Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.
Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Revisionsentscheidung im Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung: Fehlerhafte Gesamtstrafenbildung bei Tatbegehung zwischen zwei Vorverurteilungen
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. September 2015, soweit es die Angeklagte betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das [X.] – Strafrichter – zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das [X.] hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und fahrlässiger Körperverletzung unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 17. Oktober 2014 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. [X.] des [X.]s hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die [X.] dem Urteil des [X.] vom 17. Oktober 2014 zu Unrecht Zäsurwirkung beigemessen hat.
a) Wurde die neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abgeurteilte Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu ([X.], Beschluss vom 18. Dezember 2013 – 4 StR 356/13, [X.], 74). Dies gilt nach der Rechtsprechung des [X.] unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde (vgl. Beschlüsse vom 17. November 2015 – 4 [X.], [X.], 82; vom 7. Mai 2013 – 4 StR 111/13, [X.], 354; Urteil vom 12. August 1998 – 3 StR 537/97, [X.]St 44, 179, 180 f.; Beschluss vom 22. Juli 1997 – 1 StR 340/97, [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13) oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. Juli 2009 – 5 StR 269/09; vom 17. Juli 2007 – 4 StR 266/07, [X.], 369 f.; vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, [X.]St 32, 190, 193).
b) Bei der im angefochtenen Urteil vorgenommenen Gesamtstrafenbildung hat die [X.] übersehen, dass in dem Verfahren des [X.] Az. 16 a [X.]40 Js 2487/12–262/12, in dem die Angeklagte zu der zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde, am 23. Januar 2014 ein Berufungsurteil des [X.]s Essen erging, in welchem zumindest über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung entschieden wurde. Nach dieser Berufungsentscheidung, die zu einem Teil der Straffrage ergangen ist, bestimmt sich nach der gesetzlichen Regelung des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB der Zeitpunkt der dieser Vorverurteilung zukommenden Zäsurwirkung (vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. November 2015 – 4 [X.], [X.], 75 [LS]; vom 30. Juni 1960 – 2 StR 147/60, [X.]St 15, 66, 69 ff.). Da die im einbezogenen Urteil des [X.] vom 17. Oktober 2014 mit einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten geahndete Tat am 14. Januar 2014, mithin vor dem Berufungsurteil des [X.]s Essen vom 23. Januar 2014 begangen wurde, sind beide Vorverurteilungen der Angeklagten untereinander gesamtstrafenfähig. Demgegenüber wurde die im angefochtenen Urteil abgeurteilte Tat erst am 5. April 2014 und damit nach dem Berufungsurteil des [X.]s Essen verübt, so dass eine nachträgliche Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Vorverurteilung durch das [X.] vom 17. Oktober 2014 nicht in Betracht kommt.
2. Die im angefochtenen Urteil verhängte [X.] von sieben Monaten kann gleichfalls nicht bestehen bleiben. Das bei alleiniger Revision des Angeklagten zu beachtende verfahrensrechtliche Verbot der reformatio in peius aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hat im Falle der fehlerhaften nachträglichen Gesamtstrafenbildung zur Folge, dass dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden darf (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Dezember 1995 – 2 StR 584/95, [X.], 265 [LS]; vom 11. Februar 1988 – 4 StR 516/87, [X.]St 35, 208, 212; Urteil vom 3. November 1955 – 3 StR 369/55, [X.]St 8, 203). Das Verschlechterungsverbot führt hier dazu, dass die Einzelstrafe für die im angefochtenen Urteil neu abgeurteilte Tat und die zwingend nach § 460 StPO zu bildende Gesamtstrafe aus den Strafen aus dem Urteil des [X.] vom 17. Oktober 2014 sowie dem Verfahren des [X.] Az. 16 a [X.] 40 Js 2487/12–262/12 zusammen die Dauer von 17 Monaten (Summe der Gesamtstrafen von elf Monaten aus dem angefochtenen Urteil und von sechs Monaten aus dem vorbezeichneten Verfahren des [X.]) nicht übersteigen dürfen. Da die Höhe der nunmehr im Verfahren nach § 460 StPO noch festzusetzenden nachträglichen Gesamtstrafe aus den sich aus den Vorverurteilungen ergebenden (Einzel-)Strafen offen ist, hebt der Senat, um jede Schlechterstellung der Angeklagten auszuschließen, den Einzelstrafausspruch mit auf. Der neue Tatrichter wird – zweckmäßigerweise nach Durchführung des Verfahrens zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 460 StPO – unter Beachtung des Verbots der reformatio in peius eine neue Einzelstrafe zu bestimmen haben.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, aus denen sich ergibt, dass die Angeklagte bei Begehung der neuerlichen Tat in drei – nicht wie von der [X.] angenommen in vier – Verfahren unter Bewährung stand, können bestehen bleiben. Neu getroffene ergänzende Feststellungen dürfen den bisherigen nicht widersprechen.
3. Da sich das weitere Verfahren nur noch gegen eine Erwachsene richtet und die Strafgewalt des Strafrichters ausreicht, macht der Senat von seinem Ermessen Gebrauch (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Mai 1994 – 4 StR 75/94, [X.]R StPO § 354 Abs. 3 Zuständigkeit 1 mwN) und verweist die Sache an den Strafrichter des [X.] zurück, der nach § 462a Abs. 3 Satz 1 StPO auch für die nach § 460 StPO vorzunehmende Gesamtstrafenbildung zuständig ist.
[X.][X.]
Mutzbauer [X.]
Meta
08.06.2016
Bundesgerichtshof 4. Strafsenat
Beschluss
Sachgebiet: StR
vorgehend LG Bochum, 4. September 2015, Az: 3 KLs 76/14
§ 55 StGB, § 358 Abs 2 S 1 StPO, § 460 StPO, § 224 StGB
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.06.2016, Az. 4 StR 73/16 (REWIS RS 2016, 10356)
Papierfundstellen: REWIS RS 2016, 10356
Auf Mobilgerät öffnen.
Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
4 StR 73/16 (Bundesgerichtshof)
4 StR 321/22 (Bundesgerichtshof)
Ausspruch über Gesamtfreiheitsstrafe bei Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus Vorverurteilung
4 StR 420/19 (Bundesgerichtshof)
Revisionsentscheidung in Strafsachen: Verbot der reformatio in peius im Falle fehlerhafter nachträglicher Gesamtstrafenbildung durch das …
2 StR 204/16 (Bundesgerichtshof)
Raub: Nachträgliche Gesamtstrafenbildung und Zäsurwirkung einer Vorverurteilung
4 StR 356/13 (Bundesgerichtshof)
Nachträgliche Gesamtstrafenbildung: Zäsurwirkung bei Absehen von der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe