AG Pankow, Urteil vom 28.03.2022, Az. 4 C 199/21

4. Abteilung | REWIS RS 2022, 482

DSGVO AUSKUNFTSANSPRUCH ART. 82 DSGVO

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Gegenstand

Kein Auskunftsanspruch gegen Betreiber einer S-Bahn wegen Aufnahme durch eine Überwachungskamera.


Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Berufung wird zugelassen.

5. Der Streitwert wird auf 350,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der [X.] Schmerzensgeld.

Die Beklagte ist ein Personenbeförderungsunternehmen. In einigen Zügen der [X.] findet eine Videoaufzeichnung der Zuginnenräume bei Fahrbetrieb statt. Die Aufzeichnungen werden 48 Stunden gespeichert.

Mit E-Mail vom 27. April 2021 teilte der Kläger der [X.] mit, dass er gegen 14:18 Uhr am [X.] in die [X.], [X.].: 482 479-, eingestiegen sei. Er bat die‚ Beklagte um Herausgabe der ihn betreffenden [X.] und forderte die Beklagte zugleich auf die ihn betreffenden Daten nicht zu iöschen. Die Beklagte löschte die Daten innerhalb der [X.] von 48 Stunden und lehnte mit Schreiben vom 3. Mai 2021 die begehrte Auskunft gegenüber dem Kläger ab.

Der Kläger behaupte, er,sei am 27. April 2021 um 14.18 Uhr ander Station [X.] in [X.] in einen Zug der [X.] eingestiegen und sei dort von einer installierten Kamera der [X.] erfasst worden. Der Kläger ist der Ansicht, es liege ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung vor, welcher zu einem Schmerzensgeld in geltend gemachter Höhe führe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld in Höhe von 350 € sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshänglokelt zu zahlen

Die Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes. wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Klage ist am 6.10.2021 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe

1

[X.] ist zulässig. Die [X.] Zuständigkeit das angerufenen Gerichts ergibt sich aus Art. 79 Abs. 2 [X.].

2

[X.] ist jedoch unbegründet und abzuweisen.

3

Dem Kläger steht kein Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagte zu. Insbesondere hat er keinen Anspruch gemäß Art. 82 Abs. 1 [X.]. Danach kann eine Person Schadensersatz für Schäden verlangen, die wegen eines [X.] gegen die Verordnung entstanden sind.

4

[X.] liegt nicht vor. Denn die Weigerung der [X.], dem Kläger Auskunft über die begehrten Daten zu erteilen verstößt weder gegen das Auskunftsrecht des [X.] gemäß Artikel 15 Abs. 1 [X.], noch gegen das Recht aus Art. 18 Abs. 1 lit. c [X.] einer von Datenverarbeitung betroffenen Person, vom Verantwortlichen zu verlangen, die Löschung zu unterlassen.

5

Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger zu der von ihm behaupteten [X.] in der [X.] der [X.] gefahren ist. Selbst diesen Vortrag des [X.] als wahr unterstelt, kann die Klage keinen Erfolg haben. Hinsichtlich des hierauf basierenden Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 [X.] ist der [X.] das Erfüllen dieses Auskunftsanspruchs jedoch aufgrund unverhältnismäßigen Aufwands unzumutbar gemäß § 275 Abs. 2 BGB (vgl. [X.]/[X.], DS-GVO, Kommentar, 1. Aufl. 2017, Art. 15, Rn. 30). Aufgrund des Ausnahmecharakters von § 275 Abs. 2 BGB und aufgrund der zentralen Bedeutung des Auskunftsanspruchs gemäß Art. 15 [X.] sind strenge Maßstäbe an die Unverhältnismäßigkeit eines Auskumftsbegehrens anzulegen, Insbesondere besteht ein Verweigerungsrecht nur bei groben Missverhältnis zwischen Aufwand und Leistungsinteresse.

6

Ein solch grobes Missverhältnis besteht jedoch hier. Denn das Transparenzinteresse des [X.] ist äußerst gering. Insbesondere war er sich des Ob, [X.] bewusst (vgl. [X.]/[X.], DS-GVO, Kommentar, 1. Aufl. 2017, Art. 15, Rn. 2). Der Kläger wusste genau, dass und in welchem Umfang personenbezogene Daten erhoben werden. Der Normzweck von Art. 15 [X.] -- das Bewusstwerden über die Datenverarbeitung -- war daher weitestgehend schon erfüllt. Der hier vorliegende Sachverhalt ist gerade nicht einer Situation vergleichbar, bei der sich ein Auskunftsbegehrender einen Überblick über verarbeitete personenbezogene Daten verschaffen will, die gegebenenfalls länger in ‚der Vergangenheit zurücklegen, oder bei den Daten zu unterschiedlichen Anlässen verarbeitet werden; Die Datenverarbeitung durch die Beklagte ist von vornherein auf 48 Stunden zeitlich und örtlich auf die Züge der [X.] begrenzt. Dem Kläger und jedem anderen [X.] ist es zumutbar, sich innerhalb des kurzen [X.]raus von 48 Stunden zu erinnern, wann eine Dienstleistung der [X.] in Anspruch genommen wurde und wann entsprechend eine Verarbeitung personenbezogener Daten stattgefunden hat. Mit Blick auf den sehr kurzen [X.]raum ist der vom Kläger beklagte [X.] nicht erkennbar. Wie der Kläger selbst darlegt, wurde er zudem von der [X.] auch über sämtliche von Art. 15 Abs 1 lit. a-h [X.] erfassten Aspekte der Datenverarbeitung, einschließlich Verarbeitungszweck, Dauer der Verarbeitung und Beschwerderecht informiert. Auch insoweit ist der Normzweck von Art. 15 [X.] der Vergewisserung über "Existenz, Zwecke, Absichten und Rechtsfolgen" der Datenverarbeitung erfüllt (vgl. [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl. 2021, Art. 15 Rn. 3). Welches darüber hinausgehende Interesse der Kläger an der konkreten Gestalt der Videoaufzeichnung hat, hat er nicht hinreichend dargelegt und erschließt sich nicht. Denn für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Videoaufzeichnung als einen wesentlichen Zweck von Art. 15 [X.] bedarf der Kläger der konkreten Gestalt der Videoaufzeichnung nicht. Unabhängig von der konkreten Auflösung der Videoaufzeichnung oder der möglichen Erfassung von biometrischen Daten, steht der Eingriffscharakter der Aufzeichnung im wesentlichen fest. Entsprechend gering ist das von Art. 15 [X.] geschützte [X.] des [X.].

7

Demgegenüber hat die Beklagte substantiiert dargelegt, dass die Erfüllung des Auskunftsanspruchs durch Verhinderung der automatischen Löschung und anschließenden Auskunft an den Kläger einen erheblichen Aufwand an [X.], Kosten und Arbeitskraft bedeutet. Dass ein solcher Aufwand einem Auskunftsbegehren entgegenstehen kann, ist europarechtlich anerkannt (vgl. [X.], Urteil v. 19.10.2016, [X.] 582/14). Zum einen verfügt die Beklagte über keine Software zur Gesichtserkennung. Entsprechend komplex wäre es für die Beklagte, den Kläger aufgrund seiner Angaben zu identifizieren. Die Beklagte hat insoweit substantiiert vorgetragen, dass erhebliche Ressourcen zur Identifizierung von Personen nötig wären und dass die datenschutzgerechte Entnahme der Kassetten aufgrund von Anreisezeiten zu den Zügen und Sicherheitsvorkehrungen aufwendig sind. Zum anderen würde die Auskunft an den Kläger erfordern, dass die [X.] ihre Betriebsvereinbarung mit Hinblick auf die Auswertung der [X.] anpasst und diese selbst auswertet, bzw. Dritte hiermit beauftragt. Eine Anpassung ihrer Prozesse, zum Beispiel durch die Anschaffung einer Söftware zur automatisierten Gesichtserkennung oder über eine zentrale Speicherung der Videoaufzeichnungen, bedeuten jedoch ebenso einen erheblicher Aufwand und begegnen darüber hinaus erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken. Die Beklagte hat insoweit dargelegt, dass Ihre dezentralisierten Verarbeitungsprozesse gerade dem Datenschutz dienen. Wäre sie zu einer längeren Speicherung aufgrund des Verlangens des [X.] verpflichtet, wären notwendig auch die durch Art. 15 Abs. 4 [X.] geschützten Interessen von [X.] betroffen. Aufgrund der datenschutzrechtlichen Verpflichtung der [X.] gegenüber [X.] ist diese Drittbetroffenheit auch im Rahmen der gemäß § 275 Abs. 2 BGB erforderlichen Prüfung des [X.] von Kläger und [X.] zu berücksichtigen. Denn selbst wenn die Verpixelung oder anderweitige Unkenntlichmachung von [X.] technisch möglich ist, dürfte diese Identifizierung und Unkenntlichmachung regelmäßig nicht zuverlässig innerhalb von 48 Stunden, gegebenfalls in sogar noch kürzeren [X.]räumen zu leisten sein. Daher würden bei einer längeren Speicherung nach einem Auskunftsersuchen notwendig die Datenschutzrechte von [X.] beeinträchtigt. Der Kläger verkennt insoweit, dass die von ihm begehrte Auskunft die strengen Löschfristen von § 20 Abs. 5 [X.] Art. 17 [X.] gegenüber [X.] und hiermit ein zentrales normatives datenschutzrechtliches Anliegen aufzuweichen droht. Aufgrund dessen tritt mit Blick auf den erheblichen Ressourcenaufwand der [X.] sowie Datenschutzrechten von [X.], der begrenzte Erkenntnisgewinn des [X.] an der konkreten Gestalt der Videoaufzeichnung zurück, weswegen von einem groben Missverhältnis zwischen Leistungsinteresse und Aufwand gemäß § 275 Abs. 2 BGB auszugehen ist.

8

Es kann insoweit dahinstehen, ob ein Verweigerungsrecht der [X.] auch aus einer analogen Anwendung von Art. 14 Abs. 5 [X.] folgt. Ebenso kann dahinstehen, ob die vom Kläger begehrte längere Speicherung der personenbezogenen Daten und anschließender Auskunft hierüber bereits wegen eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 5 [X.] rechtlich unmöglich ist ist, § 275 Abs. 2 BGB.

9

Aus den gleichen Gründen verletzt das Unterlassen der [X.], die automatische Löschung zu verhindern, nicht Art. 18 Abs. 1 [X.]. Nach Art. 18 Abs. 1 c [X.] kann eine von einer Datenverarbeitung betroffene Person vom [X.] verlangen, die Löschung zu unterlassen, wenn sie die verarbeitenden Daten zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen benötigt. Auch im Rahmen von Art. 18 [X.], der ein Verhindern‚ der Löschung bei Benötigen des Begehrens vorsieht, ist jedoch eine abwägende Prognose im.Einzelfall anzustellen, die die Wahrscheinliöhkeit des Rechtsstreits, das Gewicht der betroffenen Ansprüche und die Belange der betroffenen Person berücksichtigt (vgl. Auernhammer/Stollhoff, Datenschutz-Grundverordnung, Kommentar, 6 Auflage‚ 2018, Art 18, Randnummer 21). Wie bereits dargelegt, ist das [X.] des [X.] an der Videoaufzeichnung gering. In gleichem Maße greifen die Bedenken hinsichtlich des Aufwands der [X.] im Rahmen von Art. 18 Absatz 1c [X.] durch. Es kann daher auch hinsichtlich eines Anspruchs aus Art. 18 Abs. 1 [X.] dahinstehen, ob das Aufhalten der automatischen Löschung durch die Beklagte von vornherein aufgrund von § 20 Abs. 5 [X.] rechtlichh unmöglich war.

10

Unabhängig davon, steht dem Kläger auch bei einem unterstellten Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung ein Schmerzensgeld aus Art. 82 [X.] nicht zu. Voraussetzung ist.nicht nur ein Verstoß, sondern auch, dass der Kläger einen Schaden erlitten hat. Allein, dass der Kläger die Auskunft nicht erhalten hat bzw. die Löschung nicht verhindert wurde, kann keinen ersatzfähigen Schaden begründen. Es muss auch bei einem immateriellen Schaden eine Beeinträchtigung eingetreten sein, die unabhängig von einer Erheblichkeitsschwelle wenigstens spürbar sein muss (vgl. [X.], Urteil vom 01.07.2021 - 15 O 355/20 - juris). Andernfalls scheidet ein Schaden begrifflich schon aus. Einen solchen Schaden hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen.

11

[X.] folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

12

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

13

Die Berufung war nach § 511 Abs. Abs. 1. Nr. 1 ZPO zuzulassen.

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Meta

4 C 199/21

28.03.2022

AG Pankow 4. Abteilung

Urteil

Sachgebiet: C

Art. 15, 82 DSGVO, § 275 BGB

Zitier­vorschlag: AG Pankow, Urteil vom 28.03.2022, Az. 4 C 199/21 (REWIS RS 2022, 482)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 482

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