Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2017, Az. 2 StR 509/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 16900

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Gegenstand

Beweisantrag auf Einholung eine Sachverständigengutachtens zur Lichtbildauswertung im Strafverfahren: Antragsablehnung unter Berufung auf eigene Sachkunde des Gerichts; Anforderungen an die Darlegung der eigenen Sachkunde


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. April 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung und schweren Raubs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte [X.]  an Raubüberfällen auf Tankstellen am 13. und 19. April 2012 beteiligt, die er gemeinsam mit den Nichtrevidenten [X.]beging. [X.]führte jeweils das Fluchtfahrzeug. Am 13. April 2012 stand der Angeklagte [X.]  vor dem Verkaufsraum der Aral-Tankstelle in Ü.     Schmiere, während [X.]  darin die Zeugin [X.]mit einer Gaspistole bedrohte und dazu zwang, den Einsatz aus der Kasse zu entnehmen und auf die [X.] zu legen, woraus er 820 Euro wegnahm. Am 19. April 2012 drang der Angeklagte [X.]  als zweiter Täter gemeinsam mit [X.]  in den Verkaufsraum der [X.] in E.     ein, wo [X.]  den Zeugen [X.]mit einer Pistole bedrohte und der Angeklagte [X.]   ein Messer vorzeigte. Der Zeuge [X.]wurde dazu gezwungen, die Kasse zu öffnen, aus der [X.]   400 Euro entnahm, der anschließend auch mehrere Packungen Zigaretten an sich nahm.

3

Das [X.] ist den Angaben des Mitangeklagten [X.]   gefolgt, der im Rahmen einer „Lebensbeichte“ den Angeklagten [X.]  als Tatbeteiligten benannt hat. Den Einwand, dass der Zeuge [X.]den zweiten Täter des Überfalls auf die [X.], bei dem es sich um den Angeklagten [X.]   gehandelt haben soll, größer eingeschätzt habe, als es der Angeklagte [X.]   ist, hat das [X.] unter anderem mit der Bemerkung zurückgewiesen, Tatopfer von Gewaltdelikten schätzten die Größe von [X.] nach den Erfahrungen der [X.] „des Öfteren falsch ein“. Dem weiteren Einwand der Verteidigung, dass der auf Lichtbildern von Überwachungskameras aus dem Verkaufsraum erkennbare zweite Täter nach Größe und Statur nicht mit dem Angeklagten [X.]  übereinstimme, der zur Tatzeit 60 kg gewogen habe und schmächtig gewesen sei, hat das [X.] entgegengehalten, an der Proportion der Körper im Verhältnis zu Regalen im Verkaufsraum sei zu erkennen, dass der zweite Täter jedenfalls kleiner gewesen sei als der erste.

II.

4

Die Revision des Angeklagten ist mit der Verfahrensrüge begründet, das [X.] habe einen Beweisantrag der Verteidigung auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Unrecht gemäß § 244 Abs. 4 Satz 1 [X.] zurückgewiesen.

5

1. Die Verteidigung hatte unter Beweis gestellt, dass „der auf den zur Akte gelangten Lichtbildern der Videoüberwachungskamera der [X.] .... erkennbare Täter mindestens 180 cm groß“ gewesen sei, während der Angeklagte [X.]  nur eine Körperlänge von 170 cm aufweise. Mithilfe der „Photogrammetrie“ sei es möglich, anhand des Hintergrunds die Körpergröße der fotografierten Person auch unter Ausgleich perspektivischer Verzerrungen näher festzulegen.

6

Das [X.] hat den Antrag wie folgt zurückgewiesen:

7

„Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem Antrag um einen förmlichen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3, 4 [X.] handelt - unter Beweis gestellt ist die Tatsache, dass es sich bei dem auf den Lichtbildern zu sehenden zweiten Täter nicht um den Angeklagten [X.]   handelt, was indes letztlich eine Bewertung darstellt; dem Tatsachenbeweis zugänglich ist allenfalls die Frage, ob die auf den Lichtbildern zu sehende Person eine gewisse Größe aufweist oder nicht aufweist, wobei der Kammer aus anderen Verfahren bekannt ist, dass exakte Größenangaben derartigen Bildern regelmäßig ohnehin nicht zu entnehmen sind -, ist der Antrag gem. § 244 Abs. 4 S. 1 [X.] zurückzuweisen. Das Gericht besitzt die zur Beurteilung der Frage erforderliche Sachkunde, ob der auf den Lichtbildern zu sehende Täter von der Größe her der Angeklagte [X.]  sein kann oder nicht, selbst.“

8

2. Die Verfahrensrüge der fehlerhaften Zurückweisung des Beweisantrags ist im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] zulässig erhoben. Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer in der [X.] das [X.] unter Auslassung des Volltextes von Beweisantrag und Ablehnungsbeschluss zunächst nur mit eigenen Worten erläutert und den Beweisantrag sowie den Beschluss der [X.] in vollem Umfang als Anlage zur [X.] beigefügt hat. Im Ganzen sind die zur Beurteilung des [X.]s erforderlichen [X.] in der [X.] vollständig mitgeteilt worden. Ein Fall unstrukturierten und deshalb nicht nachvollziehbaren Vortrags der [X.] liegt nicht vor.

9

3. Die Rüge hat auch in der Sache Erfolg.

a) Bei dem Antrag der Verteidigung handelt es sich um einen förmlichen Beweisantrag, der nur nach Maßgabe des § 244 Abs. 3 oder Abs. 4 [X.] zurückgewiesen werden durfte. Unter Beweis gestellt wurde nach der Erläuterung des Antragsvorbringens nicht nur das Beweisziel, dass der auf den Lichtbildern erkennbare zweite Täter nicht der Angeklagte [X.]  gewesen sei, sondern dass der zweite Täter nach Körperlänge und Statur nicht dem Erscheinungsbild des Angeklagten [X.]  entspricht. Dies enthält eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung und nicht nur das Ergebnis einer „Bewertung“.

b) Indem das [X.] den Beweisantrag gemäß § 244 Abs. 4 Satz 1 [X.] unter Berufung auf eigene Sachkunde zurückgewiesen hat, hat es sich auf einen im vorliegenden Fall untauglichen Ablehnungsgrund gestützt.

aa) Die Frage, ob mit Mitteln der Bildbearbeitung und Raumvermessung, auf die der Beweisantrag im Hinblick auf Möglichkeiten der „Photogrammetrie“ verwiesen hat, näherer Aufschluss über die Größe der auf Fotos vom Verkaufsraum der [X.] abgebildeten Person zu gewinnen ist, zählt nicht zu allgemein vorhandenem Wissen, auf das Tatrichter ohne weiteres zurückgreifen können. Der Hinweis des [X.]s, aus anderen Verfahren sei ihm bekannt, dass exakte Größenangaben derartigen Bildern regelmäßig ohnehin nicht zu entnehmen seien, ist demgegenüber nicht aussagekräftig. Sie erklärt nicht, dass und warum die Bildbearbeitung und Raumvermessung keine weiteren Erkenntnisse ergeben könne. Sie steht zudem in Widerspruch zur eigenen Bewertung der Lichtbilder in den Urteilsgründen.

bb) Deshalb hätte die eigene Sachkunde des Gerichts näherer Darlegung bedurft.

(1) Eine solche wäre nach § 244 Abs. 6 [X.] zunächst im Ablehnungsbeschluss vorzunehmen gewesen, um der Verteidigung eine Reaktion hierauf noch in der Hauptverhandlung zu ermöglichen (vgl. [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., § 244 Rn. 220; [X.]/[X.], [X.] im Strafprozess, 6. Aufl., 2. Teil [X.]. Rn. 1442). An einer Erläuterung der eigenen Sachkunde fehlt es aber in der Begründung des Beschlusses, abgesehen von dem nicht aussagekräftigen Hinweis auf die angebliche Unmöglichkeit einer genaueren Größenbestimmung durch Sachverständige.

(2) Nach der Rechtsprechung genügt gegebenenfalls auch eine Darlegung der Sachkunde des Gerichts in den Urteilsgründen (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juli 1958 - 4 StR 211/58, [X.]St 12, 18, 20; s.a. [X.][X.], [X.], 26. Aufl., § 244 Rn. 339). Sie ist aber entgegen der Auffassung des [X.] auch daraus nicht ausreichend zu entnehmen.

Die Anforderungen, die an die Darlegung der eigenen Sachkunde im Urteil zu stellen sind, richten sich nach der Schwierigkeit der konkret zu beurteilenden Beweisfrage, die Art und Umfang des erforderlichen Spezialwissens bestimmt. Erfordert die Materie eine besondere Ausbildung oder kontinuierliche wissenschaftliche oder praktische Erfahrung, sind die Anforderungen an die Darlegungspflicht erhöht (MünchKomm-[X.]/[X.]/[X.], [X.], § 244 Rn. 73 mwN).

Wenn die [X.] nach den Urteilsgründen selbst anhand des Erscheinungsbildes der fotografierten Personen im Verhältnis zu den im Hintergrund erkennbaren Regalen Schlüsse auf die Größenverhältnisse gezogen hat, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, durch Bildbearbeitung und Raumvermessung sei kein genauerer Aufschluss zu gewinnen. Der Beschwerdeführer ist insoweit dem [X.] zutreffend mit der Bemerkung entgegengetreten: „Wenn es dann von einem größeren und einem kleineren Täter spricht, so handelt es sich lediglich um Vermutungen, denn die Täter sind auf keinem Bild gleichzeitig anwesend und daher (ist) nur ein ungefährer Vergleich möglich. Nur ein Fachmann kann hier genau erkennen, wie der Größenunterschied tatsächlich ist und auch eine Körpergröße angeben, vor allem wenn man bedenkt, dass die [X.] noch vorhanden sind.“

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht.

4. Die Rüge führt zur [X.] im Ganzen, denn sie berührt auch die Beweisgrundlage für die Verurteilung wegen des Überfalls auf die Aral-Tankstelle. Das [X.] ist in beiden Fällen den Angaben des Mitangeklagten [X.]  gefolgt. Würden diese zur Behauptung der Tatbeteiligung des Angeklagten [X.]  an dem Überfall auf die [X.] durch die Feststellung erschüttert, dass der Angeklagte [X.]  wegen der näher ermittelten Größe des zweiten Täters entgegen der Aussage des Mitangeklagten [X.]   nicht im Verkaufsraum an diesem Überfall beteiligt gewesen sein kann, wäre die Glaubhaftigkeit der Aussage des Mitangeklagten [X.]  auch hinsichtlich der Tatbeteiligung des Beschwerdeführers am ersten Überfall in Frage gestellt.

Fischer     

       

Appl     

       

Eschelbach

       

Zeng     

       

Grube     

       

Meta

2 StR 509/16

24.01.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 19. April 2016, Az: 96 KLs 1/15

§ 244 Abs 4 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2017, Az. 2 StR 509/16 (REWIS RS 2017, 16900)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 1691 REWIS RS 2017, 16900

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 87/23

201 ObOWi 758/19

3 Ss OWi 896/17

3 Ss OWi 264/17

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