BayObLG München, Entscheidung vom 17.10.2022, Az. 101 AR 80/22

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Gegenstand

Schadensersatzanspruch, Insolvenzverfahren, Gerichtsstand, Werbung, Auslegung, Unanfechtbarkeit, Verletzung, Insolvenzschuldnerin, Webseite, Bindungswirkung, Gerichtsstandsvereinbarung, Berichtigung, Verweisungsbeschluss, Vertrag, entgangener Gewinn, falsche Angaben, Verweisung des Rechtsstreits


Leitsatz

1.

Die Verletzung des in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Gebots stellt einen so schwerwiegenden Mangel des Verweisungsbeschlusses dar, dass ihm die Bindungswirkung im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO abzuerkennen ist.

2.

Einer Feststellung, dass die Verweisung bei ordnungsgemäßer Anhörung beider Parteien möglicherweise unterblieben wäre, bedarf es nicht. Kann jedoch nach den besonderen Umständen des Einzelfalls ausgeschlossen werden, dass der Verweisungsbeschluss auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht, steht der Gehörsverstoß der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ausnahmsweise nicht entgegen.

3.

Vereinbaren die Parteien als ausschließlichen Gerichtsstand den Ort, an dem eine Partei ihren Sitz hat, spricht dies im Rahmen der Auslegung dafür, dass das Gericht, in dessen Bezirk dieser Ort liegt, auch im Falle einer Sitzverlegung zuständig ist.

Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht Bamberg.

Entscheidungsgründe

I.

Mit ihrer - nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe - zum Landgericht Bamberg erhobenen Klage vom 12. April 2022 macht die Klägerin als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der … UG (haftungsbeschränkt) Schadensersatzansprüche geltend.

Zur Begründung trägt sie vor, die … UG (haftungsbeschränkt), über deren Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 27. Mai 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, habe sich gemäß dem als Anlage zur Klageschrift vorgelegten Projektvertrag vom 12. Mai 2017 verpflichtet, ein Vermarktungskonzept für Werbeflächen bzw. Werbemaßnahmen auf der Webseite der Beklagten zu erstellen. Dafür habe sie nach der im Vertrag getroffenen Provisionsvereinbarung an den Werbeeinnahmen beteiligt werden sollen. Um Werbung anzeigen zu können, sei erforderlich, dass der Betreiber der Webseite einen sogenannten „Ad Tag“ setze. Ein Ad Tag sei ein Code, der an dem Quellcode der Webseite eingesetzt werde, um bei Aufrufen der Webseite eine Verbindung zum AdServer herzustellen, der für die Verwaltung, Auslieferung und das Tracking von OnlineWerbemitteln eingesetzt werde. Die Beklagte habe jedoch eine Implementierung dieser „Ad-Server-Tags“ nicht vorgenommen, sodass die eigentlich möglichen Werbeeinnahmen nicht hätten erzielt werden können. Außerdem habe die Beklagte gegenüber der Insolvenzschuldnerin und weiteren Kunden bewusst falsche Angaben zu den Aufrufen ihrer Webseite gemacht, sodass der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin den Vertrag mit E-Mail vom 17. September 2018 gekündigt habe. Aufgrund der fehlenden Implementierung und der Kündigung habe die Insolvenzschuldnerin keine Provisionsansprüche erhalten, es werde daher entgangener Gewinn als Schadensersatzanspruch geltend gemacht.

Der Projektvertrag zwischen der in Bamberg ansässigen Beklagten („Auftraggeber“) und der in Frankfurt am Main ansässigen Insolvenzschuldnerin („Auftragnehmer“) enthält in § 17 folgende Gerichtsstandsvereinbarung:

„(2) … Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag ist Bamberg. Zwingende gesetzliche Gerichtsstände nach deutschem Recht bleiben unberührt.“

Nachdem die Beklagte, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, mit Schriftsatz vom 8. Juni 2022 mitgeteilt hatte, sie habe seit dem 30. September 2021 aufgrund einer Änderung des Gesellschaftsvertrags eine neue Firma und sie habe ihren Sitz von Bamberg nach Düsseldorf verlegt, wies das Landgericht Bamberg mit Verfügung vom 10. Juni 2022 darauf hin, es bestünden Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit, da der Sitz der Beklagten noch vor Klageerhebung nach Düsseldorf verlegt worden sei. Beiden Parteien wurde eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen gewährt. Die Beklagte erhielt Gelegenheit, sich dazu zu äußern, ob bei einem eventuellen Verweisungsantrag der Klägerseite Einverständnis mit einer Verweisung des Rechtsstreits bestehe.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 13. Juni 2022 die Berichtigung des Passivrubrums und die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Düsseldorf beantragt. Dieser Schriftsatz ist nicht an die Beklagte hinausgegeben worden.

Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 15. Juni 2022 hat sich das Landgericht Bamberg für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Düsseldorf verwiesen. Die Entscheidung beruhe auf § 281 Abs. 1 ZPO, der „Geschäftssitz“ der Beklagten sei am 30. September 2021 nach Düsseldorf verlegt worden.

Das Landgericht Düsseldorf hat sich mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 5. Juli 2022 für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht Bamberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt, das das Verfahren mit Verfügung vom 8. Juli 2022 an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben hat.

Zur Begründung führt das Landgericht Düsseldorf insbesondere aus, das Landgericht Bamberg sei örtlich zuständig, da die Parteien des Projektvertrags wirksam Bamberg als Gerichtsstand vereinbart hätten. An eine wirksam getroffene Gerichtsstandsvereinbarung sei auch der Insolvenzverwalter gebunden. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bamberg sei nicht bindend, da er unter Missachtung des rechtlichen Gehörs der Parteien ergangen sei. Der Hinweis des Landgerichts Bamberg auf die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts sei der Beklagten erst am 13. Juni 2022 zugegangen, unter Berücksichtigung der eingeräumten Stellungnahmefrist von zwei Wochen hätte der Verweisungsbeschluss frühestens am 28. Juni 2022 ergehen dürfen. Innerhalb der noch laufenden Stellungnahmefrist hätte die Beklagte - ohne dass es hierauf letztlich entscheidungserheblich ankomme - auf die Gerichtsstandsvereinbarung und die damit gegebene Zuständigkeit des Landgerichts Bamberg hinweisen können.

Die Beklagte hat sich in ihrer Klageerwiderung vom 21. Juli 2022, mit der sie Klageabweisung beantragt und Hilfswiderklage erhoben hat, nicht zur Zuständigkeit geäußert. Mit Schriftsatz vom „17. Juni 2022“, der am 17. August 2022 bei dem Landgericht Bamberg eingegangen ist, hat die Beklagte auf den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 26. Oktober 2021, Az. 101 AR 148/21, Bezug genommen und mitgeteilt, sie gehe ebenfalls von der Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf aus.

Die Parteien hatten im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägerin hat unter Berufung auf die Kommentierung von Patzina (Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 38 Rn. 20) die Ansicht vertreten, sie sei als Insolvenzverwalterin nicht an eine „Schiedsvereinbarung“ [Anmerkung des Senats gemeint: Gerichtsstandsvereinbarung] gebunden.

II.

Auf die zulässige Vorlage ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bamberg auszusprechen.

1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung der (örtlichen) Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.) durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.

Das Landgericht Bamberg und das Landgericht Düsseldorf haben sich nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit für unzuständig erklärt, das Landgericht Bamberg durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 15. Juni 2022 und das Landgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 5. Juli 2022. Die Beschlüsse sind den Prozessbeteiligten jeweils mitgeteilt worden. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt mithin das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12; Beschluss vom 19. Februar 2013, X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 5; Beschluss vom 10. Dezember 1987, I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [juris Rn. 6]; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35).

Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zum Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Oberlandesgerichte gehören (Bamberg und Düsseldorf), sodass das gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht über das Gesuch, weil das mit der Sache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt.

2. Örtlich zuständig ist das Landgericht Bamberg, weil dessen Verweisungsbeschluss gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet und sich die Zuständigkeit des Landgerichts Bamberg aus der Gerichtsstandsvereinbarung ergibt, an die auch die Insolvenzverwalterin gebunden ist.

a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Auch ein sachlich zu Unrecht oder verfahrensfehlerhaft ergangener Verweisungsbeschluss entzieht sich danach grundsätzlich der Nachprüfung. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keine Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; BGH NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 13 f.]; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16).

Die Verletzung des in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Gebots stellt einen so schwerwiegenden Mangel des Verweisungsbeschlusses dar, dass ihm die Bindungswirkung im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO abzuerkennen ist (BGH, Beschluss vom 15. März 1978, IV ARZ 17/78, BGHZ 71, 69 [72 f, juris Rn. 4]). Einer Feststellung, dass die Verweisung bei ordnungsgemäßer Anhörung beider Parteien möglicherweise unterblieben wäre, bedarf es nicht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. Februar 1980, AllgReg. 4/80, MDR 1980, 583; OLG Hamm, Beschluss vom 17. September 2019, I-32 SA 60/19, juris Rn. 31; Beschluss vom 16. August 2019, 32 SA 50/19, juris Rn. 27, jeweils m. w. N.; OLG München, Beschluss vom 29. November 2013, 34 AR 297/13, juris Rn. 6; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 17a; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, § 281 Rn. 57; Thole in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 281 Rn. 58; offenlassend: OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. April 2008, 21 AR 15/08, juris Rn. 5; auf die Kausalität abstellend: BayObLG, Beschluss vom 30. Oktober 2003, 1Z AR 112/03, juris Rn. 7; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Oktober 1974, 19 AR 5/74, RPfleger 1975, 102). Kann jedoch nach den besonderen Umständen des Einzelfalls ausgeschlossen werden, dass der Verweisungsbeschluss auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht, steht der Gehörsverstoß der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ausnahmsweise nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2018, X ARZ 5/18, juris Rn. 12; Beschluss vom 26. August 2014, X ARZ 275/14, juris Rn. 8).

Gemessen an diesen Maßstäben entfaltet der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bamberg keine Bindungswirkung:

Dass das Landgericht Bamberg der Beklagten den Verweisungsantrag der Klägerin nicht zur Stellungnahme zugeleitet und den Rechtsstreit schon vor Ablauf der mit Verfügung vom 10. Juni 2022 gesetzten Stellungnahmefrist verwiesen hat, begründet einen Gehörsverstoß (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2019, VI ZR 215/19, NJW-RR 2020, 248 Rn. 4 m. w. N.).

Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 14. Februar 2018, X ARZ 5/18 (juris Rn. 13) beruht ein Verweisungsbeschluss jedenfalls dann, wenn die Zuständigkeit des zunächst angerufenen oder eines anderen Gerichts weder durch rügelose Einlassung noch durch Vereinbarung mit dem Gegner begründet werden kann (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), nicht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. August 2014, X ARZ 275/14 (juris Rn. 7 f.) lag die Konstellation zugrunde, dass die beklagte Partei zwar nicht den Verweisungsantrag, aber den vorher erteilten Hinweis des Gerichts erhalten hat, zu dem nur der Klagepartei eine Stellungnahmefrist eingeräumt worden ist, vor deren Ablauf das Gericht den Rechtsstreit verwiesen hat. In diesem Fall hat der Bundesgerichtshof einen die Bindungswirkung beseitigenden Gehörsverstoß - wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls - mit der Begründung verneint, es könne ausgeschlossen werden, dass die beklagte Partei bei Kenntnis des Verweisungsantrags innerhalb der gesetzten Stellungnahmefrist Umstände vorgetragen hätte, die eine andere Entscheidung des verweisenden Gerichts als möglich erscheinen ließen. Hier kann dagegen nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht Bamberg bei Abwarten des Ablaufs der Äußerungsfrist zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 8. Juni 2022 zwar auf ihre Sitzverlegung und Umfirmierung hingewiesen, aber nicht die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. In dem erst nach Ablauf der gesetzten Äußerungsfrist eingegangenen, auf den 17. Juni 2022 datierten Schriftsatz hat die Beklagte zudem auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 26. Oktober 2021 (101 AR 148/21) Bezug genommen, die sich mit der Inhaltskontrolle einer Gerichtsstandsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen befasst, und damit - implizit - auf die zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten getroffene Gerichtsstandsvereinbarung hingewiesen. Auch wenn die Beklagte einer Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Düsseldorf nicht widersprochen hat und die Gerichtsstandsvereinbarung wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam hält, ist nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht Bamberg zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre, zumal die streitgegenständliche Gerichtsstandsvereinbarung keine salvatorische Klausel enthält und sich dadurch von dem der von der Beklagten zitierten Entscheidung (BayObLG, Beschluss vom 26. Oktober 2021, 101 AR 148/21, juris Rn. 4, 32 ff.) zugrundeliegenden Fall unterscheidet.

b) Die im Vertrag vom 12. Mai 2017 enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung ist wirksam und dahingehend auszulegen, dass das Landgericht Bamberg - auch für den Fall einer Sitzverlegung der Beklagten - prorogiert wurde.

aa) Die Vereinbarung wurde zwischen zwei Formkaufleuten getroffen (§ 38 Abs. 1 ZPO, § 13 Abs. 3 GmbHG) und bezieht sich auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis (§ 40 Abs. 1 ZPO).

bb) Nicht nur der Auslegung einer Individualvereinbarung, sondern auch der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen geht ein übereinstimmender Parteiwille vor (BGH, Urt. v. 22. März 2002, V ZR 405/00, NJW 2002, 2102 [2103, juris Rn. 12]). Es sind aber keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die Vertragsparteien diese Klausel im Hinblick auf eine mögliche Sitzverlegung der Beklagten übereinstimmend dahin verstanden haben, dass mit ihr für Passivprozesse gegen die Beklagte nur andere besondere Gerichtsstände abbedungen werden, nicht aber die Zuständigkeit eines - nach Sitzverlegung - an sich unzuständigen Gerichts begründet wird (vgl. KG, Beschluss vom 31. Januar 2008, 2 AR 63/07, juris Rn. 25; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 38 Rn. 57).

cc) Maßgebend für die Auslegung ist der wirkliche Wille der Parteien, so wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern (§§ 133, 157 BGB). Geboten ist dabei insbesondere eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung (BGH, Urt. v. 6. Dezember 2018, IX ZR 22/18, juris Rn. 26). Handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, sind die Verständnismöglichkeiten des typischen Vertragspartners des Verwenders maßgeblich (BGH, Urt. v. 27. Mai 2020, VIII ZR 45/19, BGHZ 225, 352 Rn. 119; Urt. v. 17. Oktober 2019, III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 Rn. 34; BayObLG, Beschluss vom 26. Oktober 2021, 101 AR 148/21, juris Rn. 33; Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 26).

Ob die Gerichtsstandsklausel hier eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstellt oder individuell ausgehandelt wurde, bedarf keiner Entscheidung. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass die Festlegung „Ausschließlicher Gerichtsstand … ist Bamberg“ bei Abschluss des Vertrags dem allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten entsprach. Dass die Parteien nicht auf den Sitz der Beklagten, sondern konkret auf den Ort Bamberg abgestellt haben, spricht dafür, dass der vereinbarte Gerichtsstand trotz späterer Sitzverlegung perpetuiert werden sollte (vgl. Rodi in Staudinger, BGB, Stand: 10. August 2020, Anh zu §§ 305-310 Rn. M 61). Wird ein bestimmtes Gericht vereinbart, bei dem eine Partei ihren Sitz hat, so kann bei deren Verlegung die Abrede nicht ohne Weiteres auf das Gericht bezogen werden, in dessen Bezirk der neue Sitz liegt (vgl. Bork in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 38 Rn. 69; vgl. dagegen zur Auslegung einer Gerichtsstandsklausel, die auf den Hauptsitz des Auftraggebers abstellt: Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 28. Dezember 2011, 2 W 123/11, juris Rn. 5 f.). Dass es im Interesse der Beklagten liegen dürfte, nur an ihrem allgemeinen Gerichtsstand verklagt zu werden, genügt nicht, um entgegen des eindeutigen Wortlauts der Klausel auf den jeweiligen Sitz der Beklagten abzustellen, denn dies wäre für die andere Vertragspartei mit Unsicherheiten verbunden, auch wenn sich die - nach einer Sitzverlegung - im allgemeinen Gerichtsstand verklagte Partei nach verbreiteter Ansicht nach § 242 BGB nicht mehr auf eine Gerichtsstandsvereinbarung berufen kann, die nach ihrem Wortlaut als Gerichtsstand den Ort des früheren Sitzes vorsieht (vgl. KG, Beschluss vom 31. Januar 2008, 2 AR 63/07, juris Rn. 25; Quantz in BeckOGK, Stand 1. Dezember 2021, BGB § 307 - Gerichtsstandsklausel Rn. 20.1; Rodi in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 305310 Rn. M 62b; Schultzky in Zöller, ZPO, § 38 Rn. 27; Cuypers, ZAP 2012, 741 [744]).

Die Argumentation, wenn im Zeitpunkt der Vereinbarung der vereinbarte Gerichtsstand dem allgemeinen Gerichtsstand (§ 17 ZPO) entsprochen habe, hätten die Parteien nicht den Willen, die Zuständigkeit „eines an sich unzuständigen Gerichts zu begründen“, vielmehr sollte nur die „etwaige Zuständigkeit weiterer Gerichte abbedungen werden“ (vgl. KG, Beschluss vom 31. Januar 2008, 2 AR 63/07, juris Rn. 25; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 38 Rn. 57), stellt auf die Formulierung des § 38 ZPO ab. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das vereinbarte Gericht bei Vertragsschluss, dem maßgeblichen Zeitpunkt für den durch interessengerechte Auslegung zu ermittelnden Willen der Parteien (vgl. BGH, Urt. v. 10. Juli 1998, V ZR 360/96, NJW 1998, 3268 [3269 f., juris Rn. 17]; Ellenberger in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 133 Rn. 6b), für eine gegen die Partei gerichtete Klage, die in dem vom Kammergericht entschiedenen Fall Verwenderin war, zuständig gewesen wäre und sich dessen Zuständigkeit erst infolge der späteren Sitzverlegung nicht mehr aus § 17 ZPO ergibt. Es liegt zudem im Interesse der Beklagten, sich die Möglichkeit einer Klageerhebung im eigenen Gerichtsbezirk zu sichern. Für Aktivprozesse von einer Prorogation des vereinbarten Gerichts auszugehen, für Passivprozesse dagegen nicht (nur Derogation anderer Gerichtsstände), erscheint fernliegend.

Sonstige Anhaltspunkte, die hier zu einem anderen Auslegungsergebnis führen könnten, sind von den Parteien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal auch die Einigung auf einen gemeinsamen Erfüllungsort inmitten gestanden sein könnte.

Die vereinbarte Zuständigkeit des Landgerichts Bamberg führt jedenfalls zu keinem für die Parteien untragbaren Ergebnis. Selbst wenn eine eindeutige Regelung zu Unbilligkeiten führt, ist für eine ergänzende Vertragsauslegung kein Raum (Ellenberger in Grüneberg, BGB, § 157 Rn. 3; offenlassend, ob bei einer Sitzverlegung eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht kommt: KG, Beschluss vom 31. Januar 2008, 2 AR 63/07, juris Rn. 24).

dd) Dass jetzt wegen der Sitzverlegung kein Anknüpfungspunkt mehr zum vereinbarten Gerichtsstand Bamberg besteht, steht der Geltung der Gerichtsstandsbestimmung auch nach § 242 BGB nicht entgegen.

Eine der Entscheidung des Kammergerichts (Beschluss vom 31. Januar 2008, 2 AR 63/07, juris Rn. 25) vergleichbare Fallkonstellation liegt hier nicht vor. Die Beklagte wurde nicht an ihrem allgemeinen Gerichtsstand in Anspruch genommen, sondern am vereinbarten Gerichtsstand, vermutlich in der Annahme der Klägerin, dort befinde sich weiterhin der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten, denn in der Klageschrift ist die frühere Geschäftsanschrift der Beklagten angegeben.

ee) Handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung der Beklagten, ist die Klausel am Transparenzgebot zu messen; eine unangemessene Benachteiligung kann sich nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (BayObLG, Beschluss vom 26. Oktober 2021, 101 AR 148/21, juris Rn. 31 ff.). Die Bestimmung ist allerdings nicht, wie die Beklagte wohl meint, wegen des die geltende Rechtslage (§ 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) wiedergebenden Zusatzes „Zwingende gesetzliche Gerichtsstände nach deutschem Recht bleiben unberührt“ intransparent. Aus welchen Gründen die Beklagte die Klausel als intransparent ansieht, hat sie nicht näher erläutert. Eine salvatorische Klausel enthält die Gerichtsstandsvereinbarung nicht.

c) Auch die Klägerin als Insolvenzverwalterin ist an die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden, denn sie nimmt die Rechte der Insolvenzschuldnerin aus dem mehrere Jahre vor Einleitung des Insolvenzverfahrens mit der Beklagten geschlossenen und bereits vor Insolvenzeröffnung gekündigten Vertrag als Partei kraft Amtes wahr (vgl. BGH, Urt. v. 16. September 2015, VIII ZR 17/15, juris Rn. 32 - zu Art. 23 Brüssel-IVO; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 31. Januar 2018, 5 Sa 1/18, juris Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 9. März 1999, 1Z AR 5/99, BayObLGZ 1999, 75 [juris Rn. 7]; Schultzky in Zöller, ZPO, § 38 Rn. 13; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 19a Rn. 6; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 19a Rn. 7). Gegenstand der Klage ist nicht ein Rückgewähranspruch aus Insolvenzanfechtung (§ 143 Abs. 1 InsO), der aus einem selbständigen, der Verfügungsgewalt des Schuldners entzogenen Recht des Insolvenzverwalters folgt (BGH, Urt. v. 25. April 2013, IX ZR 49/12, juris Rn. 9) und auf den sich eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht erstreckt (Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 38 Rn. 133). Der von der Klägerin zitierten Gegenansicht (Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, § 38 Rn. 20), die sich lediglich auf eine Entscheidung des Landgerichts Kleve (Beschluss vom 13. Dezember 2000, 7 O 75/00, MDR 2001, 291 mit ablehnender Anm. Treffer) stützt, welche die Geltendmachung eines Absonderungsrechts betraf, folgt der Senat nicht. Die zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten getroffene Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands ist auch bei der Durchsetzung der vor Insolvenzeröffnung entstandenen vertraglichen Ansprüche durch die Insolvenzverwalterin zu beachten, obwohl diese selbst nicht gemäß § 38 Abs. 1 ZPO pro- und derogationsbefugt ist (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 1 AR 78/20, juris Rn. 45 m. w. N.).

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

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101 AR 80/22

17.10.2022

BayObLG München

Entscheidung

Zitier­vorschlag: BayObLG München, Entscheidung vom 17.10.2022, Az. 101 AR 80/22 (REWIS RS 2022, 5976)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5976

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