Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.11.2011, Az. 1 BvR 1145/11

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2011, 1333

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zum Verhältnis zwischen der Pressefreiheit (Art 5 Abs 1 S 2 GG) und dem eigentumsrechtlich geschützten Urheberrecht (Art 14 Abs 1 S 1 GG) - hier: Wiedergabe bildlicher Werke in Online-Archiv einer Tageszeitung - keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Auslegung und Anwendung des § 50 UrhG in angegriffenem Urteil


Gründe

1

Die [X.]beschwerde betrifft das Verhältnis von [X.] (Art. 14 Abs. 1 GG) und Pressefreiheit ([[X.]-7589-4bd4-ab51-eb71700dddfb]Art. 5 Abs. 1 Satz 2 [X.]]).

2

Der [X.] hat mit dem angegriffenen Urteil (veröffentlicht unter anderem in [X.], [X.]) entschieden, dass die Beschwerdeführerin - ein Zeitungsverlag - dadurch, dass sie ihre mit Abbildungen von Werken der bildenden Kunst versehenen Artikel in ihr öffentlich zugängliches Online-Archiv im [X.] eingestellt habe, in das von der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst (Klägerin) wahrgenommene ausschließliche Recht der Urheber aus § 19a des [X.] ([X.]) eingegriffen habe, ohne sich auf die Schrankenbestimmung des § 50 [X.] berufen zu können.

3

Mit ihrer [X.]beschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

4

Die Voraussetzungen für eine Annahme der [X.]beschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (vgl. [X.] 90, 22 <24 ff.>).

5

Die [X.]beschwerde wirft keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen auf (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a [X.]). Die Abwägung des Verhältnisses von Pressefreiheit und [X.] bei der Verwendung von [X.] bewegt sich im Rahmen der Rechtsauslegungs- und Wertungsbefugnis der Fachgerichte; die grundsätzlichen [X.]fragen sind insoweit geklärt.

6

Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Grundrechts der Beschwerdeführerin angezeigt, weil die [X.]beschwerde in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Insbesondere begegnet die Auslegung und Anwendung der streitentscheidenden Vorschrift des [X.] (§ 50 [X.]) von [X.] wegen keinen Bedenken.

7

1. a) Die Beschwerdeführerin ist als Verlegerin von Tageszeitungen durch die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG geschützt. Auch als juristische Person des Privatrechts kann sie sich gemäß Art. 19 Abs. 3 GG hierauf berufen (vgl. [X.] 80, 124 <131>; 95, 28 <34>). Die Pressefreiheit sichert die Freiheit der Herstellung und Verbreitung von Druckerzeugnissen und damit das Kommunikationsmedium Presse (vgl. [X.] 85, 1 <12 f.>; 113, 63 <75>). Ihrem Schutz unterfällt auch das Führen eines Online-Archivs mit illustrierten Zeitungsartikeln.

8

Aufgabe der Presse ist es, umfassende Information zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten (vgl. [X.] 52, 283 <296>). Die Möglichkeiten der Beschwerdeführerin, ihr Informationsangebot im Online-Archiv noch nach dem aktuellen [X.] der Öffentlichkeit über die vier ihr von der Klägerin zugestandenen Wochen hinaus zur Verfügung zu stellen, werden durch die angegriffene Gerichtsentscheidung eingeschränkt. Die Beschwerdeführerin ist nunmehr gezwungen, entweder (1) die archivierten Illustrationen nach spätestens vier Wochen zu löschen, (2) von einer Archivierung der Bilder von vornherein abzusehen und allenfalls den Text einzustellen oder (3) für die über vier Wochen hinausgehende Archivierung der Illustrationen eine Lizenzgebühr zu entrichten.

9

b) Demgegenüber konnte sich die Klägerin im Streitfall auf die von ihr wahrgenommenen [X.]e stützen. Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung im Sinne von § 19a [X.] steht unter dem Schutz des Eigentumsgrundrechts aus [[X.]-4102-bcc3-4c6b5e8ce6b7]Art. 14 Abs. 1 [X.]] (vgl. [X.] 31, 229 <240 f.>; 79, 1 <25>). Der Ausschluss eines Vergütungsanspruchs - wie hier durch § 50 [X.] - kann allerdings nicht durch jede Gemeinwohlerwägung gerechtfertigt werden; hierfür muss ein gesteigertes öffentliches Interesse gegeben sein (vgl. [X.] 31, 229 <243>; 49, 382 <400>; 79, 29 <41>).

c) Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des [X.]s die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu beachten und müssen die im Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die den Eigentumsschutz der Urheber ebenso wie etwaige damit konkurrierende [X.] - hier die Pressefreiheit - im Wege praktischer Konkordanz beachtet und unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen vermeidet (vgl. [X.] 89, 1 <9>; [X.], Beschluss des [X.] vom 19. Juli 2011 - 1 BvR 1916/09 "[X.]" -, ZUM 2011, S. 825 = ZIP 2011, S. 1809 = [X.], S. 1874, zu [X.] 2. a). Demgegenüber ist es nicht Sache des [X.], den Zivilgerichten vorzugeben, wie sie im Ergebnis zu entscheiden haben (vgl. [X.] 94, 1 <9 f.>; 112, 332 <358>; 120, 180 <210>). Die Schwelle eines Verstoßes gegen [X.]recht, den das [X.] zu korrigieren hat, ist vielmehr erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des jeweiligen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet (vgl. [X.] 89, 1 <9 f.>; 112, 332 <358 f.>; [X.], Beschluss des [X.] vom 19. Juli 2011, a.a.[X.]).

2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe vermag die [X.]beschwerde keine Verletzung der Pressefreiheit darzutun.

a) Die Rüge der Beschwerdeführerin, der [X.] habe das Spannungsverhältnis zwischen Art. 14 Abs. 1 und [ref=[X.]-0c1a-4f51-9d3f-7043ea36b90a]Art. 5 Abs. 1 Satz 2 [X.]] nicht behandelt, geht fehl.

aa) Das gesetzliche Zusammenspiel von § 19a [X.] einerseits und der Schrankenregelung zugunsten der Tagesberichterstattung in § 50 [X.] andererseits dient dazu, die genannten [X.] von Urhebern und Presseunternehmen in Ausgleich zu bringen (vgl. die Einzelbegründung zum Entwurf des § 50 [X.] vom 23. März 1962, [X.], S. 66 f.; [X.], in: [X.], [X.], 4. Aufl. 2010, § 50 Rn. 1 ff. m.w.[X.]). Gegen diese gesetzlichen Vorschriften werden verfassungsrechtliche Bedenken weder erhoben noch sind sie ersichtlich.

Angesichts der expliziten gesetzlichen Regelung bedurfte es neben der Auslegung und Anwendung der urheberrechtlichen Vorschriften keiner gesonderten Grundrechtsabwägung; die Abwägung hatte vielmehr im Rahmen der Auslegung und Anwendung von § 50 [X.] zu erfolgen (vgl. [X.] 112, 332 <358>; vgl. auch [X.], 260 <264 ff.> "[X.]"). Eine losgelöste Einzelfallabwägung durch die Gerichte würde in das vom Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit (vgl. [X.] 31, 229 <240 f.>; 79, 1 <25>) bereits allgemein geregelte Verhältnis von [X.] und Recht der Berichterstattung übergreifen.

Die Auslegung und Anwendung von § 50 [X.] musste allerdings im Einklang mit der Verfassung erfolgen, somit insbesondere auch die in der konkreten Fallkonstellation in Frage stehenden [X.] der Streitparteien angemessen verarbeiten. Hierauf erstreckt sich die Prüfung des [X.].

bb) Die Beschwerdeführerin weist zutreffend darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] auch die "allgemeinen Gesetze" im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG ihrerseits aus der Erkenntnis der Bedeutung der Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer diese Grundrechte beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken sind (vgl. [X.] 7, 198 <208 f.>; 71, 206 <214>). Soweit allerdings die Einwirkung der grundrechtlichen Pressefreiheit auf privatrechtliche Vorschriften in Frage steht, können ihr im Hinblick auf die Eigenart der geregelten Rechtsverhältnisse engere Grenzen gezogen sein als in ihrer Bedeutung als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe (vgl. [X.] 66, 116 <135>).

Im Streitfall ist mit dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten [X.] eine weitere Grundrechtsposition zu berücksichtigen, die ihrerseits der Einschränkung unter dem Gesichtspunkt von Art. 5 Abs. 1 GG nur in dem vom Gesetzgeber im Grundsatz abschließend geregelten Rahmen unterliegt. In solchen Fällen verbietet sich die Anwendung der Regel, nach der Schrankenregelungen des [X.]s grundsätzlich eng auszulegen seien (wie hier [X.], 6 <8 f.> "[X.]" m.w.[X.]; [X.], Urteil vom 27. Januar 2005 - I ZR 119/02 "[X.]" -, [X.], S. 670 <671>), ebenso wie diejenige der umgekehrten Regel, dass der Meinungs- und Pressefreiheit grundsätzlich der Vorrang vor dem nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten [X.] einzuräumen sei (vgl. zum [X.], in: Dreier/[X.], [X.], 3. Aufl. 2008, Rn. 7 vor §§ 44a ff.; [X.], in: [X.], a.a.[X.], Rn. 18 ff. vor §§ 44a ff.; jeweils m.w.[X.]).

b) Die Auslegung und Anwendung des § 50 [X.] im angegriffenen Urteil orientiert sich an Wortlaut, gesetzgeberischen Motiven sowie Sinn und Zweck der Regelung. Soweit die [X.]beschwerde dieser Auslegung eine abweichende Rechtsauffassung gegenüberstellt, geht sie über das einfache Recht nicht hinaus. [X.]rechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht; insbesondere wurden in dem beanstandeten Urteil keine abwägungsrelevanten Umstände übersehen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1145/11

17.11.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 5. Oktober 2010, Az: I ZR 127/09, Urteil

Art 14 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, Art 5 Abs 2 GG, § 19a UrhG, § 50 UrhG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.11.2011, Az. 1 BvR 1145/11 (REWIS RS 2011, 1333)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1333


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 1145/11

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 1145/11, 17.11.2011.


Az. I ZR 127/09

Bundesgerichtshof, I ZR 127/09, 05.10.2010.


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