Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.03.2017, Az. 4 StR 11/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 13927

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2017:160317B4STR11.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 11/17

vom
16. März
2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung der
Beschwerdeführerin
am 16.
März
2017
gemäß §
349
Abs.
2 und 4 [X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 13.
Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Feststellungen zu den äußeren Gescheh-nissen in der Zeit vom 18.
Juli 2014 bis 25.
Juli
2014 und am 26.
Juli 2014 (Seiten
15 bis 17 der Urteilsgründe)
sowie am 6.
Januar 2013, 7. und 8.
Juli 2013, 14.
Februar 2016 und 11.
März 2016 (Seiten
18 und 19 der Urteilsgründe) bleiben aufrechterhalten.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurück-verwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision 1
-
3
-
der Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg. Das Rechtsmittel hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
Die Beschuldigte leidet spätestens seit dem [X.] an einer [X.] Schizophrenie. Mit Urteil vom 1.
Februar 2007 ordnete das [X.] Nürnberg-Fürth ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an und setzte deren Vollstreckung
zur Bewährung aus. Aufgrund der in der Bewäh-rungszeit durchgeführten Maßnahmen (ambulante Therapie, Medikation) kam es bei ihr zu einer Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustands. Nachdem die Beschuldigte mit Ablauf der Bewährungszeit die Einnahme der Medikamente beendet hatte, verschlechterte sich ihre psychische Erkrankung bereits im Laufe des Jahres 2012 wieder.
In der Folge kam es zu [X.] mit ihrem geschiedenen Ehemann A.

F.

, mit dem sie einen
Streit um das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder D.

und L.

führte.
Mit Beschluss des [X.] vom 25.
Juli 2013 wurde A.

F.

die alleinige elterliche Sorge für beide Kinder übertragen.
Am 18.
Juli 2014 fuhr die Beschuldigte ohne die erforderliche Fahr-erlaubnis mit dem Auto von Fr.

nach N.

, wo A.

F.

mit den
gemeinsamen Kindern wohnte. Dort nahm sie Kontakt zu ihrer am 19.
Juli 2002 geborenen Tochter L.

auf und fuhr mit dieser ohne Absprache mit A.

F.

zurück nach Fr.

, wo sie ihre Tochter für eine Hospitation an einem Gym-
nasium angemeldet hatte.
Am 25.
Juli 2014 begab sich A.

F.

nach Fr.

2
3
4
-
4
-

, um L.

nach N.

zurückzuholen. Nachdem er sie von der Schule
abgeholt hatte, fuhr er mit ihr zur Wohnung der Beschuldigten, um dort befind-liche persönliche Gegenstände mitzunehmen. Nachdem A.

F.

die Be-
schuldigte dort nicht anzutreffen vermochte,
verständigte L.

ihre Mutter über
das Mobiltelefon. In der Folge beging die Beschuldigte im Zustand einer krank-heitsbedingten Einschränkung ihrer Schuldfähigkeit

die folgenden Taten:
a)
Nachdem A.

F.

das Mobiltelefon seiner Tochter übernommen
hatte, drohte ihm die Beschuldigte,
ihn umzubringen, falls er nicht verschwinde. Anschließend fuhr sie mit einem Pkw
durch das Stadtgebiet von Fr.

zu
ihrer Wohnung.
Die dazu erforderliche Fahrerlaubnis besaß sie, wie sie auch wusste, nicht.
Dort ging sie mit einer drohend nach oben gehaltenen [X.] (92
cm lang und 2,915
kg schwer) auf A.

F.

zu und warf diese in Rich-
tung seines
Unterkörpers. A.

F.

vermochte reaktionsschnell auszuwei-
chen, sodass er nicht getroffen wurde. Unmittelbar im [X.] daran [X.] die Beschuldigte ihre Tochter L.

,
in ihren Pkw einzusteigen und auf
dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Als die Zeugin B.

, die das Geschehen
beobachtet hatte, hinzutrat und an die Schulter von L.

griff, um das sichtlich
gezwungene Kind wieder aus dem Pkw zu holen, biss ihr die Beschuldigte ohne rechtfertigenden Grund in die Hand.

B.

erlitt dadurch, wie von der
Beschuldigten billigend in Kauf genommen, Schmerzen und eine kleine [X.]. Infolgedessen ließ sie von weiteren Versuchen ab, das Wegbringen des Kindes zu verhindern. Die Beschuldigte fuhr sodann mit dem Pkw davon. A.

F.

, der zwischenzeitlich die Beifahrertür offengehalten hatte, lief noch weni-
ge Schritte neben dem langsam fahrenden Auto her, ehe er die Tür zuwarf, um nicht selbst gegen einen Laternenpfahl zu stoßen (Ziffer
II

Taten der Antrags-schrift

Nr.
1).
5
-
5
-
b)
Am 26.
Juli 2014 schrie die Beschuldigte im Hausflur vor ihrer Miet-wohnung herum, schlug gegen Wände und warf Gegenstände zu Boden.
Außerdem klopfte sie gegen die Wohnungstür ihrer im gleichen [X.] Vermieter. Als ihr nicht sogleich geöffnet wurde, kehrte sie in ihre Wohnung zurück. Als ihre Vermieterin, die Zeugin M.

,
an ihrer Wohnungstür klopfte
oder klingelte, um sie zur Rede zu stellen, öffnete die Beschuldigte die Tür und würgte die Zeugin M.

unvermittelt für kurze Zeit am [X.]. Die Zeugin
M.

erlitt dadurch, wie von der Beschuldigten vorhergesehen und billigend in
Kauf genommen, Schmerzen am [X.]. Für etwa eine Stunde war eine durch das Drücken verursachte Hautrötung am [X.] sichtbar (Ziffer
II

Taten der An-tragsschrift

Nr.
2).
2.
Die Strafkammer hat angenommen, dass die Beschuldigte rechtswid-rige Taten begangen habe, die als versuchte gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, Bedrohung, Nötigung und Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie Körperverletzung zu bewerten seien. Bei allen Taten habe sich die [X.] verminderter Schuldfähigkeit (§
21 StGB), nicht ausschließbar sogar ,
befunden (§
20 StGB). Bei ihr liege eine paranoide Schizophrenie und damit ein Zustand von Dauer vor. Von ihr seien aufgrund ihres Zustands den [X.] ähnliche rechtswidrige Taten mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad zu erwarten.
II.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteils-6
7
8
-
6
-
gründe belegen nicht, dass die Beschuldigte eine der [X.] im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit gemäß §
21 StGB begangen hat.
1.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf die-sem Zustand beruht. Dazu bedarf es einer konkreten Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des [X.] in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschluss vom 21.
Dezember 2016

1
StR
594/16, [X.], 76, 77; Beschluss vom 12.
Oktober 2016

4
StR
78/16, [X.], 74, 75; Beschluss vom 15.
Januar 2015

4
StR
419/14, [X.], 394, 395; Beschluss vom 17.
Juni 2014

4
StR 171/14, [X.], 305, 306).
2.
Diesen Anforderungen wird das tatrichterliche Urteil nicht gerecht.
Konkrete Feststellungen dazu, ob und in welcher Weise die paranoide Schizophrenie der Beschuldigten Auswirkungen auf die Begehung der festge-stellten [X.] hatte, hat das [X.] nicht getroffen. Auch wird nicht zwischen Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit unterschieden. Allein die [X.] einer paranoiden Schizophrenie vermag diese Feststellungen nicht zu [X.]. Soweit in den Urteilsgründen psychisch auffällige Verhaltensweisen der Beschuldigten in der Hauptverhandlung am 20.
April 2016 und 11.
Mai 2016 mitgeteilt werden (rasche Stimmungswechsel, aufbrausendes und verbal ag-gressives Verhalten
etc.),
handelt es sich um Geschehnisse, die in keinem [X.] Zusammenhang zu den
[X.] stehen. Gleiches gilt für die Berichte 9
10
11
-
7
-
über Befunde und Einschätzungen anderer Sachverständiger aus den Jahren 2006 (labiler Affekt, inhaltliche Denkstörungen mit [X.] etc.) und 2007 (psychotische Symptome mit Beeinträchtigungs-
und Verfolgungswahn). Soweit das [X.] im [X.] an den [X.] davon ausgeht, dass bei der Beschuldigten im Betreuungsverfahren Er-lebtes zu Überwachungsempfinden, der Furcht,
abgehört zu werden,
und zu der Einschätzung geführt habe, dass ihr Ehemann in ein feindlich gesonnenes Netzwerk eingebunden sei, fehlt es an phänomengebundenen Feststellungen, die dies belegen könnten. Die zu den [X.] getroffenen Feststellungen lassen einen konkreten Bezug zu
derartigen
Wahninhalten nicht erkennen.
3.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Gescheh-nissen
bei den [X.] und deren Vorgeschichte sowie weiteren im Urteil geschilderten Vorfällen
können in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang bestehen bleiben (§
353 Abs.
2 [X.]). Dies entspricht dem Antrag des [X.], der zwar im Eingang seiner Antragsschrift eine (umfas-sende) Aufhebung des Urteils nach §
349 Abs.
4 [X.] beantragt, in der An-tragsbegründung die Feststellungen zum äußeren Geschehen aber [X.] als rechtsfehlerfrei bezeichnet und die Voraussetzungen für deren [X.] nach §
353 Abs.
2 [X.] für gegeben erachtet hat.
Der neue Tatrichter wird sich gegebenenfalls auch mit der Frage zu [X.] haben, ob die Beschuldigte von dem Versuch einer gefährlichen Körper-verletzung (Wurf mit der Eisenstange) zurückgetreten ist
und

soweit dies der Fall sein sollte

welche Auswirkungen dies auf eine zu
stellende Gefährlich-12
13
14
-
8
-
keitsprognose haben kann (vgl. [X.], Beschluss vom 10.
Mai 2016

4
StR
185/16, [X.], 719, 720; [X.] in: SSW-StGB,
3.
Aufl., §
63 Rn.
16 mwN).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke

Quentin
Feilcke

Meta

4 StR 11/17

16.03.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.03.2017, Az. 4 StR 11/17 (REWIS RS 2017, 13927)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13927

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 632/19 (Bundesgerichtshof)

Anforderungen an die Urteilsgründe bei Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Räuberische Erpressung als …


1 StR 63/17 (Bundesgerichtshof)


1 StR 63/17 (Bundesgerichtshof)

Revision im Sicherungsverfahren: Verletzung des Rechts des Beschuldigten auf das letzte Wort bei anschließender Äußerung …


1 StR 445/16 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverfahren: Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei Aufhebung der Einsichtsfähigkeit wegen Schizophrenie; Anforderungen …


2 StR 83/20 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverfahren: Anforderungen an die Darlegung einer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit zur Tatzeit bei Vorliegen eines psychiatrischen …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.