Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2016, Az. XII ZB 269/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 4778

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:280916BXIIZB269.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 269/16

vom

28. September 2016

in der Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

FamFG §§ 34 Abs. 2, 275 Abs. 1, 295 Abs. 1
Von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen
darf im Verfahren zur [X.] jedenfalls dann nicht abgesehen werden, wenn nicht ausgeschlossen ist,
dass aus den Antworten und aus dem Verhalten des Be-troffenen Rückschlüsse auf dessen natürlichen Willen gezogen werden können.

[X.], Beschluss vom 28. September 2016 -
XII ZB 269/16 -
LG Konstanz

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
28. September 2016
durch [X.] und [X.] [X.], [X.], [X.] und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.]s Konstanz
vom 12.
Mai 2016
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht
zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
[X.]: 5

Gründe:
I.
Der
26jährige Betroffene leidet seit seiner Geburt an einer peripartalen cerebralen Schädigung mit gemischter
zentraler
Koordinationsstörung,
[X.], [X.] und ausgeprägter Athetose, dazu an einer
Anarthie bei hochgradiger Schwerhörigkeit, einer
Beugekontraktur beider Kniegelenke und einer
Hüftgelenksluxation rechts, weshalb er seine sämtlichen Angelegenheiten nicht selbst
besorgen kann.

1
-
3
-
Im
Januar 2009 bestellte
das Amtsgericht eine Rechtsanwältin zur Be-rufsbetreuerin. Dies
wurde mit den zwischen
den geschiedenen Eltern des Be-troffenen bestehenden Spannungen begründet, weshalb diese als Betreuer nicht in Betracht
kämen.
Spätere Anträge des Beteiligten zu 3
(Vater des Be-troffenen)
auf [X.] blieben erfolglos.
Mit Beschluss vom 21. Januar 2016 hat das Amtsgericht die Betreuung verlängert und den erneuten Antrag des [X.]
auf [X.] zurückge-wiesen. Von einer Anhörung des Betroffenen hat es abgesehen, weil aufgrund eingeschränkter Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Betroffenen ein Er-kenntnisgewinn nicht zu erwarten sei.
Das [X.] hat die Beschwerde des [X.] zurückgewiesen; [X.] richtet sich seine
Rechtsbeschwerde.

II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulassungsfrei statthaft, auch soweit
sich der Vater
nicht gegen die Verlängerung
der Betreuung als solche, sondern ge-gen die Auswahl des Betreuers
wendet (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 15.
September 2010

XII
ZB
166/10

FamRZ 2010, 1897 Rn.
9
f.
und vom 25.
März 2015

XII
ZB
621/14

FamRZ 2015, 1178 Rn.
9
f.
mwN).
2. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Nach dem eingeholten Gutachten bedürfe der Betroffene [X.] Betreuung in allen Angelegenheiten.
Der Betroffene
sei auch nicht zu einer freien Willensbildung in der Lage. Von einer Anhörung des Betroffenen habe 2
3
4
5
6
7
-
4
-
gemäß § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden können, da der Betroffene of-fensichtlich nicht in der Lage sei, seinen Willen kundzutun. Das ergebe sich be-reits aus dem Protokoll der Anhörung vom 27. April 2011, in der deutlich ge-worden sei, dass der Betroffene den hinter bestimmten Fragen zur Betreuung steckenden Sinn nicht zu erfassen vermochte. Auch der Sachverständige habe in seinem Gutachten bestätigt, dass eine Verständigung mit dem Betroffenen nur in sehr eingeschränktem Maße und nur bezüglich basaler Bedürfnisse mög-lich sei.
Die Voraussetzungen für einen [X.] gemäß § 1908 b BGB lägen nicht vor, da die bisherige Betreuerin nicht ungeeignet sei. Die vom Vater des Betroffenen insoweit erhobenen Vorwürfe gegen die Betreuerin seien un-begründet.
3. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht von einer persönlichen Anhörung des
Betroffenen hätte absehen dürfen.
a) Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1, 2 FamFG hat das Gericht den Betroffe-nen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilli-gungsvorbehalts persönlich anzuhören. Es hat sich einen persönlichen [X.] von dem Betroffenen zu verschaffen. Die persönliche Anhörung des Be-troffenen nach § 278 Abs. 1 FamFG ist auch für das [X.] zwingend vorgeschrieben (§ 295 Abs. 1 FamFG).
b) Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht, von einer Anhörung habe gemäß § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden können
(vgl. hierzu Senatsbe-schluss vom 2. Juli 2014

XII
ZB
120/14

FamRZ 2014, 1543 Rn. 12), weil der Betroffene nicht dazu in der Lage sei, seinen Willen kundzutun.
Bei der Prüfung 8
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-
5
-
der Voraussetzungen dieser Vorschrift hat das Beschwerdegericht einen fal-schen Maßstab angelegt.
aa)
Auf das vom Beschwerdegericht herangezogene
Kriterium, ob der Betroffene den hinter bestimmten Fragen zur Betreuung steckenden Sinn zu erfassen vermag, kommt es nicht entscheidend an. § 34 Abs. 2 FamFG greift
nämlich
nicht schon, wenn der Betroffene nichts Sinnvolles zur Sache äußern kann, sondern erst, wenn er entweder überhaupt nichts oder jedenfalls nichts irgendwie auf die Sache [X.] zu äußern imstande ist (vgl. Prütting/
Helms/[X.] FamFG 3. Aufl. § 278 Rn. 32; [X.]/[X.] Be-treuungsrecht 4. Aufl. § 278 FamFG Rn. 64), sei es etwa,
weil der Betroffene bewusstlos ist oder weil er künstlich beatmet wird und dabei weder zu einer verbalen noch zu einer
nonverbalen Kommunikation in der Lage ist, sich also in keiner Weise mehr mitteilen
kann
(HK-BUR/[X.] [Stand: Juli 2010] § 278
FamFG Rn. 138). Solange hingegen nicht ausgeschlossen ist, dass aus den Antworten und aus dem Verhalten des Betroffenen Rückschlüsse auf dessen natürlichen Willen gezogen werden können, darf das Betreuungsgericht nicht nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung absehen.
Daher schließt auch eine
erhalten gebliebene nonverbale Kommunikationsfähigkeit einen Anhörungsverzicht grundsätzlich aus (HK-BUR/[X.] [Stand: Juli 2010] §
278 FamFG Rn. 139).
Die für ein Absehen von der Anhörung erforderliche Feststellung, dass Rückschlüsse auf den natürlichen Willen des Betroffenen offensichtlich weder aufgrund verbaler noch aufgrund nonverbaler Kommunikation möglich sind, kann das Gericht regelmäßig nur auf der Grundlage eines aktuellen persönli-chen Eindrucks treffen, den es bei einer unmittelbaren
Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen gewonnen hat (vgl. [X.]/Bui

Betreuungsrecht 3. Aufl. 12
13
-
6
-
§
278 FamFG Rn.
31; [X.] FamFG 18.
Aufl. §
278 Rn.
22;
HK-BUR/[X.] [Stand: Juli 2010] § 278 FamFG Rn. 137).
bb) Im vorliegenden Fall
ist weder die konkrete Feststellung getroffen, der Betroffene
könne seinen natürlichen Willen "offensichtlich"
nicht kundtun, noch könnte sich eine solche Annahme auf den Versuch einer gerichtlichen Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen im [X.] stützen.
Vielmehr wird die gegenteilige Annahme sowohl durch frühere [X.] als auch durch die
Ausführungen des Sachverständigen
gestützt, wonach eine Verständigung mit dem Betroffenen über seine Grundbedürfnisse unter Verwendung technischer Hilfsmittel grundsätzlich möglich ist.
Unter diesen Vo-raussetzungen hätte nicht von einer Anhörung nach § 34 Abs. 2 FamFG abge-sehen werden dürfen.
c)
Da
das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft von der persönlichen Anhö-rung des Betroffenen abgesehen
hat, durfte das Beschwerdegericht nicht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer Anhörung absehen. Vielmehr hätte es
die Anhörung nachholen müssen (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 2.
März 2011

XII
ZB
346/10

FamRZ 2011, 805
Rn.
14
und vom 1.
Juni 2016

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23/16

FamRZ 2016, 1354 Rn. 17).
4. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben.
Die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die erforderliche Anhörung des Betroffenen nachzuholen.
Bei seiner erneuten Befassung wird das [X.] außerdem zu be-rücksichtigen haben, dass die [X.] bei der Entscheidung über die Verlängerung
der Betreuung
aufgrund einer umfassenden Abwägung nach den Maßstäben des § 1897 BGB zu treffen ist.
Eine Prüfung lediglich anhand der Kriterien für eine Entlassung des Betreuers (§
1908 b BGB)
genügt nicht.
14
15
16
17
-
7
-
§
1908 b Abs. 1 BGB regelt zwar die Voraussetzungen, unter denen die Entlas-sung eines Betreuers erfolgen kann. Die Vorschrift bezieht sich jedoch
nur auf diejenigen Fälle, in denen bei fortbestehender Betreuung eine isolierte Ent-scheidung über die Beendigung des Amtes des bisherigen Betreuers getroffen werden soll. Ist dagegen im Zusammenhang mit der Entscheidung über die [X.] einer bereits
bestehenden Betreuung über einen [X.] zu befinden, richtet sich die Auswahl der Person des Betreuers nach der für die Neubestellung eines Betreuers maßgeblichen Vorschrift des §
1897 BGB
(Senatsbeschlüsse
vom 15. September 2010

XII
ZB
166/10

FamRZ 2010, 1897 Rn. 17 mwN
und vom 25. März 2015

XII
ZB
621/14

FamRZ 2015, 1178 Rn. 25 mwN). Es ist daher zunächst zu prüfen, ob der Betroffene eine bestimm-te Person als Betreuer wünscht oder nicht wünscht (§ 1897 Abs. 4 Satz 1
und
2 BGB; vgl. Senatsbeschluss vom 3. August 2016

XII
ZB
616/15

juris Rn. 17), ob anstelle der bisherigen [X.] eine geeignete Person zur Verfü-gung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Betreuung bereit ist (§ 1897

-
8
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Abs. 6 Satz 1 BGB),
und inwieweit bei der Auswahl des Betreuers auf die Bin-dungen des Betroffenen zu seinen Eltern sowie auf die Gefahr von Interessen-konflikten Rücksicht zu nehmen
ist (§ 1897 Abs. 5 BGB).

Dose

[X.]

Nedden-Boeger

Botur

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 21.01.2016 -
XVII 36/08 -

LG Konstanz, Entscheidung vom 12.05.2016 -
C 12 T 42/16 -

Meta

XII ZB 269/16

28.09.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2016, Az. XII ZB 269/16 (REWIS RS 2016, 4778)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4778

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