Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.10.2011, Az. 5 StR 292/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2002

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Gegenstand

Zeugenvernehmung: Identifizierung polizeilicher Zeugen in einem Prozess gegen einen "Rockerclub" durch die Dienstnummer; Befangenheit des Vorsitzenden bei Einräumung eigenen Fehlverhaltens


Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 12. Januar 2011 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten S. die durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen aufzuerlegen; die übrigen Beschwerdeführer haben jeweils die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und den Angeklagten [X.], [X.].    und [X.].    zu Gesamtfreiheitsstrafen von sechs Jahren, vier Jahren und sechs Monaten sowie sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten [X.]hat es auf eine Jugendstrafe von vier Jahren erkannt. Die teilweise auf Verfahrensrügen und jeweils die Sachbeschwerde gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 [X.]).

2

1. [X.] Erörterung bedarf die vom Angeklagten [X.]. erhobene Inbegriffsrüge (§ 261 [X.]):

3

Zwar hat die [X.] ihrer Überzeugungsbildung auch Erkenntnisse über die „hierarchische“ Organisation von „Rockerclubs“ zugrunde gelegt ([X.]) und unter Heranziehung dieses [X.] die Beteiligung des Beschwerdeführers [X.].    an der Tat begründet. Ob die [X.] allerdings gegen § 261 [X.] verstoßen hat, indem sie diese Tatsachen als allgemein- und gerichtskundig behandelt und diese für den Beschwerdeführer nicht erkennbar, etwa durch Hinweis, in die Hauptverhandlung eingeführt und diesem keine Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt hat (vgl. hierzu [X.], [X.], 54. Aufl., § 261 Rn. 7), kann der [X.]nat dahinstehen lassen. Das Urteil beruht ersichtlich nicht auf dem geltend gemachten Rechtsfehler (§ 337 [X.]).

4

Den Urteilsgründen ist in diesem Zusammenhang beweiswürdigend zu entnehmen, dass „Motorradclubs streng hierarchisch organisiert sind. Bevor man überhaupt Vollmitglied werden darf, muss man sich hochdienen, indem man übertragene Aufgaben erledigt und seine Gewaltbereitschaft durch tätliche Auseinandersetzungen unter Beweis stellt“ ([X.]). An diese Beschreibung unmittelbar anknüpfend gibt die [X.] die Einlassung des Mitangeklagten [X.].    wieder ([X.], ferner [X.]). [X.].    hat sich darin zu einer in diesem weiten Sinne verstandenen „Gehorsamspflicht“ noch nicht „vollwertiger Clubmitglieder“ verhalten. Der [X.]nat schließt mit Blick auf diese Einlassung aus, dass die Erkenntnisse über die hierarchische Struktur allein im Wege der Allgemein- und Gerichtskundigkeit zum Gegenstand der Hauptverhandlung geworden sind. Ob die polizeilichen Zeugen aus der Spezialdienststelle des [X.] Mitteilungen über die Struktur der „[X.]“ und „[X.]“ gemacht haben, was naheliegt, kann sogar dahingestellt bleiben.

5

2. Lediglich ergänzend merkt der [X.]nat an:

6

a) Gegen die Anordnung der Vorsitzenden, sämtlichen im „[X.]“ offen ermittelnden polizeilichen Zeugen aus der Spezialdienststelle des [X.]s zu gestatten, in der öffentlichen Hauptverhandlung in Anwesenheit der Angeklagten statt ihrer Personalien nur ihre polizeiliche Kennnummer anzugeben, ist rechtlich nichts zu erinnern. Dieser ersichtlich auf § 68 Abs. 3 Satz 1 [X.] gestützten und nach Beanstandung gerichtlich bestätigten Anordnung (§ 238 Abs. 2 [X.]) ging eine ausführlich begründete „Bitte“ des Polizeipräsidenten [X.] voraus, in der die Gefährdungslage der Beamten nachvollziehbar dargestellt wurde. Ein Verstoß gegen die – als [X.] für sich gar nicht revisible - Regelung des § 68 Abs. 3 [X.] lag nicht vor (vgl. hierzu [X.], Urteile vom 14. April 1970 - 5 [X.], [X.]St 23, 244, und vom 10. Januar 1989 - 1 [X.], [X.]R [X.] § 68 Satz 2 Nichtangabe 1; [X.] in SK-[X.], [X.]., § 68 Rn. 52); die gerichtliche Bestätigung der Anordnung beschränkte die Verteidigung daher auch nicht etwa in einem wesentlichen Punkt (§ 338 Nr. 8 [X.]). Überdies versäumt es die Revision mitzuteilen, in welcher Weise die Entscheidung nach § 68 Abs. 3 [X.] konkret Einfluss auf das Urteil gehabt haben soll (vgl. [X.], Beschluss vom 11. November 2004 - 5 [X.], [X.]St 49, 317, 326 ff.) oder - mit Blick auf die erhobene Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 [X.]) - welche Beweisergebnisse eine Kenntnis der bürgerlichen Namen der vom Angesicht her bekannten Beamten erbracht und welche Ermittlungsschritte betreffend die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen sie ermöglicht hätte.

7

b) Die von den Angeklagten [X.]und [X.].    erhobene Befangenheitsrüge gibt dem [X.]nat erneut Anlass zu dem Hinweis, dass ein Eingeständnis eigenen Fehlverhaltens oder gar eine Entschuldigung des abgelehnten Richters spätestens in seiner dienstlichen Stellungnahme im Rahmen der Bewertung des § 24 [X.] beachtlich ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - 5 [X.], [X.], 49, und vom 18. August 2011 - 5 StR 286/11). Die Vorsitzende hat nach der vom Beschwerdeführer beantragten Einvernahme eines Zeugen mit Blick auf dessen am nächsten Tag durchzuführende Vernehmung über ihn Auskünfte zu polizeilichen Erkenntnissen beim [X.] eingeholt und diese den übrigen Verfahrensbeteiligten - allerdings nicht bewusst - vorenthalten. Die noch hinreichend klarstellende dienstliche Äußerung der Vorsitzenden und das der Verteidigung nach Bemerken des Versehens umfassend zur Verfügung gestellte Ermittlungsergebnis und vollständig eingeräumte Fragerecht tragen einen Grund zur Annahme der Besorgnis der Befangenheit nicht.

[X.]                              Raum                           [X.]

                    König                             [X.]

Meta

5 StR 292/11

26.10.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 12. Januar 2011, Az: (513) 1 Kap Js 552/10 KLs (42/10)

§ 24 StPO, § 68 Abs 3 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.10.2011, Az. 5 StR 292/11 (REWIS RS 2011, 2002)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2002

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 455/11

3 StR 455/11

5 StR 292/11

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