Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 04.02.2013, Az. 10 AZB 78/12

10. Senat | REWIS RS 2013, 8484

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Gegenstand

Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit - GmbH-Geschäftsführer - Insolvenz


Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des [X.] vom 22. November 2012 - 15 Ta 398/12 - aufgehoben.

2. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des [X.] vom 6. August 2012 - 1 Ca 1473/12 - wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der sofortigen Beschwerde sowie der Rechtsbeschwerde zu tragen.

4. [X.] wird auf 14.735,53 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung, über [X.] und vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen.

2

Der Kläger war seit dem 1. September 2009 für die [X.] (nachfolgend: Schuldnerin) tätig auf Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 18. August 2009 gegen eine monatliche Grundvergütung iHv. 7.500,00 Euro. Aufgrund formloser Abrede wurde er im Februar 2011 zum Geschäftsführer bestellt. Am 1. Februar 2012 hat das [X.] (- IN 1112/11 -) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und den Beklagten zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23. April 2012 zum 31. Mai 2012 gekündigt und den Kläger unwiderruflich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freigestellt. Eine Abberufung als Geschäftsführer ist nicht erfolgt.

3

Mit der am 14. Mai 2012 beim [X.] eingegangenen Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung, mit einer [X.] vom 20. Juni 2012 verfolgt er [X.] für die Monate April bis Juni 2012. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen sei eröffnet, weil er auf Grundlage des Arbeitsvertrags vom 18. August 2009 in einem Arbeitsverhältnis zur Schuldnerin stehe.

4

Der Kläger hat die Anträge angekündigt,

        

1.    

festzustellen, dass das Anstellungsverhältnis des Klägers durch die Kündigung des Beklagten vom 23. April 2012 zum 31. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist,

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern unverändert über den 31. Mai 2012 fortbesteht,

        

3.    

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger für April 2012 7.500,00 Euro brutto abzüglich bereits erhaltener 793,41 Euro netto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszins aus 6.706,59 Euro seit dem 1. Mai 2012 zu zahlen, für Mai 2012 7.500,00 Euro brutto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszins hierauf seit dem 1. Juni 2012 und für Juni 2012 7.500,00 Euro brutto nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. Juli 2012 zu zahlen.

5

Der Beklagte hat den Antrag angekündigt, die Klage abzuweisen, und die Auffassung vertreten, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen sei aufgrund der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht eröffnet.

6

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde des [X.] hat das [X.] den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für eröffnet erklärt. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde.

7

II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das [X.] hat die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen zu Unrecht bejaht.

8

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG.

9

a) Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gelten jedoch in Betrieben einer juristischen Person oder einer [X.] Personen nicht als Arbeitnehmer, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des [X.] zur Vertretung der juristischen Person oder der [X.] berufen sind. Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person sind nach dieser gesetzlichen Fiktion die Gerichte für Arbeitssachen nicht berufen. Die Fiktion der Norm gilt auch für das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis. Sie greift unabhängig davon ein, ob das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Auch wenn ein Anstellungsverhältnis zwischen der juristischen Person und dem Mitglied des [X.] wegen dessen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung die ordentlichen Gerichte berufen ([X.] 26. Oktober 2012 - 10 [X.] - Rn. 16, [X.] 2013, 54; 15. März 2011 - 10 [X.] - Rn. 11, [X.] ArbGG 1979 § 2 Nr. 95 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 44; 3. Februar 2009 - 5 [X.] - Rn. 8, [X.] ArbGG 1979 § 5 Nr. 66 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 43; 20. August 2003 - 5 [X.] - zu [X.] 2 bis 4 der Gründe, [X.]E 107, 165). An der Unzuständigkeit der Arbeitsgerichte ändert es nichts, wenn zwischen den Prozessparteien streitig ist, wie das Anstellungsverhältnis zu qualifizieren ist ([X.] 6. Mai 1999 - 5 [X.] - zu II 3 b der Gründe, [X.] ArbGG 1979 § 5 Nr. 46 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 33). § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift sogar ein, wenn objektiv feststeht, dass das Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG soll sicherstellen, dass die Mitglieder der [X.] mit der juristischen Person selbst dann keinen Rechtsstreit im „[X.]“ vor dem Arbeitsgericht führen, wenn die der Organstellung zugrunde liegende Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist ([X.] 20. August 2003 - 5 [X.] - zu [X.] 3 der Gründe, aaO). Für Ansprüche der [X.] aus dem der Geschäftsführertätigkeit zugrunde liegenden Vertrag sind deshalb die ordentlichen Gerichte ohne Weiteres zuständig (vgl. [X.] 20. Mai 1998 - 5 [X.] - zu II 1 der Gründe, [X.] 1998, 1247).

b) Anders kann es jedoch dann liegen, wenn und soweit der Rechtsstreit nicht das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis betrifft, sondern eine weitere Rechtsbeziehung besteht. Insoweit greift die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht ein ([X.] 23. August 2011 - 10 [X.] - Rn. 13, [X.] ArbGG 1979 § 5 Nr. 69 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 46; 15. März 2011 - 10 [X.] - Rn. 11, [X.] ArbGG 1979 § 2 Nr. 95 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 44; 3. Februar 2009 - 5 [X.] - Rn. 8, [X.] ArbGG 1979 § 5 Nr. 66 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 43). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Organvertreter Rechte auch mit der Begründung geltend macht, nach der Abberufung als Geschäftsführer habe sich das nicht gekündigte Anstellungsverhältnis - wieder - in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt ([X.] 6. Mai 1999 - 5 [X.] - zu II 3 c der Gründe, [X.] ArbGG 1979 § 5 Nr. 46 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 33).

c) Eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte kann ferner dann gegeben sein, wenn die [X.] Ansprüche aus einem auch während der [X.] als Geschäftsführer nicht aufgehobenen Arbeitsverhältnis nach Abberufung als [X.] geltend macht. Zwar liegt der Berufung eines Arbeitnehmers zum Geschäftsführer einer GmbH eine vertragliche Abrede zugrunde, die regelmäßig als ein Geschäftsführerdienstvertrag zu qualifizieren ist und mit der das Arbeitsverhältnis grundsätzlich aufgehoben wird (vgl. bspw. [X.] 3. Februar 2009 - 5 [X.] - Rn. 8, [X.] ArbGG 1979 § 5 Nr. 66 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 43; 5. Juni 2008 - 2 [X.] 754/06 - Rn. 23, [X.] BGB § 626 Nr. 211; 19. Juli 2007 - 6 [X.] 774/06 - Rn. 10, [X.]E 123, 294). [X.] ist dies aber nicht. Zum einen kann die Bestellung zum Geschäftsführer einer GmbH auch auf einem Arbeitsvertrag beruhen. Zum anderen bleibt der Arbeitsvertrag bestehen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer formlosen Abrede zum Geschäftsführer der GmbH bestellt wird, da eine wirksame Aufhebung des früheren Arbeitsverhältnisses die Einhaltung der Schriftform des § 623 BGB voraussetzt (vgl. [X.] 15. März 2011 - 10 [X.] - Rn. 12, [X.] ArbGG 1979 § 2 Nr. 95 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 44; 3. Februar 2009 - 5 [X.] - Rn. 8, aaO). Ansprüche aus diesem Arbeitsvertrag können dann nach Abberufung aus der Organschaft und damit nach dem Wegfall der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG vor den Gerichten für Arbeitssachen geltend gemacht werden. Dies gilt auch für die während der [X.] der Geschäftsführerbestellung auf dieser arbeitsvertraglichen Basis entstandenen Ansprüche ([X.] 29. Mai 2012 - 10 [X.] - Rn. 13).

2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht eröffnet.

a) Den Kläger und die Schuldnerin bindet der Arbeitsvertrag vom 18. August 2009. Dieser Arbeitsvertrag ist bis zur Kündigung nicht aufgelöst worden, davon gehen beide Parteien aus. Der Kläger ist aufgrund formloser Abrede seit Februar 2011 zum Geschäftsführer der Schuldnerin bestellt worden. Damit haben Kläger und Schuldnerin zusätzlich die Übernahme der Geschäftsführung vereinbart, sie haben aber keinen zusätzlichen Geschäftsführerdienstvertrag abgeschlossen. Die bestehende schuldrechtliche Grundlage ihrer Vertragsbeziehung wurde stillschweigend - formlos - in Bezug auf die Übernahme der Geschäftsführung ergänzt. Im Übrigen ist der Arbeitsvertrag vom 18. August 2009 nach der Bestellung zum Geschäftsführer weiter Grundlage der Tätigkeit des [X.] geblieben; der Kläger verfolgt folgerichtig mit dem Antrag zu 3. die sich aus diesem Vertrag ergebenden Vergütungsansprüche (vgl. [X.] 26. Oktober 2012 - 10 [X.] - Rn. 16 - 22).

b) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat an der organschaftlichen Stellung des [X.] nichts geändert, die Organstellung des Organs einer juristischen Person bleibt durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt ([X.] 26. Januar 2006 - [X.]/03 - Rn. 6, [X.], 260; [X.] in [X.]/[X.] Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz 4. Aufl. S. 707). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens macht aus gesetzlichen Vertretern der Schuldnerin keine Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ([X.]/Germelmann/[X.] 7. Aufl. § 5 Rn. 45).

c) Der Kläger ist als Geschäftsführer nicht abberufen worden. Er war bei Klageerhebung und [X.] als Geschäftsführer der Schuldnerin im Handelsregister eingetragen; die Kündigungsschutzklage und die weiteren Anträge betreffen das der fortbestehenden Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis der Parteien. Damit greift die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG unabhängig davon, ob dieses Rechtsverhältnis materiellrechtlich ein Arbeitsverhältnis ist, sowohl für die Kündigungsschutzanträge als auch für den [X.] ([X.] 26. Oktober 2012 - 10 [X.] - Rn. 22, 23).

        

    Mikosch    

        

    [X.]    

        

    Mestwerdt    

        

Meta

10 AZB 78/12

04.02.2013

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Wuppertal, 6. August 2012, Az: 1 Ca 1473/12, Beschluss

§ 2 Abs 1 Nr 3 Buchst a ArbGG, § 2 Abs 1 Nr 3 Buchst b ArbGG, § 5 Abs 1 S 1 ArbGG, § 5 Abs 1 S 3 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 04.02.2013, Az. 10 AZB 78/12 (REWIS RS 2013, 8484)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8484


Verfahrensgang

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Az. 10 AZB 78/12

Bundesarbeitsgericht, 10 AZB 78/12, 04.02.2013.


Az. 1 Ca 1473/12

Arbeitsgericht Wuppertal, 1 Ca 1473/12, 06.08.2012.


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Referenzen
Wird zitiert von

5 Ta 28/18

6 Ca 1729/15

9 Ta 106/17

11 Ta 274/13

11 Ta 377/11

2 Ta 191/13

12 U 3303/19

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