Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.11.2005, Az. IV ZR 154/04

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 547

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/04 Verkündet am:

30. November 2005

Heinekamp

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]Z: ja [X.]R: ja _____________________ BGB § 242 [X.]; [X.] (1) Satz 3; [X.] § 20 I Nr. 1 Satz 3 1. Der Versicherer kann sich auch dann ohne Rechtsmissbrauch auf das Fehlen einer fristgerechten ärztlichen Feststellung unfallbedingter [X.] berufen, wenn er den Versicherungsnehmer nicht rechtzeitig vor [X.] der Frist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung auf deren Fehlen hingewiesen hat, weil dem Versicherer bis zu diesem Zeitpunkt keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, dass ein unfallbeding-ter Dauerschaden nahe liege. 2. Eine im Einzelfall gebotene Belehrung entfällt nicht deshalb, weil der Versicherungsnehmer anwaltlich beraten ist. [X.], Urteil vom 30. November 2005 - [X.]/04 - [X.] - 2 -

[X.] hat durch [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 2005 für Recht erkannt: Die Revision gegen das Teilurteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 17. Juni 2004 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der [X.] eine Invaliditätsentschädi-gung aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 4. November 1999. Er hat mit deren Rechtsvorgängerin (im Folgenden: [X.]) eine [X.] abgeschlossen, der die [X.] ([X.], vgl. [X.] 1987, 417) zugrunde liegen; zusätzlich hat der Kläger eine Insassenunfallversicherung nach Maßgabe der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung ([X.]). Beide Versicherungen setzen für den Anspruch auf eine Leistung wegen dauernder Beeinträch-tigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit u.a. voraus, dass die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall ärztlich festgestellt worden ist (§ 7 I (1) Satz 3 [X.]; § 20 I Nr. 1 Satz 3 [X.]). 1 - 3 -

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 4. Juli 2000 die Deckung ab-gelehnt, weil der Unfall auf einer Kreislaufschwäche des seinerzeit 71 Jahre alten [X.] beruhe und damit auf einer den Versicherungs-schutz nach § 2 I (1) [X.] und § 19 Nr. 1 [X.] ausschließenden Be-wusstseinsstörung. Der Kläger behauptet, die Kreislaufschwäche sei plötzlich aufgetreten und falle nicht unter die angeführten [X.]. 2 Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Abweisung durch Teilurteil bestätigt, soweit der Kläger u.a. die Zahlung einer Invaliditätsentschädigung von 71.580,86 • verlangt. [X.] richtet sich die Revision des [X.]. 3 Entscheidungsgründe:

Die Revision bleibt ohne Erfolg. 4 [X.] Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil die [X.] nicht innerhalb von 15 Monaten seit dem Unfall ärztlich festgestellt worden ist. Das bestreitet der Kläger nicht, macht aber geltend, die [X.] könne sich darauf nach [X.] und Glauben nicht berufen. Dem ist das Berufungsgericht nicht gefolgt. Es könne dahinstehen, ob sich eine unfallbedingte Invalidität des [X.] aus Sicht der [X.] [X.] habe. Da der Kläger bis zum Ablauf der 15-Monatsfrist bereits anwaltlich vertreten gewesen sei und sein Anwalt sich schon mit [X.] vom 23. Oktober 2000 bei der [X.] gemeldet habe, habe diese 5 - 4 -

darauf vertrauen dürfen, dass der Anwalt den Kläger auf die am 4. Februar 2001 ablaufende 15-Monatsfrist hinweisen werde. Die auf an-dere Gründe gestützte Ablehnung der Leistungspflicht durch Schreiben der [X.] vom 4. Juli 2000 ändere nichts daran, dass die fristge-rechte ärztliche Feststellung eines unfallbedingten Dauerschadens wei-terhin Anspruchsvoraussetzung bleibe. Der Kläger habe auch die (von ihm erfüllte) Forderung der [X.], die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, nicht dahin verstehen können, dass sich die Beklagte selbst um die erforderliche ärztliche Feststellung der Invalidität kümmern werde.

I[X.] Diese Würdigung des Berufungsgerichts ist nicht frei von [X.]; sein Urteil ist im Ergebnis aber richtig. 6 1. Die Ansicht der Revision, nach einer endgültigen Leistungsab-lehnung des Versicherers komme es auf die Einhaltung der Frist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung nicht mehr an, insbesondere wenn der Versicherungsnehmer wie hier zugleich auf den Weg der gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche gemäß § 12 Abs. 3 [X.] verwiesen worden ist, trifft nicht zu. Das Erfordernis fristgerechter ärztlicher Fest-stellung der Invalidität ist eine Anspruchsvoraussetzung, deren Nichtvor-liegen nicht entschuldigt werden kann ([X.]Z 137, 174, 177; 162, 210, 215 = Urteil vom 23. Februar 2005 - [X.] - [X.], 639 un-ter II 3 a). Auch eine Leistungsablehnung ändert nichts daran, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers nicht entsteht, wenn Invalidität nicht fristgerecht ärztlich festgestellt wird (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2002 - [X.]/02 - VersR 2002, 1578 unter 3). 7 - 5 -

2. Indessen kann sich das Berufen des Versicherers auf den [X.] der Frist zur ärztlichen Feststellung im Einzelfall als rechtsmiss-bräuchlich erweisen, wie der Senat in seinem Urteil vom 23. Februar 2005 klargestellt hat (aaO unter [X.]). Das ist etwa dann anzunehmen, wenn dem Versicherer ein Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen der Fristversäumnis deutlich wird, er aber gleichwohl eine solche Belehrung unterlässt. Davon kann auszugehen sein, wenn der Versicherte [X.] rechtzeitig geltend macht, seine Angaben oder die von ihm vorgelegten ärztlichen Atteste den Eintritt eines Dauerschadens nahe legen, die erforderliche ärztliche Feststellung der Invalidität aber noch fehlt. Gleiches kommt in Betracht, wenn der Versicherer nach [X.] von Invalidität von sich aus noch innerhalb der Frist zur ärztlichen Feststellung ein ärztliches Gut-achten einholt, ohne den Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, dass er unbeschadet dessen selbst für eine fristgerechte ärztliche Fest-stellung der Invalidität zu sorgen habe. 8 a) Diese, sich aus [X.] und Glauben ergebenden Nebenpflichten des Versicherers entfallen - entgegen der Ansicht des Berufungsge-richts - nicht deshalb, weil der Versicherungsnehmer schon vor Fristab-lauf anwaltlich beraten wird. Unabhängig von der Sorgfaltspflicht, die den Anwalt trifft, bleibt der Versicherer seinerseits zur Belehrung verpflichtet, wenn er Anlass hat anzunehmen, dass der Versicherungsnehmer die Frist für die ärztliche Feststellung der Invalidität übersehen oder deren Rechtsfolgen verkannt haben könnte. 9 - 6 -

b) Nicht zu beanstanden ist dagegen die Ansicht des Berufungs-gerichts, auch wenn der Versicherer wie hier seine Leistungspflicht aus einem Gesichtspunkt abgelehnt habe, der in keinem Zusammenhang mit der Einhaltung der Frist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung steht, be-rechtige dies den Versicherungsnehmer nicht zu der Annahme, dass sich der Versicherer auf das Fehlen einer fristgerechten Feststellung nicht berufen werde. Im vorliegenden Fall war die insoweit nach den [X.] einzuhaltende Frist von 15 Monaten im Zeitpunkt der Ablehnung des Versicherungsschutzes noch längst nicht abgelaufen. Schon deshalb hatte die Beklagte keinen Anlass, zugleich mit ihrer Leistungsablehnung auf den Ablauf dieser Frist hinzuweisen. Ungeachtet dessen lässt sich einer Leistungsablehnung im Allgemeinen nicht entnehmen, dass der Versicherer den geltend gemachten Anspruch allein aus den dort ange-gebenen Gründen für nicht gegeben hält. Zu der Frage, wie der [X.] zu beurteilen wäre, wenn sich die in der Leistungsablehnung an-gegebenen Gründe nicht als zutreffend erweisen sollten, hat sich die [X.] in ihrer Leistungsablehnung hier ersichtlich nicht geäußert. Dazu war sie auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes von [X.] und Glauben (§ 242 BGB) nicht verpflichtet. 10 c) Der Senat folgt dem Berufungsgericht ferner in der Auffassung, dass die Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht für sich genom-men den Kläger noch nicht zu der Annahme berechtigt habe, die [X.] werde selbst für die erforderliche ärztliche Feststellung der geltend gemachten Invalidität sorgen. Die Obliegenheit des Versicherungsneh-mers, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden (§ 9 V [X.]), dient dem Interesse des Versicherers an einer [X.] der Behauptungen des Versicherungsnehmers (vgl. zur [X.] - 7 -

chungsobliegenheit Senatsurteil vom 16. Juli 2003 - [X.]/02 - VersR 2003, 1165 unter [X.]). Das Berufen des Versicherers auf das Fehlen einer fristgerechten ärztlichen Invaliditätsfeststellung ist erst dann treuwidrig, wenn sich aus den eingeholten Auskünften greifbare Anhaltspunkte für den vom Versicherungsnehmer geltend gemachten Dauerschaden ergeben oder wenn der Versicherer von sich aus ein [X.] Gutachten auch zu Dauerfolgen des Unfalls einholt.
d) Daran fehlt es hier. Nach den der [X.] bis zum Ablauf der 15-Monatsfrist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung zugänglichen [X.] Attesten und schriftlichen Auskünften lag der Eintritt eines [X.]s als Unfallfolge beim Kläger nicht nahe. Wie das [X.] in seinem Urteil näher ausgeführt hat, ergaben die genannten Unterlagen vielmehr im Wesentlichen nur Frakturen des Oberschenkels und des o-beren Sprunggelenks links sowie ein subakutes Subduralhämatom. Dass diese Verletzungen etwa nicht vollständig ausheilen könnten, sondern den Kläger voraussichtlich auf Dauer gesundheitlich beeinträchtigen würden, war den schriftlichen Angaben der Ärzte nicht zu entnehmen; das musste sich nach der Art der Verletzungen auch nicht aufdrängen. Zwar hat der Hausarzt des [X.] als Zeuge vor dem [X.] aus-gesagt, für ihn sei von vornherein absehbar gewesen, dass ein [X.] verbleibe. Darauf kommt es aber nicht an. Von der [X.] und deren Mitarbeitern können ärztliche Fachkenntnisse und Erfahrun-gen grundsätzlich nicht verlangt werden. Legt man die ärztlichen Stel-lungnahmen zugrunde, gab es hier für die Beklagte bei vernünftiger Be-trachtung keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger einen Dauerschaden davontragen werde. Bei einer solchen Sachlage verhält sich ein Versicherer nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er den Versiche-12 - 8 -

rungsnehmer, der gleichwohl den Eintritt eines Dauerschadens geltend macht, nicht auf den drohenden Ablauf der Frist für die ärztliche [X.]sfeststellung hinweist. Die Klage ist daher im Ergebnis mit Recht abgewiesen worden. 13 [X.] [X.]

[X.] [X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 25.09.2003 - 2/12 O 312/02 - [X.], Entscheidung vom 17.06.2004 - 3 U 217/03 -

Meta

IV ZR 154/04

30.11.2005

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.11.2005, Az. IV ZR 154/04 (REWIS RS 2005, 547)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 547

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