Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.12.2014, Az. X R 29/13

10. Senat | REWIS RS 2014, 300

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Gegenstand

Aufforderung des Finanzamts zur Vorlage von elektronischen Daten - Pflicht eines Einzelhändlers zur Vorlage einer Kassendatei - Aufzeichnungspflicht, Aufbewahrungspflicht und Erstqualifikationsrecht - Geltung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung im Steuerrecht - Keine Bindung der Gerichte an norminterpretierende Verwaltungsvorschriften


Leitsatz

NV: Verwendet ein Einzelhändler, hier ein Apotheker, eine PC-Kasse, die die detaillierten Informationen in Bezug auf den einzelnen Verkaufsvorgang aufzeichnet und speichert, muss er dem Betriebsprüfer den diesbezüglichen Datenzugriff gewähren .

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des Finanzgerichts des [X.] vom 23. Mai 2013  1 K 396/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielt gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Apotheke. Er ist nach §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB) buchführungspflichtig und verwendet in seiner Apotheke im Rahmen eines sog. Vorsystems Software der Firma [X.], die ein speziell für Apotheken entwickeltes Warenwirtschaftssystem mit integrierter Kassenfunktion anbietet. Der Kläger fertigte "wie in der [X.] üblich" Kassenberichte, in die er jeweils das Ergebnis des Tagesabschlussbons übertrug.

2

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) ordnete für die Jahre 2006 bis 2009 eine Außenprüfung beim Kläger an. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2011 bat der Prüfer um Vorlage von Daten in Gestalt der [X.] der PC-Kasse (Kassenzeile, Einzeldaten und Bewegungsdatei), da alle im Kassen- und Warenwirtschaftssystem elektronisch verbuchten Geschäftsvorfälle aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtig seien.

3

Der Kläger legte gegen die Aufforderung zur Vorlage der Daten der einzelnen Verkäufe in der Apotheke Einspruch ein und begründete dies damit, das [X.] sei zu einem digitalen Zugriff insoweit nicht berechtigt, da die angeforderte [X.] nicht zu den archivierungspflichtigen Daten gehöre.

4

Der Einspruch blieb erfolglos. Das [X.] war der Ansicht, der Kläger sei als [[X.].] grundsätzlich zur Einzelaufzeichnung der Bareinnahmen verpflichtet. Im Gegensatz zu den Verhältnissen zur Zeit des Urteils des [X.] ([X.]) vom 12. Mai 1966 IV 472/60 ([X.]E 86, 118, BStBl III 1966, 371) stelle sich die Frage der Zumutbarkeit von Einzelaufzeichnungen nicht, da der Kläger entsprechende Grundaufzeichnungen zur Erfüllung seiner [X.] tatsächlich technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch geführt habe. Zwar obliege dem Kläger keine gesonderte Aufzeichnung des [X.] nach § 144 der Abgabenordnung ([[X.].]). Daraus folge indes nicht, dass jegliche [X.] des [X.] für Einzelhändler wie ihn entfalle. Da der Kläger die Aufzeichnungen in elektronischer Form geführt habe, sei das [X.] berechtigt, hierauf gemäß § 147 Abs. 6 [[X.].] zuzugreifen.

5

Die Klage war ebenfalls ohne Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) war im Wesentlichen der Ansicht, bei der angeforderten [X.] --bestehend aus der Kassenzeile, den Einzeldaten und der Bewegungsdatei-- handele es sich um [X.] von § 147 Abs. 1 Nr. 5 [[X.].] und damit um steuerlich relevante Unterlagen, da sie dem Verständnis der Geschäftsvorfälle und deren Überprüfung dienen könnten. Es könnten die Bestände sowie die Bestandsveränderungen an Arzneimitteln, an Betäubungsmitteln oder auch an nicht verschreibungspflichtigen Produkten mit den Erlösen im Einzelnen verprobt werden. Den Kläger treffe als [[X.].] nach §§ 238 ff. HGB i.V.m. den [X.] ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) eine diesbezügliche Aufzeichnungspflicht. Dies gelte auch angesichts des [X.]-Urteils in [X.]E 86, 118, BStBl III 1966, 371. Damit unterliege die [X.] dem Datenzugriff.

6

Seine Revision begründet der Kläger mit der Verletzung materiellen Rechts. Der [X.] habe mit Urteil vom 24. Juni 2009 VIII R 80/06 ([X.]E 225, 302, [X.], 452) entschieden, dass der Datenzugriff der Finanzverwaltung sich nur auf solche nach § 147 Abs. 1 [[X.].] aufbewahrungspflichtigen Daten erstrecke, für die eine --an anderer Stelle normierte-- Aufzeichnungspflicht bestehe. Für Einzelhändler sehe die [[X.].] indes keine Pflicht zur Einzelaufzeichnung vor. "Freiwillige" Aufzeichnungen wie die vorliegend von ihm geführten Kasseneinzeldaten unterfielen dagegen nicht dem [X.] in § 147 Abs. 6 [[X.].]. Dass er Aufzeichnungen tatsächlich geführt habe, könne entgegen der Ansicht des [X.] und des [X.] nicht ausreichen. Im Übrigen sei das [X.] auch überhaupt nicht berechtigt, "Dateien" anzufordern, da der Finanzverwaltung der Zugriff nur auf "Daten" offenstehe. Davon abgesehen sei die Datenanforderung zudem nicht hinreichend bestimmt.

7

Der Kläger beantragt,
das angefochtene [X.]-Urteil sowie den [X.] vom 17. Oktober 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2012 aufzuheben.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] durfte den Kläger zur Überlassung der Kassendaten in elektronisch verwertbarer Form auffordern, da dieser zur Aufzeichnung der einzelnen Verkäufe sowie zur Aufbewahrung der Aufzeichnung verpflichtet war.

1. Zu Recht gehen sowohl der Kläger als auch das [X.] davon aus, dass Voraussetzung für die Datenanforderung das Bestehen einer Aufzeichnungspflicht ist. Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 [X.] stehen der Finanzbehörde nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 [X.] aufzubewahren hat. Der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht in § 147 Abs. 1 [X.] wird wiederum grundsätzlich begrenzt durch die Reichweite der zugrunde liegenden Aufzeichnungspflicht (ausführlich [X.]-Urteil in [X.], 302, [X.], 452, m.w.N.).

An[X.] als der Kläger meint, ist er jedoch zur Aufzeichnung seiner einzelnen Geschäftsvorfälle einschließlich der Kassenvorgänge verpflichtet.

a) Nach § 238 Abs. 1 Satz 1 HGB ist [X.] verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den GoB ersichtlich zu machen. Über § 140 [X.] gelten die Kaufleuten obliegenden handelsrechtlichen Buchführungspflichten auch für die Besteuerung [X.]/Rätke, [X.], 12. Aufl., § 140 Rz 1 und 4; [X.] vom 26. September 2007 I B 53, 54/07, [X.], 19, [X.], 415). Die handelsrechtlichen Pflichten werden zu solchen des Steuerrechts transformiert ([X.] in [X.]/[X.]/ [X.] --[X.]--, § 140 [X.] Rz 34).

b) Die Buchführung muss so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann (§ 238 Abs. 1 Satz 2 HGB). Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen (§ 238 Abs. 1 Satz 3 HGB). Die Eintragungen in den Büchern und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen müssen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden (§ 239 Abs. 2 HGB).

c) Aus der Pflicht zur Ersichtlichmachung der Handelsgeschäfte und der Lage des Vermögens unter Beachtung der GoB hat der [X.] gefolgert, dies bedeute, dass grundsätzlich jedes einzelne Handelsgeschäft --einschließlich der sich auf die jeweiligen Handelsgeschäfte beziehenden [X.] einzeln aufzuzeichnen sei (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 86, 118, [X.]I 1966, 371). Mit der Buchführung wird u.a. der Zweck verfolgt, zu jedem Zeitpunkt einen zuverlässigen Einblick in den Ablauf aller Geschäfte zu geben. Deswegen muss es zu einem späteren Zeitpunkt für einen buchführungsmäßig vorgebildeten Dritten leicht und im Rahmen eines angemessenen Zeitaufwands möglich sein, den Inhalt und den Ablauf aller Geschäfte der Vergangenheit zu überprüfen. Dies erfordert in der Regel die Aufzeichnung jedes einzelnen Handelsgeschäfts in einem Umfang, der eine Überprüfung seiner Grundlagen, seines Inhalts und seiner Bedeutung für den Betrieb ermöglicht. Dafür bedarf es prinzipiell nicht nur der Aufzeichnung der in Geld bestehenden Gegenleistung, sondern auch des Inhalts des Geschäfts und des Namens des Vertragspartners ([X.]-Urteil in [X.]E 86, 118, [X.]I 1966, 371). Es ist auch in der Literatur allgemein anerkannt, dass die GoB grundsätzlich eine einzelne Erfassung eines jeden Geschäftsvorfalls erfordern und zusammengefasste oder verdichtete Buchungen demzufolge voraussetzen, dass sie eindeutig in ihre Einzelpositionen aufgegliedert werden können (vgl. z.B. [X.]/[X.]/[X.], Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., HGB § 239 Rz 12; [X.] in [X.]/ [X.], Bilanzrecht, § 238 HGB Rz 42 und § 239 HGB Rz 23; MünchKommHGB/[X.], 3. Aufl., § 239 Rz 2; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.], Handbuch der Rechnungslegung, Einzelabschluss, [X.]. 4 Rz 51 und 56).

Für bar erlangte [X.] hat der [X.] in diesem Zusammenhang unmissverständlich klargestellt, dass der nach den GoB aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfall gerade nicht nur der am Ende eines Tages insgesamt vereinnahmte Betrag (Tageslosung) ist, weil die Tatsache der sofortigen Bezahlung der Leistung es nicht rechtfertigt, die einzelnen Geschäftsvorfälle nicht auch einzeln mit Benennung des Kunden, der Art der Tätigkeit und der Bareinnahme aufzuzeichnen ([X.]-Urteil in [X.]E 86, 118, [X.]I 1966, 371).

d) Da die GoB indes nur eine [X.] der Kassenvorgänge im Rahmen des nach Art und Umfang des Geschäftes Zumutbaren verlangen, hat der [X.] die [X.] für Einzelhandelsgeschäfte --in Betrieben, in denen Waren von geringerem Wert an eine unbestimmte Vielzahl nicht bekannter und auch nicht feststellbarer Personen verkauft werden-- dahingehend eingeschränkt, dass die baren Betriebseinnahmen in der Regel nicht einzeln aufgezeichnet zu werden brauchen ([X.]-Urteil in [X.]E 86, 118, [X.]I 1966, 371). Ausschlaggebend für den [X.] war insoweit, dass es technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch unmöglich war, an die Aufzeichnung der einzelnen zahlreichen baren Kassenvorgänge in Einzelhandelsgeschäften gleiche Anforderungen wie bei anderen Handelsgeschäften zu stellen, nämlich zur Identifizierung und zur Bestimmung des Inhalts des Geschäfts Namen und Anschrift des Kunden und den Gegenstand des Kaufvertrages festzuhalten.

e) Die Frage, ob die nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzlich gegebene Verpflichtung zur [X.] eines jeden Geschäftsvorfalls aus Gründen der Unzumutbarkeit einzuschränken ist, ist im Streitfall --an[X.] als im [X.]-Urteil in [X.]E 86, 118, [X.]I 1966, 371-- zu verneinen.

aa) Eine den GoB entsprechende Buchführung setzt voraus, dass die Eintragungen in die Bücher und sonst erforderliche Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden (§ 239 Abs. 2 HGB, § 146 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Es besteht jedoch keine gesetzliche Vorgabe, wie (Kassen-)Aufzeichnungen zu führen sind. So können Handelsbücher und sonst erforderliche Aufzeichnungen grundsätzlich auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen oder auf Datenträgern geführt werden (§ 239 Abs. 4 Satz 1 HGB, § 146 Abs. 5 Satz 1 [X.]). Der Steuerpflichtige ist in der Wahl des Aufzeichnungsmittels somit frei und kann entscheiden, ob er seine Warenverkäufe manuell oder unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel --wie eben einer elektronischen Registrier- oder PC-Kasse-- erfasst.

Entscheidet der Steuerpflichtige sich --wie im Streitfall der [X.] für ein modernes PC-Kassensystem, das zum einen sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufzeichnet (mithin insbesondere die in Geld bestehende Gegenleistung sowie den Inhalt des Geschäfts) und zum anderen auch eine langfristige Aufbewahrung (Speicherung) der getätigten [X.]en ermöglicht, kommt er gerade damit der ihm obliegenden Verpflichtung zur Aufzeichnung der einzelnen Verkäufe nach. Er kann sich in diesem Fall nicht (mehr) auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnungsverpflichtung berufen. Bei Verwendung einer PC-Kasse ist die mit ihr bewirkte [X.] auch zumutbar (so auch [X.], Die steuerliche Betriebsprüfung --[X.]-- 2013, 333, 335).

bb) Etwas anderes ergibt sich weder aus dem [X.]-Urteil vom 26. Februar 2004 XI R 25/02 ([X.]E 205, 249, [X.], 599) noch aus den [X.]sbeschlüssen vom 16. Februar 2006 X B 57/05 ([X.]/NV 2006, 940) sowie vom 7. Februar 2008 [X.] (nicht veröffentlicht).

(1) Im Urteil in [X.]E 205, 249, [X.], 599 hat der [X.] zwar auf die Ausnahme von der Pflicht zur [X.] hingewiesen, hierüber aber --da es um einen nicht buchführungspflichtigen, im Taxigewerbe tätigen Gewerbetreibenden ging-- nicht tragend entschieden.

(2) Im Beschluss in [X.]/NV 2006, 940 ermittelte die dortige Klägerin ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) und nicht durch Betriebsvermögensvergleich. Aus der Entscheidung ergibt sich lediglich, dass Steuerpflichtige, die ihren Gewinn zulässigerweise durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln, zwar über § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. §§ 63 bis 68 der [X.] zu [X.]en, nicht aber deshalb auch zur Führung eines Kassenbuches verpflichtet sind; dies ergebe sich weder aus § 4 Abs. 3 EStG noch aus §§ 145, 146 [X.] oder § 22 UStG.

(3) Zwar ging es in dem dem Beschluss vom 7. Februar 2008 [X.] zugrunde liegenden Fall um einen Lebensmitteleinzelhändler. Dieser war indes nicht buchführungspflichtig, sondern ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG, was voraussetzt, dass sein Betrieb keinen nach Art oder Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderte. Der [X.] hat zwar [X.] auch unter Verweis auf das [X.]-Urteil in [X.]E 86, 118, [X.]I 1966, 371-- ausgeführt, dem Kläger sei eine [X.] nicht zuzumuten. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der [X.] generell auch für buchführungspflichtige Einzelhändler an der Befreiung von der Pflicht zur [X.] festhalten wollte.

f) Auch den §§ 143 ff. [X.] kann nichts anderes entnommen werden.

aa) Wie oben bereits ausgeführt, werden die handelsrechtlichen Pflichten über § 140 [X.] zu solchen des Steuerrechts. § 145 [X.] hat demzufolge für diejenigen Steuerpflichtigen, die --wie der [X.] bereits nach den handelsrechtlichen Vorschriften buchführungspflichtig sind, keine eigene Bedeutung, da diese den handelsrechtlichen GoB unmittelbar unterworfen sind ([X.] in [X.], § 145 [X.] Rz 6). Durch § 145 [X.] wird die Geltung der GoB im Steuerrecht nicht eingeschränkt. Die steuerrechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Buchführung sind vielmehr mit den handelsrechtlichen GoB abgestimmt (Koenig/Coester, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 145 Rz 5).

bb) Die §§ 143, 144 [X.] stehen einer [X.] für Einzelhändler nicht von vornherein entgegen.

Der erkennende [X.] vermag der Ansicht des [X.] nicht zu folgen, aus der Zusammenschau von § 143 [X.], der alle gewerblichen Unternehmer zur gesonderten Aufzeichnung des Wareneingangs verpflichtet, und von § 144 [X.], der nur eine Verpflichtung der Großhändler zur gesonderten Aufzeichnung des [X.] in Gestalt der zur gewerblichen Weiterverwendung bestimmten Waren ausspricht, ergebe sich der Wille des Gesetzgebers, Einzelhändler wie ihn von einer Verpflichtung zur [X.] auszunehmen. § 144 [X.] statuiert --wie § 143 [X.]-- eine selbständige, von sonstigen Buchführungspflichten unabhängige (gesonderte) Aufzeichnungspflicht und nimmt den [X.] speziell zur Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse Dritter in Dienst ([X.] in [X.], § 144 [X.] Rz 2). Hierzu gehört der Kundenkreis eines Einzelhändlers gerade nicht. Wesentlich für die in § 144 [X.] geregelte Aufzeichnungspflicht des [X.] ist demzufolge u.a. auch die Aufzeichnung des Namens oder der Firma und der Anschrift des Abnehmers (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 [X.]), was von einem Einzelhändler regelmäßig nur dann gefordert werden kann, wenn es für ihn zumutbar ist.

Aus der gesonderten Aufzeichnungspflicht für Großhändler nach § 144 [X.] kann nicht der Schluss gezogen werden, Einzelhändler hätten hinsichtlich ihrer Ausgangsleistungen keine Aufzeichnungspflichten zu erfüllen. Vielmehr entbindet die Aufzeichnung des [X.] nach § 144 [X.] den Großhändler auch dann nicht von weiteren Aufzeichnungspflichten (generelle Pflicht zur [X.] aller Geschäftsvorfälle, Aufzeichnungen nach § 22 UStG), wenn sich insoweit Überschneidungen ergeben. Dies berechtigt ihn allenfalls dazu, die verschiedenen Aufzeichnungen ggf. in einer Datensammlung technisch zusammenzufassen, sofern dies sämtlichen Aufzeichnungsanforderungen genügt ([X.] in [X.], § 144 [X.] Rz 2 i.V.m. § 143 [X.] Rz 5).

g) Mit den vorstehenden Ausführungen weicht der erkennende [X.] nicht von der Entscheidung in [X.]E 86, 118, [X.]I 1966, 371 ab. Dem steht schon entgegen, dass die damalige, vom IV. [X.] des [X.] entschiedene Fallkonstellation, die sich auf das Streitjahr 1956 bezog, angesichts veränderter technischer Möglichkeiten nicht mit dem vorliegend zu entscheidenden, mehr als 50 Jahre später liegenden Fall vergleichbar ist.

h) [X.] weist der [X.] darauf hin, dass die nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzlich auch für Einzelhändler geltende Pflicht zur [X.] der Bareinnahmen nicht bedeutet, dass diese künftig einzeln gebucht werden müssen. Ausreichend ist insoweit --wie bisher-- die Verbuchung der zusammengefassten Tageslosung. Entscheidend ist, dass diese sich auf die einzeln erfassten Verkäufe zurückführen lässt, die ihrerseits --ggf. unter Zuhilfenahme des [X.] nachweisbar sind.

2. Als Folge der Pflicht, die baren Betriebseinnahmen einzeln aufzuzeichnen, unterliegen die von dem Kläger mittels der PC-Kasse gefertigten Aufzeichnungen der Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 1 [X.].

a) Der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht wird --wie oben bereits ausgeführt-- grundsätzlich begrenzt durch die Reichweite der zugrunde liegenden Aufzeichnungspflicht. Die Pflicht zur Aufbewahrung von Unterlagen ist akzessorisch. Das heißt, sie setzt stets eine Aufzeichnungspflicht voraus und besteht grundsätzlich nur im Umfang der Aufzeichnungspflicht (grundlegend [X.]-Urteil in [X.], 302, [X.], 452, mit umfangreichen Nachweisen). Eine eigenständige Pflicht zur Aufbewahrung von Unterlagen, die nicht mit einer Pflicht zur Aufzeichnung von Daten in Zusammenhang stehen, ist § 147 Abs. 1 [X.] nicht zu entnehmen.

Zutreffend geht das [X.] davon aus, dass es sich bei den vorliegend mit Hilfe einer PC-Kasse einzeln aufgezeichneten Bareinnahmen (Umsätze/Warenverkäufe) um Grundaufzeichnungen i.S. des § 147 Abs. 1 Nr. 1 [X.] und keineswegs um "freiwillige" Aufzeichnungen handelt. Zu "freiwilligen" Aufzeichnungen kommt es auch nicht etwa deshalb, weil die Anschaffung der Kasse mit den damit verbundenen Aufzeichnungsmöglichkeiten primär aus betriebswirtschaftlichen Gründen erfolgt ist.

b) Davon unabhängig sind gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 4 [X.] insbesondere auch die Tagesendsummenbons (Z-Bons) als Beleg über die Buchung der verdichteten Tagessummen aufzubewahren.

c) Der Kläger war in den Streitjahren 2006 bis 2009 auch nicht im Hinblick auf das Schreiben des [X.] ([X.]) vom 9. Januar 1996 IV A 8-S 0310-5/95 ([X.], 34) nur zur Aufbewahrung und Speicherung der Z-Bons verpflichtet. Es handelt sich bei diesem [X.]-Schreiben um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die als solche keine Rechtsnormqualität besitzt und die Gerichte nicht bindet (vgl. [X.]-Urteil vom 24. September 2013 VI R 48/12, [X.]/NV 2014, 341).

Norminterpretierende Verwaltungsanweisungen, die die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern sollen, können im Allgemeinen weder eine einer Rechtsnorm vergleichbare Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht lediglich ausnahmsweise in dem Bereich der ihr vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit (z.B. bei Änderung der Rechtsprechung) und der Typisierung oder Pauschalierung ([X.]-Urteile vom 26. April 1995 XI R 81/93, [X.]E 178, 4, [X.] 1995, 754, und vom 7. Dezember 2005 I R 123/04, [X.]/NV 2006, 1097). Um einen solchen Fall handelt es sich bei der Gewährung von [X.] für [X.] indes nicht.

3. Da der Kläger zur Aufzeichnung der einzelnen Verkäufe und zur Aufbewahrung der entsprechenden Aufzeichnungen verpflichtet war, durfte das [X.] im Rahmen der Außenprüfung gemäß § 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 [X.] die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems (PC-Kasse) erstellten Daten auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Prüfung anfordern.

a) [X.] ist zunächst, dass die Daten mittels eines der eigentlichen Buchführung vorgelagerten (Kassen-)Systems erstellt wurden, da dem Datenzugriff grundsätzlich auch die Daten aus vorgeschalteten Systemen oder Nebensystemen unterfallen (z.B. [X.], [X.] im Rahmen der --digitalen-- Außenprüfung, S. 76, m.w.N.; vgl. auch [X.], [X.] in der Außenprüfung, S. 195 ff.). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die in einem Vorsystem --wie einem [X.] erzeugten (steuerrelevanten und aufbewahrungspflichtigen) Daten in verdichteter Form in das eigentliche Buchführungssystem übergeben werden (vgl. dazu auch [X.]-Schreiben vom 14. November 2014 IV A 4-S 0316/13/10003, [X.], 1450, insb. Rz 20).

b) Soweit der Kläger meint, die Anforderung sei schon deshalb rechtswidrig, weil sie zu unbestimmt sei bzw. weil das [X.] keine Daten, sondern eine Verkaufsdatei angefordert habe, greift dieser Einwand nicht durch.

aa) Bei verständiger Würdigung ist zunächst davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch eine "Datei" --also einen Bestand inhaltlich zusammengehöriger Daten, der auf einem Datenträger oder Speichermedium abgelegt und gespeichert [X.] meint, wenn er in § 147 Abs. 6 [X.] von "Daten" spricht.

Die Datenzugriffsmöglichkeit der Finanzverwaltung setzt zwingend voraus, dass die zunächst "flüchtigen" Daten (im Streitfall die Informationen im Zusammenhang mit den einzelnen Verkaufsvorgängen) systematisch in einer Datei abgelegt werden und so erhalten bleiben. Dass die Datei ggf. für den Datenzugriff "neu" erzeugt werden muss, ist ebenfalls kein Hinderungsgrund, sondern vielmehr Folge der der Finanzverwaltung in § 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 [X.] eingeräumten Möglichkeit der Anforderung eines Datenträgers (sog. "[X.] Zugriff"; zu den [X.] der Finanzverwaltung vgl. z.B. [X.], [X.], 2006, 744, 745 f.).

bb) [X.] des [X.] bezog sich auf die "Verkaufsdatei (Kassenzeile, Einzeldaten, [X.])" bzw. auf die "Daten aus dem Warenwirtschaftssystem zu den Einzelverkäufen (Verkaufsdatenbank)". In dem Schreiben vom 17. Oktober 2011 erläuterte das [X.], die Überlassung der steuerrelevanten Daten stelle eine Bringschuld dar. Durch diesen Einschub ist erkennbar, dass sich die Anforderung der Finanzverwaltung in der Sache auf die steuerrelevanten Daten bezog, die in den Dateien enthalten waren, und das [X.] den Begriff "Verkaufsdatei" lediglich als Sammelbezeichnung für diese Daten verwendet hat. Dies wird durch die Einspruchsentscheidung vom 16. März 2012 bekräftigt, in der das [X.] unter Bezugnahme auf das [X.]-Urteil in [X.]E 86, 118, [X.]I 1966, 371 ausführt, die GoB erforderten in der Regel die Aufzeichnung jedes einzelnen Handelsgeschäfts in einem Umfang, der eine Überprüfung seiner Grundlagen, seines Inhalts und seiner Bedeutung für den Betrieb ermögliche. Das bedeute nicht nur die Aufzeichnung der in Geld bestehenden Gegenleistung, sondern auch des Inhalts des Geschäfts und des Namens des Vertragspartners. Dies gelte auch für die Bareinnahmen, zu deren [X.] der Kläger grundsätzlich verpflichtet sei.

Zweifel, worauf sich das Datenanforderungsverlangen des [X.] bezog, konnten beim Kläger nach Ansicht des [X.]s deshalb nicht entstehen. Dies wird auch durch die Revisionsbegründung des [X.] vom 5. August 2013 bestätigt, in der dieser auf Seite 12 ausführt, dem Fiskus gehe es beim Zugriff auf die sog. "Kassenauftragszeile" primär um Datum, Artikelbezeichnung, Menge, Preis, Status (Kassenrezept, Privatrezept, sonstiger Umsatz) und ggf. noch den Umsatzsteuersatz.

Eine --wie der Kläger fordert-- detaillierte Auflistung der einzelnen Datensätze würde dagegen voraussetzen, dass die Finanzverwaltung nicht nur den Anbieter sowie das System bzw. Programm mit seinem Inhalt und der jeweiligen Arbeitsweise, sondern bspw. auch die Programmversion im Einzelnen kennt. Bei der Vielzahl der auf dem Markt vorhandenen unterschiedlichen Systeme und Programme sowie ihrer Schnelllebigkeit wird der Finanzverwaltung dies regelmäßig nicht möglich sein. Die Anforderungen an die Verwaltung würden überspannt.

cc) Mit der Anforderung der "Verkaufsdatei (Kassenzeile, Einzeldaten, [X.])" bzw. der "Daten aus dem Warenwirtschaftssystem zu den Einzelverkäufen (Verkaufsdatenbank)" verstößt das [X.] auch nicht gegen das Übermaßverbot.

Soweit der Kläger der Ansicht sein sollte, einzelne in der Datei enthaltene Daten seien nicht steuerrelevant, obliegt es ihm, diese zu selektieren (sog. Erstqualifikationsrecht, vgl. z.B. [X.]-Schreiben in [X.], 1450, Rz 160 f.; Institut der Wirtschaftsprüfer in [X.] e.V. --IDW--, [X.] IDW 2012 [Beiheft zu Nr. 11], B 12). Hat er bspw. in der Datei patientenbezogene Daten abgelegt, deren Herausgabe er nach § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c [X.] verweigern darf (vgl. [X.]-Urteil vom 28. Oktober 2009 VIII R 78/05, [X.]E 227, 338, [X.], 455, unter [X.] [X.] für einen Rechtsanwalt/Steuerberater als Berufsgeheimnisträger), kann er diese aus der Datei entfernen. Ist ihm dies nicht möglich, kann er den Zugriff auf die Verkaufsdatei mit den Kasseneinzeldaten nicht verweigern (zutreffend [X.], [X.] 2011, 305, 308; [X.]. [X.] 2013, 278, 279; vgl. auch [X.] in [X.], 19, [X.], 415, unter II.4.). Er trägt die Verantwortung und damit auch das Risiko, wenn er steuerrelevante und nicht steuerrelevante Daten ununterscheidbar vermengt haben sollte.

c) Anzeichen, dass das [X.] sein Ermessen, ob und in welcher Form es auf Daten Zugriff nehmen möchte, fehlerhaft ausgeübt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Ermessensfehler werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

X R 29/13

16.12.2014

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 23. Mai 2013, Az: 1 K 396/12, Urteil

§ 238 Abs 1 HGB, § 239 Abs 2 HGB, § 239 Abs 4 S 1 HGB, § 146 Abs 1 S 1 AO, § 146 Abs 5 S 1 AO, § 147 Abs 1 Nr 1 AO, § 147 Abs 6 S 2 AO, § 140 Abs 1 AO, § 145 AO, § 143 AO, § 144 AO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.12.2014, Az. X R 29/13 (REWIS RS 2014, 300)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 300

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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