Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.05.2020, Az. 1 VR 2/19

1. Senat | REWIS RS 2020, 3892

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Gegenstand

Unzulässig gewordener Eilantrag gegen sofort vollziehbaren Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG


Leitsatz

Ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird - ebenso wie eine Klage - unzulässig, wenn der Antragsteller einer gerichtlichen Aufforderung, seine während des Verfahrens geänderte Anschrift binnen einer bestimmten (Ausschluss-)Frist mitzuteilen, ohne Angabe eines triftigen Grundes nicht nachkommt.

Tenor

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage 1 A 7.19 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 9. September 2019 anzuordnen, wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Antragsverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der im Dezember 1998 geborene Antragsteller ist [X.] Staatsangehöriger. Nach seiner im Oktober 2015 erfolgten Einreise wurde er als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verfügung des Antragsgegners vom 9. September 2019 (Abschiebungsanordnung gemäß § 58a [X.] und Anordnung eines unbefristeten Einreiseverbots).

2

Nachdem der Antragsteller im Februar 2018 wegen dringenden Tatverdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a StG[X.] in Untersuchungshaft genommen worden war, hatte das [X.] mit [X.]escheid vom 6. Februar 2019 den subsidiären Schutzstatus des Antragstellers gemäß § 73b Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 [X.] unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen und festgestellt, dass kein nationales Abschiebungsverbot bestehe. Mit [X.]escheid vom 23. Mai 2019 hatte die Ausländerbehörde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers widerrufen, dem Antragsteller die Abschiebung in den [X.] angedroht und für den Fall der Abschiebung gegen ihn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von 10 Jahren verhängt. Ein Eilrechtsschutzantrag des Antragstellers gegen diesen [X.]escheid beim [X.] blieb ohne Erfolg.

3

Durch (nicht rechtskräftiges) Urteil des [X.] vom 9. September 2019 (2 [X.] 23/18) wurde der Antragsteller wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur [X.]ewährung ausgesetzt wurde.

4

Mit Verfügung vom 9. September 2019 ordnete der Antragsgegner auf der Grundlage von § 58a [X.] die Abschiebung des Antragstellers in den [X.] (Ziffer [X.]) sowie für den Fall der Abschiebung ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer II[X.]) an. Zugleich stellte er fest, dass der Abschiebung in den [X.] derzeit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 [X.] entgegenstehe, welches jedoch unter bestimmten Voraussetzungen entfalle (Ziffer I[X.]).

5

Der Antragsteller hat am 13. September 2019 gegen diese Verfügung Klage erhoben (1 A 7.19) und den streitgegenständlichen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

6

Mit [X.]escheid vom 25. November 2019 widerrief der Antragsgegner die unter Ziffer I[X.] des [X.]escheids vom 9. September 2019 erfolgte Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 [X.] und ordnete die sofortige Vollziehung des Widerrufs an. Hiergegen hat der Antragsteller beim Senat eine weitere Klage erhoben (1 A 8.19) und ebenfalls vorläufigen Rechtsschutz beantragt (vgl. dazu [X.]eschluss des Senats vom 28. Mai 2020 - 1 VR 3.19 -).

7

Am 26. November 2019 wurde der Antragsteller auf der Grundlage der vollziehbaren Abschiebungsandrohung im [X.]escheid des [X.] vom 23. Mai 2019 in den [X.] abgeschoben. Einen zuvor gestellten Antrag auf Untersagung der Abschiebung im Wege der einstweiligen Anordnung hatte der Senat mangels erstinstanzlicher Zuständigkeit des [X.] abgelehnt und den Antragsteller auf seinen beim [X.] gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz verwiesen (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 26. November 2019 - 1 VR 4.19 -).

8

Mit gerichtlicher Verfügung vom 19. Dezember 2019 ist der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers u.a. gebeten worden, bis zum 20. Januar 2020 mitzuteilen, ob bzw. inwieweit die beim Senat anhängigen Verfahren 1 A 7.19, 1 A 8.19, 1 VR 2.19 und 1 VR 3.19 fortgeführt werden sollen, ggf. eine Klage- bzw. Antragsbegründung vorzulegen, die zumindest in den [X.] auch das fortbestehende Rechtsschutzinteresse erläutert, und eine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Antragstellers bzw. [X.] mitzuteilen.

9

Mit gerichtlicher Verfügung vom 25. Februar 2020 ist dem Prozessbevollmächtigten u.a. in direkter bzw. entsprechender Anwendung des § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO unter Hinweis auf die grundsätzlich ausschließende Wirkung der gesetzten Frist aufgegeben worden, bis zum 31. März 2020 die Klagen durch Mitteilung der aktuellen [X.] Anschrift zu ergänzen. Am 31. März 2020 teilte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit, als aktuelle ladungsfähige Anschrift des [X.] bzw. Antragstellers werde die Stadt [X.] in der Republik [X.] angegeben. Darüber hinaus werde als [X.] die Anschrift des Prozessbevollmächtigten mitgeteilt. Das Rechtsschutzinteresse bestehe fort, weil der Antragsteller gegebenenfalls früher oder später einmal wieder nach [X.] oder in einen anderen Mitgliedstaat der [X.] (legal) einreisen wolle.

II

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 9. September 2019, der sich mangels erkennbarer [X.]eschränkung sowohl auf die Anordnung der Abschiebung als auch auf das (aufschiebend bedingt) angeordnete unbefristete Einreiseverbot bezieht, hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig, weil es dem Antragsteller jedenfalls für den begehrten Eilrechtsschutz am Rechtsschutzinteresse fehlt und weil er seine aktuelle ladungsfähige Anschrift nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten Ausschlussfrist mitgeteilt hat.

1. Nach der am 21. August 2019 in [X.] getretenen Neuregelung des § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO i.d.[X.]. 4 des [X.] zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 ([X.]) ist das [X.] für die Entscheidung über beide [X.]egehren erst- und letztinstanzlich zuständig.

2. Offenbleiben kann, ob der Antrag auch hinsichtlich des unter Ziffer II[X.] (aufschiebend bedingt) angeordneten, an eine (künftige) Abschiebung auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung gemäß § 58a [X.] anknüpfenden unbefristeten Einreiseverbots statthaft ist; dies setzte voraus, dass die Klage insoweit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 [X.] keine aufschiebende Wirkung entfaltet (bejahend mit ausführlicher [X.]egründung [X.], [X.]eschluss vom 13. November 2019 - 11 S 2996/19 - juris Rn. 41 ff.).

Der Antrag auf (gerade) vorläufigen Rechtsschutz ist jedenfalls unzulässig, weil es dem Antragsteller insoweit hinsichtlich beider Regelungsgegenstände an einem Rechtsschutzinteresse fehlt. Eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung und/oder des damit verbundenen, aufschiebend bedingten Einreiseverbots brächte dem Antragsteller derzeit und auf absehbare [X.] keinen konkreten tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil. Der Antragsteller ist auf anderer Rechtsgrundlage bereits in den [X.] abgeschoben worden. Eine neuerliche Abschiebung nunmehr auf der Grundlage der Anordnung nach § 58a [X.], welche das hier streitgegenständliche Einreiseverbot aus Ziffer II[X.] der Verfügung vom 9. September 2019 erst auslösen würde, steht jedenfalls auf absehbare [X.] nicht zu erwarten, zumal nicht konkret vorgetragen und im Hinblick auf das durch die Abschiebung wirksam gewordene Einreiseverbot aus dem [X.]escheid der Ausländerbehörde vom 23. Mai 2019 auch nicht ersichtlich ist, dass eine Wiedereinreise des Antragstellers absehbar möglich ist.

3. Der Antrag ist zudem auch deshalb unzulässig, weil der Antragsteller nach seiner Abschiebung in den [X.] trotz Aufforderung und Fristsetzung gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO seine aktuelle ladungsfähige Anschrift nicht mitgeteilt hat.

a) Zur [X.]ezeichnung eines [X.] im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört regelmäßig auch die Angabe der [X.] Anschrift, d.h. der ([X.], unter welcher der Kläger tatsächlich zu erreichen ist ([X.]VerwG, Urteile vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - [X.] 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 3 ff., und vom 15. August 2019 - 1 A 2.19 - juris Rn. 14). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Kläger von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 1. September 2005 - 1 [X.] 79.05 - [X.] 310 § 82 VwGO Nr. 22 S. 12 f.). Die Angabe der [X.] Anschrift soll nicht nur dessen hinreichende Individualisierbarkeit sowie Identifizierbarkeit sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen; sie soll darüber hinaus gewährleisten, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt und sich im Falle seines Unterliegens der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Daher wird eine Klage unzulässig, wenn der Kläger einer gerichtlichen Aufforderung, seine während des Verfahrens geänderte Anschrift binnen einer bestimmten Frist mitzuteilen, ohne triftigen Grund nicht nachkommt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Angabe einer [X.] Anschrift nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift kann im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ausnahmsweise entfallen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen oder wenn der Kläger glaubhaft nicht über eine Anschrift verfügt ([X.]VerfG, [X.] vom 2. Februar 1996 - 1 [X.]vR 2211/94 - NJW 1996, 1272 und vom 11. November 1999 - 1 [X.]vR 1203/99 - juris Rn. 1; [X.]VerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - [X.] 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 8 und [X.]eschluss vom 14. Februar 2012 - 9 [X.] 79.11 - [X.] 310 § 82 VwGO Nr. 24 Rn. 11). In diesen Ausnahmefällen müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der [X.] Anschrift verzichtet werden kann (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - [X.] 310 § 82 VwGO Nr. 19). Die vorgenannten Grundsätze gelten entsprechend für Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 bzw. § 123 VwGO.

b) Nach diesen Maßstäben ist der Antrag unzulässig. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat den Antrag nicht innerhalb der ihm durch gerichtliche Verfügung vom 25. Februar 2020 gesetzten, mit Ablauf des 31. März 2020 verstrichenen Ausschlussfrist um eine den Erfordernissen des - entsprechend anwendbaren - § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügende ladungsfähige Anschrift ergänzt. Auf die Rechtsfolge des § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist er in der genannten Verfügung hingewiesen worden.

Die im Schriftsatz vom 31. März 2020 mitgeteilte, als "ladungsfähige Anschrift" bezeichnete Angabe "Stadt [X.] in der Republik [X.]" erfüllt mangels hinreichender Genauigkeit offensichtlich nicht die Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift. Die Anschrift des Prozessbevollmächtigten als "[X.]" vermag - wie oben ausgeführt - die Angabe der Wohnungsanschrift des Antragstellers selbst nicht zu ersetzen. Die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise von der Angabe der [X.] Anschrift abgesehen werden kann, sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers nicht mitgeteilt hat, aus welchen Gründen er die genaue Wohnungsanschrift des Antragstellers nicht angegeben hat oder ggf. nicht angeben konnte.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Da die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Entscheidung in der Hauptsache praktisch vorwegnimmt, war der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben. Das Einreiseverbot hat, wenn es nicht isoliert, sondern als Annex zu der es veranlassenden Grundmaßnahme angegriffen wird, keine eigenständige [X.]edeutung für die Streitwertfestsetzung (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 21. Januar 2020 - 11 S 3477/19 - juris Rn. 104).

Meta

1 VR 2/19

28.05.2020

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: VR

§ 58a AufenthG, § 60 Abs 5 AufenthG, § 123 VwGO, § 50 Abs 1 Nr 3 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 82 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.05.2020, Az. 1 VR 2/19 (REWIS RS 2020, 3892)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3892

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