Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.11.2013, Az. B 9 SB 31/13 B

9. Senat | REWIS RS 2013, 1156

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - nicht vorschriftsmäßige Besetzung - Nichtvorliegen einer Berufungsbegründung - Antrag auf Prozesskostenhilfe - Ablehnung des PKH-Antrags - keine Einräumung der Möglichkeit zur Berufungsbegründung - Zurückverweisung


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 2. November 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "[X.]" für die [X.] ab Oktober 2008.

2

Bei dem Kläger wurden mit Bescheid vom 8.6.1995 wegen [X.] rechts und Lendenwirbelsäulensyndrom ein Grad der Behinderung von 80 und die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt. Sein im Oktober 2008 gestellter Antrag auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "[X.]" wurde mit Bescheid vom 19.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2009 abgelehnt. Nach Beiziehung verschiedener Befundberichte sowie eines im März 2011 von [X.] erstatteten orthopädischen Gutachtens hat das [X.] ([X.]) die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.], mit der er zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt hatte, ist vom [X.] (L[X.]) nach schriftlicher Anhörung des [X.] durch Beschluss vom 2.11.2012 zurückgewiesen worden. Zugleich hat das L[X.] die Bewilligung von PKH abgelehnt.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger beim [X.] (B[X.]) Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) begründet.

4

II. Die Beschwerde des [X.] ist zulässig. Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel einer Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör durch Verstoß gegen § 153 Abs 4 [X.]G ist iS des § 160a Abs 2 S 3 [X.]G hinreichend bezeichnet.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das L[X.] hat unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles von der sich aus § 153 Abs 4 S 1 [X.]G ergebenden Befugnis, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, verfahrensfehlerhaft Gebrauch gemacht.

6

Nach § 153 Abs 4 S 1 [X.]G kann das L[X.], außer in den Fällen, in denen das [X.] durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 S 1 [X.]G) entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach § 153 Abs 4 [X.] [X.]G sind die Beteiligten vorher zu hören.

7

Die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach § 153 Abs 4 [X.]G vorzugehen, steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen ("kann"). Sie wird daher vom B[X.] nur darauf überprüft, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, also ob etwa der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (vgl B[X.] SozR 3-1500 § 153 [X.]; B[X.] SozR 3-1500 § 153 [X.]; B[X.] SozR 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.] 27; B[X.] SozR 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.] 9). Das Vorliegen einer groben Fehleinschätzung ist anhand der gesamten Umstände des Falles zu beurteilen. Dabei kommt es vor allem auch darauf an, ob die Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung als "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens berücksichtigt worden ist.

8

Nach diesen Kriterien beruht die Entscheidung des L[X.], am 2.11.2012 einen Beschluss nach § 153 Abs 4 S 1 [X.]G zu fassen, auf einer groben Fehleinschätzung. Das L[X.] durfte im vorliegenden Fall nicht ohne Weiteres im vereinfachten Beschlussverfahren entscheiden.

9

Maßgebend hierfür ist der Umstand, dass die gemäß § 153 Abs 4 S 1 [X.]G vorausgesetzte Beurteilung, dass das L[X.] die Berufung einstimmig für unbegründet hält, an sich nur auf der Grundlage der Akten, insbesondere des angefochtenen Urteils, und der Begründung der Berufung durch den Berufungskläger erfolgen kann. Zur Abgabe einer derartigen Begründung hat sich der Kläger indes gegenüber dem L[X.] mehrfach außerstande erklärt und um Bewilligung von PKH sowie Beiordnung eines Rechtsanwalts gebeten, damit dieser die Berufung begründe. In dieser Situation muss das Berufungsgericht über den Antrag auf Bewilligung von PKH entscheiden, bevor es die Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückweist. Versagt es die beantragte PKH, etwa weil es die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen hierfür nicht als gegeben ansieht oder auch weil es eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Berufung nicht erkennen kann, hat es dem Berufungskläger nochmals Gelegenheit zur Begründung der Berufung zu geben, ggf in einem Erörterungstermin oder einer mündlichen Verhandlung. Erst dann kann sich das Gericht abschließend eine Meinung darüber bilden, ob es die Berufung für unbegründet hält oder nicht.

Da das L[X.] an einer Entscheidung gemäß § 153 Abs 4 S 1 [X.]G gehindert war, bedarf es keiner Prüfung, ob die Entscheidung des L[X.] auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann. Denn es handelt sich um einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 202 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO. Die Verletzung des § 153 Abs 4 [X.]G führt zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ohne [X.] (vgl nur B[X.] SozR 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.] 15 mwN).

Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vorliegen, macht der Senat von dem ihm gemäß § 160a Abs 5 [X.]G eingeräumten Ermessen zur Verfahrensbeschleunigung Gebrauch und verweist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurück.

Das L[X.] wird bei Abschluss des wiedereröffneten Berufungsverfahrens auch über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheiden haben.

Meta

B 9 SB 31/13 B

14.11.2013

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Hamburg, 18. November 2011, Az: S 56 SB 281/09, Urteil

§ 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 202 SGG, § 151 Abs 3 SGG, § 114 ZPO, § 121 ZPO, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.11.2013, Az. B 9 SB 31/13 B (REWIS RS 2013, 1156)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1156

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 SB 65/14 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Zugang zum Gericht - Anordnung …


B 9 SB 14/11 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung …


B 14 AS 149/16 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung trotz des …


B 14 AS 150/16 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung trotz des …


B 8 SO 73/20 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.