Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.04.2014, Az. III ZR 335/13

III. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 6352

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
III ZR 335/13

Verkündet am:

10. April 2014

F r e i t a g

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.] Art. 23 Satz 2 und 3; [X.] § 198 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 2

a)
Zur Unverzüglichkeit einer [X.] in einem Verfahren, das bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtschutz bei überlangen Gerichts-verfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ([X.]) bereits verzö-gert war.

b)
Wird die [X.] gemäß Art. 23 Satz 2 [X.] nicht unverzüglich erhoben, besteht ein Entschädigungsanspruch nach § 198 [X.] erst vom Rügezeitpunkt an (Umkehrschluss aus Art. 23 Satz 3 [X.]).

c)
Geringfügige Verzögerungen in einzelnen Verfahrensabschnitten, die gegen-über der [X.] nicht entscheidend ins Gewicht fallen, sind grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen.

[X.], Urteil vom 10. April 2014 -
III ZR 335/13 -
[X.]
-

2

-

Der III.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. April
2014 durch den Vizepräsidenten
Schlick und die Richter
Wöst-mann, [X.], Dr. Remmert
und Reiter

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird
das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 10. Juli 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger macht gegen das
beklagte Land
einen Anspruch
auf [X.] für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines [X.] geltend.

In dem noch nicht abgeschlossenen Ausgangsverfahren
nimmt der Klä-ger mit seiner am 20. Dezember 2006
beim [X.]
eingereichten Klage l-1
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lung der Ersatzpflicht für weitere Schäden im Zusammenhang mit einer am 29.
April 2004 durchgeführten Knieoperation in Anspruch.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschloss das [X.] am 20. November 2007 die Einholung eines medizinischen Sachver-ständigengutachtens. Der beauftragte Sachverständige Dr. B.

erstellte sein Gutachten unter dem 16. Dezember 2008 und ergänzte es mit Stellungnahme vom 18. Juni 2010 im Hinblick auf Fragen und Einwände des beklagten Arztes. Widersprüche zwischen dem
gerichtlichen Gutachten und einem
außergericht-lich
erstellten Gutachten führten dazu, dass das [X.] mit [X.] vom 23. Dezember 2010 ein Obergutachten in Auftrag gab, dessen Fertigstellung der neue Sachverständige Prof. Dr. G.

bis Ende
März 2011 in Aussicht stellte.

Auf Sachstandsanfrage des [X.] vom 23. Mai 2011 beanstande-te
der Sachverständige das Fehlen der dem Erstgutachter überlassenen [X.], obwohl sich diese -
wie sich später herausstellte -
in der bereits am 26. Januar 2011 übersandten Gerichtsakte befanden. Für die folgenden sechs Monate sind keine prozessleitenden Anordnungen des Gerichts dokumentiert. Die
Nachforschungen der Geschäftsstelle nach dem Verbleib der Röntgenbilder blieben erfolglos. Zudem ging das umfangreiche Post enthaltende Aktenretent verloren. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2011 teilte das [X.] dem Sachverständigen Prof. Dr. G.

mit, dass eine Nachfrage bei den Parteien
und bei Dr. B.

ergeben habe, dass Röntgenbilder dort nicht vorhanden seien, und bat ihn zugleich um erneute Prüfung, ob die Röntgenbilder seinerzeit mit der Gerichtsakte übersandt worden seien. Der Sachverständige reagierte nicht. Sachstandsanfragen des [X.] an das [X.] vom 28. Februar, 25. Mai und 12. Juli 2012 blieben unbeantwortet. Mit [X.] vom 7. August 3
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4

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2012 erhob der Kläger
"[X.] gemäß § 198 [X.]". Nachdem das [X.]
den Sachverständigen
daraufhin
unter dem 22. Oktober 2012 um Rückgabe der Akten gebeten und diese Mitte November 2012 erhalten hatte, teilte es dem Kläger mit Schreiben vom 24. Januar 2013 mit, dass die vermiss-ten Röntgenbilder in den Akten
aufgefunden worden seien. Gleichzeitig über-sandte
es die Akten an den Sachverständigen Prof. Dr. G.

mit der Bitte um bevorzugte Bearbeitung.

Noch bevor
der Sachverständige sein Gutachten unter dem 27. Mai 2013 erstellt hatte, reichte der Kläger am 14. März 2013 die vorliegende Entschädi-gungsklage beim [X.] ein.

Der Kläger hat geltend gemacht, das Verfahren sei bislang um sechs Jahre verzögert, weil der Rechtsstreit bereits seit dem Erstgutachten des Sach-verständigen Dr. B.

entscheidungsreif
gewesen sei. Die ihm zustehende [X.] für immaterielle Nachteile betrage auf der Basis des gesetzlichen

Das [X.] hat den Beklagten zur Zahlung einer Entschädi-gung für immateriet. Außerdem hat es [X.], dass die Verfahrensdauer über den bei der zugesprochenen Entschädi-gung bereits berücksichtigen [X.]raum hinaus bisher um weitere vier Monate unangemessen war. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte
seinen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

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Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, und zur Abweisung der [X.] in vollem Umfang.

I.

Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:

Nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
(im Folgenden: [X.]) vom 24. November 2011 ([X.] I S. 2302) sei die Entschä-digungsregelung der §§ 198 ff [X.] auf den noch beim [X.] anhängigen Rechtsstreit anwendbar. Die [X.]
sei als Teilklage zulässig und teilweise
begründet. Das Ausgangsverfahren weise bislang eine unange-messene und irreparable Dauer von insgesamt 13 Monaten auf.

In dem [X.]raum von Ende Mai 2011 bis Anfang Dezember 2011 liege eine Verzögerung von vier Monaten vor. Für die (erfolglosen) Nachforschungen bei den Parteien und dem Sachverständigen Dr. B.

nach dem Verbleib der vermeintlich fehlenden Röntgenbilder habe das [X.] rund sechs Monate benötigt, während der hierfür noch als vertretbar anzusehende [X.]rahmen mit zwei Monaten anzusetzen sei.

Der nächste sachgerechte Verfahrensschritt sei
mit der gerichtlichen An-frage bei Prof. Dr. G.

vom 7. Dezember 2011 erfolgt. Das [X.] ha-be jedoch nicht für eine umgehende Erledigung der Bitte um nochmalige 9
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Durchsicht der Akten gesorgt. Vielmehr habe der [X.] erst mehr als zehn Monate später und zweieinhalb Monate nach Erhebung der Verzöge-rungsrüge die Akten am 22. Oktober 2012 von Prof. Dr. G.

zurückgefor-dert. Bei sachgerechtem Vorgehen hätte das [X.] den Verbleib der Röntgenbilder bis Ende Januar 2012 klären können. Das Verfahren sei daher in diesem Abschnitt um weitere neun Monate verzögert worden.

Für die Folgezeit sei keine weitere Verzögerung festzustellen. Das [X.] habe sich
um eine bevorzugte Erledigung des [X.] [X.]. [X.] habe der Sachverständige das Gutachten bereits
im
Mai 2013 fertig gestellt.

Die bisher eingetretene Verzögerung
von insgesamt 13 Monaten könne bis zum Abschluss des landgerichtlichen Verfahrens nicht mehr kompensiert werden. Die voraussichtliche Gesamtdauer der ersten Instanz von fast sieben Jahren stelle sich
bereits jetzt
als unangemessen lang dar.

Hinsichtlich der Verzögerung von vier Monaten, die bis zum Inkrafttreten der neuen Entschädigungsregelung am 3. Dezember 2011 erfolgt sei, sei ein Entschädigungsanspruch des [X.] jedoch ausgeschlossen, weil die Verzö-gerungsrüge nicht unverzüglich im Sinne von Art. 23 Satz 2 [X.] erhoben worden sei. Insoweit sei jedoch nach § 198 Abs. 4 Satz 3
Halbsatz 2 [X.] die unangemessene Verzögerung des Verfahrens festzustellen.

Für die
nach dem Inkrafttreten des Gesetzes
über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erfolgte Verzögerung
von neun Monaten sei die regelmäßige

je Monat gemäß §
198 Abs. 2 Satz 3
[X.] zuzubilligen.
Art. 23 Satz 3 [X.] 14
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stehe dem nicht entgegen. Denn diese Vorschrift sei dahin auszulegen, dass das Unterlassen einer unverzüglichen Erhebung der [X.] einen Entschädigungsanspruch nur wegen des [X.]raums ausschließe, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes
liege.
Nach der Begründung des [X.] wahre die unverzüglich nachgeholte [X.] den Anspruch aus § 198 [X.] so, als ob bereits zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] festge-legten [X.]punkt gerügt worden wäre (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Dann aber dürften dem Betroffenen auch umgekehrt aus der Unterlassung der unverzügli-chen Rügeerhebung keine weitergehenden Nachteile entstehen, als sie ihm entstanden wären, wenn das Institut der [X.] des § 198 Abs. 3 [X.] bereits früher -
als sich das Ausgangsverfahren vor Inkrafttreten des Ge-setzes
verzögert oder zu verzögern gedroht habe -
bestanden hätte. Im Hinblick auf den in § 198 Abs. 3 Satz 2 genannten [X.]punkt ("Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen [X.] abgeschlossen wird") sei
jedoch die Verspätung der Rüge
grundsätzlich unschädlich, da die Geduld ei-nes Verfahrensbeteiligten nicht "bestraft"
werden solle (BT-Drucks. 17/3802 S.
21).

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht
stand.

1.
Für den [X.]raum bis zur Erhebung der [X.] am 7. August 2012 steht dem Kläger kein Entschädigungsanspruch
wegen überlanger Ver-fahrensdauer
gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 [X.] zu, weil es an einer unverzüglichen Rüge nach Art. 23 Satz 2 [X.] fehlt und in diesem Fall vor dem Rügezeitpunkt liegende Entschädigungsansprüche nach Art. 23 Satz 3 [X.] präkludiert sind.
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a) Zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§
198 ff [X.])
nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]
auf den
Streitfall Anwendung
findet. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei sei-nem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 [X.]) bereits anhän-gig waren.
Diese Voraussetzung ist
hier erfüllt. Das am 20. Dezember 2006 eingeleitete Ausgangsverfahren war zum maßgeblichen Stichtag weder rechts-kräftig abgeschlossen noch anderweitig erledigt.

b) Die [X.] konnte auch schon während des noch an-dauernden Ausgangsverfahrens erhoben werden. Aus § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] folgt, dass
lediglich die hier unproblematische Wartefrist von sechs Mona-ten nach Erhebung der [X.] gewahrt sein
muss. Der
Abschluss des
Ausgangsverfahrens ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Dadurch hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass der Anspruch auf ein zügiges Verfahren schon vor dem
rechtskräftigen
Abschluss
des Verfahrens
verletzt werden kann und insoweit
auch ein Entschädigungsanspruch in [X.] kommt (BT-Drucks. 17/3802 S. 22). [X.] handelt es sich bei der Klage während des noch andauernden Ausgangsverfahrens regelmäßig
um eine Teilklage, weil Entschädigung nur für einen bestimmten Abschnitt des [X.] verlangt wird ([X.] in [X.]/[X.], [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 [X.] Rn. 52, 252). Diese
setzt voraus, dass unabhängig vom weiteren Verlauf des Ausgangsverfahrens be-reits eine Entscheidung über den Entschädigungsanspruch getroffen werden kann. [X.] müssen die Voraussetzungen eines Entschädigungs-anspruchs nach § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.]
vollständig erfüllt sein. Eine unange-messene
und
unumkehrbare Verzögerung des Ausgangsverfahrens sowie end-20
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gültig eingetretene Nachteile müssen feststehen. Daneben ist
der Betroffene
gehalten (haftungsbegründende Obliegenheit),
eine [X.] nach §
198 Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.] wirksam zu erheben
(Senatsurteil vom 23. Ja-nuar 2014 -
III ZR 37/13, NJW 2014, 939
Rn. 27 ff).
Für den frühestmöglichen Rügetermin verlangt das Gesetz einen (konkreten) Anlass zu der Besorgnis, dass das
Verfahren nicht in angemessener [X.] abgeschlossen werden kann.

c) Wird die Entschädigungsregelung -
wie hier -
nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] auf Altfälle angewandt, die am 3. Dezember 2011 bereits anhängig, aber noch nicht
abgeschlossen waren,
wird das Recht der Verzöge-rungsrüge durch Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] an die Besonderheiten dieser [X.] angepasst (BT-Drucks. 17/3802 S. 31).
Bei Verfahren, die beim Inkrafttreten der Regelung schon verzögert sind, muss die Verzögerungs-rüge unverzüglich erhoben werden. Geschieht dies, so wahrt die Rüge den [X.] aus § 198 [X.] rückwirkend in vollem Umfang, das heißt so, als ob be-reits zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] festgelegten [X.]punkt gerügt worden wäre ([X.] aaO Art. 23 [X.] Rn. 4,
6).

Die [X.] des [X.] vom 7. August 2012 ist nicht unver-züglich nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
erhoben
worden, obwohl das Verfahren zu diesem [X.]punkt, was das [X.] rechts-fehlerfrei festgestellt hat, bereits um vier Monate verzögert war. Es
wäre
erfor-derlich gewesen, die Rüge binnen eines [X.]raums von längstens drei Monaten
zu erheben.

"Unverzüglich"
bedeutet nach der Gesetzesbegründung "ohne schuldhaf-tes Zögern"
(BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Damit wird die Legaldefinition in § 121 22
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Abs. 1 Satz 1 [X.] in Bezug genommen, die nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 [X.] hinaus gilt ([X.]/[X.], [X.], 73. Aufl., §
121 Rn. 3).

Soweit Art. 23 Satz 2 [X.] die unverzügliche Erhebung der Verzöge-rungsrüge nach Inkrafttreten der Entschädigungsregelung verlangt, ist kein so-fortiges Handeln geboten. Vielmehr muss dem Betroffenen eine angemessene Prüfungs-
und
Überlegungsfrist eingeräumt werden, um entscheiden zu [X.], ob er seine Rechte durch eine [X.] wahren muss. Die von der Rechtsprechung zu § 121
[X.] herausgebildete Obergrenze von zwei [X.]
(dazu [X.]/[X.] aaO)
beziehungsweise
die
zweiwöchige [X.] Ausschlussfrist des §
626 Abs. 2 Satz 1 [X.] stellen insoweit einen zu engen Maßstab dar (vgl. BSG, NJW 2014, 253 Rn. 29; [X.], BeckRS 2013, 96642 Rn. 33, 35, 39, 42; [X.], NJW 2013, 2209, 2210; NJW 2013, 3109, 3110; [X.], BeckRS 2013, 07833). Bei der Bemessung der gemäß Art. 23 Satz 2 [X.] angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes in den Blick zu nehmen, durch die Einräumung eines [X.]sanspruchs gegen den Staat
bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreihei-ten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 [X.]) gerecht wird
(BT-Drucks. 17/3802 S. 15).
Es kommt hinzu, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkün-det worden ist (Art. 24 [X.]). Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, den Be-griff der "Unverzüglichkeit"
in Art.
23 Satz 2 [X.] weit
zu verstehen. Eine zu kurze, wirksamen Rechtsschutz in Frage stellende Frist wäre mit den [X.] nur schwer vereinbar. Der erkennende Senat hält deshalb in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung 25
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des [X.] (aaO Rn. 46) eine Drei-Monats-Frist für erforderlich, um den Anforderungen des Art. 13 [X.]
zu entsprechen, aber auch für [X.], damit Betroffene in allen Fällen prüfen können, ob eine entschädigungs-pflichtige Verzögerung bereits eingetreten
und eine Rügeerhebung deshalb ge-boten ist.

Diese großzügig bemessene Frist hat der Kläger mit seiner am 7. August 2012 eingegangenen [X.] deutlich verfehlt.

d) Entgegen der Auffassung des [X.]s führt die gemäß Art.
23 Satz 2 [X.] verspätete [X.] dazu, dass [X.] wegen überlanger Verfahrensdauer nicht nur bis zum Inkraft-treten
des Gesetzes, sondern bis zum
tatsächlichen
Rügezeitpunkt präkludiert sind.
Der Kläger kann deshalb für die vom [X.] bis zum 7. August 2012 angenommene Verzögerung von elf Monaten (vier Monate bis zum [X.] am 3. Dezember 2011
und weitere sieben Monate bis zur Erhebung der [X.]) keine Entschädigung verlangen.

Für
dieses Ergebnis sprechen
sowohl
der Wortlaut
und die
Systematik
des Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] als auch die Gesetzgebungsgeschichte sowie
der Zweck der Regelung.

aa) Gemäß Art. 23 Satz 2 [X.] muss die [X.] unter den dort genannten Voraussetzungen "unverzüglich
nach
Inkrafttreten
erhoben"
werden. Daran anknüpfend bestimmt Art. 23 Satz 3 [X.], dass in diesem Fall die [X.] einen Anspruch nach § 198 [X.] auch für den "[X.] [X.]raum"
wahrt. Damit ist ersichtlich der [X.]raum gemeint, der bis zur Erhebung der [X.] verstrichen ist. Die Revision macht zu Recht geltend, dass sich der Satzbestandteil des "vorausgehenden [X.]raums"
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nach Wortlaut und Stellung unmittelbar auf die "Erhebung der [X.]"
bezieht. Im Umkehrschluss folgt aus Art. 23 Satz 3 [X.], dass
bei verspä-teter Rüge
Entschädigungsansprüche nach §
198 [X.] erst vom Rügezeitpunkt an entstehen können und für die [X.] davor Präklusion eintritt. Dieses [X.] der Regelung entspricht auch der wohl
einhelligen Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur (vgl.
nur [X.], NJW 2013, 2209, 2210 und NJW 2013,
3109, 3110 mit eindeutigen Ausführun-gen in den Entscheidungsgründen und lediglich missverständlich gefassten
Leitsätzen; [X.], BeckRS 2013, 07833; [X.], BeckRS 2013, 72538 und BeckRS 2013, 72539; [X.], [X.], 1147; [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 196 und Art. 23 [X.] Rn. 6).

bb) Soweit das [X.] darauf abstellen will, dass im Falle des § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] eine Verspätung der Rüge grundsätzlich nicht rele-vant sei
(dazu
[X.] aaO § 198 [X.] Rn. 194 unter Hinweis auf BT-Drucks. 17/3802 S. 21, 35 u.
41)
und im Anwendungsbereich des Art. 23 Satz 3 [X.] nichts anderes gelten könne, wird außer [X.] gelassen, dass beide Vorschriften unterschiedliche Anknüpfungspunkte haben
und sich nach Sinn und Zweck grundlegend unterscheiden.

§ 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] regelt den [X.]punkt, zu dem die Verzöge-rungsrüge frühestens wirksam erhoben werden kann. Maßgeblich ist danach der Anlass zur
Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener [X.] ab-geschlossen
wird
([X.] aaO § 198 [X.] Rn. 186, 188). Die [X.] muss
lediglich
im laufenden Ausgangsverfahren erhoben werden, ohne dass ein Endtermin
bestimmt
und damit eine Frist für die Rüge festgelegt wird.
Da nach dem Willen des Gesetzgebers die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden soll
(BT-Drucks. 17/3802 S. 21, 41), ist es
nach §
198 30
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Abs. 3 Satz 1 [X.]
grundsätzlich unerheblich, wann die Rüge nach dem in §
198 Abs. 3 Satz 2 [X.] bestimmten [X.]punkt eingelegt wird. Dadurch soll das gesetzgeberische Ziel, keinen Anreiz für verfrühte
Rügen zu schaffen,
ver-wirklicht
werden
([X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Ge-richts-
und Ermittlungsverfahren, § 198 [X.] Rn. 135; [X.] aaO § 198 [X.] Rn.194).

Davon abweichend ist Anknüpfungspunkt für die Übergangsregelung des Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] der spätestmögliche [X.]punkt, zu dem eine Verzö-gerungsrüge erhoben werden muss
([X.] aaO Art. 23 [X.] Rn. 4). Der für §
198 Abs. 3 Satz 2 [X.] maßgebliche Gesichtspunkt, dass die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden soll, spielt hier keine Rolle. Vielmehr muss der Betroffene innerhalb einer angemessenen Prüfungsfrist entscheiden, ob er die [X.] zur [X.] wegen bereits eingetretener Verzögerungen erhebt. Dies rechtfertigt es, dass bei nicht rechtzeitiger Rüge Ansprüche erst vom Rügezeitpunkt an begründet werden
(vgl. [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 196).

cc) Dieses Verständnis der Übergangsvorschrift
wird durch die Entste-hungsgeschichte der Entschädigungsregelung zusätzlich gestützt. In dem [X.] vom 15. März 2010
(abgedruckt bei [X.]/[X.] aaO Anhang 5 S. 410 ff)
wurde noch davon ausgegangen, dass ein Entschädi-gungsanspruch nur in Betracht komme, "soweit"
die [X.] [X.] zu dem in § 198 Abs. 3 Satz
2 [X.] genannten [X.]punkt erhoben werde, und dass die Entschädigung
für den davor liegenden [X.]raum ausgeschlossen sei. Eine verspätete Rüge sollte dementsprechend zu einem Anspruchsverlust führen
([X.] aaO § 198 [X.] Rn. 194; [X.] aaO Einführung Rn. 224, 316).
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Die mit Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] übereinstimmende Übergangsrege-lung in Art. 16 Satz 3 und 4 [X.]-RefE
knüpfte daran an und sah bei einer verspäteten Rüge eine Kürzung des [X.] für den vor der Rüge liegenden [X.]raum vor
(siehe
auch
[X.] aaO § 198 [X.] Rn. 196). Diese Bestimmung ist -
anders als § 198 Abs. 3 Satz 1 und 2
[X.] -
im weiteren [X.] inhaltlich nicht mehr verändert worden.

2.
Für den [X.]raum bis zur Erhebung der [X.] vom 7. August 2012 scheidet auch eine Feststellung der Unangemessenheit der [X.] nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 [X.] aus. Nach dieser Vorschrift
ist
ein Feststellungsausspruch zur Verfahrensverzögerung
trotz fehlenden [X.]sanspruchs
nach dem Ermessen des Gerichts möglich, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 [X.] nicht erfüllt sind. Da die
Präklusionswirkung des Art. 23 Satz 3 [X.] jedoch nicht nur den Anspruch auf Geldentschädigung, sondern ohne Einschränkung alle Formen der Wieder-gutmachung nach § 198 [X.]
erfasst, soweit sie
sich auf Verzögerungen vor Rügeerhebung
beziehen, findet § 198 Abs. 4 [X.] im Streitfall keine Anwen-dung. Die Versäumung
der Rügefrist hat zur Folge, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer vom Entschädigungsgericht nicht mehr überprüft wird.

3.
Es kann dahin stehen, ob der [X.]raum von rund zwei Monaten zwischen der Erhebung der [X.] und der Rückforderung der Akten von dem Sachverständigen Prof. Dr. G.

am 22. Oktober 2012 -
wie das [X.] meint -
sachlich nicht mehr gerechtfertigt war. Denn eine solche Verfahrenslücke wäre entschädigungsrechtlich ohne Relevanz.

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15

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Durch die Anknüpfung des gesetzlichen [X.]
nach § 198 [X.] an die Verletzung konventions-
und verfassungsrechtlicher Normen (Art. 6 Abs. 1 [X.], Art. 2 Abs.
1
i.[X.]. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG) wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verur-sachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013
-
III [X.], NJW 2014, 789
Rn. 42, 55). Allzu "kleinteilige"
Überlegungen sind bei der Bemessung der (noch) akzeptablen [X.] verfehlt. Für die Anwendung eines eher größeren [X.]rahmens spricht auch, dass § 198 Abs. 2 Satz 3 [X.] die Entschädigungspauschale

für immaterielle Nachteile lediglich als Jahresbetrag ausweist und die Verzöge-rungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] frühestens nach einem halben Jahr wiederholt werden kann
(Schlick, Festschrift für [X.], S.
549, 555).
Bei
geringfügigen Verzögerungen in einzelnen Verfahrensab-schnitten, die gegenüber der [X.] nicht entscheidend ins Gewicht fallen, werden
eine Geldentschädigung
oder sonstige Wiedergutma-chung
daher
regelmäßig nicht in Betracht kommen
(Senatsurteil vom 13. [X.] 2014 -
III ZR 311/13, BeckRS 2014, 04692 Rn. 28; siehe
auch [X.], Beschluss vom 14.
Dezember 2010 -
1 BvR 404/10, juris Rn. 16; [X.]/Sporrer, NJW 2014, 177,
182 zur Frage einer "[X.]"). So liegt der Fall
hier. Bei einem mehrjährigen [X.], der durch eine umfangreiche
und kontroverse
Beweisaufnahme mit Einholung mehrerer Gutachten und Gutachtenergänzungen gekennzeichnet ist, wahrt
eine Verfahrensverzögerung von
zwei Monaten noch den
entschädigungslos [X.] Toleranzrahmen.

4.
Dem [X.] kann auch nicht darin gefolgt werden, dass eine erstinstanzliche Verfahrensdauer von nahezu sieben
Jahren schon für sich [X.]
-

16

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nommen als unangemessen einzustufen sei. Diese Betrachtungsweise lässt außer [X.], dass selbst
bei einem
mehrjährigen Verfahrenszeitraum dessen Angemessenheit nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (§ 198 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Es ist unabdingbar, die einzelfallbezogenen Gründe zu untersuchen, auf denen die Dauer des Verfahrens beruht, und diese im Rah-men einer abschließenden Gesamtabwägung umfassend zu würdigen und zu gewichten (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 -
III [X.], NJW 2014, 789 Rn.
40 f). Angesichts einer rechtlich relevanten Verzögerung von allenfalls zwei Monaten war deshalb die prognostizierte erstinstanzliche [X.]-dauer
von knapp sieben
Jahren nicht geeignet, Entschädigungsansprüche zu begründen.

5.
Den Ausführungen des [X.]s, die eingetretenen [X.] seien irreparabel, weil sie nicht mehr bis zum Abschluss des erstin-stanzlichen Verfahrens kompensiert werden könnten, liegt ersichtlich die [X.] zugrunde,
die [X.] einer etwaigen Verzögerung sei nur für die jeweilige Instanz zu untersuchen. Indes ist
bei der abschließen-den Gesamtwürdigung das gesamte Verfahren in den Blick zu nehmen und zu fragen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase
des Prozesses
kom-pensiert wurden
(Senatsurteile vom 14. November 2013 -
III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 30; vom 5. Dezember 2013 -
III [X.], NJW 2014, 789 Rn.
41; vom 23.
Januar 2014 -
III ZR 37/13, NJW 2014, 939
Rn. 37 und vom 13.
Februar 2014 -
III ZR 311/13, BeckRS 2014, 04692
Rn.
28).
Dies kann auch
dadurch
geschehen, dass das
zunächst verzögerte
Verfahren in einer höheren Instanz besonders zügig geführt wird
([X.], [X.], 1081, 1085; [X.] aaO §
198 [X.] Rn. 101).

39
-

17

-

III.

Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO).

Die Sache ist zur Endentscheidung reif, so dass der Senat die Klage ins-gesamt abweisen kann (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Schlick

Wöstmann

[X.]

Remmert

Reiter
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 10.07.2013 -
4 [X.] 3/13 -

40
41
42
43

Meta

III ZR 335/13

10.04.2014

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.04.2014, Az. III ZR 335/13 (REWIS RS 2014, 6352)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6352

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Zitiert

III ZR 335/13

III ZR 37/13

III ZR 73/13

III ZR 311/13

1 BvR 404/10

III ZR 376/12

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