Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.04.2013, Az. 4 StR 296/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 6217

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Gegenstand

Anordnung eines Berufsverbots: Erstmalige Straffälligkeit wegen einer Anlasstat; Bedeutung der präventiven Wirkung der Eintragung im Bundeszentralregister


Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 14. November 2011 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, und sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt; ferner hat es [X.] getroffen. Die hiergegen gerichtete [X.]evision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 28. Februar 2013 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Verletzung materiellen [X.]echts gestützten und „auf den [X.]echtsfolgenausspruch beschränkt(en)“ [X.]evision dagegen, dass die [X.] kein  – vornehmlich lebenslanges – Berufsverbot verhängt hat. Das [X.]echtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte als verantwortlicher Gruppenleiter des Kinderheims "S.     " in [X.]im Zeitraum von Februar 1994 bis in [X.] 2005 in insgesamt 15 Fällen fünf minderjährige, ihm anvertraute Mädchen, indem er unterschiedliche sexuelle Handlungen an ihnen vornahm und in zwei Fällen je ein männliches Kind hierbei einbezog. Das [X.] hat die von der Staatsanwaltschaft beantragte „Verhängung eines (lebenslangen) [X.]“ abgelehnt, weil die in § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB vorausgesetzte Wiederholungsgefahr nicht gegeben sei. Der Angeklagte sei „mit den verfahrensgegenständlichen Taten“ erstmals straffällig geworden. Nach deren Begehung sei er am 22. August 2008 wegen (zweier) einschlägiger Straftaten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. In der dreijährigen Bewährungszeit seien keine weiteren Verfehlungen bekannt geworden, der Angeklagte habe sich nach Auskunft seines Bewährungshelfers vorbildlich geführt und auch den Beruf gewechselt. Zwar sei in dem früheren Verfahren auch ein dreijähriges Berufsverbot verhängt worden; auch habe die psychiatrische Sachverständige ausgeführt, dass sich an der sexuellen Devianz des Angeklagten bezogen auf junge Mädchen nichts mehr ändern werde „und somit z.B. bei  einer Tätigkeit in einem Kinderheim immer die Gefahr eines [X.]ückfalls bestehe“. Die Sachverständige habe aber eingeräumt, dass der Angeklagte seine Devianz offenbar kontrollieren könne; bei ihm seien keine Störungen der Impulskontrolle, keine Dissozialität, kein Hang zur sofortigen Bedürfnisbefriedigung und keine Psychopathie feststellbar. Auch verfüge er über „genug Intelligenz“, um die Folgen weiterer Straftaten für sich abschätzen zu können. Das habe er in den Jahren seit der letzten Verurteilung bewiesen und dies werde ihm durch die nunmehr verhängte mehrjährige Haftstrafe noch einmal deutlich vor Augen geführt. In einer Hilfserwägung hat die [X.] zudem die Verhältnismäßigkeit der Anordnung eines [X.] verneint.

II.

3

Die [X.]evision ist unbegründet.

4

1. Das [X.]echtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam (vgl. [X.], Urteil vom 5. August 1975 – 1 [X.], NJW 1975, 2249) auf die Nichtverhängung des [X.] beschränkt. Die Beschwerdeführerin hat zwar ihre [X.]evision „auf den [X.]echtsfolgenausspruch beschränkt“ und einen dementsprechenden [X.]evisionsantrag gestellt. Mit ihren materiell-rechtlichen Einzelausführungen greift sie jedoch das angefochtene Urteil nur insoweit an, als das [X.] entgegen ihrem Antrag kein (lebenslanges) Berufsverbot verhängt hat. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 [X.] versteht der Senat das gesamte [X.] dahin, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrem [X.]echtsmittel weder die Schuld- noch die Strafaussprüche angreifen will (vgl. [X.], Urteile vom 7. August 1997 – 1 [X.], [X.], 210, und vom 23. September 2008 – 1 [X.]/08).

5

2. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei von der Anordnung eines [X.] abgesehen.

6

Ein Berufsverbot ist ein schwerwiegender ([X.], Urteil vom 12. Juni 1958 – 4 St[X.] 147/58, [X.], 112, 115) Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis ([X.], Urteil vom 23. Juni 1959 – 5 [X.], [X.] 1960, 183), vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll ([X.], Urteil vom 12. Mai 1975 – [X.] ([X.]) 8/74, NJW 1975, 1712). Deshalb darf der Strafrichter es nur verhängen, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur [X.] erheblicher Straftaten missbrauchen wird ([X.]GSt 68, 397, 398 f.; [X.], Beschluss vom 17. Mai 1968 – 2 St[X.] 220/68, [X.]St 22, 144, 145 f.; [X.], Urteil vom 1. November 1955 – 5 St[X.] 442/55, MD[X.] 1956, 143 bei [X.]). Voraussetzung ist, dass eine – auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte ([X.], Urteil vom 5. August 1975 – 1 [X.], NJW 1975, 2249 f.) – Gesamtwürdigung des [X.] und seiner Taten den [X.] zu der Überzeugung führt, dass die Gefahr, das heißt die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher [X.]echtsverletzungen durch den Täter besteht ([X.], Beschluss vom 2. August 1978 – StB 171/78, [X.]St 28, 84, 85 f.; Urteil vom 22. Oktober 1981 – 4 St[X.] 429/81, [X.], 66, 67).

7

Diesen [X.]echtsgrundsätzen entspricht das angefochtene Urteil; das [X.] ist bei der Ablehnung eines [X.] von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen: Der Angeklagte war zur [X.] der hier abgeurteilten Taten strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Wird ein Täter erstmalig wegen einer Anlasstat straffällig, sind an die Annahme seiner weiteren Gefährlichkeit im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB ganz besonders strenge Anforderungen zu stellen; insbesondere ist zu prüfen, ob bereits die Verurteilung zur Strafe den Täter von weiteren Taten abhalten wird ([X.], Beschlüsse vom 30. Oktober 1987 – 3 St[X.] 414/87, [X.][X.] StGB § 70 Abs. 1 Wiederholungsgefahr 1, und vom 12. September 1994 – 5 St[X.] 487/94, [X.], 124). In diesem Zusammenhang hat das [X.] nicht übersehen, dass der Angeklagte die [X.] über nahezu den gesamten Zeitraum seiner Tätigkeit als verantwortlicher Gruppenleiter des „S.     “ und damit seiner ersten dauerhaften Festanstellung nach Abschluss der  Berufsausbildung begangen hat (vgl. dazu auch [X.], Urteil vom 4. Dezember 2001 – 1 St[X.] 428/01, [X.], 198). Denn es nimmt zu Beginn seiner Gesamtwürdigung die verfahrensgegenständlichen Taten ([X.]) und damit den gesamten Tatzeitraum in den Blick. Die [X.] durfte ferner berücksichtigen, dass nach der Verhängung einer Bewährungsstrafe im Urteil des [X.]s Kaiserslautern vom 22. August 2008 (und schon zuvor nach Aufdeckung der zugrunde liegenden beiden Übergriffe im Jahr 2007) keine weiteren Straftaten bekannt geworden sind (vgl. [X.], Urteil vom 22. Oktober 1981 – 4 St[X.] 429/81, [X.], 66, 67; Beschlüsse vom 12. September 1994  – 5 St[X.] 487/94, [X.], 124, vom 5. August 2009 – 5 St[X.] 248/09, [X.], 170, 171, und vom 25. Januar 2012 – 1 St[X.] 45/11, [X.], 1377, 1386). Im [X.]ahmen der von ihr vorzunehmenden Gesamtwürdigung konnte die [X.] der Gefahr eines [X.]ückfalls rechtsfehlerfrei entgegensetzen, dass die Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen war, der Angeklagte habe seine Devianz „offenbar“ psychisch und intellektuell unter Kontrolle. Mit ihren Einwendungen begibt sich die Staatsanwaltschaft weitgehend auf das der revisionsgerichtlichen Kontrolle verschlossene Gebiet tatrichterlicher Wertung. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft [X.], die der [X.]evision der Staatsanwaltschaft beigetreten ist, auf die „erhebliche(n) präventive(n) Aspekte“ der Eintragung eines [X.] im Bundeszentralregister hinweist, übersieht sie, dass bereits die [X.]egelung in § 34 Abs. 1 Nr. 2 BZ[X.]G eine hinreichende Information potentieller Arbeitgeber gewährleistet.

Mutzbauer                        [X.]oggenbuck                          Cierniak

                     Bender                                 [X.]

Meta

4 StR 296/12

25.04.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kaiserslautern, 14. November 2011, Az: 1 KLs 6039 Js 14493/09

§ 70 Abs 1 S 1 StGB, § 176a StGB, § 34 Abs 1 Nr 2 BZRG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.04.2013, Az. 4 StR 296/12 (REWIS RS 2013, 6217)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6217

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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