Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.04.2008, Az. VI ZB 29/07

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2008, 4475

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[X.] vom 15. April 2008 in dem Rechtsstreit - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 15. April 2008 durch die Rich-ter Dr. [X.], Wellner, [X.], [X.] und Zoll beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 26. Februar 2007 aufgehoben. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt. [X.]: 1.940,00 • Gründe: [X.] Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls auf [X.] in Anspruch. Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von 1.940 • nebst Zinsen gerichtete Klage mit Urteil vom 17. November 2006 abgewiesen. Gegen das den Prozessbevollmächtigten des [X.] am 23. November 2006 zuge-stellte Urteil hat dieser am 15. Dezember 2006 Berufung eingelegt. Nach [X.] Hinweis vom 25. Januar 2007, dass die Berufung nicht rechtzeitig begründet worden sei, hat der Kläger mit einem am 1. Februar 2007 beim [X.] eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den [X.] - 3 - gen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung begründet. Zur Begründung des [X.] hat er vorgetragen, Rechtsanwalt [X.] habe seine Büroangestellte [X.] nach Ein-gang des Urteils angewiesen, die Frist zur Einlegung der Berufung mit der da-zugehörenden [X.] zu notieren. Nach Vorlage der Akte zur notierten [X.] sei am selben Tag Berufung eingelegt worden. Sodann habe Rechtsanwalt [X.] seine Büroangestellte [X.] per Aktennotiz angewiesen, die Frist zur Begründung der Berufung mit der dazugehörenden [X.] im Fristenkalender zu notieren. Durch Unachtsamkeit und aus ihr unerklärlichen Gründen habe Frau [X.] weder die [X.] noch die eigentliche Ablauffrist notiert. Der Fehler sei erst aufgrund des gerichtlichen Hinweises bemerkt worden. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das [X.] die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung des [X.] als unzulässig verwor-fen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, die er wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-chung für zulässig hält (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO). 2 I[X.] 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn eine Entscheidung des Senats ist jedenfalls zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO). 3 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Zwar hat der Kläger die Beru-fungsbegründungsfrist versäumt. Auf seinen rechtzeitigen Antrag ist ihm jedoch gemäß §§ 233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. 4 - 4 - a) Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfas-sungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsst[X.]tsprin-zip). Dieser verbietet es, einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres [X.] zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entschei-dungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. [X.] 79, 372, 376 f.; [X.], NJW-RR 2002, 1004). 5 b) Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei nicht ohne [X.] gehindert gewesen, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Die Fristversäumung beruhe auf einem Sorgfaltsverstoß seines [X.], dessen Verschulden der Kläger sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zu-rechnen lassen müsse. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] könne ein Rechtsanwalt zwar die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig er-probten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen, doch habe er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert würden. Insbesondere müsse [X.] sein, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlun-gen zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorgenommen würden. Hierzu zähle ins-besondere das unverzügliche Notieren der Berufungs- als auch der Berufungs-begründungsfrist im Fristenkalender noch vor der Vorlage der Akte an den Rechtsanwalt. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass die Büroangestellte [X.] selbstständig mit dem Notieren der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist bei Eingang des Urteils beauftragt gewesen sei. Vielmehr habe Rechtsanwalt [X.] ihr nach Vorlage der Akte die [X.] erteilt, die Berufungsfrist zu 6 - 5 - notieren, und Frau [X.] nach erneuter Vorlage der Akte angewiesen, die Beru-fungsbegründungsfrist mit einer [X.] zu notieren. Um Fehlerquellen zu [X.], seien jedoch beide Fristen so früh wie möglich zu vermerken, damit der Rechtsanwalt nach Vorlage der Akte seiner Nachberechnungs- und Kontroll-pflicht nachkommen könne. [X.] er zur Eintragung [X.]en, sei er grundsätzlich verpflichtet, die Eintragung der Fristen zu kontrollieren. Dieser Pflicht sowie der Pflicht, spätestens bei der ersten Vorlage der Akte auch das Notieren der Berufungsbegründungsfrist mit einer [X.] zu veranlassen, sei Rechtsanwalt [X.] nicht nachgekommen. c) Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg. Das [X.] übersieht, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] für den Ausschluss des einer [X.] zuzurechnenden Verschul-dens ihres Anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO) an der Fristversäumung auf allge-meine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei dann nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt [X.], die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine kon-krete [X.] erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. September 1995 - [X.] - [X.], 348; vom 18. März 1998 - [X.] - NJW-RR 1998, 1360 f.; vom 6. Juli 2000 - [X.]I ZB 4/00 - NJW 2000, 2823; vom 2. Juli 2001 - [X.]/00 - NJW-RR 2002, 60 und vom 1. Juli 2002 - [X.]/01 - NJW-RR 2002, 1289 f.). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine [X.], die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete [X.] befolgt ([X.], Beschluss vom 13. April 1997 - [X.]/97 - NJW 1997, 1930). Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - [X.] ZR 43/87 - [X.], 185 f.; Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2003 - [X.] ZB 38/02 - VersR 2003, 1462 und vom 9. Dezember 2003 7 - 6 - - [X.] ZB 26/03 - [X.], 138; [X.], Beschluss vom 13. April 1997 - [X.]/97 - [X.]O). 8 So liegt der Fall hier, denn nach dem durch eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten [X.] glaubhaft gemachten Vortrag des [X.] hat sein Pro-zessbevollmächtigter Frau [X.] konkret mittels einer Aktennotiz aufgetragen, die Frist zur Begründung der Berufung mit der dazugehörenden [X.] im Fristen-kalender zu notieren. Hätte Frau [X.] diese [X.] befolgt, wäre ihm die Akte rechtzeitig vorgelegt und die Berufungsbegründungsfrist gewahrt [X.]. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, dass sich Mängel bei der [X.] in einer die Wiedereinsetzung aus-schließenden Weise ausgewirkt haben könnten (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 5. November 2002 - [X.] ZR 399/01 - NJW 2003, 435 f. und [X.], Beschluss vom 9. Januar 2001 - [X.]II ZB 26/00 - NJW-RR 2001, 782 f.). Zwar gilt der Grundsatz, dass ein Rechtsanwalt nicht verpflichtet ist, die Ausführung einer [X.] zu kontrollieren, nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung z. B. einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatori-sche Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessen-heit gerät und die Fristeintragung unterbleibt (Senatsbeschlüsse vom 5. No-vember 2002 - [X.] ZR 399/01 - [X.]O; vom 4. November 2003 - [X.] ZB 50/03 - NJW 2004, 688 f.; vom 22. Juni 2004 - [X.] ZB 10/04 - [X.], 383 und vom 12. Juni 2007 - [X.] ZB 76/06 - [X.]. 8, juris; v. [X.], NJW 2003, 858, 863 f.). [X.] hat Rechtsanwalt [X.] die Anweisung jedoch nicht mündlich, sondern in schriftlicher Form, nämlich mittels einer Aktennotiz erteilt. Da in einem solchen Fall die Gefahr, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist deshalb unterbleibt, wesentlich niedriger ist als bei einer nur mündlich erteilten Anweisung, ist eine Kontrolle hinsichtlich der Ausführung einer auf die-se Weise erteilten [X.] im Regelfall nicht erforderlich. - 7 - d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Rechtsanwalt, der seiner Büroangestellten das Notieren der Fristen nicht zur selbstständigen Erledigung überträgt, sondern jeweils [X.]en zum Notieren der Fristen erteilt, auch nicht verpflichtet, spätestens bei der Vorlage einer Akte mit Rechtsmittelfristen auch das Notieren der Rechtsmittelbegründungsfrist mit ei-ner [X.] zu veranlassen. 9 [X.]) Nach gefestigter Rechtsprechung verlangt die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in [X.] zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeiti-gen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und [X.] werden. Der Anwalt hat sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen ([X.], Beschluss vom 10. Oktober 1991 - [X.]I ZB 4/91 - [X.]R ZPO § 233 Fristenkontrolle 22 m.w.N.). Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit aber weder vorgeschrieben noch allgemein üblich ([X.], Urteil vom 21. Dezember 1988 - [X.]II ZR 84/88 - [X.]R ZPO § 233 Fristenkontrolle 11; vom 5. Mai 1993 - [X.] - NJW-RR 1993, 1213, 1214). Auf welche Weise er sicherstellt, dass die Eintra-gung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig er-folgen, steht ihm grundsätzlich frei (vgl. [X.], Beschluss vom 25. März 1992 - [X.] - FamRZ 1992, 1058). Ein Prozessbevollmächtigter kann Frist-wahrungen auch durch genaue [X.]en an zuverlässige Angestellte gewährleisten ([X.], Beschluss vom 27. Oktober 1998 - [X.] - [X.], 1386; [X.], Urteil vom 9. Januar 1990 - 3 [X.] - NJW 1990, 2707). 10 [X.]) Hat ein Rechtsanwalt das Fristenwesen in seiner Kanzlei dergestalt organisiert, dass er seiner Büroangestellten jeweils [X.]en zur [X.] - 8 - tragung von Fristen erteilt, ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, dafür zu [X.], dass mit der Eintragung der Frist zur Rechtsmitteleinlegung gleichzeitig auch schon die Frist zur Rechtsmittelbegründung nebst [X.] im Fristenka-lender eingetragen wird. Zwar würde eine solche Fristbehandlung die Zahl der erforderlichen [X.]en verringern, doch wäre damit allein keine grö-ßere Gewähr für eine Fristwahrung gegeben. Wie die Rechtsbeschwerde mit Recht geltend macht, kommt es für die Einhaltung der anwaltlichen Sorgfalts-pflicht entscheidend darauf an, dass Anweisungen an das Büropersonal klar und präzise erfolgen (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - [X.] ZR 43/87 - [X.]O; Senatsbeschlüsse vom 22. Juni 2004 - [X.] ZB 10/04 - [X.]O und vom 19. Februar 1991 - [X.] ZB 2/91 - [X.], 1269; [X.], Beschluss vom 31. Mai 2000 - [X.] - NJW-RR 2001, 209). Die letztlich nicht zu beseiti-gende Gefahr, dass auch einem ansonsten zuverlässigen Mitarbeiter im Um-gang mit Fristen ein Fehler unterläuft (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Oktober 1998 - [X.] - [X.], 1386), wird bei mehreren einzutragenden [X.] nicht allein dadurch beseitigt, dass die Anzahl der dazu erteilten Anweisun-gen verringert wird. Das Notieren der Berufungsbegründungsfrist nebst [X.] - 9 - kann auch dann aufgrund eines Versehens unterbleiben, wenn diese Fristen gleichzeitig mit der Frist zur Rechtsmitteleinlegung eingetragen werden sollen. [X.] Wellner [X.] [X.]

Zoll Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom [X.][X.], Entscheidung vom [X.] - 1 S 289/06 -

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VI ZB 29/07

15.04.2008

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.04.2008, Az. VI ZB 29/07 (REWIS RS 2008, 4475)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 4475

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