Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2013, Az. 2 StR 459/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 949

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sexueller Missbrauch von Kindern: Auslegung der Regelung über die Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind; Nacktaufnahme als Kinderpornographie


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. Juli 2013 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit er in den Fällen [X.], 25, 28, 30, 31 der Urteilsgründe verurteilt wurde,

b) im Ausspruch über die Einzelstrafe zu Fall II.29,

c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und

d) im Ausspruch über den Adhäsionsantrag.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere für Jugendschutzsachen zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 35 Fällen, davon in 32 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes, in vier Fällen in (weiterer) Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines (anderen) Kindes, und wegen „Herstellens/Besitzes kinderpornographischer Schriften“ in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Auf den Adhäsionsantrag der Nebenklägerin    S.       hat es den Angeklagten verurteilt, an diese 10.000 Euro Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das [X.] hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Annahme des Tatgerichts, der Angeklagte habe in den Fällen [X.], 30, 31 neben anderen Tatbeständen tateinheitlich auch denjenigen des sexuellen Missbrauchs eines (weiteren) Kindes gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfüllt, wird von den Feststellungen nicht getragen.

3

Danach kam in diesen Fällen das Kind     [X.]         hinzu, als der Angeklagte bereits sexuelle Handlungen zum Nachteil des Kindes    S.     vornahm oder an sich vornehmen ließ. Er erkannte, dass das weitere Kind das Geschehen beobachtete, setzte aber seine Handlungen dennoch fort. Das reicht zum Beleg des subjektiven Tatbestands nicht aus.

4

Seit der Neufassung der Vorschrift durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 ([X.]) setzt das Vergehen der Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind zwar nicht mehr voraus, dass der Täter dabei in der Absicht handelt, sich, das Kind oder einen anderen sexuell zu erregen. Um eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Ausdehnung der Strafbarkeit zu vermeiden, hat der [X.] die Regelung der § 176 Abs. 4 Nr. 1, § 184g Nr. 2 StGB aber insoweit einengend ausgelegt, als für die Annahme einer sexuellen Handlung vor einem Kind über deren Wahrnehmung durch das Tatopfer hinaus erforderlich ist, dass der Täter das Kind so in das sexuelle Geschehen einbezieht, dass für ihn die Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch das Tatopfer von handlungsleitender Bedeutung ist ([X.], Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 [X.], [X.]St 49, 376, 381; Urteil vom 12. Mai 2011 - 4 [X.], [X.], 633; offen gelassen von [X.], Beschluss vom 13. November 2012 - 3 [X.], [X.], 278). Dafür fehlen entsprechende Feststellungen des [X.]s.

5

2. In den Fällen [X.] und 25 ist die Eigenschaft der vom Angeklagten angefertigten Fotographien, die „den nackten Genitalbereich des Kindes“ betrafen, als pornographische Schriften durch die Feststellungen nicht belegt.

6

Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder eines Geschlechtsteils ist Pornographie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB. [X.] sind nur pornographische Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Zu den dargestellten sexuellen „Handlungen“ gehört zwar nach der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des [X.] und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 ([X.] I 2008, 2149) nach herrschender Auffassung auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung (vgl. [X.] NStZ 2010, 113 ff. [X.]; anders zur früheren Gesetzesfassung [X.], Beschluss vom 2. Februar 2006 - 4 [X.], [X.]St 50, 370, 371). Auch dies ist den knapp gehaltenen Urteilsfeststellungen jedoch nicht zu entnehmen.

7

Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch die genaue Bezeichnung der Tathandlung im Sinne von § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB klarzustellen haben.

8

3. Die Strafzumessung ist rechtsfehlerhaft, soweit das [X.] auch zu Fall [X.] der Urteilsgründe („in den Fällen 28 - 31“) als strafschärfend gewertet hat, dass der Angeklagte „zwei kindliche Opfer“ geschädigt habe. Es hat deshalb insoweit dieselbe Einzelstrafe verhängt wie in den Fällen [X.] und 30 - 32. Die Tat im Fall [X.] ist aber nur als versuchter schwerer sexueller Missbrauch zum Nachteil des Kindes    S.      bewertet worden. Das Kind      [X.]         war davon nach den Feststellungen nicht betroffen. Dies zwingt zur Aufhebung der Einzelstrafe zu Fall [X.].

9

4. Die Aufhebung der Verurteilung in den genannten Fällen führt auch zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

5. [X.] ist nicht ausreichend begründet worden. Die Urteilsgründe erschöpfen sich in der Bemerkung: „Den zuerkannten Schmerzensgeldbetrag erachtet die Kammer angesichts der festgestellten Tatumstände als angemessen, um einerseits einen Ausgleich zu schaffen und zum anderen der mit dem Schmerzensgeld bezweckten Genugtuung gerecht zu werden“. Anhand dieser formelhaften Begründung kann nicht geprüft werden, ob die [X.] alle relevanten Aspekte in die notwendige Gesamtschau einbezogen hat. So ist u.a. nicht ersichtlich, ob die [X.] die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Nebenklägerin berücksichtigt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2013 - 2 [X.]/12).

Appl                   Krehl                       Eschelbach

             Ott                      Zeng

Meta

2 StR 459/13

21.11.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Erfurt, 4. Juli 2013, Az: 140 Js 3919/13 - 3 KLs jug

§ 176 Abs 4 Nr 1 StGB, § 184b Abs 1 StGB vom 31.10.2008, § 184g Nr 2 StGB, EURaBes68/2004UmsG, EURaBes 68/2004

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.11.2013, Az. 2 StR 459/13 (REWIS RS 2013, 949)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 949

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 459/13 (Bundesgerichtshof)


1 StR 485/13 (Bundesgerichtshof)

Strafbarer Besitz kinderpornographischer Schriften: Schweregrad der dargestellten sexuellen Handlung


1 StR 485/13 (Bundesgerichtshof)


2 StR 264/21 (Bundesgerichtshof)

Sexueller Missbrauch von Kindern u.a.: Anforderungen an das Merkmal des "Bestimmens"


2 StR 141/23 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.