Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.10.2019, Az. 5 StR 449/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2019, 2426

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Gegenstand

Strafurteil wegen versuchten Mordes: Prüfung der Strafmilderung für den Versuch


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. März 2019 hinsichtlich der Strafe für die Tat 1 (Ziffer II.2 der Urteilsgründe) und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub, versuchtem Raub mit Todesfolge und mit gefährlicher Körperverletzung (Tat 1) sowie wegen versuchten [X.] (Tat 2) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und daneben Einziehungs- und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die Angeklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung mit [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Ihre Revision hat lediglich in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das [X.] unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s informierte sich die Angeklagte, die drängende Geldprobleme hatte, spätestens ab Februar 2018 im [X.] darüber, wie man schnell und leicht Menschen töten und alte Menschen überfallen könne, um an Geld zu kommen. Danach entschloss sie sich zu einem Raubüberfall auf einen von ihr als leichtes Opfer angesehenen Bewohner einer Seniorenwohnanlage unter Einsatz eines Messers, das sie zur Erreichung ihres Raubziels auch tödlich einsetzen wollte. Sie klingelte am Morgen des 10. März 2018 bei der von ihr zufällig als Opfer ausgewählten, zur Tatzeit 93-jährigen sehbehinderten Geschädigten B.     an der Wohnungstür. Diese hielt sie für ihre Physiotherapeutin und ließ sie in die Wohnung hinein. Nachdem die Angeklagte ihre wahren Absichten verbergend der Geschädigten freundlich lächelnd erklärt hatte, etwas vergessen zu haben, drehte diese ihr den Rücken zu und ging in Richtung ihres Wohnzimmers. Unter Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten umklammerte die Angeklagte sie von hinten und stach ihr mit einem bis dahin verborgen gehaltenen Messer wuchtig in den Oberkörper, wodurch die Geschädigte zu Boden fiel. Unter Fortsetzung der Messerstiche forderte sie die Geschädigte zur Preisgabe ihrer Geldverstecke auf. Im genannten Versteck fand sie Münzgeld und ein Portemonnaie mit Ausweisen, mindestens 85 Euro Bargeld und einer ec-Karte.

3

Da sie mit dieser Beute nicht zufrieden war, kehrte sie zu der schwer verletzt auf dem Boden liegenden Geschädigten zurück und stach unter Forderung der Preisgabe weiterer Geldverstecke erneut auf sie ein. Nach Benennung eines weiteren Verstecks nahm die Angeklagte dort mindestens 300 Euro an Bargeld und einen Umschlag an sich, in dem sie die zur ec-Karte gehörige [X.] vermutete. Anschließend flüchtete sie, wobei sie beim Verlassen der Wohnung annahm, sie habe ihr Opfer bereits tödlich verletzt, sodass es ohne weitere Hilfe versterben werde. Der Geschädigten gelang es jedoch noch mit [X.], einen von ihr am Körper getragenen Notrufknopf zu betätigen. Sie hatte insgesamt 32 Stich- oder Schnittverletzungen insbesondere im Bereich des Brustkorbes, des Bauchraumes sowie am Hals erlitten. Hierbei wurde die Lunge verletzt sowie ein Herzbeutel und beide Brusthöhlen eröffnet, wodurch jeweils ein Pneumothorax entstand. Sie befand sich infolge der Verletzungen in akuter Lebensgefahr und konnte nur durch sofortige intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen gerettet werden (Tat 1).

4

Nach der Tat informierte sich die Angeklagte darüber, wie sie über die erbeutete ec-Karte ihres Opfers zu Bargeld kommen könne. Ihr am 13. März 2018 erfolgter [X.] über 1.000 Euro am Geldautomaten scheiterte allerdings, da die Karte bereits gesperrt war. Eine Transaktion über das Finanzdienstleistungsunternehmen [X.], bei der sie sich am selben Tag mit dem Namen der Geschädigten registriert hatte, schlug ebenfalls fehl (Tat 2).

5

2. Die [X.] hat für die Tat 1 den Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt und auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. Eine Strafmilderung wegen Versuchs gemäß § 23 Abs. 2 StGB hat sie abgelehnt. Zur Begründung hat sie lediglich ausgeführt, die Verletzungen der Geschädigten seien so akut lebensbedrohlich gewesen, dass es nach Einschätzung der rechtsmedizinischen Sachverständigen an ein Wunder grenze, dass sie überlebt habe. „Bei solcher Erfolgsnähe ist die Tat der vollendeten gleichzustellen ([X.] 34).“

II.

6

1. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Verfahrensrüge ist unbegründet; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift vom 20. August 2019 verwiesen.

7

2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen die Angeklagte [X.] Rechtsfehler aufgedeckt; sie führt jedoch zur Aufhebung der Einzelstrafe für das versuchte Tötungsdelikt (Tat 1 unter Ziffer II.2 der Urteilsgründe) und der Gesamtstrafe.

8

a) Eine rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt nach ständiger Rechtsprechung eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des [X.] die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte umfasst, wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. [X.], Urteile vom 15. September 1988 - 4 StR 352/88, [X.]St 35, 347, 355 f.; vom 14. Januar 1992 - 1 StR 700/91, [X.]R StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 9; vom 16. September 1992 - 2 StR 304/92, [X.]R StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 10; vom 15. Juni 2004 - 1 StR 39/04, [X.], 620; vom 11. September 2013 - 2 StR 287/13; Beschluss vom 17. März 1988 - 1 [X.], [X.]R StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 4). Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände, auch soweit sie für den Täter sprechen, ist namentlich dann geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt ([X.], Urteile vom 26. Februar 1991 - 1 [X.], [X.]R StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8; vom 22. September 1993 - 3 [X.], [X.]R StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 12; Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 5 StR 294/00).

9

b) Eine solche Gesamtbetrachtung lassen die [X.] zur Strafzumessung für Tat 1 vermissen, indem sie ausschließlich auf die Vollendungsnähe des Mordversuchs abstellen. Insbesondere hat die [X.] die erst bei der Ablehnung einer besonderen Schwere der Schuld (§ 57a StGB) berücksichtigten mildernden Umstände nicht erkennbar bedacht und in eine Abwägung einbezogen.

c) Die Aufhebung der Strafe für Tat 1 zieht die Aufhebung des [X.] nach sich. Da lediglich ein Wertungsfehler vorliegt, können die Feststellungen bestehen bleiben. Weitergehende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, können getroffen werden.

Mutzbauer     

        

Schneider     

        

König 

        

Berger     

        

Köhler     

        

Meta

5 StR 449/19

22.10.2019

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 25. März 2019, Az: 602 Ks 9/18, Urteil

§ 22 StGB, § 23 Abs 2 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.10.2019, Az. 5 StR 449/19 (REWIS RS 2019, 2426)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2426

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