Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 05.02.2016, Az. 32 SA 79/15

32. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 16530

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Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht Hannover.

Gründe

Gründe:

I.

Die Beklagten sind Kaufleute. Die Klägerin macht mit der vor dem Landgericht Essen erhobenen Klage Ansprüche auf Vergütung aus mehreren Werkverträgen mit der Beklagten geltend.

In den Angeboten der Klägerin zu den Werkverträgen heißt es nach dem Vorbringen der Klägerin jeweils: „Es gelten ausschließlich unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen.“ Ziff. 9 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin lautet:

„Erfüllungsort und GerichtsstandGerichtsstand ist unter Vollkaufleuten Essen; (...)“

Nach dem Vorbringen der Klägerin sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen jeweils in die Verträge einbezogen worden.

Die Beklagte hat die Zuständigkeit des Landgerichts Essen gerügt und die Einbeziehung der AGB bestritten sowie geltend gemacht, die Gerichtsstandsvereinbarung sei unbestimmt im Sinne von § 40 Abs. 1 ZPO und halte auch der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht stand.

Das Landgericht Essen hat mit Schreiben an die Parteien vom 29.10.2015 darauf hingewiesen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung gem. § 40 Abs. 1 ZPO unwirksam sei, da sie sich nicht auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis beziehe.

Die Klägerin hat daraufhin die Verweisung an das gem. § 17 ZPO für Klagen gegen die Beklagte örtlich zuständige Landgericht Hannover beantragt.

Das Landgericht Essen hat sich mit Beschluss vom 17.11.2015 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit mit den Gründen des Hinweises vom 29.10.2015 an das Landgericht Hannover verwiesen.

Das Landgericht Hannover hat den Parteien mit Schreiben vom 01.12.2015 den Hinweis gegeben, es sehe den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Essen nicht als bindend an, da er die Unwirksamkeit der allgemein üblichen Klausel unvertretbar annehme. Die Klägerin hat diesem Hinweis zugestimmt. Das Landgericht Hannover hat sich daraufhin mit Beschluss vom 21.12.2015 für unzuständig erklärt und die Sache dem OLG Hamm zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

1.

Das Landgericht Essen und das Landgericht Hannover haben sich rechtskräftig für örtlich unzuständig erklärt, das Landgericht Essen in dem gem. § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren Beschluss vom 17.11.2015, das Landgericht Hannover in dem Vorlagebeschluss vom 21.12.2015.

2.

Das Oberlandesgericht Hamm ist gem. § 36 Abs. 1, Abs. 2 ZPO zu der Zuständigkeitsbestimmung berufen. Das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht für das Landgericht Essen und das Landgericht Hannover ist der Bundesgerichtshof. Das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Essen gehört zu dem Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm.

3.

Örtlich zuständig ist das Landgericht Hannover, da das Landgericht Essen den Rechtsstreit mit Bindungswirkung gem. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO verwiesen hat.

a)

Im Bestimmungsverfahren sind nicht nur die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften zugrunde zu legen, sondern auch die verfahrensrechtliche Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO (st. Rspr., z. B. BGH, Beschluss vom 09.06.2015 - X ARZ 115/15, BeckRS 2015, 11660, beck-online Rn. 9; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 36 ZPO Rn. 28; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 31. Auflage 2015, § 36 ZPO Rn. 28 m.w.N.).

Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO allerdings dann keine Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO zu, wenn er jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt oder unter Verletzung rechtlichen Gehörs ergangen ist und sich daher als willkürlich erweist (BGH, Beschluss vom 15.03.1978 – IV ARZ 17/78 –, BGHZ 71, 69-75, juris Rn. 4; BGH, Beschluss vom 13.03.1964 – Ib ARZ 44/64 –, juris Rn. 16). Die Bindungswirkung der Verweisung entfällt jedoch nicht schon dann, wenn der Beschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Ein fehlerhafter Verweisungsbeschluss ist vielmehr nur dann nicht bindend, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheint (BGH, Beschluss vom 09.06.2015 - X ARZ 115/15, BeckRS 2015, 11660, beck-online Rn. 9; BGH, Beschluss vom v. 19.02.2013 – X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764, 765, beck-online, m.w.N.).

b)

Diese Grundsätze zugrunde gelegt, ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Essen bindend.

aa)

Der Verweisungsbeschluss ist allerdings, wie das Landgericht Hannover in seinem Vorlagebeschluss zu Recht ausgeführt hat, unzutreffend. Ziff. 9 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin bezieht sich entgegen der Auffassung des Landgerichts Essen auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis im Sinne von § 40 Abs. 1 ZPO, hier auf die konkreten - klagegegenständlichen - Vertragsverhältnisse.

Ein konkretes Vertragsverhältnis zwischen Parteien stellt – im Gegensatz zu einer bestehenden oder künftigen Geschäftsverbindung - eine bestimmte Rechtsbeziehung im Sinne von § 40 Abs. 1 ZPO dar (allg. Meinung, z. B. Patzina in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2013, § 40 ZPO Rn. 5; Heinrich in: Musielak/Voit, ZPO, 12. Auflage 2015, § 40 ZPO Rn. 3; Vollkommer in: Zöller, a.a.O., § 40 ZPO Rn. 3, jeweils m.w.N.).

Ist das Rechtsverhältnis bestimmt, kann die Gerichtsstandsvereinbarung alle künftigen Ansprüche erfassen, die aus ihm erwachsen (Toussaint in: Beck´scher Online Kommentar ZPO, 19. Edition Stand 01.12.2015, § 40 ZPO Rn. 2). Auch die Frage, ob von der Gerichtsstandsvereinbarung neben vertraglichen Ansprüchen auch konkurrierende deliktische erfasst sind, ist eine (nachrangige) Frage der Auslegung der Vereinbarung, nicht der Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses (vgl. Patzina in: MüKoZPO, a.a.O.; Vollkommer in: Zöller, a.a.O., Rn. 5).

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind von der Klägerin in Angebotsschreiben jeweils in Bezug genommen worden. Die Einbeziehung geschah dabei jeweils für den konkreten, in Aussicht genommenen Vertrag. Ziff. 9 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin bezog sich bei der gebotenen Auslegung – auch unter Berücksichtigung von § 305c Abs. 2 BGB - unzweifelhaft auf diesen. Die Klausel enthält keine Bestimmungen und keinen Hinweis auf eine Anwendung auf weitere Verträge zwischen den Parteien, sondern benennt schlicht den Gerichtsstand Essen.

Für ein anderes Verständnis der Parteien ist nichts vorgetragen und nichts ersichtlich. Zwar kommt es auch bei der Auslegung von AGB maßgeblich darauf, welchen Bedeutungsinhalt eine Klausel nach den Parteivorstellungen hat. Wenn die Parteien übereinstimmend einer Klausel einen von ihrem objektiven Gehalt abweichenden Bedeutungsinhalt beilegen, ist dieser maßgeblich (BGH, Urteil vom 3.12.2014 – VIII ZR 224/13, NJW-RR 2015, 264, 267, beck-online Rn 31). Allein der fehlenden Einlassung der Klägerin zu dem rechtlichen Hinweis des Landgerichts war nicht zu entnehmen, dass sie das dort angedeutete Verständnis teilte. Auch die Beklagte hatte lediglich allgemeine Erwägungen vorgetragen, nicht zu einem konkret anderen eigenen Verständnis.

bb)

Der Fehler lässt die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses aber nicht entfallen, da er zwar gravierend, letztlich aber nicht derart unverständlich ist, dass der Verweisungsbeschluss als willkürlich im Sinne von grob gesetzeswidrig und nicht mehr haltbar anzusehen ist.

Der Verweisungsbeschluss beruht grundlegend auf der Auffassung des Landgerichts Essen, Ziff. 9 der AGB der Klägerin sei dahin zu verstehen, dass sie kein individualisierbares Rechtsverhältnis, insbesondere nicht nur den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag, sondern ganze Kategorien von Klagen wie etwa alle künftigen Rechtsstreitigkeiten der Parteien in Bezug nehme.

Zwar hat das Landgericht Essen damit eine zweifelhafte Auslegung der Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin vorgenommen. Es hat diese von ihm vorgenommene Auslegung aber den Parteien zur Kenntnis gegeben, bevor es verwiesen hat. Diese sind der Auslegung nicht entgegengetreten. Die Klägerin hat vielmehr den Hinweis auf die beabsichtigte Auslegung zum Anlass genommen hat, einen Verweisungsantrag zu stellen, ohne weitere Ausführungen zu ihrem anderen Verständnis der Klausel zu machen. Danach konnte das Landgericht diese Auslegung seiner Verweisung zugrunde legen, ohne dass dem Beschluss ein Fehler anhaften würde, der ihn schlechthin unverständlich und damit willkürlich erscheinen ließe. Denn nicht unvertretbar war jedenfalls die Annahme, die Parteien hätten ein abweichendes Verständnis auf den Hinweis des Landgerichts Essen mitteilen müssen.

cc)

Der Verweisung fehlt schließlich nicht deshalb die Bindungswirkung, weil der Verweisungsantrag durch die Klägerin auf Veranlassung des Landgerichts Essen gestellt worden ist. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt nicht allein deshalb, weil die Klägerseite den Verweisungsantrag nur aufgrund eines unzutreffenden Hinweises des verweisenden Gerichts auf seine fehlende Zuständigkeit gestellt hat, sofern das rechtliche Gehör gewahrt ist (BGH, Beschluss vom 09.06.2015 - X ARZ 115/15, BeckRS 2015, 11660, beck-online Rn. 16). Die anwaltlich vertretene Klägerin hat - wie dargelegt - Gelegenheit erhalten, zu der Rechtsauffassung des Landgerichts Essen Stellung zu nehmen.

Meta

32 SA 79/15

05.02.2016

Oberlandesgericht Hamm 32. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: SA

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 05.02.2016, Az. 32 SA 79/15 (REWIS RS 2016, 16530)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16530

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