Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.09.2018, Az. XI R 45/17

11. Senat | REWIS RS 2018, 4133

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Besorgnis der Befangenheit eines Richters


Leitsatz

1. NV: Die gemeinsame Tätigkeit eines Richters am BFH und eines ehemaligen Richters und nunmehr im vorliegenden Revisionsverfahren Prozessbevollmächtigten in einem Senat bei einem FG begründet keine Besorgnis der Befangenheit, wenn kein engeres persönliches Verhältnis zwischen ihnen besteht.

2. NV: Der gemeinsame wöchentliche Sport in einem Fußballverein, den der Richter am BFH und der Prozessbevollmächtigte während dieser gemeinsamen Tätigkeit am FG ausgeübt haben, führt an sich ebenfalls nicht zu einer Besorgnis der Befangenheit.

Tenor

Aus der Erklärung des Richters am [X.] ergibt sich kein Grund, der die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich in dem Verfahren XI R 45/17 gegen die Entscheidung des [X.] ([X.]) vom 18. Februar 2016, in der die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung hinsichtlich der Feststellung des [X.] zum 31. Dezember 2006 durch [X.] vom 27. Juni 2012 für rechtmäßig erklärt wurde. Die Klägerin wird im Revisionsverfahren u.a. durch den Rechtsanwalt und Steuerberater [X.] vertreten.

2

Der nach dem internen Mitwirkungsplan des Senats in der Sache XI R 45/17 als [X.]erichterstatter zuständige Richter am [X.] ([X.] hat in dem o.g. Verfahren folgende Erklärung zu den Akten gereicht ([X.]. 114 der Revisionsakte):

3

"1. Hiermit zeige ich an, dass der das Revisionsverfahren XI R 45/17 bearbeitende Rechtsanwalt und Steuerberater [X.] in der [X.] von November 2011 bis Mai 2013 mein [X.] war. Wir waren in dieser [X.] beide vom Präsidium des [X.] dem ... Senat zugewiesen.

Außerdem haben wir während dieser [X.] nach meiner Erinnerung wöchentlich eine Stunde gemeinsam Fußball im selben Fußballverein gespielt.

2. Diese Anzeige erfolgt, da auch die frühere Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Spruchkörper abstrakt die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit begründen kann (vgl. [X.]/Vollkommer, ZPO, § 42 Rz 12, 12a und 13, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

3. Konkret besteht m.E. aufgrund der genannten Umstände allerdings keine solche [X.]esorgnis:

a) Selbst bei längerer Dauer der Zusammenarbeit wäre die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit nur dann als begründet an[zu]sehen, wenn aus ihr in der Zukunft fortwirkende Umstände resultieren, etwa eine Freundschaft oder Feindschaft, sofern die gemeinsame Mitgliedschaft in einem Spruchkörper bereits seit geraumer [X.] beendet ist (vgl. [X.]eschluss des [X.] vom 29. Juni 2004  1 [X.]vR 336/04, [Neue Juristische Wochenschrift --NJW--] 2004, 3550, Rz 8).

b) Vorliegend betrug die [X.] der Zusammenarbeit lediglich 18 Monate. Sie liegt mittlerweile mehr als 5 Jahre zurück. Ein persönlicher Kontakt zwischen [X.] und [X.] besteht seither nicht."

4

Die [X.]eteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine solche wurde nicht abgegeben.

Entscheidungsgründe

[X.]

5

Ein Grund, der die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit des [X.]s am [X.] begründet, ist zu verneinen.

6

1. Der Senat hat gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 48, § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ohne Mitwirkung des [X.]s am [X.] durch [X.]eschluss darüber zu entscheiden, ob ein Grund besteht, der aus Sicht einer Partei die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit begründet. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 48, § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines [X.]s wegen der [X.]esorgnis der [X.]efangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht einer Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s zu zweifeln (vgl. z.[X.]. [X.]eschlüsse des [X.] --[X.]GH-- vom 15. März 2012 V Z[X.] 102/11, [X.], 1890; vom 20. August 2014 [X.] 3/13, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 2014, 1465; vom 30. Oktober 2014 V Z[X.] 196/13, [X.], 50, jeweils m.w.[X.]).

7

Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine [X.]efangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, einem [X.]eteiligten Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben (vgl. z.[X.]. [X.] in [X.], 1890; in [X.], 50).

8

Es kommt gleichfalls nicht darauf an, ob sich der [X.] selbst für befangen hält. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren [X.]eteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln (vgl. [X.]eschluss des [X.] vom 24. April 1996  2 [X.]vR 1639/94, NJW 1996, 2022, Leitsatz 1a; [X.] vom 14. Dezember 1999 IV [X.] 112/98, [X.], 738; vom 1. August 2001 VII S 5/01, [X.] 2002, 40; vom 17. September 2002 IV [X.] 108/02, [X.] 2003, 73; vom 23. September 2004 IX [X.] 98/04, [X.] 2005, 234, unter [X.], Rz 3, jeweils m.w.[X.]).

9

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der [X.] am [X.] nicht gehindert, an dem Verfahren XI R 45/17 mitzuwirken.

a) Die [X.]eteiligten haben den [X.] am [X.] weder wegen der [X.]esorgnis der [X.]efangenheit abgelehnt noch [X.]edenken gegen seine Mitwirkung in dem Verfahren XI R 45/17 geäußert.

b) Die in seiner dienstlichen Äußerung mitgeteilten Umstände begründen keine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit. Sie lassen keinen Grund erkennen, der geeignet wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des [X.]s am [X.] zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 48, § 42 Abs. 2 ZPO).

aa) Die gemeinsame Tätigkeit des [X.]s am [X.] und des Rechtsanwalts und Steuerberaters [X.] im ... Senat beim [X.] begründet keine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit. Zwar können allgemein an der Objektivität eines [X.]s Zweifel bestehen, wenn über ein bloßes kollegiales Verhältnis hinaus ein engeres persönliches Verhältnis des zur Entscheidung berufenen [X.]s zu einem am Verfahren [X.]eteiligten besteht (s. z.[X.]. [X.]FH-[X.]eschluss in [X.] 2002, 40, m.w.[X.]). Allein eine [X.]ekanntschaft oder lockere Freundschaft stellt allerdings regelmäßig noch keine für eine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit ausreichende besondere persönliche [X.]eziehung dar ([X.] vom 2. Dezember 2015 [X.](R) 1/15, [X.], 417, Rz 3; [X.](R) 2/15 und [X.](R) 3/15, jeweils juris, Rz 3, m.w.[X.]; vom 22. November 2017 [X.] 2/16, juris, Rz 4). Die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit gilt auch, wenn eine engere persönliche [X.]indung zwischen [X.]kollegen besteht, die dem gleichen Spruchkörper angehören beziehungsweise vor nicht allzu langer Zeit angehört haben (vgl. [X.]VerfG-[X.]eschluss in NJW 2004, 3550, Rz 8, m.w.[X.]). Ist die gemeinsame Mitgliedschaft in einem Spruchkörper jedoch --wie hier-- bereits seit geraumer Zeit beendet, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Gerichte --auch bei längerer Dauer der [X.] die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit nur dann als begründet ansehen, wenn aus ihr in der Zukunft fortwirkende Umstände resultieren, etwa eine Freundschaft oder Feindschaft (vgl. [X.]VerfG-[X.]eschluss in NJW 2004, 3550). Da solche fortwirkenden Umstände nicht bei dem [X.] am [X.] vorliegen --es bestehen keine persönlichen Kontakte zum Rechtsanwalt und Steuerberater [X.]--, führt die gemeinsame Tätigkeit in einem Spruchkörper eines FG nicht zur [X.]efangenheit.

bb) Gleiches gilt auch für den wöchentlich gemeinsamen Sport in einem Fußballverein, den der [X.] am [X.] und der Rechtsanwalt und Steuerberater [X.] ausgeübt haben. Die bloße Mitgliedschaft eines [X.]s in einem Verein mit vielen Mitgliedern, in dem auch der Prozessbevollmächtigte Mitglied war, ist für sich allein grundsätzlich kein Ablehnungsgrund wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit (vgl. [X.]GH-[X.]eschluss vom 17. Dezember 2003 X ZA 6/03, Wohnungswirtschaft und Mietrecht 2004, 110). Dass der [X.] am [X.] in diesem Fußballverein oder anderweitig in einer Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit rechtfertigenden Weise tätig geworden ist, hat [X.] am [X.] auch nicht angezeigt.

c) [X.]ei dieser Sachlage liefe die [X.]ejahung einer [X.]esorgnis der [X.]efangenheit auf die Entziehung des nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes gewährleisteten Rechts auf den gesetzlichen [X.] hinaus (vgl. dazu [X.]GH-[X.]eschluss in [X.], 50, m.w.[X.]).

3. Der [X.]eschluss ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 2 FGO).

Meta

XI R 45/17

05.09.2018

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 18. Februar 2016, Az: 4 K 1928/14, Urteil

§ 51 Abs 1 S 1 FGO, § 42 Abs 2 ZPO, § 45 Abs 1 ZPO, § 46 Abs 1 ZPO, § 48 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.09.2018, Az. XI R 45/17 (REWIS RS 2018, 4133)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 112 REWIS RS 2018, 4133

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

10 C 4/22

2 C 35/18

V ZB 59/20

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