Bundessozialgericht, Beschluss vom 22.02.2017, Az. B 1 KR 73/16 B

1. Senat | REWIS RS 2017, 15198

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - verfassungskonforme Auslegung einer Norm - Darlegung der Verfassungswidrigkeit


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 27. Juli 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin war Ehefrau und ist Sonderrechtsnachfolgerin des am [X.] seinem Krebsleiden erlegenen, bei einem Träger der [X.] obligatorischen Krankenpflegeversicherung versichert gewesenen [X.] (im Folgenden: Versicherter). Die Leistungserbringung in [X.] erfolgte durch die beklagte Krankenkasse. Der Versicherte litt an einem im November 2011 erkannten inoperablen Adenokarzinom des [X.], das palliativ nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse chemotherapeutisch behandelt wurde. Ergänzend dazu beantragte der Versicherte am 3.12.2011 bei der [X.], die Kosten für eine ambulante Hyperthermie- und eine [X.], später auch für eine [X.] zu übernehmen. Die Beklagte lehnte die Anträge ab. Der Versicherte verschaffte sich die Behandlung bei [X.] ab 18.11.2011 und zeitweise ambulant in der [X.]) auf eigene Kosten. Die Klägerin ist mit ihrer zuletzt auf Erstattung von 8108,89 Euro Behandlungskosten gerichteten Klage in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das [X.] hat zur Begründung ausgeführt, ein Kostenerstattungsanspruch scheitere schon daran, dass die drei Therapien - sowohl einzeln als auch in Kombination - weder allgemein noch nach den Grundsätzen über das Systemversagen Gegenstand des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) seien. Die Hyperthermie ([X.], [X.], Oberflächenhyperthermie, Hyperthermie in Kombination mit Radiatio und/oder Chemotherapie) sei durch Beschluss des Gemeinsamen [X.] vom 18.1.2005 ([X.] [X.] vom [X.]) ausdrücklich aus dem [X.]-Leistungskatalog ausgeschlossen worden. Thymuspräparate und [X.] seien als nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel schon durch § 34 Abs 1 S 1 [X.] ausgeschlossen. Es bestehe auch weder nach den Grundsätzen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts noch nach § 2 Abs 1a [X.] ein Leistungsanspruch. Es fehle hinsichtlich der Therapien an einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fernliegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Es dürften zwar keine überspannten Anforderungen an den entsprechenden Nachweis gestellt werden, auch seien die Anforderungen umso geringer je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation sei. Aber auch nach diesen Maßstäben habe der Medizinische Dienst der Krankenversicherung überzeugend das Fehlen jeglicher Wirksamkeitsindizien dargelegt (Urteil vom [X.]).

2

Die Klägerin wendet sich mit Ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.]-Urteil.

3

II. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 S[X.] iVm § 169 [X.] S[X.] zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 [X.] S[X.] abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.

4

1. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB [X.]-1500 § 160a Nr 21 [X.]8; [X.]-4100 § 111 [X.] f; s auch [X.]-2500 § 240 [X.] f mwN). Die Beschwerdebegründung genügt dem nicht.

5

a) Die Klägerin formuliert folgende Rechtsfrage:

        

"Hat ein Versicherter der gesetzlichen Krankenkassen bei einer nachgewiesenen infausten Diagnose, die nachweislich zum zeitnahen Tod führt, gemäß Art. 2 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten mit einer nicht anerkannten Behandlungsmethode, wie der Hyperthermie und/oder Thymus- und/oder [X.], neben einer palliativ durchgeführten Standardmethode, wie Chemotherapie, zur Linderung der schwerwiegenden Nebenwirkungen der Chemotherapie, zur Verbesserung seines Wohlbefindens und zur Verlängerung seines Lebens, zulasten der gesetzlichen Krankenkassen im ambulanten Bereich, wenn die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der Behandlung eines gesetzlich Versicherten im stationären Bereich mit Hyperthermie erstatten."

6

Die Klägerin formuliert bereits keine klare Rechtsfrage, indem sie die Reichweite des Anspruchs auf ambulante Behandlung mit Thymuspräparaten und [X.] in einen rechtlich relevanten Zusammenhang mit einem von ihr behaupteten Anspruch auf stationäre Hyperthermiebehandlung bringt. Sie geht auf diese inkonsistente relationale Verknüpfung in ihrer Begründung auch nicht ein.

7

Die Klägerin legt im Übrigen die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage nicht in der gebotenen Weise dar. Sie geht - wie das [X.] - nicht darauf ein, dass der Versicherte bei einem Träger der [X.] obligatorischen Krankenpflegeversicherung versichert gewesen war, warum zunächst ihm und jetzt ihr als Sonderrechtsnachfolgerin ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 [X.] iVm zwischenstaatlichem Recht gegen die Beklagte zustehen könnte und welche Folgen sich daraus ergeben, dass der [X.] Träger die Kostenerstattung abgelehnt hat (vgl Gesetz zu dem Abkommen zwischen der [X.] und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der [X.]n Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom [X.], [X.] 810; Beschluss [X.] des [X.] eingesetzt im Rahmen des Abkommens zwischen der [X.] und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der [X.]n Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom [X.] zur Ersetzung des [X.] dieses Abkommens über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl L 103 vom 13.4.2012, [X.]; [X.], Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl 2013 Einführung RdNr 39 und [X.] in [X.], aaO, Vorbem Art 1 VO ([X.]) 883/2004 RdNr 6, jeweils zum zeitlichen Anwendungsbereich von VO ([X.]) 1408/71 und VO ([X.]) 883/2004 und 987/2009 im Verhältnis zur [X.]; [X.] in [X.], aaO, Art 17 VO ([X.]) 883/2004 Rd[X.] f mwN, zum Sachleistungsbegriff; ders, aaO, RdNr 14 f mwN zur [X.]; [X.], 1 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]5 ff, zur verweigerten [X.]; [X.], aaO, RdNr 25 ff mwN, zur verweigerten [X.]). Die Klägerin setzt sich auch nicht damit auseinander, dass das [X.] sowohl nach den Grundsätzen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts als auch nach § 2 Abs 1a [X.] einen Anspruch verneint hat. Das [X.] hat - von der Klägerin mit Verfahrensrügen nicht angegriffen - festgestellt, dass es an einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fernliegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hinsichtlich der drei Behandlungsmethoden fehlt.

8

Ungeachtet dessen legt die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht dar. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl zB [X.] Beschluss vom 21.10.2010 - [X.] [X.]/10 B - RdNr 7 mwN). Die Klägerin legt nicht dar, wieso unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch Klärungsbedarf verbleibt, welche Maßstäbe für die ambulante und die stationäre Versorgung nach der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts und nach § 2 Abs 1a [X.] gelten (vgl nur [X.] [X.]-2500 § 34 [X.] RdNr 57 f, auch für [X.] vorgesehen; [X.] 115, 95 = [X.]-2500 § 2 [X.], RdNr 15 und 27 f; [X.] 113, 241 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] f, dort zum [X.] des § 2 Abs 1 [X.] [X.]; s aber auch [X.] 120, 78 = [X.]-2500 § 39 [X.] - Radiojodtherapie). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB [X.] § 160a [X.] mwN; [X.] Beschluss vom 27.1.2012 - [X.] KR 47/11 B - Juris Rd[X.]; [X.] - [X.] KR 72/12 B - RdNr 7), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB [X.] Beschluss vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - Juris RdNr 7; [X.] [X.]-1500 § 160a [X.] RdNr 5). Wer sich - wie hier die Klägerin - sinngemäß auf die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung einer Vorschrift beruft, darf sich zudem nicht auf die Benennung ansonsten angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken (vgl [X.] 40, 158 = [X.] 1500 § 160a [X.] mit Hinweis auf BVerwG [X.] 448.3 § 7 [X.]). Er muss vielmehr unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des [X.] dargelegt werden (vgl [X.] Beschluss vom 20.7.2010 - [X.] KR 10/10 B - Juris RdNr 6; [X.] Beschluss vom 5.12.2012 - [X.] KR 14/12 B - NZ[X.]013, 318 RdNr 5 mwN). Die Klägerin führt insoweit nur aus, dass die Kosten der stationären Hyperthermiebehandlung von der [X.] getragen würden und es hier zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz komme, wenn ihr Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten für die ambulante [X.] des Versicherten verneint werde. Es fehlt jedoch schon an der Darlegung der Prämisse, dass ein Anspruch auf eine stationäre Hyperthermiebehandlung selbst dann bestehe, wenn Indizien für eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf nicht vorhanden seien. Soweit die Klägerin eventuell andeuten will, dass die stationär durchgeführte Hyperthermiebehandlung des Versicherten vom 1.1. bis [X.] und vom 3.7. bis 11.7.2012 in der zur Versorgung [X.]-Versicherter zugelassenen B.-Klinik (B. B.) von der [X.] tatsächlich als Sachleistung erbracht worden sei, ist dies ohne Relevanz.

9

b) Soweit die Klägerin ohne Bezugnahme auf eine stationäre Behandlung sinngemäß (auch) die Rechtsfrage stellen will, ob ein Anspruch auf eine nicht dem [X.] des § 2 Abs 1 [X.] [X.] entsprechende Behandlung auch dann besteht, wenn bei einer infausten Diagnose, für die eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende palliative Standardtherapie existiert, deren Nebenwirkungen durch die nicht anerkannte Behandlung lebensverlängernd reduziert werden können, fehlt es ebenfalls an hinreichendem Vorbringen zur Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit (vgl II.1. a).

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 [X.] S[X.]).

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 S[X.].

Meta

B 1 KR 73/16 B

22.02.2017

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Konstanz, 17. Juli 2014, Az: S 8 KR 3042/12, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 22.02.2017, Az. B 1 KR 73/16 B (REWIS RS 2017, 15198)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15198

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 1 KR 99/17 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anhörungsrüge


B 1 KR 123/12 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Berufung auf Verfassungswidrigkeit der höchstrichterlichen Auslegung einer Vorschrift (hier Art 2 Abs …


B 1 KR 30/13 B (Bundessozialgericht)

Keine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung bei Fragen tatsächlicher Art - Therapiemöglichkeit für ein einzelnes Leiden


B 1 KR 23/21 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verstoß gegen Grundsatz der freien Beweiswürdigung - kein …


B 1 KR 24/12 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Zulassung der Revision wegen Divergenz und grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.