Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.09.2012, Az. 5 AZR 628/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 3037

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Gegenstand

Zweistufige tarifliche Ausschlussfrist - Annahmeverzugsvergütung - vermögenswirksame Leistungen


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 11. März 2011 - 18 Sa 1794/10 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

2

Der 1964 geborene Kläger ist seit 1991 bei der [X.] in deren Betrieb in [X.] als Produktionsmitarbeiter/Maschinenführer beschäftigt. Die Beklagte ist Mitglied im Arbeitgeberverband Steine und [X.]rden Hessen und [X.] e. V. In einem mit der IG BC[X.] abgeschlossenen Haustarifvertrag ist vereinbart, dass im Betrieb in [X.] die jeweils gültigen tariflichen Bestimmungen der Industrie der Steine und [X.]rden im [X.] Anwendung finden. Diese tariflichen Bestimmungen wandte die Beklagte durchgehend auf das Arbeitsverhältnis der Parteien an.

3

§ 8 des Rahmentarifvertrags für die Arbeitnehmer der Industrie der Steine und [X.]rden im [X.] vom 27. April 2005 (im Folgenden: [X.]) lautet:

        

„1.     

Ansprüche aus Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit, auf Zahlung von Zuschlägen jeder Art verfallen, wenn sie nicht innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit bei dem Arbeitgeber geltend gemacht werden.

        

2.    

Alle sonstigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich erhoben werden.

        

3.    

Werden die Ansprüche abgelehnt, so verfallen sie, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht werden.“

4

Mit Schreiben vom 12. und 27. März 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des [X.] jeweils zum 30. September 2008. Das Arbeitsgericht stellte mit Urteil vom 1. Oktober 2008 (- 1 Ca 749/08 -) fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die Kündigung der [X.] vom 12. noch durch die Kündigung vom 27. März 2008 beendet wurde, und verurteilte die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des [X.] zu unveränderten Arbeitsbedingungen.

5

Die Beklagte teilte dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 1. Oktober 2008 schriftlich mit:

        

„Bezüglich des von ihnen reklamierten Weiterbeschäftigungsanspruches ist eine Zwangsvollstreckung nicht erforderlich. Ihr Mandant wird allein zur Vermeidung einer solchen Zwangsvollstreckung ab dem 01.10.08 weiterbeschäftigt.“

6

Ab dem 1. Oktober 2008 beschäftigte die Beklagte den Kläger während des laufenden [X.] weiter. Bis einschließlich Juli 2009 vergütete sie lediglich die geleisteten Arbeitsstunden des [X.] ohne Zuschläge und Sonderzahlungen. [X.]ntgeltfortzahlung an Feiertagen und Urlaubsentgelt zahlte sie nicht. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2008 beanstandete der Prozessbevollmächtigte des [X.] die Höhe der Vergütung für Oktober 2008 und verlangte eine Auszahlung des rückständigen Betrags. In der Folgezeit beschwerte sich der Kläger mehrfach über die Höhe der Vergütung.

7

Im Kündigungsschutzverfahren wies das [X.] die Berufung der [X.] mit Urteil vom 29. Mai 2009 (- 7 Sa 1643/08 -) zurück. Das den Parteien am 3. Juli 2009 zugestellte Urteil wurde rechtskräftig. Ab dem 1. August 2009 wickelten die Parteien das Arbeitsverhältnis wieder vertragsgemäß ab.

8

Mit der am 8. März 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger für die [X.] vom 1. Oktober 2008 bis 31. Juli 2009 Differenzvergütung beansprucht.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn [X.] [X.]uro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 8. Januar 2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Ansprüche seien verfallen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist begründet. Die Vergütungsansprüche des [X.] sind nicht verfallen. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. In welcher Höhe dem Kläger noch Ansprüche zustehen, kann der [X.] nicht entscheiden. Es bedarf hierzu weiterer tatsächlicher Feststellungen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 563 Abs. 1 ZPO).

I. Die Vergütungsansprüche des [X.] sind nicht gemäß § 8 Ziff. 3 [X.] verfallen. Vielmehr ist § 8 Ziff. 3 [X.] verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die davon abhängigen Ansprüche wegen Annahmeverzugs im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist gerichtlich geltend gemacht sind.

1. Mit einer Bestandsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche. Mit einer solchen Klage erstrebt der Arbeitnehmer nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern bezweckt darüber hinaus, sich die Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs zu erhalten. Die Ansprüche müssen weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden(für die Kündigungsschutzklage ständige Rechtsprechung seit [X.] 10. April 1963 - 4 [X.] - [X.]E 14, 156).

2. Zugleich macht der Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutzklage die vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche im Sinne der zweiten Stufe einer tarifvertraglich geregelten Ausschlussfrist „gerichtlich geltend“.

a) Nach bisheriger Rechtsprechung des [X.] war für die Wahrung der zweiten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist regelmäßig die Erhebung einer bezifferten Klage erforderlich ([X.] 3. November 1961 - 1 [X.] - [X.] 1962, 155; 26. April 2006 - 5 [X.] - Rn. 20, [X.]E 118, 60; 17. November 2009 - 9 [X.] -). Die Frist für diese Klage wurde mit Zugang des [X.] beim Arbeitnehmer in Gang gesetzt, ohne dass es einer ausdrücklichen Ablehnungserklärung bedurfte ([X.] 17. November 2009 - 9 [X.] - Rn. 36; 26. April 2006 - 5 [X.] - Rn. 18, aaO).

b) An dieser Rechtsprechung kann nach dem Beschluss des [X.] vom 1. Dezember 2010 (- 1 BvR 1682/07 - [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 196 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 197) nicht festgehalten werden. Das [X.] hat entschieden, dass der Arbeitnehmer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt werde, wenn das tarifliche Erfordernis einer gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen, die vom Ausgang einer Bestandsstreitigkeit abhängen, nach den bisherigen Grundsätzen des [X.] ausgelegt und angewandt werde. Dem Arbeitnehmer werde insoweit eine übersteigerte Obliegenheit zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche wegen Annahmeverzugs auferlegt. Die Art der Geltendmachung der Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs müsse dem Arbeitnehmer möglich und zumutbar sein. Das sei nicht der Fall, wenn er gezwungen werde, Ansprüche wegen Annahmeverzugs einzuklagen, bevor die Bestandsstreitigkeit rechtskräftig abgeschlossen sei. Damit erhöhe sich sein Kostenrisiko im Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses.

c) [X.] Ausschlussfristen, die eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsehen, sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die vom Erfolg einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit gerichtlich geltend gemacht sind.

aa) Die verfassungskonforme Auslegung von Rechtsnormen gebietet, die Wertentscheidungen der Verfassung zu beachten und die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung zu bringen ([X.] 21. Dezember 2010 - 1 [X.] - Rn. 16, GRUR 2011, 223; 15. Oktober 1996 - 1 [X.], 1 [X.] - [X.]E 95, 64; 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 [X.] - [X.]E 88, 145; [X.] 6. April 2011 - 7 [X.] - Rn. 27 f., [X.] § 14 Nr. 82 = EzA TzBfG § 14 Nr. 77; [X.] AöR 125, 177). Ist eine Norm verfassungskonform auslegbar, ist für die Annahme ihrer Unwirksamkeit mit ggf. nachfolgender ergänzender Tarifauslegung kein Raum mehr.

bb) Die durch eine undifferenzierte tarifliche Regelung veranlasste verfassungswidrige Obliegenheit zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche wegen Annahmeverzugs wird vermieden, wenn in der Erhebung der Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage die gerichtliche Geltendmachung der vom Ausgang dieser Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche liegt.

cc) Der Wortlaut des Tarifvertrags steht dieser verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Bereits zur Auslegung der zweiten Stufe einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelten Ausschlussfrist (vgl. [X.] 19. Mai 2010 - 5 [X.] - Rn. 31, [X.] § 310 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 10; 19. März 2008 - 5 [X.] - Rn. 22, [X.]E 126, 198) hat der [X.] entschieden, dass der Wortsinn eines „Einklagens“ bzw. einer „gerichtlichen Geltendmachung“ der vom Ausgang der Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche nicht zwingend verlange, dass gerade der Streitgegenstand „Vergütung“ zum Inhalt des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gemacht werden müsse (vgl. [X.] 19. Mai 2010 - 5 [X.] - Rn. 31, aaO; 19. März 2008 - 5 [X.] - Rn. 22, aaO). Eine an einen engen prozessualen Begriff des Streitgegenstands anknüpfende weitere Klage verlange eine solche Klausel nicht. Hinzu kommt, dass bei der verfassungskonformen Auslegung dem Wortsinn nur eine eingrenzende Funktion zukommt. Der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien die Formulierung in Kenntnis der bisherigen Rechtsprechung des [X.] verwandt haben, steht der nunmehr verfassungsrechtlich gebotenen Neuinterpretation nicht entgegen.

dd) Die verfassungskonforme Auslegung des Merkmals „gerichtliche Geltendmachung“ berücksichtigt in angemessener Weise den Zweck einer zweistufigen Ausschlussfrist. Ausschlussfristen bezwecken, dem Schuldner zeitnah Gewissheit darüber zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er noch zu rechnen hat. Zulasten des Arbeitnehmers wirkende Ausschlussfristen sollen den Arbeitgeber vor der Verfolgung unzumutbarer Ansprüche bewahren, das sind regelmäßig solche, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht zu rechnen braucht (so schon [X.] 27. Februar 1940 - [X.] 162/39 - [X.]). Erhebt der Arbeitnehmer Bestandsschutzklage, kann der Arbeitgeber an der Ernstlichkeit der Geltendmachung der hiervon abhängigen Vergütungsansprüche nicht wirklich zweifeln. Schon mit der Erhebung einer Bestandsschutzklage kann sich der Arbeitgeber auf die vom Ausgang dieser Streitigkeit abhängigen Forderungen einstellen, Beweise sichern und vorsorglich Rücklagen bilden. Ihm muss bewusst sein, dass ggf. auch über die Höhe der zu zahlenden Vergütung noch Streit entstehen kann und nicht selten auch entsteht. Dass die Ansprüche nicht in einer den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechenden Bestimmtheit geltend gemacht werden, ist - wie bei der Wahrung der ersten Stufe der Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang der Bestandsschutzstreitigkeit abhängen - aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen. Überdies ist zu berücksichtigen, dass durch den Zwang zur vorzeitigen Erhebung der Klage auch der Arbeitgeber unnötigen Kostenrisiken ausgesetzt würde.

ee) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist, um den Vorgaben des [X.] zu entsprechen, nicht auf eine Kostenbelastung des Arbeitnehmers im Einzelfall abzustellen. Maßgeblich ist nicht der Umfang der wirtschaftlichen Belastung, die den Arbeitnehmer durch den Rechtsstreit trifft, sondern der Gesichtspunkt der Risikoerweiterung. Kann der Arbeitnehmer nicht das Obsiegen in der Bestandsschutzstreitigkeit abwarten, wird ihm ein prozessuales Risiko aufgebürdet, das die Durchsetzung des gesetzlichen Bestandschutzes beeinträchtigen kann. Die Frage der Wirksamkeit und der Einhaltung der tariflichen Ausschlussfrist von einer einzelfallbezogenen Prüfung der Kostenbelastung abhängig zu machen, führte zudem zu größter Rechtsunsicherheit. Es kann deshalb nicht darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer rechtsschutzversichert ist, Prozesskostenhilfe beanspruchen kann, ob er die - im Misserfolgsfall - unnötigen Kosten der Zahlungsklage aus eigenen Mitteln unproblematisch aufbringen oder sie durch eine strategisch günstige Antragstellung vermeiden könnte. Das Kostenrecht gilt für alle Parteien gleichermaßen, seine gesetzlichen Wertungen sind zwingend. Das erfordert zugunsten des durchschnittlich kundigen Arbeitnehmers als Tarifnormunterworfenen, der mit den Möglichkeiten einer kostengünstigen Prozessführung nicht vertraut ist, eine einheitliche Auslegung des Tarifvertrags.

ff) Durch die verfassungskonforme Auslegung bleibt das tarifliche Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht vom Ausgang einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängig sind, erhalten. Im Übrigen wird die Entstehung einer Regelungslücke vermieden, die erst zu einer ergänzenden Auslegung berechtigen würde. Denn Voraussetzung einer ergänzenden Auslegung ist, dass entweder eine unbewusste Regelungslücke vorliegt oder nachträglich eine Regelung lückenhaft geworden ist. Hieran fehlt es bei verfassungskonformer Auslegung des Tarifvertrags.

II. Einer Anrufung des Großen [X.]s gemäß § 45 ArbGG bedarf es nicht, denn alle [X.]e des [X.] sind gehindert, die frühere Auslegung zweistufiger tariflicher Ausschlussfristen aufrechtzuerhalten. Die Rechtsfrage, welche Anforderungen an die Wahrung der zweiten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang einer Bestandschutzstreitigkeit abhängen, zu stellen sind, ist wegen des Beschlusses des [X.] vom 1. Dezember 2010 (- 1 BvR 1682/07 - [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 196 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 197) neu zu beantworten. Schon im Hinblick auf § 31 [X.]G entfällt die Vorlagepflicht, wenn das [X.] die entscheidungserhebliche Rechtsfrage abweichend von der bisherigen Rechtsprechung selbst entschieden hat (vgl. [X.] 21. März 2000 - 4 [X.] - zu II 2 b aa der Gründe, [X.]St 46, 17; 26. Januar 1977 - 3 StR 527/76 - NJW 1977, 686; 17. März 2011 - [X.]/10 - Rn. 30, [X.]Z 189, 1). Nichts anderes gilt, wenn es den Fachgerichten aufgegeben hat, einen bestimmten rechtlichen Komplex insgesamt anhand der von ihm entwickelten Maßstäbe neu zu gestalten ([X.] 21. März 2000 - 4 [X.] - zu II 2 b aa der Gründe, aaO; 5. August 1998 - 5 AR ([X.]) 1/97 - [X.]St 44, 171). Die rechtliche Grundlage der früheren Entscheidungen des [X.] ist durch den Beschluss des [X.] vom 1. Dezember 2010 (- 1 BvR 1682/07 - aaO) entfallen. Deshalb fehlt es an der für eine Anrufung des Großen [X.]s erforderlichen Identität der Rechtslage (vgl. [X.] 28. Juni 2012 - 6 [X.] - Rn. 81, [X.] 2012, 1029).

[X.]. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs iSd. §§ 615, 293 ff. BGB liegen vor. Nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs keines Angebots des Arbeitnehmers ([X.]Rspr., zuletzt [X.] 22. Februar 2012 - 5 [X.] - Rn. 14 mwN, EzA BGB 2002 § 615 Nr. 36).

IV. Über die Höhe der Ansprüche kann der [X.] mangels ausreichender Feststellungen des [X.]s nicht abschließend entscheiden.

1. Das [X.] wird die Höhe der dem Kläger zustehenden Grundvergütung sowie den Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung aufzuklären haben.

2. Soweit der Kläger Schichtzuschläge geltend macht, wird er die einzelnen Zeiträume schriftsätzlich zu konkretisieren haben. Ihrer Darlegungslast genügen weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber durch die bloße Bezugnahme auf die den Schriftsätzen als Anlagen beigefügten Stundenaufstellungen oder sonstigen Aufzeichnungen. Anlagen können lediglich zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht ersetzen ([X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - [X.] 2012, 939; [X.] 2. Juli 2007 - II [X.]/05 - Rn. 25 mwN, NJW 2008, 69; vgl. auch [X.] 30. Juni 1994 - 1 BvR 2112/93 - zu [X.] 2 a der Gründe, NJW 1994, 2683). Die Darlegung der einzelnen Zeiträume, für die Zuschläge verlangt werden, hat vielmehr entsprechend § 130 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO schriftsätzlich zu erfolgen. Beigefügte Anlagen können den schriftsätzlichen Vortrag erläutern oder belegen, verpflichten das Gericht aber nicht, sich die unstreitigen oder streitigen Arbeitszeiten aus den Anlagen selbst zusammenzusuchen. Dies gilt im Streitfall gerade auch deshalb, weil die Schlüssigkeit der geltend gemachten Ansprüche davon abhängt, an welchen Wochentagen und zu welchen konkreten Uhrzeiten die Arbeit geleistet wurde.

3. Die Höhe der Zuschläge richtet sich nach § 3 Ziff. IV [X.]. Hiernach ist für Arbeit an Sonntagen in der Nacht ein Zuschlag von 75 % zu zahlen. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten gilt dies auch, wenn die Nachtarbeit am Sonntag zugleich Schichtarbeit ist. Während § 3 Ziff. IV Buch[X.]c und Buch[X.]d [X.] für Werktage ausdrücklich zwischen Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit unterscheidet, findet sich eine solche Unterscheidung in § 3 Ziff. IV Buch[X.]e [X.] für Sonntagsnachtarbeit gerade nicht.

4. § 7 Ziff. V Nr. 1 [X.] sieht ein zusätzliches Urlaubsgeld nur für die tariflichen Urlaubstage, nicht aber für den Zusatzurlaub vor.

5. Das Berufungsgericht wird aufzuklären haben, inwieweit die Ansprüche durch weitere Erfüllung iHv. 626,95 Euro brutto erloschen sind. Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf zu den Akten gereichte Abrechnungen behauptet, dass der Kläger weitere 574,43 Euro brutto für Oktober 2008, weitere 31,46 Euro brutto für April 2009 und weitere 21,06 Euro brutto für Mai 2009 erhalten habe.

6. Des Weiteren ist aufzuklären, ob die Beklagte die vermögenswirksamen Leistungen bereits auf das Bausparkonto des [X.] abgeführt hat. Hat die Beklagte ohne Zuzahlung eines von ihr selbst geschuldeten Zuschusses lediglich aus der abgerechneten Nettovergütung des [X.] die Beiträge auf das Bausparkonto abgeführt, kann der Kläger noch Zahlung des [X.] an sich selbst verlangen. In diesem Fall hätte die Beklagte eine entsprechende tarifliche Verpflichtung nicht erfüllt, während der Kläger von seiner eigenen Zahlungsverpflichtung aus dem Bausparvertrag frei geworden wäre. Der Zuschuss des Arbeitgebers wird nur als Bruttobetrag geschuldet. Vermögenswirksame Leistungen sind Geldleistungen, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer anlegt. Sie sind insgesamt, dh. auch soweit sie auf einem vom Arbeitgeber zusätzlich zum Lohn gezahlten Zuschuss beruhen, arbeitsrechtlich Bestandteil der Vergütung, sie gehören im Sinne der Sozialversicherung zum Arbeitsentgelt und steuerrechtlich zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (vgl. [X.] 22. September 2011 - [X.] R 57/09 - Rn. 10, [X.]/NV 2012, 562; vgl. auch [X.] 15. August 1984 - 5 [X.] - zu II 2 b der Gründe, [X.]E 46, 174). Sollte aber die Beklagte für die streitgegenständlichen Monate keine Zahlungen an die Bausparkasse erbracht haben, kann der Kläger keine Zahlung an sich, sondern nur auf das vermögenswirksame Konto verlangen (vgl. [X.] 24. September 2003 - 5 [X.] - zu II 4 d der Gründe, [X.] § 151 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 3).

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Mandrossa    

        

    Pollert    

                 

Meta

5 AZR 628/11

19.09.2012

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hagen (Westfalen), 7. September 2010, Az: 5 Ca 511/10, Urteil

§ 611 Abs 1 BGB, § 615 BGB, § 295 BGB, § 1 TVG, § 133 BGB, § 157 BGB, § 4 Abs 4 S 3 TVG, § 45 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.09.2012, Az. 5 AZR 628/11 (REWIS RS 2012, 3037)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3037


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 18 Sa 1794/10

Landesarbeitsgericht Hamm, 18 Sa 1794/10, 11.03.2011.


Az. 5 AZR 628/11

Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 628/11, 19.09.2012.


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Bestimmtheit des Streitgegenstands - objektive Klagehäufung - Vergütung wegen Annahmeverzugs - Leistungsfähigkeit - unwirksame Zustimmung …


Referenzen
Wird zitiert von

11 TaBV 22/15

10 Sa 223/13

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