Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.04.2015, Az. B 9 SB 98/14 B

9. Senat | REWIS RS 2015, 12418

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Abweichung des LSG vom Vorschlag des Sachverständigen - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - keine Hinweispflicht des Gerichts


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 21. November 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 21.11.2014 hat das [X.] einen Anspruch des [X.] auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 verneint.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum [X.] eingelegt, mit der er geltend macht, das Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar: Das [X.] sei in seinem Urteil ohne Vorwarnung der Bewertung seiner Hörstörungen mit einem Einzel-GdB von 20 durch den Sachverständigen [X.] nicht gefolgt.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.]), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.

5

Daran fehlt es hier. Die Beschwerde hat den behaupteten Gehörsverstoß nicht hinreichend substantiiert dargetan. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl [X.]-1500 § 112 [X.] mwN). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl [X.] 86, 133, 144 f). Dies ist nach der Beschwerdebegründung nicht anzunehmen.

6

Die Beschwerde meint, das [X.] habe vorab seine Absicht mitteilen müssen, dem Vorschlag des Sachverständigen [X.] für die Bewertung der Hörstörung des [X.] mit einem Einzel-GdB von 20 nicht folgen zu wollen. Indes ist die Bemessung des GdB nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl [X.] Urteil vom 29.11.1956 - 2 [X.] 121/56 - [X.]E 4, 147, 149 f; [X.] Urteil vom 9.10.1987 - 9a RVs 5/86 - [X.]E 62, 209, 212 f = [X.] 3870 § 3 [X.] f; [X.] Urteil vom [X.] - B 9 SB 4/08 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] RdNr 23 mwN). Zur deren Erfüllung haben die Gerichte in der Regel ärztliches Fachwissen heranzuziehen, um die zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen festzustellen. Maßgeblich für die darauf aufbauende GdB-Feststellung ist aber nach § 2 Abs 1, § 69 Abs 1 und 3 [X.] (vgl [X.] Urteil vom [X.] - B 9 SB 4/08 R - aaO RdNr 16 bis 21 mwN), wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken und welcher Grad der Behinderung deshalb dafür nach den Vorgaben der Anlage zu § 2 der [X.] vom 10.12.2008 (VersMedV) festzusetzen ist. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden. Dies gilt umso mehr, wenn ein Sachverständiger in seinem Gutachten, wie bei den Hörstörungen des [X.], selber Zweifel an der Objektivierbarkeit behaupteter gesundheitlicher Beschwerden äußert. Die Entscheidung des [X.], den Einzel-GdB des [X.] für seine Hörstörung aufgrund dieser vom Sachverständigen selber aufgeworfenen Zweifel sowie weiterer ärztlicher Befunde niedriger als von diesem vorgeschlagen zu bewerten, konnte einen kundigen und gewissenhaften Prozessbeobachter daher nicht überraschen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs erforderte es deshalb nicht, dass das [X.] vorab auf seine Absicht hinwies, vom Vorschlag des Sachverständigen (geringfügig) abzuweichen. Soweit die Beschwerde der Ansicht ist, dem [X.] sei bei der Anwendung der VersMedV ein Fehler unterlaufen, genügt dies ebenfalls nicht zur Darlegung eines Verfahrensfehlers; die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des [X.] im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl [X.] [X.] 1500 § 160a Nr 7).

7

Unabhängig davon hat die Beschwerde nicht ausreichend substantiiert dargelegt, warum das Berufungsurteil überhaupt auf der geltend gemachten Gehörsverletzung beruhen könnte. Dafür wäre es erforderlich gewesen, sich mit den Grundsätzen der Bildung des [X.] auseinanderzusetzen (vgl [X.] Beschluss vom 17.4.2013 - B 9 SB 69/12 B - Juris mit zahlreichen weiteren Nachweisen; [X.] in [X.], Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 69 [X.] RdNr 22 mwN) und darzulegen, warum die Annahme eines weiteren GdB von 20 für die Hörstörung des [X.] zur Feststellung eines [X.] von 50 statt 40 hätte führen können. Insbesondere hätte dies einer Auseinandersetzung mit Teil [X.] und 3d und ee der Anlage zu § 2 VersMedV erfordert. Danach sind bei der Gesamtwürdigung verschiedener Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste [X.] angegeben sind. Leichte Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 rechtfertigen es zudem vielfach nicht, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Der knappe Satz der Beschwerde, nach der Systematik des [X.] hätte ein Einzel-GdB von 20 für die Hörstörung zu einem [X.] von 50 geführt, kann die erforderliche rechtliche Darlegung nicht ersetzen.

8

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

9

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Meta

B 9 SB 98/14 B

20.04.2015

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Mannheim, 21. September 2012, Az: S 9 SB 4271/10, Urteil

§ 69 Abs 1 S 1 SGB 9, § 69 Abs 3 SGB 9, § 2 VersMedV, Anlage Teil B Nr 5 VersMedV, Anlage Teil A Nr 3 Buchst b VersMedV, Anlage Teil A Nr 3 Buchst d DBuchst ee VersMedV, § 62 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.04.2015, Az. B 9 SB 98/14 B (REWIS RS 2015, 12418)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12418

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