines entsprechenden [X.] oder eines sonstigen belastbaren Befundes - behauptet habe, dass sich bei ihr als Reaktion auf eine Metallose lokales Gewebe neu gebildet habe, und dass das Attest des [X.] nicht näher darlege, worauf sich seine Feststellungen gründeten und wie sich die dort erwähnten Symptome des [X.] konkret darstellten.
cc) Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass nach dem ärztlichen Bericht des [X.] in einer MRT-Untersuchung [X.] bei der Klägerin nicht festgestellt werden konnten, übergeht es, dass sich dieser Bericht auf eine MRT-Untersuchung aus dem Oktober 2014 stützt, die das aktuelle Vorliegen eines [X.] nicht ausschließen kann.
d) Die vom Berufungsgericht offen gelassene Frage der Rechtzeitigkeit des Vorbringens der Klägerin im Schriftsatz vom 28. Oktober 2019 führt schon deshalb zu keiner anderen Entscheidung, da dieses Vorbringen - ungeachtet der Frage, ob dies zulässig gewesen wäre - weder vom [X.] noch vom Berufungsgericht als verspätet zurückgewiesen worden ist.
3. Die neue Verhandlung gibt dem Berufungsgericht im Übrigen Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit dem weiteren Vorbringen der [X.]en im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen.
[X.] |
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Offenloch |
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Müller |
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Allgayer |
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Böhm |
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Berichtigungsbeschluss vom 15. März 2021
Der Beschluss des [X.]. Zivilsenats wird dahingehend berichtigt, dass es auf Seite 1 heißen muss:
Beschluss
vom
16. Februar 2021
[X.] |
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Offenloch |
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Müller |
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Allgayer |
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Böhm |
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Meta
16.02.2021
Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat
Beschluss
Sachgebiet: ZR
vorgehend OLG München, 18. Juni 2020, Az: 6 U 75/20
Art 103 Abs 1 GG, § 544 Abs 9 ZPO, § 3 ProdHaftG
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.02.2021, Az. VI ZR 1104/20 (REWIS RS 2021, 8698)
Papierfundstellen: MDR 2021, 678-679 REWIS RS 2021, 8698
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
VI ZR 157/18 (Bundesgerichtshof)
Gehörsverletzung bei der Feststellung eines Produktfehlers einer Hüftprothese
VI ZR 82/22 (Bundesgerichtshof)
Produkthaftung: Vorliegen eines Produktfehlers bei einem gebrochenen Keramikinlay einer Hüftendoprothese
VI ZR 140/17 (Bundesgerichtshof)
Arzthaftungsprozess: Unterlassene Berücksichtigung des durch eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift belegten Parteivortrags
VI ZR 295/20 (Bundesgerichtshof)
Arzthaftung wegen unzureichender Beratung einer Schwangeren: Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs und schwerwiegende Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes …
VI ZR 460/17 (Bundesgerichtshof)
Gehörsverletzung bei Nichtberücksichtigung des Parteivorbringens