Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.10.2013, Az. II ZR 394/12

2. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 1779

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Gegenstand

Insolvenz des Mieters: Vermieter als Altgläubiger bei Insolvenzverschleppung


Leitsatz

Ein Vermieter, der dem Mieter vor Insolvenzreife Räume überlassen hat, ist regelmäßig Altgläubiger und erleidet keinen Neugläubigerschaden infolge der Insolvenzverschleppung, weil er sich bei Insolvenzreife nicht von dem Mietvertrag hätte lösen können.

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 23. Mai 2012 im Kostenpunkt und insoweit, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, aufgehoben und insgesamt neu gefasst:

Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des [X.] vom 29. September 2011 werden zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Kläger vermieteten an die [X.] (im Folgenden: Schuldnerin), deren Geschäftsführer die Beklagten waren, mit Mietvertrag vom 8. Januar 2007 Geschäftsräume in [X.]für einen monatlichen Mietzins einschließlich Betriebskosten von 10.367,80 € vom 1. Februar 2007 bis 31. Januar 2012 mit Verlängerungsoption. § 3 Abs. 5 des schriftlichen Mietvertrages enthält folgende Regelung:

Bleibt der Mieter mit dem monatlichen Mietzins länger als 2 Monate im Rückstand, so ist der Vermieter zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt. Ferner ist der Vermieter im Falle des Konkurses, des Vergleichs oder der Zahlungseinstellung des Mieters zur fristlosen Kündigung des Mietvertrages berechtigt.

2

Die Schuldnerin zahlte im November 2009 nur einen Teil der Miete, im April 2009 und von Februar 2010 bis September 2010 zahlte sie keine Miete. Am 4. Februar, 5. März, 8. April und 8. Juni 2010 kündigten die Kläger das Mietverhältnis wegen Nichtzahlung des Mietzinses jeweils fristlos. In einem Räumungsvergleich vom 11. Juni 2010 verpflichtete sich die Schuldnerin, die Geschäftsräume zum 31. August 2010 zu räumen und den Mietzins für Juli und August 2010 noch zu zahlen. Am 18. Juni 2010 beantragten die Beklagten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin, das am 22. Juli 2010 eröffnet wurde.

3

Die Kläger haben von den Beklagten die Zahlung von 129.913,41 € nebst Zinsen mit der Begründung verlangt, diese seien ihnen in Höhe der von der Schuldnerin nicht bezahlten Mietzinsen und der Mietkaution zum Schadensersatz verpflichtet. Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Berufungen der Kläger zur Zahlung von 98.768 € nebst Zinsen [X.] gegen Abtretung der Mietzinsansprüche der Kläger gegen die Schuldnerin verurteilt. Dagegen richten sich die vom erkennenden Senat zugelassenen Revisionen der Beklagten.

Entscheidungsgründe

4

Die Revisionen haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden wurde, und zur vollständigen Abweisung der Klage.

5

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagten schuldeten den Klägern nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a [X.] Schadensersatz in Höhe von 98.768 €, den Mietzins für die Monate April 2009 und Februar 2010 bis September 2010 sowie den Restmietzins für November 2009. Die Schuldnerin sei bereits zum 31. Dezember 2008 insolvenzrechtlich überschuldet gewesen. Die Kläger seien hinsichtlich der [X.] und nicht Altgläubiger, weil der Mietzinsanspruch nach [X.] entstanden sei. Es sei auch anzunehmen, dass die Kläger bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung von ihrem mietvertraglich eingeräumten Kündigungsrecht Gebrauch gemacht und das Mietverhältnis fristlos gekündigt hätten.

6

II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Kläger können den Mietzinsausfall nicht als Neugläubiger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a Abs. 1 Satz 1 [X.] ersetzt verlangen.

7

1. [X.] einer GmbH haben bei einem schuldhaften Verstoß der Geschäftsführer gegen die [X.] einen Anspruch gegen diese auf Ausgleich des Schadens, der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen [X.] getreten sind ([X.], Urteil vom 6. Juni 1994 - [X.], [X.]Z 126, 181, 198; Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 234/05, [X.]Z 171, 46 Rn. 13; Urteil vom 27. April 2009 - [X.], [X.], 1220 Rn. 15; Urteil vom 14. Mai 2012 - [X.], [X.], 1455 Rn. 13). Das Verbot der Insolvenzverschleppung dient nicht nur der Erhaltung des [X.]svermögens, sondern hat auch den Zweck, insolvenzreife [X.]en mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder gefährdet werden ([X.], Urteil vom 6. Juni 1994 - [X.], [X.]Z 126, 181, 194; Urteil vom 25. Juli 2005 - [X.], [X.]Z 164, 50, 60; Urteil vom 14. Mai 2012 - [X.], [X.], 1455 Rn. 13). Soweit § 15a Abs. 1 Satz 1 [X.] potenzielle Neugläubiger vor der Eingehung solcher Geschäftsbeziehungen mit einer [X.] GmbH schützen soll, geschieht dies zu dem Zweck, sie davor zu bewahren, einer solchen [X.] noch Geld- oder [X.] zu gewähren und dadurch einen Schaden zu erleiden. Anders als der Schaden der Altgläubiger, der in der durch die Insolvenzverschleppung bedingten Masse- und Quotenverminderung besteht, liegt der Schaden eines Neugläubigers deshalb darin, dass er der [X.] auf deren Solvenz noch Geld- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt hat, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen ([X.], Urteil vom 25. Juli 2005 - [X.], [X.]Z 164, 50, 60; Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 234/05, [X.]Z 171, 46 Rn. 13; Urteil vom 15. März 2011 - [X.], [X.], 1007 Rn. 40; Urteil vom 14. Mai 2012 - [X.], [X.], 1455 Rn. 13). Es handelt sich um den Ersatz eines [X.], der dadurch entsteht, dass der Gläubiger mit dem Schuldner einen Vertrag schließt und eine Vorleistung erbringt.

8

2. Die Kläger sind keine Neu-, sondern Altgläubiger. Ein Vermieter, der dem Mieter vor [X.] Räume überlassen hat, ist regelmäßig Altgläubiger und erleidet keinen Neugläubigerschaden infolge der Insolvenzverschleppung, weil er sich bei [X.] nicht von dem Mietvertrag hätte lösen können (vgl. [X.], [X.], 2342, 2343).

9

a) Wenn ein Dauerschuldverhältnis vor [X.] begründet wurde, ist der Gläubiger für seine nach [X.] fällig werdenden, aber ohne Gegenleistung bleibenden Leistungen Alt- und nicht Neugläubiger, weil der Verstoß gegen die [X.] nicht ursächlich für den Vertragsabschluss und damit für die Geld- oder Sachleistung nach [X.] ist, der Gläubiger bei Eintritt der [X.] vielmehr bereits in vertragliche Beziehungen zur Schuldnerin getreten war. Anders ist dies dann, wenn das Dauerschuldverhältnis mit Insolvenzeröffnung endet oder gekündigt werden kann ([X.], Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 234/05, [X.]Z 171, 46 Rn. 13 f.) oder eine Lösung vom [X.] eines Eröffnungsantrags möglich ist. Dann kann die Fortsetzung des vertraglichen Verhältnisses darauf beruhen, dass der Gläubiger seine Leistung im Vertrauen auf die Solvenz der [X.] fortsetzt, obwohl er sich bei Kenntnis der [X.] vom Vertrag gelöst hätte.

b) Die Kläger konnten sich bei [X.] nicht von dem Mietverhältnis mit der Schuldnerin lösen.

aa) Das Mietverhältnis endete weder mit der Insolvenzeröffnung noch konnte es bei [X.] und Stellung eines Eröffnungsantrags von den Klägern gekündigt werden. Ein Mietverhältnis endet nicht mit der Insolvenzeröffnung (§ 108 [X.]; vgl. [X.], Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 234/05, [X.]Z 171, 46 Rn. 14) und kann vom Vermieter nicht außerordentlich bei [X.] oder Insolvenzeröffnung gekündigt werden.

bb) Die Kläger konnten das Mietverhältnis auch nicht fristlos aufgrund des vereinbarten Sonderkündigungsrechts bei Konkurs oder Zahlungseinstellung kündigen. Eine in einem Mietvertrag vereinbarte insolvenzabhängige Lösungsklausel ist nach allgemeiner Ansicht unwirksam (vgl. [X.], [X.], 343; [X.], [X.], 125, 127; MünchKomm[X.]/Eckert, 3. Aufl., § 109 Rn. 79; MünchKomm[X.]/[X.], 3. Aufl., § 119 Rn. 21, 70 und 72; [X.]/Prütting/[X.], [X.], Stand November 2010, § 112 Rn. 13; [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 119 Rn. 22; [X.], [X.], 4. Aufl., § 112 Rn. 2; [X.]/[X.], [X.], 4. Aufl., § 119 Rn. 5; [X.] in [X.]/Futterer, Mietrecht, 10. Aufl., § 542 BGB Rn. 147; vgl. auch [X.], Urteil vom 15. November 2012 - [X.], [X.]Z 195, 348 Rn. 9 ff. zu [X.] in Verträgen über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie).

Jedenfalls ist die Vereinbarung eines Kündigungsrechts für den Fall der Insolvenzeröffnung unwirksam. Nach § 119 [X.] sind Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 [X.] ausgeschlossen oder beschränkt wird, unwirksam. Die vertragliche Vereinbarung eines Kündigungsrechts für den Fall der Insolvenzeröffnung beschränkt die Anwendung der §§ 108 ff. [X.]. Das Mietverhältnis über Räume besteht nach § 108 Abs. 1 Satz 1 [X.] im Fall der Insolvenzeröffnung fort. Nach § 109 Abs. 1 [X.] kann es nur der Verwalter kündigen. Der Vermieter kann es gemäß § 112 [X.] nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht einmal wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der [X.] vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, oder wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners kündigen. Die Vereinbarung eines Kündigungsrechts für den Fall der Insolvenz (oder des Konkurses) ist als Vereinbarung eines solchen, unwirksamen Kündigungsrechts im Fall der Insolvenzeröffnung auszulegen.

Auch auf das im Mietvertrag enthaltene Kündigungsrecht für den Fall der Zahlungseinstellung, die nicht festgestellt ist, hätten die Kläger eine fristlose Kündigung nicht stützen können, wenn die Beklagten pflichtgemäß einen Eröffnungsantrag gestellt hätten. Nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Vermieter das Mietverhältnis weder wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete, der in der [X.] vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, noch wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners kündigen (§ 112 [X.]). Da die Vermögensverschlechterung kein gesetzlicher Kündigungsgrund ist, werden davon gerade entsprechende Vertragsklauseln erfasst ([X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 112 Rn. 13; [X.]/Ringstmeier, [X.], 18. Aufl., § 112 Rn. 20). Die Zahlungseinstellung, die die Zahlungsunfähigkeit vermuten lässt (§ 17 Abs. 2 Satz 2 [X.]), ist ein solcher Fall der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse, so dass aus einer darauf gestützten [X.] ab dem Eröffnungsantrag kein Kündigungsrecht abgeleitet werden kann.

III. [X.] ist zur Endentscheidung reif. Den [X.] können die Kläger nicht einklagen. Solange das Insolvenzverfahren andauert, ist er allein von dem Insolvenzverwalter und nicht den Gläubigern geltend zu machen ([X.], Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 234/05, [X.]Z 171, 46 Rn. 12). Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Eingehungs- oder [X.] gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.

[X.]                   Caliebe                      Drescher

                   Born                      Sunder

Meta

II ZR 394/12

22.10.2013

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Thüringer Oberlandesgericht, 23. Mai 2012, Az: 7 U 862/11

§ 15a Abs 1 InsO, § 109 Abs 1 InsO, § 119 InsO, § 823 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.10.2013, Az. II ZR 394/12 (REWIS RS 2013, 1779)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1779

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