Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.07.2014, Az. VII R 38/13

7. Senat | REWIS RS 2014, 3897

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Gegenstand

Rückforderung von durch einen verheirateten Finanzamts-Sachbearbeiter manipulierten, rechtsgrundlos auf das Oder-Konto der Ehegatten ausgezahlten Steuererstattungen - Kein Verstoß gegen Treu und Glauben wegen möglichen Mitverschuldens des Finanzamts - Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis


Leitsatz

1. NV: Bei dem Anspruch des FA auf Rückzahlung von Leistungen, die durch Manipulationen des FA-Sachbearbeiters generiert worden sind, handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch aus § 37 Abs. 2 AO. Diese Ansprüche werden steuerrechtlich ebenso behandelt wie solche, die aus anderen Gründen zurückgefordert werden. Entscheidend ist, ob die zurückgeforderte Zahlung ausschließlich auf steuerrechtlichen Regelungen beruht .

2. NV: Der Mitinhaber des Kontos, auf welches die erschlichenen Überweisungen geleitet worden sind, ist Leistungsempfänger .

3. NV: Auch bei Annahme eines mitwirkenden Organisationsverschuldens des FA ist die Rückforderung einer erschlichenen Leistung vom Leistungsempfänger kein Ermessensfehlgebrauch, wenn dieser Kenntnis von dem auf der Manipulation beruhenden Zahlungseingang hatte .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war mit einem beim Beklagten und Revisionsbeklagten ([X.]inanzamt --[X.]A--) tätigen [X.]inanzbeamten ([X.]) verheiratet und führte mit ihm gemeinschaftlich ein Girokonto. Mit Urteil des [X.] wurde [X.] wegen Steuerhinterziehung in [X.] verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass [X.] als für die Bearbeitung von Einkommensteuererklärungen und für die Wartung von Grundinformationsdaten zuständiger Sachbearbeiter beim [X.]A durch Manipulationen im [X.] Steuererstattungen und [X.]estsetzungen von Eigenheimzulage fingiert und die Auszahlungen auf das eheliche Gemeinschaftskonto in Höhe von insgesamt … € bewirkt hatte. Die Zahlungen verwendete er unter anderem für den Bau zweier Wintergärten, Einbau eines Kamins und Errichtung eines Swimmingpools im gemeinsam mit den Schwiegereltern bewohnten Haus, sowie für Vermögensanlagen zu Gunsten der Tochter, eines Depots für den [X.] und zur Errichtung eines Geldmarktkontos. Sämtliche Verträge hatte die Klägerin mitunterzeichnet.

2

Aufgrund dieser [X.]eststellungen erließ das [X.]A einen Rückforderungsbescheid nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) sowohl gegen die Klägerin als auch gegen ihren Ehemann [X.] und forderte die in den Jahren 1999 und 2001 bis 2008 zu Unrecht auf das Gemeinschaftskonto geleisteten Zahlungen zurück. Einspruch und Klage der Klägerin blieben bis auf einen im Revisionsverfahren nicht mehr streitigen, nach Auffassung des [X.]inanzgerichts ([X.]G) zahlungsverjährten Betrag erfolglos. Das [X.]A sei berechtigt gewesen, den ohne Rechtsgrund auf das Gemeinschaftskonto der Eheleute erstatteten Betrag mit Rückforderungsbescheid geltend zu machen, da es sich auch bei einer Steuererstattung, die auf fingierten Steuerbescheiden beruht, um eine Steuervergütung und bei deren Rückforderung um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch i.S. des § 37 Abs. 2 [X.] handele. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass der auf der Anfechtung einer an das [X.]A geleisteten Lohnsteuerzahlung beruhende [X.] des Insolvenzverwalters nach § 143 Abs. 1 der Insolvenzordnung vom [X.] (B[X.]H) als zivilrechtlicher, vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgender Anspruch gewürdigt worden sei. Die Klägerin sei auch Leistungsempfängerin, da sie als Mitinhaberin des [X.] die Verfügungsmacht über die Gutschrift der veruntreuten Geldbeträge erlangt habe. Dies gelte unabhängig davon, ob das [X.]A mit dieser Leistung eine tatsächliche oder vermeintliche Verpflichtung habe erfüllen wollen. Die Bestimmung des Leistungsempfängers richte sich nicht nach dem inneren Willen des Leistenden, sondern ergebe sich aus einer objektiven Betrachtungsweise aus Sicht des Zahlungsempfängers. Ermessensfehler seien bei der Inanspruchnahme der Klägerin --neben ihrem Ehemann [X.]-- nicht festzustellen. Auf die Einrede der Entreicherung könne sich die Klägerin gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rückzahlungsanspruch nicht berufen. Treu und Glauben stehe der Rückforderung nicht entgegen. [X.] Rechtsausübung könne dem [X.]A nicht vorgeworfen werden. Die Klägerin könne sich nicht auf Unkenntnis hinsichtlich der Geldeingänge auf dem Gemeinschaftskonto berufen, zumal sie nach eigenem Vorbringen jegliche Kontrolle des [X.] unterlassen habe, obwohl diese angesichts der erheblichen Ausgaben und Vermögensanlagen der Eheleute unter Belastung dieses Kontos angezeigt gewesen sei.

3

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, die Rückforderung des [X.]A durch einen auf § 37 Abs. 2 [X.] gestützten Bescheid sei rechtswidrig. Bei den unterschlagenen Geldmitteln handele es sich nicht um eine "Steuer", die durch Bescheid zurückgefordert werden könne. Nach der Senatsentscheidung vom 27. September 2012 VII B 190/11 (B[X.]HE 238, 526, [X.], 109) sei der Anspruch auf Rückgewähr in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch. Auch sei sie nicht Leistungsempfängerin im Sinne der Vorschrift, da sie auf das Konto keinen eigenen Zugriff gehabt habe.

4

Die Klägerin beantragt, das Urteil des [X.]G insoweit aufzuheben als es den Rückforderungsbescheid des [X.]A in Gestalt der Einspruchsentscheidung lediglich gemindert und nicht in voller Höhe aufgehoben hat, und den Rückforderungsbescheid des [X.]A in Gestalt der Einspruchsentscheidung in voller Höhe aufzuheben.

5

Das [X.]A beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

7

Das Urteil des [X.] entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 [X.]O).

8

1. Das [X.] hat zutreffend erkannt, dass es sich bei dem Rückzahlungsanspruch des [X.] um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch aus § 37 Abs. [X.] handelt.

9

Nach dieser Vorschrift werden Leistungen rückabgewickelt, die auf --im Ergebnis nicht vorliegenden-- steuerlichen Rechtsgründen beruhen. So liegt es auch im Streitfall. Denn der Ehemann hat durch seine Manipulationen als Sachbearbeiter des [X.] Steueränderungs- und -festsetzungsbescheide generiert, in welchen durch Anwendung steuerlicher Regelungen ein Steuervergütungsanspruch bzw. ein diesem gleichgestellter Anspruch auf Eigenheimzulage (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 des Eigenheimzulagengesetzes) ausgewiesen wurde. [X.] ist dabei, welche tatsächlichen Verhältnisse den Bescheiden zugrunde liegen. Leistungen aufgrund fingierter Ansprüche werden steuerrechtlich ebenso behandelt wie solche, die aus anderen Gründen zurückgefordert werden; entscheidend ist, ob die zurückgeforderte Auszahlung ausschließlich auf steuerrechtlichen Regelungen beruht (vgl. auch [X.]surteil vom 25. Oktober 2005 VII R 10/04, [X.], 19, [X.], 356; zur Abgrenzung Betrug/Steuerhinterziehung Beschluss des [X.] vom 23. März 1994  5 StR 91/94, [X.], 109, [X.] 1994, 736, m.w.N.).

Es kommt auch nicht darauf an, ob der Rückzahlungsanspruch sich als "umgekehrter Erstattungsanspruch" aus einem --im Streitfall nicht bestehenden, nur fingierten-- [X.] ergibt (so für den Rückzahlungsanspruch gegen den Zessionar [X.]surteil vom 27. Oktober 1992 VII R 44/91, [X.] 1993, 344, m.w.N.). Denn der Anspruch aus § 37 Abs. [X.] ist Ausdruck eines übergeordneten und allgemein herrschenden Prinzips, dass derjenige, der vom Staat ohne Rechtsgrund etwas erhalten hat, grundsätzlich verpflichtet ist, das Erhaltene zurückzuzahlen (ständige Rechtsprechung, [X.]surteil vom 31. August 1993 VII R 69/91, [X.], 1, [X.] 1995, 846, m.w.N.).

Für ihre gegenteilige Rechtsauffassung kann sich die Klägerin nicht auf den Beschluss in [X.], 526, [X.] 2013, 109 berufen. Schon aus dem Leitsatz des Beschlusses --"Der Anspruch auf Rückgewähr in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern nach § 143 Abs. 1 [X.] ist kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 AO, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch"-- ergibt sich offensichtlich, dass sich die Entscheidung allein auf die Besonderheiten der Rückforderung des Insolvenzverwalters nach Insolvenzanfechtung bezieht. Auf den vorliegenden Fall sind die dortigen Ausführungen nicht übertragbar.

2. Auch die weiteren im Klageverfahren vorgetragenen Einwände der Klägerin hat das [X.] frei von [X.] zurückgewiesen.

a) Als Mitinhaberin des Kontos, auf welches der Ehemann die erschlichenen Überweisungen geleitet hat, ist die Klägerin Leistungsempfängerin. Das hat das [X.] in zutreffender Anwendung der Rechtsprechung des [X.]s entschieden. Ob die Zahlung in der irrigen Annahme einer Zahlungsverpflichtung des [X.] gegenüber dem Zahlungsempfänger geschehen ist, ist danach für die Frage, wer Leistungsempfänger ist, unbeachtlich. Denn auf die inneren Vorstellungen der Beteiligten darüber, welche Leistung mit der Zahlung erbracht worden ist, kommt es regelmäßig nicht an, sondern es gilt eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers; maßgebend ist mithin der objektive Empfängerhorizont ([X.]surteile vom 9. Dezember 2010 VII R 20/10, [X.] 2011, 875, und vom 30. August 2005 VII R 64/04, [X.], 219, [X.], 353, m.w.N.). Die der Tatsacheninstanz vorbehaltene Würdigung des [X.], die Klägerin habe --bei objektiver [X.] die Zahlungseingänge auf dem gemeinschaftlichen Konto nicht anders denn als Leistungen des [X.] zu Gunsten dieses Kontos verstehen können, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal die Klägerin keinerlei Anhaltspunkte für eine andere Betrachtungsweise geliefert hat.

b) [X.] hat das [X.] bei der Anwendung des § 37 Abs. [X.] zu Recht nicht in Erwägung gezogen (vgl. [X.]sbeschluss vom 16. November 2010 VII B 120/10, [X.] 2011, 405).

c) Als einen Verstoß gegen [X.] und Glauben wegen eines möglichen Mitverschuldens des [X.] an den Manipulationen des Ehemanns infolge eventueller Organisationsmängel hat das [X.] die Inanspruchnahme der Klägerin nicht angesehen, weil sie die gebotene Kontrolle des Kontos unterlassen habe, obwohl diese angesichts der festgestellten erheblichen Ausgaben und Vermögensanlagen unter Belastung dieses Kontos angezeigt gewesen sei. Dem ist revisionsrechtlich nichts zu entgegnen. Die Ausführungen beruhen ersichtlich auf der zu für Fälle der Rückforderung gegenüber einem Leistungsempfänger vergleichbaren Rechtsprechung des [X.], wonach selbst bei Annahme eines mitwirkenden Verschuldens des [X.] die Inanspruchnahme eines (Haftungs-) Schuldners nur dann ein Ermessensfehlgebrauch ist, wenn dessen eigenes Verschulden gering ist (vgl. z.B. [X.]surteil vom 13. Juni 1997 VII R 96/96, [X.] 1998, 4, m.w.N.). Das [X.] ist davon ausgegangen, die Klägerin habe von den über neun Jahre geflossenen erheblichen Geldbeträgen, insbesondere im Hinblick auf deren Verwendung für die Modernisierung der Wohnung und für Geldanlagen auf Konten der minderjährigen Kinder, gewusst. Angesichts dieser den [X.] bindenden Feststellungen ist die grundsätzlich dem [X.] vorbehaltene Würdigung des [X.], die Heranziehung der Klägerin zur Rückerstattung der (auch) an sie geleisteten Beträge lasse keinen Ermessensfehlgebrauch erkennen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts ihrer Kenntnis von den Zahlungseingängen und ihrer Verwendung ist es fernliegend und nach [X.] und Glauben jedenfalls nicht geboten, die Rückforderung der vereinnahmten Beträge an einem möglicherweise vorliegenden Organisationsverschulden des [X.] scheitern zu lassen.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VII R 38/13

22.07.2014

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

§ 37 Abs 2 AO, § 37 Abs 1 AO, § 5 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.07.2014, Az. VII R 38/13 (REWIS RS 2014, 3897)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3897

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1 BvR 2096/13

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