Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.04.2015, Az. XI R 43/11

11. Senat | REWIS RS 2015, 12274

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Gegenstand

Drittwirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung - Aufteilung einer rechtsirrtümlich ohne Umsatzsteuer vereinbarten Gegenleistung


Leitsatz

1. Hat ein Geschäftsführer einer GmbH namens der GmbH die Änderung eines ihr gegenüber unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Steuerbescheids beantragt, ist er im Verfahren wegen Haftung für gegenüber der GmbH festgesetzte Steuer nicht mit Einwendungen gegen die Richtigkeit der Steuerfestsetzung ausgeschlossen, solange der Vorbehalt wirksam ist .

2. Vereinbaren Vertragsparteien rechtsirrtümlich die Gegenleistung ohne Umsatzsteuer, ist der vereinbarte Betrag in Entgelt und darauf entfallende Umsatzsteuer aufzuteilen .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 13. Oktober 2011  13 K 4121/07 betreffend Haftung für Umsatzsteuer 2002 und Nebenleistungen hierzu aufgehoben.

Der Haftungsbescheid vom 2. März 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2007 wird aufgehoben, soweit die Klägerin wegen Umsatzsteuer 2002 mit mehr als ... € und Zinsen hierzu mit mehr als ... € in Haftung genommen wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Klageverfahrens tragen die Klägerin zu 90 v.H. und der Beklagte zu 10 v.H., die Kosten des Revisionsverfahrens die Klägerin zu 87 v.H. und der Beklagte zu 13 v.H.

Tatbestand

1

I. Am 24. Januar 2001 wurde die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) als (alleinige) Geschäftsführerin der [X.] (GmbH) im Handelsregister eingetragen. Sie war zugleich alleinige Gesellschafterin der [X.], die die Geschäftsanteile an der GmbH hielt und gemeinsam mit dem Ehemann der Klägerin Gesellschafterin der [X.] war.

2

Da die GmbH keine Steuererklärungen abgegeben hatte, schätzte der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) die [X.]esteuerungsgrundlagen und setzte u.a. mit [X.]escheid vom 5. November 2004 die Umsatzsteuer für das [X.] auf ... € und Zinsen hierzu auf ... € fest. Aufgrund der im Einspruchsverfahren am 23. März 2005 vorgelegten Umsatzsteuererklärung für 2002, mit der die GmbH u.a. eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in Höhe von "116" anmeldete, setzte das [X.] mit Einspruchsentscheidung vom 27. September 2005 die Umsatzsteuer 2002 --weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung-- auf ... € und Zinsen auf ... € fest; dabei folgte es den Angaben der GmbH, sah aber, nachdem es erfolglos [X.]elege zu der erklärten innergemeinschaftlichen Lieferung angefordert hatte, die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit dieser Lieferung nicht als erfüllt an und berechnete die diesbezügliche Steuer aufgrund einer [X.]emessungsgrundlage von "116". In der --hernach dem [X.] übersandten-- Rechnung vom 31. Oktober 2002 an die [X.] über "116" ist weder Umsatzsteuer ausgewiesen noch ein Hinweis auf die [X.] bzw. auf das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung angebracht.

3

Mit --von der Klägerin namens der GmbH gestelltem-- Antrag vom 24. November 2005, die Festsetzung der Umsatzsteuer 2002 gemäß § 164 der Abgabenordnung ([X.]) zu ändern und die steuerpflichtigen Umsätze um "116" zu mindern, überließ die GmbH dem [X.] die betreffenden Lieferscheine, später übersandte sie eine auf den 19. Mai 2006 datierte [X.]estätigung der [X.], wonach diese das Material erhalten und es zur [X.]austelle in [X.]elgien befördert habe.

4

Die GmbH leistete auf die Festsetzungen keine Zahlungen. Das [X.] pfändete das betriebliche Konto und beantragte am 16. März 2006 beim [X.] die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH, die am 5. November 2007 im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht wurde.

5

Auf das Schreiben des [X.] vom 19. Januar 2006, mit dem es der Klägerin seine Absicht mitgeteilt hatte, sie für die im Haftungszeitraum Januar 2002 bis Januar 2006 bestehenden Steuerschulden der GmbH in Haftung zu nehmen, und um entsprechende Auskünfte bat, reagierte die Klägerin nicht.

6

Mit Haftungsbescheid vom 2. März 2006 nahm das [X.] die Klägerin gemäß § 191 [X.] i.V.m. §§ 34, 35, 69 [X.] in Höhe von insgesamt ... € wegen rückständiger Steuern der GmbH und Nebenleistungen --darunter ... € für Umsatzsteuer 2002 nebst ... € an Säumniszuschlägen und ... € an [X.] in Anspruch. Die Haftungssumme wurde mit Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2007 auf insgesamt ... € reduziert, die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin für Umsatzsteuer 2002 der GmbH und Nebenleistungen hierzu blieb unberührt. Zur [X.]egründung führte das [X.] aus, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Abgabe wahrheitsgemäßer Steuererklärungen und zur Entrichtung der Steuern schuldhaft verletzt und dadurch bewirkt, dass die Steuern der GmbH nicht bzw. nicht rechtzeitig bezahlt worden seien. Die Umsatzsteuer 2002 der GmbH sei mit Einspruchsentscheidung vom 27. September 2005 bestandskräftig festgesetzt, was die Klägerin gemäß § 166 [X.] gegen sich gelten lassen müsse. Ihre Inanspruchnahme sei ermessensgerecht, weil [X.]eitreibungsmaßnahmen erfolglos geblieben seien und im Hinblick auf die Ablehnung des Insolvenzantrags keine Aussicht auf Erfolg hätten. Dabei werde berücksichtigt, dass eine Inanspruchnahme wegen Säumniszuschlägen nur soweit zulässig sei, als diese bis zum Zeitpunkt des Eintritts der nachweislichen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin entstanden seien. Ob der Ehemann der Klägerin als faktischer Geschäftsführer in Anspruch zu nehmen sei, bleibe einer weiteren Prüfung vorbehalten.

7

Mit der dagegen gerichteten Klage begehrte die Klägerin die Aufhebung des Haftungsbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage durch Urteil aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2012, 195 veröffentlichten Gründen ab. Die Klägerin könne mit ihrem Einwand, die Umsatzsteuer 2002 sei in großem Umfang zu Unrecht gegenüber der GmbH festgesetzt worden, im vorliegenden Verfahren gemäß § 166 [X.] nicht gehört werden. Abgesehen davon sei die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung nicht nachgewiesen.

8

Mit der --vom [X.] hinsichtlich der Frage, ob gemäß § 164 Abs. 1 [X.] unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steuerbescheide unanfechtbar i.S. des § 166 [X.] sind, zugelassenen-- Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

9

Das [X.] habe die Drittwirkung der Steuerfestsetzung gemäß § 166 [X.] unzutreffend beurteilt. [X.]ei einem Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung trete die [X.]indungswirkung erst ein, wenn er nicht nur formell, sondern auch materiell bestandskräftig geworden sei, d.h. auch nach § 164 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht mehr geändert werden könne. Die GmbH habe einen Antrag auf Änderung gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 [X.] gestellt und alle notwendigen Nachweise für die Steuerbefreiung vorgelegt; es sei die Pflicht des [X.] gewesen, vor Erlass des Haftungsbescheides über den Änderungsantrag zu entscheiden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Vorentscheidung betreffend Haftung für Umsatzsteuer 2002 der GmbH und Nebenleistungen hierzu den Haftungsbescheid vom 2. März 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2007 dahingehend zu ändern, dass die Haftungssumme um die Umsatzsteuer 2002 in Höhe von ... €, diesbezügliche Zinsen von ... € und Säumniszuschlägen von ... € gemindert wird.

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 166 [X.] ergebe, stelle die Vorschrift auf die Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides und nicht auf dessen Unabänderbarkeit ab. Im Übrigen führe das Fehlen des Hinweises auf die Steuerfreiheit der Lieferung in der Rechnung vom 31. Oktober 2002 dazu, dass die formelle Vollständigkeit der [X.]eleg- und [X.]uchangaben nicht gegeben sei.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit diese die Haftung der Klägerin wegen Umsatzsteuer 2002 der GmbH und Nebenleistungen hierzu betrifft, sowie zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] hat zwar zutreffend entschieden, dass das [X.] die Klägerin dem Grunde nach zu Recht wegen Ansprüchen gegen die GmbH wegen Umsatzsteuer 2002 nebst Zinsen und Säumniszuschlägen hierzu --wogegen sich die Revision lediglich wendet-- in Haftung genommen hat (vgl. dazu unter 1.). Das [X.] hat aber zu Unrecht die Klägerin mit ihren Einwendungen gegen die der Haftungsschuld zugrunde liegende Steuerschuld ausgeschlossen (vgl. dazu unter 2.). Allerdings greifen die Einwendungen der Klägerin gegen die Behandlung der streitbefangenen Lieferung(en) als steuerpflichtig nur hinsichtlich der Bemessungsgrundlage (vgl. dazu unter 3.).

1. Nach § 69 i.V.m. §§ 34, 35 [X.] haften die Geschäftsführer einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 [X.]) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.

Als Geschäftsführerin der GmbH war die Klägerin deren gesetzliche Vertreterin (vgl. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung) und hatte als solche gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 [X.] deren steuerliche Pflichten zu erfüllen, insbesondere rechtzeitig Steuererklärungen abzugeben (§ 149 [X.], § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--) und die fälligen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 [X.], § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG) zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin, "bezüglich der Umsatzsteuer 2002 [seien] die Voraussetzungen für die Haftung eines Geschäftsführers, nämlich vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der ihm obliegenden Pflichten wegen der Untätigkeit des Beklagten nicht gegeben", liegt ein Verstoß gegen beide Pflichten vor.

b) Nach den gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] hat die Klägerin die Umsatzsteuer-Jahreserklärung der [X.] nicht bis zum 31. Mai 2003 (vgl. § 149 Abs. 2 Satz 1 [X.]), sondern erst am 23. März 2005 abgegeben. Zudem hat die Klägerin für die GmbH die einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung fällige Umsatzsteuer (vgl. § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG) sowie die festgesetzten Zinsen nicht entrichtet, obwohl die Vollziehung der [X.] mit einem Rechtsbehelf angefochtenen-- Bescheide nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung der Abgabe und der Nebenleistung nicht aufgehalten war (vgl. § 361 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

Dass die Klägerin für die GmbH am 24. November 2005 die Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 2 [X.] beantragte, führt zu keiner anderen Beurteilung; denn dieser Antrag vermag die bereits erfolgte Pflichtverletzung, nämlich die Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2002 verspätet abgegeben zu haben, nicht entfallen zu lassen. Außerdem hätte die Klägerin, selbst wenn sie --unzutreffend (vgl. dazu unter 3.)-- angenommen haben sollte, der betreffende Umsatz sei als innergemeinschaftliche Lieferung steuerbefreit, bei pflichtgemäßem Verhalten gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 [X.] gleichwohl dafür sorgen müssen, dass die festgesetzten Steuern aus den Mitteln der GmbH entrichtet werden (vgl. z.B. Urteil des [X.] --BFH-- vom 24. April 2014 IV R 25/11, [X.], 499, [X.], 819, Rz 38). Denn durch ihren Antrag wurde die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts nicht gehemmt.

Diese objektive Pflichtwidrigkeit indiziert den gegenüber der Klägerin zu erhebenden Schuldvorwurf (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11. November 2008 VII R 19/08, [X.], 303, [X.], 342).

c) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 191 Abs. 1 Satz 1 [X.]). [X.] § 191 [X.] bedeutet Einstehenmüssen für eine fremde Schuld, weshalb die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners durch Haftungsbescheid u.a. voraussetzt, dass die Steuerschuld, für die gehaftet wird, im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides materiell-rechtlich noch besteht (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 12. Oktober 1999 VII R 98/98, [X.], 25, [X.], 486; vom 11. Juli 2001 VII R 28/99, [X.], 510, [X.], 267, jeweils m.w.N.).

2. Entgegen der Auffassung des [X.] ist die Klägerin nicht gehindert, Einwendungen gegen die Steuerschuld der GmbH geltend zu machen.

a) Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, so hat dies nach § 166 [X.] neben einem Gesamtrechtsnachfolger auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten.

b) Die Drittwirkung der Steuerfestsetzung nach Unanfechtbarkeit (formeller Bestandskraft) gemäß § 166 [X.] lässt bei einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung den Anspruch des Steuerpflichtigen und seines Vertreters auf Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 2 [X.] unberührt; beide Vorschriften haben einen voneinander unabhängigen Regelungs- und Anwendungsbereich ([X.] vom 4. Juni 1996 VII S 9/96, [X.] 1996, 915, unter 2.a). Dies hat das [X.] nicht beachtet.

aa) Auch wenn eine unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene (§ 164 [X.]) Steuerfestsetzung die Rechtsfolge des § 166 [X.] auslöst, wenn die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber "unanfechtbar" festgesetzt worden ist --also mit einem förmlichen Rechtsbehelf (Einspruch, Klage, Nichtzulassungsbeschwerde, Revision) nicht (mehr) anfechtbar ist-- kann eine solche Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist (§ 164 Abs. 2 Sätze 1 und 2 [X.]).

Ein in Haftung genommener Vertreter des Steuerpflichtigen kann auf eine Aufhebung/Änderung einer solchen Steuerfestsetzung hinwirken und trotz Unanfechtbarkeit der (noch wirksamen) Vorbehaltsfestsetzung uneingeschränkt Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser Steuerfestsetzung und gegen die Höhe der gegen ihn festgesetzten Haftungsschuld geltend machen ([X.] vom 28. März 2001 VII B 213/00, [X.] 2001, 1217, unter [X.] und 3.; vgl. auch [X.] in [X.], [X.] § 166 Rz 18 f.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 166 [X.] Rz 6; [X.]/Rüsken, [X.], 12. Aufl., § 166 Rz 10; Koenig/ [X.], Abgabenordnung, 3. Aufl., § 166 Rz 9; [X.] in [X.], [X.], § 166 Rz 5; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 166 [X.] Rz 3).

bb) Aus dem BFH-Urteil vom 24. August 2004 VII R 50/03 ([X.], 5, [X.], 127) sowie aus den BFH-Beschlüssen vom 4. Februar 2003 VI B 70/02 ([X.] 2003, 798) und vom 25. Juli 2003 VII B 240/02 ([X.] 2003, 1540) ergibt sich nichts anderes.

In den den Entscheidungen in [X.] 2003, 798 und in [X.], 5, [X.], 127 zugrunde liegenden Sachverhalten war die Vertretungsmacht des [X.] bereits vor Erlass des Steuerbescheides bzw. während des Laufs der Rechtsbehelfsfrist erloschen, so dass die Bindungswirkung des § 166 [X.] erst gar nicht hat eintreten können; für die Entscheidung in [X.] 2003, 1540 kam es auf die Frage der materiellen Bestandskraft nicht an.

c) Danach ist die Klägerin nicht gehindert, Einwendungen gegen den Umsatzsteuerbescheid der [X.] geltend zu machen, weil die Klägerin nach den Feststellungen des [X.] noch in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin der GmbH am 24. November 2005 die Änderung der [X.] 2002 gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 [X.] beantragt hat. Über diesen Antrag wurde bislang nicht entschieden mit der Folge, dass die Festsetzungsfrist nicht abgelaufen ist und der Vorbehalt der Nachprüfung noch besteht (§ 164 Abs. 4 Satz 1, § 169, § 171 Abs. 3 [X.]).

3. Das [X.] hat zutreffend die streitbefangene(n) Lieferung(en) nicht als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung(en) angesehen.

a) [X.] Lieferungen sind gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG unter den nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. der [X.] (UStDV) durch den Unternehmer nachzuweisenden Voraussetzungen des § 6a UStG steuerfrei.

b) Sie liegen im Streitfall jedoch nicht vor.

aa) Vorliegend hat die GmbH den [X.] nicht erbracht. Sie hat über die betreffende Lieferung keine den Anforderungen der §§ 14, 14a UStG entsprechende Rechnung ausgestellt. Die Rechnung enthielt zwar keinen Steuerausweis, jedoch nach den den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O) auch nicht den gemäß § 14a Abs. 1 Satz 1 UStG zusätzlich erforderlichen Hinweis auf die Steuerfreiheit der Lieferung als innergemeinschaftliche Lieferung. Mit einer Rechnung, die keinen Hinweis auf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung enthält, kann der Unternehmer den gemäß § 17a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStDV erforderlichen [X.] für eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht führen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 12. Mai 2011 V R 46/10, [X.], 436, [X.], 957, Rz 21; vom 14. November 2012 XI R 8/11, [X.] 2013, 596, Rz 44).

bb) Zwar ist der Unternehmer, der die Steuerfreiheit nicht belegmäßig nachweisen kann, grundsätzlich berechtigt, die Voraussetzungen der Steuerfreiheit objektiv nachzuweisen (z.B. BFH-Urteil in [X.] 2013, 596, Rz 55). Nach der den [X.] bindenden Würdigung der Gesamtumstände durch das [X.] (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O) steht aber nicht objektiv fest, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit vorliegen. Rechtsfehlerfrei hat das [X.] dabei auch auf das sich ändernde Vorbringen der GmbH sowie deren mittelbare Verbundenheit mit der behaupteten Empfängerin der Leistung, der [X.], abgestellt; so ist auf den Lieferscheinen etwa vermerkt "Lieferung frei Baustelle", "Lieferung mittels Kranwagen", "frei Baustelle, Abladung durch den Auftraggeber", "frei Baustelle gekippt" o.ä., während die [X.] unter dem 19. Mai 2006 bestätigte: "Das Material wurde von uns nach zu der oben benannten Baustelle befördert."

c) Die Lieferung ist schließlich nicht nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG steuerfrei, da dies voraussetzte, dass der Unternehmer den Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV als Voraussetzung für die Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG ihrer Art nach nachkommt (z.B. BFH-Urteil in [X.] 2013, 596, Rz 63); dies ist nach obigen Ausführungen gerade nicht der Fall.

4. Jedoch hat das [X.] nicht beachtet, dass das [X.] die Steuer für die betreffende(n) Lieferung(en) nicht zutreffend berechnet hat.

a) Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG wird der Umsatz bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Das gilt auch, wenn die Beteiligten rechtsirrtümlich die Gegenleistung ohne Umsatzsteuer vereinbaren. Der vereinbarte Betrag ist danach in Entgelt und darauf entfallende Umsatzsteuer aufzuteilen (vgl. BFH-Urteil vom 20. Januar 1997 V R 28/95, [X.], 353, [X.] 1997, 716, unter II.2.d).

b) Danach beträgt die Bemessungsgrundlage für die betreffende(n) Lieferung(en) nicht "116", sondern abzüglich der in diesem Bruttobetrag enthaltenen Umsatzsteuer von 16 % (vgl. § 12 Abs. 1 UStG i.d.F. vom 21. Februar 2005, [X.], 386) vielmehr "100". Die Steuer auf diesen Umsatz reduziert sich danach von bisher berücksichtigten ... € auf ... €.

c) Da sich mithin die Umsatzsteuer 2002 um ... € mindert, reduziert sich entsprechend die in der Anlage zur Einspruchsentscheidung vom 27. September 2005 ausgewiesene Zahllast von ... € auf ... €. Dieser Betrag ist maßgebend für die Verzinsung (§ 233a Abs. 3 [X.]); die Zinsen berechnen sich nach § 233a Abs. 2 i.V.m. § 238 [X.]. Danach mindert sich die [X.] vom 27. September 2005 von ... € auf ... €.

d) Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge (§ 69 Satz 2 [X.]). Die verwirkten Säumniszuschläge bleiben von der Änderung der Steuer unberührt (§ 240 Abs. 1 Satz 4 [X.]).

5. Schließlich hat das [X.] die Betätigung des Entschließungs- und Auswahlermessens durch das [X.] zu Recht nicht beanstandet (vgl. § 102 [X.]O). Im Übrigen richtet sich die Revision der Klägerin nicht gegen ihre Haftungsinanspruchnahme dem Grunde nach, sondern nur gegen ihre Inanspruchnahme wegen Umsatzsteuer 2002 der GmbH sowie Nebenleistungen hierzu.

6. [X.] beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1, § 143 Abs. 1 [X.]O.

Da die Revision der Klägerin Erfolg hat, kann auch die Kostenentscheidung des [X.] keinen Bestand haben. Der [X.] hält es für angemessen, über die Kosten nach Verfahrensabschnitten zu entscheiden. Auch eine solche Entscheidung wahrt den Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 30. April 2014 XI R 24/13, [X.], 66, [X.], 1014, m.w.N.).

Meta

XI R 43/11

22.04.2015

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 13. Oktober 2011, Az: 13 K 4121/07, Urteil

§ 34 AO, § 35 AO, § 69 AO, § 149 Abs 2 S 1 AO, § 164 AO, § 166 AO, § 171 Abs 3 AO, § 233a Abs 3 AO, § 238 AO, § 4 Nr 1 Buchst b UStG 1999, § 6a UStG 1999, § 10 Abs 1 UStG 1999, § 18 Abs 4 UStG 1999

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.04.2015, Az. XI R 43/11 (REWIS RS 2015, 12274)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12274

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