Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.10.2020, Az. 1 StR 142/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2188

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Gegenstand

Strafzumessung und Strafaussetzung zur Bewährung bei gewerbsmäßigem Bandenbetrug: Berücksichtigung einer straffreien Lebensführung eines Rechtsanwalts


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]     wird das Urteil des [X.] ([X.]) vom 21. Oktober 2019, soweit es ihn betrifft, aufgehoben

a) im Strafausspruch,

b) soweit der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe weiterer 3.273,77 Euro den Betrag von 2.511,27 Euro übersteigt; im Umfang des darüber hinausgehenden Betrages von 762,50 Euro entfällt die Einziehungsanordnung.

2. Auf die Revision des Angeklagten [X.].     wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, aufgehoben

a) im Strafausspruch,

b) soweit der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe weiterer 2.752,70 Euro den Betrag von 1.768,10 Euro übersteigt; im Umfang des darüber hinausgehenden Betrages von 984,60 Euro entfällt die Einziehungsanordnung.

3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten [X.]     und [X.].       werden verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel dieser Angeklagten, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]     wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in zehn Fällen sowie wegen Betrugs in fünf Fällen und versuchten Betrugs in 38 Fällen - bei Freisprechung im Übrigen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Den Angeklagten [X.].      hat es wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in elf Fällen sowie Betrugs in zwei Fällen und versuchten Betrugs in zwei Fällen - bei Freisprechung im Übrigen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen den Mitangeklagten [X.](vormals S.     ) hat es wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in elf Fällen sowie wegen Betrugs in sieben Fällen und versuchten Betrugs in 40 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt. Zudem hat es gegen die Angeklagten, zum Teil als Gesamtschuldner, die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.

2

Gegenstand der Verurteilung ist die unberechtigte Abmahnung von Gewerbetreibenden im [X.] wegen Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz durch die Angeklagten [X.]     und [X.].      , beides Rechtsanwälte, in Zusammenarbeit mit dem Mitangeklagten [X.], der zwar vorgab, ebenfalls einen solchen Handel zu betreiben, nach den Urteilsfeststellungen aber keine wesentliche Geschäftstätigkeit entfaltete, um hierdurch für alle Angeklagten eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu schaffen.

3

Mit ihren Revisionen wenden sich die Angeklagten gegen ihre Verurteilung und beanstanden dabei jeweils die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel erzielen mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I. Revision des Angeklagten [X.]

4

1. Die Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des [X.] näher ausgeführten Gründen keinen Erfolg.

5

2. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten [X.]     ergeben. Demgegenüber hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (nachfolgend a)). Die [X.] hat zum Teil zu entfallen (nachfolgend b)).

6

a) Der Strafausspruch des [X.]s enthält einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten [X.]    und hat daher keinen Bestand.

7

aa) Im Rahmen der Prüfung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB vorliegen, die eine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen, hat das [X.] ausgeführt, das Fehlen von Vorstrafen sei bei dem Angeklagten [X.]     „nichts Besonderes“ und daher nur ein durchschnittlicher Milderungsgrund. Denn bei einem Rechtsanwalt, dessen Zulassung noch nicht widerrufen worden sei, sei das Fehlen von Vorstrafen der Regelfall. Diese Erwägung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie lässt besorgen, das [X.] habe dem [X.], nicht vorbestraft zu sein, bei dem Angeklagten [X.]    allein deshalb geringeres Gewicht beigemessen, weil er dem Berufsstand der Rechtsanwälte angehört. Nach der Rechtsprechung des [X.] ist es indes nicht zulässig, die straffreie Lebensführung eines Täters mit der Begründung unberücksichtigt zu lassen, dass Straffreiheit eine Selbstverständlichkeit sei (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Mai 1982 - 3 [X.] mwN; vgl. auch [X.], StGB, 67. Aufl., § 46 Rn. 37b). Dies gilt auch für Rechtsanwälte. Bereits die Abschwächung des [X.]es der Unbestraftheit mit dieser Erwägung stellt hier einen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler dar. Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das [X.] den [X.] straffreier Lebensführung bei der Strafzumessung und im Rahmen der gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB vorzunehmenden Gesamtwürdigung unterschiedlich gewichtet hat, kann der Strafausspruch insgesamt keinen Bestand haben. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.] ohne diesen Rechtsfehler niedrigere Strafen verhängt hätte.

8

bb) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von dem [X.] nicht betroffen und haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann zur Strafzumessung ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

9

b) Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nur zum Teil stand. Sie hat zu entfallen, soweit die vom [X.] gegen den Angeklagten [X.]     angeordnete Einziehung weiterer 3.273,77 Euro den Betrag von 2.511,27 Euro übersteigt.

Das [X.] hat im Rahmen der Einziehungsentscheidung die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe weiterer 3.273,77 Euro angeordnet. Es hat dabei nicht beachtet, dass sich ein Teilbetrag hiervon in Höhe von 762,50 Euro auf einen Tatvorwurf zum Nachteil des Geschädigten B.     bezieht, hinsichtlich dessen das Verfahren in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Der dieser Tat zugeordnete Tatertrag von 762,50 Euro hätte daher nur noch nach § 76a Abs. 3 StGB im selbstständigen Einziehungsverfahren eingezogen werden können, was allerdings einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 435 StPO vorausgesetzt hätte (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. April 2019 - 1 StR 54/19 Rn. 16 und vom 18. Dezember 2018 - 1 [X.] Rn. 13). Fehlt es - wie hier - an einem solchen Antrag, steht der dennoch ausgesprochenen Einziehung das Verfahrenshindernis der fehlenden Anhängigkeit entgegen (vgl. [X.], aaO; Beschluss vom 9. Januar 2018 - 3 [X.] Rn. 8).

II. Revision des Angeklagten [X.].

1. Die Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des [X.] näher ausgeführten Gründen keinen Erfolg.

2. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten [X.].      ergeben. Demgegenüber hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (nachfolgend a)). Die [X.] hat teilweise zu entfallen (nachfolgend b)).

a) Der Strafausspruch des [X.]s enthält einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten [X.].    und hat daher keinen Bestand.

aa) Im Rahmen der Strafzumessung hat das [X.] beim Angeklagten [X.].       mehrfach entscheidend darauf abgestellt, dass er seine Stellung als Organ der Rechtspflege missbraucht habe. Dies wiege derart schwer, dass trotz der aufgeführten Strafmilderungsgründe - u.a. der bisherigen Straffreiheit - weder ein minder schwerer Fall des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in Betracht komme noch die Indizwirkung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB entfalle. Diese Ausführungen, die die Stellung des Angeklagten [X.].       als Organ der Rechtspflege besonders hervorheben, lassen in der Gesamtschau mit der Bewertung der beruflichen Stellung des Angeklagten [X.]     bei dessen Strafzumessung besorgen, dass das [X.] bei dem Angeklagten [X.].      dessen Tätigkeit als Rechtsanwalt bei dem Strafzumessungsgesichtspunkt der fehlenden Vorstrafen in gleicher Weise rechtsfehlerhaft gewichtet und das Fehlen von Vorstrafen als „nichts Besonderes“ angesehen hat. Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

bb) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von dem [X.] nicht betroffen und haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann zur Strafzumessung ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

b) Auch die den Angeklagten [X.].       betreffende Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nur zum Teil stand. Sie hat zu entfallen, soweit die vom [X.] gegen diesen Angeklagten angeordnete Einziehung von weiteren 2.752,70 Euro den Betrag von 1.768,10 Euro übersteigt.

Das [X.] hat im Rahmen der Einziehungsentscheidung die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe weiterer 2.752,70 Euro angeordnet. Es hat dabei nicht beachtet, dass insoweit das Verfahren hinsichtlich des [X.] zum Nachteil des Geschädigten [X.]in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Der dieser Tat zugeordnete Tatertrag von 984,60 Euro konnte nur noch nach § 76a Abs. 3 StGB im selbstständigen Einziehungsverfahren eingezogen werden. Da ein diesbezüglicher Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 435 StPO nicht vorliegt, steht der Einziehung des Wertes von Taterträgen in diesem Umfang ein Verfahrenshindernis entgegen.

Raum     

        

Jäger     

        

[X.]

        

Bär     

        

Leplow     

        

Meta

1 StR 142/20

14.10.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kempten, 21. Oktober 2019, Az: 235 Js 19280/16 - 1 KLs

§ 56 Abs 2 S 1 StGB, § 263 Abs 3 S 2 Nr 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.10.2020, Az. 1 StR 142/20 (REWIS RS 2020, 2188)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2188

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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