Bundessozialgericht, Urteil vom 21.06.2018, Az. B 11 AL 13/17 R

11. Senat | REWIS RS 2018, 7380

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs bei Entlassungsentschädigung - Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist - Rationalisierungsschutz - Anwendung der fiktiven Kündigungsfrist - Ausschluss der ordentlichen Kündigung - keine Einzelfallprüfung - Vorliegen einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 18. November 2016 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26. Oktober 2015 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen das Ruhen des Anspruchs auf [X.] wegen des Erhalts einer Entlassungsentschädigung.

2

Die 1957 geborene Klägerin war seit Oktober 2002 bei der [X.] ([X.]) in M. beschäftigt. Nach dem Anstellungsvertrag fanden auf ihr Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags ([X.]) sowie die diesen ergänzenden und/oder ändernden Tarifverträge und Vorschriften Anwendung. Die [X.] beschloss am [X.] mit dem Gesamtpersonalrat ein Umstrukturierungskonzept, das ein Standortkonzept, einen Sozialplan und eine Dienstvereinbarung zur Expressabfindung enthielt. Die Arbeitsplätze der Mitarbeiter, die in M. tätig waren, sollten ersatzlos entfallen. [X.] an einem anderen Standort der [X.] sollten für die Betroffenen geprüft und letztlich betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden. Die Klägerin vereinbarte mit ihrer Arbeitgeberin in einem Aufhebungsvertrag vom 5.11.2009, dass ihr Arbeitsverhältnis zum [X.] beendet werde. Sie erhielt eine Sozialplanabfindung in Höhe von 15 234,20 Euro brutto, eine so genannte Expressabfindung in Höhe von 4570,26 Euro brutto und wegen des Eintritts einer Sperrzeit eine weitere Abfindung in Höhe von 2355 Euro.

3

Die Klägerin meldete sich am 26.1.2010 mit Wirkung zum [X.] arbeitslos und beantragte [X.]. Für den [X.]raum vom [X.] bis 23.6.2010 stellte die Beklagte mit bindendem Bescheid den Eintritt einer Sperrzeit fest. Weiter lehnte sie [X.] wegen der Entlassungsentschädigung für den [X.]raum vom [X.] bis [X.] ab. Da die Arbeitgeberin nicht habe kündigen dürfen, sei von einer fiktiven Kündigungsfrist von 18 Monaten auszugehen. Diese Frist sei bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht eingehalten worden (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Die Beklagte bewilligte [X.] erst mit Ablauf des [X.] ab 24.9.2010 (Bescheid vom [X.]; Änderungsbescheid vom [X.]).

4

Das [X.] hat die Bescheide der Beklagten vom [X.] und [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] und des Änderungsbescheids vom [X.] aufgehoben, "soweit darin das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die [X.] vom [X.] bis 23.09.2010 festgestellt worden ist". Weiter hat es die Beklagte verurteilt, "der Klägerin auch für die [X.] vom [X.] bis 23.09.2010 Arbeitslosengeld in Höhe von 17,79 Euro täglich zu gewähren" (Urteil vom 26.10.2015). Ein Ruhen des Anspruchs auf [X.] wegen der Entlassungsentschädigung sei nicht eingetreten, weil das Arbeitsverhältnis nicht ohne Einhaltung einer der tatsächlichen ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden sei. Es liege auch keine der Fallgestaltungen des § 143a Abs 1 Satz 3 [X.]B III aF bzw des § 143a Abs 1 Satz 4 [X.]B III aF mit Annahme von fiktiven Kündigungsfristen und entsprechenden Ruhensfolgen vor. Nach der von der Beklagten herangezogenen Regelung des § 5 Abs 2 des Tarifvertrags über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom [X.] (RatSchTVAng) sei die Kündigungsmöglichkeit lediglich an die Durchführung eines bestimmten Verfahrens gebunden, die ordentliche Kündigung sei jedoch nicht ausgeschlossen.

5

Auf die Berufung der Beklagten, die mit einer Korrektur des [X.] auch für den [X.] bewilligt hat (Bescheid vom 1.11.2016), hat das L[X.] das Urteil des [X.] vom 26.10.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.11.2016). Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig, soweit darin das Ruhen des Anspruchs auf [X.] für den [X.]raum vom [X.] bis 22.9.2010 festgestellt worden sei. Ein Ausschluss der ordentlichen Kündigung iS von § 143a Abs 1 Satz 3 [X.]B III aF mit Ruhen des Anspruchs auf [X.] trete nicht nur bei (vollständigem) Ausschluss einer ordentlichen Kündigung durch vertragliche, tarifliche, betriebliche oder gesetzliche Regelungen, sondern auch dann ein, wenn eine Kündigung wegen des Fehlens der dafür notwendigen Voraussetzungen ausgeschlossen sei. Auch dann könne sich der Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur durch die Zahlung einer Entschädigung, die das ausgefallene Entgelt ersetzen solle, erkaufen. Den Auskünften der Arbeitgeberin sei zu entnehmen, dass bis zum Abschluss des Aufhebungsvertrags noch nicht geprüft worden sei und damit zu diesem [X.]punkt noch nicht festgestanden habe, ob der Klägerin ein [X.] habe angeboten werden können. Die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer nach § 5 Abs 2 RatSchTVAng kündigen könne, hätten daher nicht vorgelegen. Weitere Möglichkeiten des Arbeitgebers zu einer ordentlichen Kündigung hätten bei Abschluss der Abfindungsvereinbarung ebenfalls nicht vorgelegen. Ausgehend von einer fiktiven Kündigungsfrist von 18 Monaten ergebe sich ein Ruhen des [X.]-Anspruchs bis zum 22.9.2010.

6

Mit ihrer vom B[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 143a Abs 1 Satz 3 Nr 1 [X.]B III aF. Wie den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sei, erfasse diese Regelung nur Fallgestaltungen, in denen für den Arbeitgeber jede Möglichkeit der ordentlichen Beendigungskündigung ausgeschlossen sei.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 18. November 2016 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26. Oktober 2015 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

9

Sie führt aus, eine Kündigung iS von § 143a Abs 1 Satz 3 Nr 1 [X.]B III aF sei zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen, wenn bei Rationalisierungsmaßnahmen tarifvertraglich ein [X.] anzubieten sei. Es könne nicht zulässig sein, freiwillig auf einen bestehenden Kündigungsschutz zu verzichten, ohne dass die dann zustehende Abfindung zu einem Ruhen des Anspruchs auf [X.] führe.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 [X.]G). Die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des [X.] war zurückzuweisen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat die Zahlung von [X.] für den [X.]raum vom 24.6. bis 22.9.2010 zu Unrecht abgelehnt, weil ein Ruhen des Anspruchs auf [X.] wegen der Entlassungsentschädigung nicht eingetreten ist.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist - neben den vorinstanzlichen Entscheidungen - zunächst der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] (§ 95 [X.]G), soweit die Beklagte [X.] wegen des Ruhens des Anspruchs unter Berücksichtigung des Erhalts einer Entlassungsentschädigung für den [X.]raum vom 24.6. bis [X.] abgelehnt hat. Diese Verfügungen korrespondieren mit derjenigen des [X.] vom [X.] über die Zahlung von [X.] erst ab 24.9.2010. Diese Bescheide treffen eine einheitliche rechtliche Regelung und können von der Klägerin gemeinsam angefochten werden (vgl zuletzt B[X.] vom [X.] [X.] [X.] 12/17 R - juris RdNr 11, zur Veröffentlichung in [X.] und B[X.]E vorgesehen). Der Änderungsbescheid vom [X.] mit der Zuerkennung eines höheren [X.]-Anspruchs ab 24.9.2010 ist nach § 96 Abs 1 [X.]G zum Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden. Die Einbeziehung des Bescheids vom 1.11.2016 mit einer Bewilligung von [X.] auch für den [X.] beruht auf § 153 Abs 1 [X.]G iVm § 96 Abs 1 [X.]G. Die Klägerin wendet sich gegen diese Bescheide zu Recht mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage.

Die Klägerin hatte auch in dem streitigen [X.]raum vom 24.6. bis 22.9.2010 einen Anspruch auf [X.]. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des L[X.], an die der Senat gebunden ist (§ 163 [X.]G), hat sie sich nach frühzeitiger Arbeitsuchendmeldung am 26.1.2010 mit Wirkung zum 1.4.2010 arbeitslos gemeldet und [X.] beantragt (§ 118 Abs 1 [X.] [X.]B III aF, § 122 [X.]B III aF), die Anwartschaftszeit erfüllt (§ 118 Abs 1 Nr 3 [X.]B III aF, § 123 [X.]B III aF) und war auch arbeitslos (§ 118 Abs 1 Nr 1 [X.]B III aF, § 119 [X.]B III aF). Zwar hat sie - wie vom L[X.] festgestellt - eine Abfindung in Höhe von insgesamt 22 159,46 Euro erhalten. Ein Ruhen des Anspruchs wegen der Entlassungsentschädigung ist dennoch nicht eingetreten, weil keine der Fallgestaltungen des § 143a Abs 1 [X.]B III in der bis zum [X.] geltenden Fassung des Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetzes ([X.]) vom 24.3.1999 ([X.]; im Folgenden aF) gegeben ist, dem § 158 Abs 1 [X.]B III in der ab 1.4.2012 geltenden Fassung entspricht.

2. Als Rechtsgrundlagen für das von der Beklagten angenommene Ruhen des [X.]-Anspruchs kommen die Regelungen des § 143a Abs 1 Satz 1 [X.]B III aF, des § 143a Abs 1 Satz 3 [X.]B III aF und des § 143a Abs 1 Satz 4 [X.]B III aF in Betracht. § 143a Abs 1 Satz 1 [X.]B III aF bestimmt: "Hat der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld von dem Ende des Arbeitsverhältnisses bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte." In Abgrenzung zu § 143a Abs 1 Satz 1 [X.]B III aF erfassen die weiteren Regelungen des § 143a Abs 1 Satz 3 [X.]B III aF und des § 143a Abs 1 Satz 4 [X.]B III aF diejenigen Arbeitnehmer, die ordentlich nicht mehr kündbar sind.

3. Einem Ruhen des Anspruchs auf [X.] steht schon entgegen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin iS des § 143a Abs 1 Satz 1 [X.]B III aF ordentlich kündbar war und es durch die Abfindungsvereinbarung vom 5.11.2009 nicht ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist iS des § 143a Abs 1 Satz 1 [X.]B III aF entsprechenden Frist beendet worden ist (hierzu a). Entgegen der Rechtsauffassung des L[X.] ist der Ausschluss einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers mit der Konsequenz der Annahme von fiktiven Kündigungsfristen und entsprechend längeren Ruhenszeiträumen des Anspruchs auf [X.] iS des § 143a Abs 1 Satz 3 [X.]B III aF bzw des § 143a Abs 1 Satz 4 [X.]B III aF auch nicht bereits dann anzunehmen, wenn im Einzelfall die Voraussetzungen einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung vorliegen (hierzu b).

a) Das Arbeitsverhältnis mit der [X.] ist nicht ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist iS des § 143a [X.]B III aF beendet worden.

(aa) Unter dem gesetzlich nicht normierten Begriff der "ordentlichen Kündigungsfrist" ist diejenige Frist zu verstehen, die der Kündigende nach gesetzlicher, kollektivvertraglicher oder einzelvertraglicher Regelung für seine Kündigungserklärung einhalten muss, um ein unbefristetes Arbeitsverhältnis einseitig beenden zu können (vgl Zöllner, Arbeitsrecht, 7. Aufl 2015, § 25 Rd[X.]1). Im Gegensatz dazu steht die so genannte außerordentliche Kündigung, die unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich ohne Frist möglich ist, aber auch befristet erfolgen kann (vgl [X.] vom 8.10.1957 - 3 [X.] - [X.] zu § 626 BGB). Ob ein Arbeitsverhältnis (noch) ordentlich gekündigt werden kann, bestimmt sich nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags (vgl B[X.] vom 21.5.1980 - 7 [X.] - B[X.]E 50, 121, 123 = [X.] 4100 § 117 [X.]). Dies ist ausgehend von dem [X.]punkt der Kündigung bzw der Aufhebungsvereinbarung zu beurteilen ([X.] in [X.], [X.]B III nF, § 158 RdNr 84, Stand Dezember 2014). Die bei objektiver Betrachtung "richtige" ordentliche Kündigungsfrist ist unbesehen etwaiger (irrtümlicher) subjektiver Vorstellungen der Arbeitsvertragsparteien über die Kündigungsfristen zugrunde zu legen (B[X.] vom 25.10.1989 - 7 [X.] - [X.] 4100 § 117 [X.]; B[X.] vom 28.11.1996 - 7 [X.] - [X.] 3-4100 § 117 [X.]).

Hiervon ausgehend betrug die für das Arbeitsverhältnis der Klägerin maßgebende Kündigungsfrist drei Monate zum Quartalsende. Nach § 3 des [X.] waren auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des [X.] anzuwenden. § 53 Abs 2 [X.] enthält nach Beschäftigungszeiten gestaffelte Kündigungsfristen und bestimmt für eine längere Beschäftigungszeit von mindestens fünf Jahren bis zu einer Beschäftigungszeit von mindestens acht Jahren eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Nach § 53 Abs 3 [X.] ist der Angestellte erst bei einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres, unkündbar. Die Klägerin war zum [X.]punkt der Vereinbarung des Aufhebungsvertrags im November 2009 erst etwas mehr als sieben Jahre bei der [X.] beschäftigt gewesen und noch ordentlich kündbar. Die maßgebende Kündigungsfrist von drei Monaten ist ausgehend von dem Datum des Aufhebungsvertrags (5.11.2009) durch die Beendigung mit Wirkung zum 31.3.2010 eingehalten.

([X.]) Aus den wegen der Rationalisierungsmaßnahmen der [X.] nach § 1 RatSchTVAng einschlägigen Regelungen des RatSchTVAng ergibt sich - seine Anwendbarkeit auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme unterstellt - vorliegend keine Modifikation der Kündigungsfristen des [X.].

§ 5 Abs 2 Satz 1 des RatSchTVAng bestimmt, dass eine Kündigung mit dem Ziel der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur ausgesprochen werden darf, wenn dem Angestellten ein Arbeitsplatz nach § 3 Abs 2 bis 5 RatSchTVAng nicht angeboten werden kann oder der Angestellte einen Arbeitsplatz entgegen § 3 Abs 6 RatSchTVAng nicht annimmt. Nach § 5 Abs 2 Satz 2 RatSchTVAng beträgt die Kündigungsfrist drei Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres, soweit sich nicht aus § 53 Abs 2 [X.] eine längere Kündigungsfrist ergibt. Schon diesem Wortlaut des § 5 Abs 2 Satz 2 RatSchTVAng ist zu entnehmen, dass von den Kündigungsfristen des [X.] - vorliegend derjenigen von drei Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres - nicht abgewichen werden soll.

Vielmehr bestimmt § 5 Abs 2 RatSchTVAng nach seinem Regelungsgehalt den Vorrang der Arbeitsplatzsicherung nach den §§ 3, 4 RatSchTVAng vor einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung (vgl [X.] vom [X.] - 7 [X.] - juris Rd[X.]4 - zu der Vorgängerregelung des § 4 Abs 1 letzte Unterabsätze des RatSchTVAng vom 29.10.1971; [X.] vom 15.11.2001 - 6 AZR 629/00 - [X.] 2002, 485 ff). Die Nichtbeachtung von Vorgaben zur Arbeitsplatzsicherung im Kündigungsverfahren kann im konkreten Einzelfall bewirken, dass eine ordentliche oder außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit notwendiger Auslauffrist sozial ungerechtfertigt ist (vgl [X.] vom 6.10.2005 - 2 AZR 362/04 - [X.] zu § 53 [X.] - juris RdNr 30 zur Berücksichtigung der Regelungen des Tarifvertrags über den Rationalisierungsschutz als Mindestvoraussetzung für die Rechtfertigung einer wirksamen außerordentlichen Kündigung). § 5 Abs 2 RatSchTVAng enthält aber keine in jedem Fall verbindliche Modifikation der tarifvertraglichen Kündigungsfristen des § 53 [X.], sondern nur eine abgestufte Arbeitsplatzsicherung als Schutzmechanismus vor Ausspruch einer betriebsbedingten Beendigungskündigung gegenüber ordentlich kündbaren Arbeitnehmern nach Maßgabe des RatSchTVAng (vgl hierzu im Einzelnen [X.] in [X.] 2001, 304 ff, 306).

b) War die Klägerin danach grundsätzlich ordentlich kündbar und ist die ordentliche Kündigungsfrist bei Abschluss der Abfindungsvereinbarung eingehalten worden, kommt ein Ruhen des Anspruchs auf [X.] auch nach den weiteren Ruhensvorschriften des § 143a Abs 1 [X.]B III aF von vornherein nicht in Betracht.

(aa) Die Ruhensfolgen unter Anordnung von fiktiven Kündigungsfristen nach § 143a Abs 1 Satz 3 [X.]B III aF bzw § 143a Abs 1 Satz 4 [X.]B III aF beziehen sich ausdrücklich nur auf Fallgestaltungen, in denen die ordentliche Kündigung kraft Gesetzes oder Vertrags uneingeschränkt oder eingeschränkt ausgeschlossen ist, indem sie für Fälle wiedereröffnet wird, in denen eine Abfindung gezahlt wird. Insofern gilt bei zeitlich unbegrenztem Ausschluss der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber eine Kündigungsfrist von 18 Monaten (§ 143a Abs 1 Satz 3 Nr 1 [X.]B III aF); bei zeitlich begrenztem Ausschluss oder bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund gilt jedoch die Kündigungsfrist, die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgebend gewesen wäre (§ 143a Abs 1 Satz 3 [X.] [X.]B III aF). Schließlich findet für die weitere Gruppe der eingeschränkt - nämlich nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung - (wieder) ordentlich kündbaren Arbeitnehmer eine fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr Anwendung, wenn der Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden kann (§ 143a Abs 1 Satz 4 [X.]B III aF). Werden diese fiktiven Kündigungsfristen bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht eingehalten, gilt die Beendigung nach der typisierenden Wertung des Gesetzgebers jeweils als vorzeitig mit der Folge der Anrechnung eines Teils der Abfindung nach Maßgabe des § 143a Abs 2 [X.]B III aF (vgl B[X.] vom 29.1.2001 - B 7 [X.] 62/99 R - B[X.]E 87, 250, 253 = [X.] 3-4100 § 117 [X.] ff mwN; vgl Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 117 Abs 2 und 3 [X.] durch das 4. [X.]-ÄndG vom 12.12.1977 - BT-Drucks 8/857 S 9).

Mit diesen Vorschriften wird in typisierender Betrachtung nur bei einem grundsätzlichen Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit ein Zusammenhang zwischen der Abfindungsleistung und dem "Verzicht" des Arbeitnehmers auf den ihm zustehenden Kündigungsschutz unwiderlegbar vermutet. In diesem Fall wird zum Nachteil des Betroffenen davon ausgegangen, dass in einer Entlassungsentschädigung ein anrechenbarer Anteil von Arbeitsentgelt enthalten ist (B[X.] vom 29.1.2001 - B 7 [X.] 62/99 R - B[X.]E 87, 250, 255 = [X.] 3-4100 § 117 [X.]; B[X.] vom 8.2.2001 - [X.] [X.] 59/00 R - [X.] 3-4100 § 117 [X.]). Aus dieser generellen und typisierenden Anknüpfung der unterschiedlichen Ruhensfolgen an das Vorhandensein und die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfristen folgt zugleich, dass bei deren Beachtung auch nach § 143a Abs 1 Satz 3 [X.]B III aF und § 143a Abs 1 Satz 4 [X.]B III aF gerade keine einzelfallbezogene Bewertung möglicher Kündigungsumstände zu Lasten der Betroffenen zu erfolgen hat.

([X.]) Die hiervon abweichend vom L[X.] bei der Anwendung der Ruhensregelungen zugrunde gelegte Einzelfallprüfung, ob eine betriebsbedingte ordentliche Kündigung unter Berücksichtigung von vorrangigen Maßnahmen der Arbeitsplatzsicherung nach dem RatSchTVAng möglich war, ist mit dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck des § 143a [X.]B III aF nicht vereinbar. Bereits dem Wortlaut des § 143a Abs 1 [X.]B III aF lässt sich entnehmen, dass die abgestuften Ruhensfolgen bei Erhalt einer Entlassungsentschädigung in typisierender Betrachtung an eine grundsätzlich noch vorhandene bzw nicht mehr vorhandene Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung zu beenden, und an die Einhaltung einer vorhandenen ordentlichen Kündigungsfrist anknüpfen. Die einleitende Formulierung in § 143a Abs 1 Satz 3 [X.]B III aF ("Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen ...") spricht dagegen, dass der Gesetzgeber im Wege einer konkreten Betrachtung sämtliche Fallgestaltungen nicht ausreichender Kündigungsgründe einbeziehen wollte, in denen eine ordentliche Kündigung im Einzelfall erschwert ist.

Die vom Berufungsgericht zugrunde gelegte konkrete Betrachtung bei der Auslegung des § 143a Abs 1 [X.]B III aF ist auch nicht mit der historischen Entwicklung der Ruhensregelungen bei Erhalt von Entlassungsentschädigungen vereinbar. In Abgrenzung zu den Vorgängervorschriften wollte der Gesetzgeber gerade keine einzelfallbezogene Bewertung einer Entlassungsentschädigung als Arbeitsentgelt oder Entschädigung des [X.] Besitzstandes anhand von konkreten Kündigungsumständen zugrunde legen. Nach § 96 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ([X.]) ruhte der Anspruch auf [X.] für die [X.], für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt bezog oder zu beanspruchen hatte. § 96 Abs 1 Satz 2 [X.], wonach als Arbeitsentgelt auch sonstige an den Arbeitnehmer gezahlte Beträge galten, wenn nach den Umständen des Einzelfalls anzunehmen war, dass sie zur Abfindung von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt erbracht worden waren, erforderte eine aufwändige Einzelfallprüfung (vgl zB B[X.] vom 29.8.1963 - 7 [X.] - B[X.]E 20, 20 = [X.] [X.] zu § 96 [X.]; B[X.] vom [X.] [X.] - juris RdNr 13). Die Schwierigkeiten in der Sachaufklärung, die mit dieser Vorgängerregelung des § 96 [X.] verbunden waren, sollten durch die typisierenden und vereinfachten Nachfolgeregelungen in § 117 Abs 1 [X.] und § 143a Abs 1 [X.]B III aF vermieden werden ([X.]/2291 [X.]; V/4110 S 54 zu den Ruhensregelungen nach dem Entwurf eines Arbeitsförderungsgesetzes; vgl B[X.] vom 21.9.1995 - 11 [X.] - B[X.]E 76, 294, 297 = [X.] 3-4100 § 117 Nr 12 [X.]; B[X.] vom 29.1.2001 - B 7 [X.] 62/99 R - B[X.]E 87, 250, 254 = [X.] 3-4100 § 117 [X.]2 S 155 f).

Eine vom Gesetzgeber nach dem Sinn und Zweck der Ruhensregelungen nicht mehr beabsichtigte Einzelfallprüfung, ob der Arbeitgeber im Hinblick auf mögliche Gründe für eine verhaltens-, personen- oder betriebsbedingte Kündigung oder weitere verfahrensrechtliche Umstände nicht wirksam kündigen kann und sich die Auflösung des Arbeitsverhältnisses "erkaufen" muss (B[X.] vom 29.1.2001 - B 7 [X.] 62/99 R - B[X.]E 87, 250, 254 = [X.] 3-4100 § 117 [X.]2 S 155), wäre aber die Konsequenz der "erweiternden Auslegung" des L[X.]. Bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt hätte nach arbeitsrechtlicher Rechtsprechung geprüft werden müssen, ob objektiv ein anderer Arbeitsplatz bei der [X.] vorhanden gewesen ist, auf den die Klägerin hätte verwiesen werden können ([X.] vom [X.] - 7 [X.] - juris Rd[X.]4). Dies liefe dem Zweck der typisierenden Fallgestaltungen des § 143a Abs 1 [X.]B III aF zuwider.

4. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des L[X.] ist zu entnehmen, dass die Klägerin in dem streitigen [X.]raum [X.] auch in der zuerkannten Höhe von 17,79 Euro beanspruchen kann. Die zwischenzeitliche Ausschöpfung der Gesamtanspruchsdauer des [X.]-Anspruchs steht einem Zahlungsanspruch für die [X.] vom [X.] bis 22.9.2010 nicht entgegen (vgl B[X.] vom 17.12.2013 - [X.] [X.] 13/12 R - B[X.]E 115, 106 = [X.] 4-4300 § 143a [X.], RdNr 19).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 11 AL 13/17 R

21.06.2018

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Marburg, 26. Oktober 2015, Az: S 2 AL 5/15, Urteil

§ 143a Abs 1 S 1 SGB 3 vom 24.03.1999, § 143a Abs 1 S 3 SGB 3 vom 24.03.1999, § 143a Abs 1 S 4 SGB 3 vom 24.03.1999, § 158 Abs 1 SGB 3 vom 20.12.2011, § 53 BAT

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 21.06.2018, Az. B 11 AL 13/17 R (REWIS RS 2018, 7380)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7380

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