Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.05.2015, Az. 1 StR 128/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 10929

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Gegenstand

Tatprovokation durch Lockspitzel: Voraussetzungen einer konventionswidrigen polizeilichen Tatprovokation; Anforderungen an die auf eine polizeiliche Tatprovokation gegründete Verfahrensrüge


Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen einer konventionswidrigen polizeilichen Tatprovokation (Anschluss an BGH, 30. Mai 2001, 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44 ff.).

2. Zu den Anforderungen an eine Verfahrensrüge, mit der eine (rechtsstaatswidrige) polizeiliche Tatprovokation gerügt werden soll.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 29. August 2014 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen vier Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es Verfall des Wertersatzes angeordnet.

2

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit mehreren Verfahrensbeanstandungen und mit der Sachrüge.

3

Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.]. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

I.

4

Ein die Verurteilung des Angeklagten ausschließendes, aus einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation resultierendes Verfahrenshindernis besteht nicht.

5

1. Nach der Rechtsprechung des [X.] begründet ein aus einer solchen Tatprovokation folgender Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.]) grundsätzlich kein Verfahrenshindernis ([X.], Urteile vom 23. [X.]i 1984 – 1 [X.], [X.]St 32, 345, 350 ff.; vom 18. November 1999 – 1 [X.], [X.]St 45, 321, 324 ff.; vom 11. Dezember 2013 – 5 [X.], [X.], 277, 280 Rn. 37 mwN; vom 21. Oktober 2014 – 1 [X.] Rn. 7; siehe auch [X.] [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 34).

6

2. Der konkrete Fall weist keine Umstände auf, die ausnahmsweise im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 [X.] oder aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Verfahrenshindernis begründen könnten.

7

a) Der [X.] ([X.]) legt Art. 6 Abs. 1 [X.] in ständiger Rechtsprechung dahingehend aus, dass bei einer – nach den vom Gerichtshof formulierten Voraussetzungen ("substantive test of incitement"; siehe [X.], Urteil vom 4. November 2010 – 18757/06 "[X.] vs. [X.]" Rn. 37; Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen [X.]" Rn. 48 f. mwN) – gegen die genannte Vorschrift verstoßenden Tatprovokation durch die Polizei das öffentliche Interesse an der Bekämpfung schwerer Straftaten im Strafprozess nicht den Gebrauch von Beweismitteln rechtfertigen könne, die als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnen wurden (etwa [X.], Urteil vom 9. Juni 1998 – 44/1997/828/1034 "[X.] vs. [X.]" Rn. 36 sowie [X.], Urteile vom 5. Februar 2008 – 74420/01 "[X.] vs. Lithuania" Rn. 54 mwN; vom 4. November 2010 – 18757/06 "[X.] vs. [X.]" Rn. 34; vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen [X.]" Rn. 47). Damit in solchen Fällen das Strafverfahren im Sinne von Art. 6 Abs. 1 [X.] fair ist, müssten alle als Ergebnis [X.] Provokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden oder aber ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen ("[X.]") müsse greifen (siehe nur [X.], Urteile vom 24. April 2014 – 6228/09 u.a. "[X.] vs. [X.]" Rn. 117 mwN; vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen [X.]" Rn. 64).

8

Art. 6 Abs. 1 [X.] in der Auslegung durch den [X.] fordert daher bei einer konventionswidrigen Tatprovokation nicht die Annahme eines Verfahrenshindernisses (vgl. insoweit Sinn/[X.] NStZ 2015, 379, 382). Zwar wird das Abstellen auf "ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen" auch die Begründung eines Verfahrenshindernisses umfassen (so offenbar [X.], [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 42). Der Gerichtshof hält aber selbst mehrere Wege für gangbar, um die [X.] bei einer polizeilichen Tatprovokation zu gewährleisten. Im Übrigen muss das nationale Rechtssystem nicht zwingend dem dogmatischen Ansatz des [X.] folgen. Solange die von Art. 6 Abs. 1 [X.] an die [X.] gestellten Anforderungen erfüllt werden, überlässt es der Gerichtshof den Gerichten der Vertragsstaaten zu entscheiden, wie die Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 [X.] in das nationale Strafrechtssystem einzugliedern sind ([X.], [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 43).

9

b) Das Grundgesetz gebietet die Annahme eines Verfahrenshindernisses als Konsequenz einer mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbaren Tatprovokation durch Polizeibeamte oder den Polizeibehörden zuzurechnende Personen ebenfalls nicht.

aa) Das [X.] erachtet eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren erst dann als gegeben, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. [X.]E 64, 135, 145 f.; [X.]E 122, 248, 272; [X.]E 133, 168, 200). In die Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege einzubeziehen ([X.]E 122, 248, 272; [X.]E 133, 168, 200 f.; [X.] [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 34). Denn der Rechtsstaat kann sich nur dann verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Strafe zugeführt werden ([X.]E 46, 214, 222; [X.] [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 32).

Nach [X.]ßgabe dieser Grundsätze hat das [X.] bislang offen gelassen, ob das Rechtsstaatsprinzip ein Verfahrenshindernis aufgrund rechtsstaatswidriger Tatprovokation gebieten kann ([X.] [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 34 mit zahlr. Nachw.). Wenn ein daraus resultierendes Verfahrenshindernis überhaupt für möglich erachtet würde, könne ein solches lediglich in extremen Ausnahmefällen aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werden, weil dieses nicht nur Belange des Beschuldigten, sondern auch das Interesse an einer der materiellen Gerechtigkeit dienenden Strafverfolgung schütze ([X.] aaO).

bb) Ein solcher "extremer Ausnahmefall" liegt hier jedenfalls nicht vor, ohne dass es darauf ankäme, dessen Voraussetzungen in den Einzelheiten zu bestimmen.

Das [X.] hat angedeutet, [X.] Verhalten von Ermittlungsbehörden gegen einen (bis dahin) gänzlich Unverdächtigen, der lediglich "als Objekt der staatlichen Ermittlungsbehörden einen vorgefertigten [X.] ohne eigenen Antrieb ausgeführt hätte", könnte möglicherweise ein solches Verfahrenshindernis begründen ([X.] aaO Rn. 38).

Unter Berücksichtigung dessen kommt ein Verfahrenshindernis vorliegend weder aufgrund der im angefochtenen Urteil festgestellten Umstände (nachfolgend Rn. 15 – 17) noch aufgrund der dem Senat ansonsten aus den Verfahrensakten und dem Vorbringen der Revision zugänglichen Informationen in Betracht.

(1) Nach den auf einem glaubhaften und durch weitere Beweise verifizierten Geständnis des Angeklagten ([X.] f.) beruhenden Urteilsfeststellungen hatte dieser spätestens Mitte September 2013 gemeinsam mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten [X.]beschlossen, zukünftig [X.] durchzuführen, um sich durch die gewinnbringende Weiterveräußerung von [X.] eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Dabei sollte der über gute Kontakte zu Lieferanten von Betäubungsmitteln verfügende Mitangeklagte [X.]für den Bezug der Drogen und der Angeklagte für die Verkaufsgespräche mit potentiellen Abnehmern zuständig sein. Darüber hinaus wollten beide den bereits wegen Betäubungsmittelkriminalität mehrfach vorgeahndeten Mitangeklagten M.     in ihren Betäubungsmittelhandel einbeziehen. Nach den Vorstellungen des Angeklagten und des Mitangeklagten [X.]sollte es sich zunächst um Geschäfte mit [X.] von jeweils bis zu zwei Kilogramm bei einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % Tetrahydrocannabinol (THC) handeln. Die Urteilsfeststellungen geben damit keinen Anhalt dafür, dass der Entschluss des Angeklagten, unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel zu treiben, auf eine polizeiliche Tatprovokation zurückgeht.

Auch zu den einzelnen, den Angeklagten betreffenden verfahrensgegenständlichen Betäubungsmitteldelikten ergeben sich aus den Urteilsfeststellungen ([X.] – 21) keinerlei Anhaltspunkte für einen "extremen Ausnahmefall" im Sinne des [X.]s. Zwar war in die Vermittlung der entsprechenden Drogengeschäfte jeweils eine unter dem Namen "[X.]" auftretende polizeiliche Vertrauensperson involviert. Als sog. [X.] trat in allen Fällen der verdeckt unter dem Namen "A.  " operierende Zollbeamte [X.] auf. Die Geschäfte gingen aber sämtlich auf den bereits ohne polizeiliche Intervention gefassten Tatentschluss des Angeklagten zurück.

Vor allem aber kann nicht die Rede davon sein, der Angeklagte habe lediglich "als Objekt der staatlichen Ermittlungsbehörden einen vorgefertigten [X.] ohne eigenen Antrieb ausgeführt". Im Gegenteil hat er selbst die Initiative ergriffen und auch nach Rückschlägen die Drogengeschäfte mit "[X.]" und "A.  " fortgeführt. So hatte der Angeklagte bei der Tat II.12. der Urteilsgründe ([X.] f.) nach Absprache mit [X.]unter Vermittlung der Vertrauensperson "H.  " bereits verbindlich den Verkauf von 2 Kilogramm [X.] mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % THC zu einem Preis von 7.200 Euro vereinbart. Nachdem [X.]  den Verdacht hatte, es könne sich um ein polizeilich fingiertes Rauschgiftgeschäft handeln und er deshalb zu dessen Durchführung nicht mehr bereit war, musste der Angeklagte den Drogenverkauf zunächst absagen. Dem vereinbarungsgemäß erschienenen "[X.] " und dem Verdeckten Ermittler [X.]bot der Angeklagte von sich aus an, die ihnen entstandenen Benzinkosten zu übernehmen und bei einem späteren Rauschgiftgeschäft zu verrechnen. Den wegen der verweigerten Mitwirkung [X.]  s zunächst nicht vollzogenen Verkauf von [X.] führte der Angeklagte dann knapp 14 Tage später mit dem weiteren Mitangeklagten M.    durch (Tat II.13. der Urteilsgründe). Nachdem M.    das Rauschgift beschafft hatte, brachte der Angeklagte "H.  " zu dem Versteck der Betäubungsmittel und nahm den vereinbarten Kaufpreis von dem Verdeckten Ermittler entgegen ([X.] f.).

(2) Ein "Extremfall" tatprovozierenden Verhaltens der Ermittlungsbehörden liegt auch auf der Grundlage des [X.] in der von Rechtsanwalt [X.].     gefertigten Revisionsbegründung nicht vor. Selbst wenn der Inhalt der von der Revision vorgelegten schriftlichen [X.]assungen des Angeklagten über den Einsatz einer ersten, unter dem Namen "[X.]" auftretenden polizeilichen Vertrauensperson, die über einen längeren Zeitraum den Angeklagten auf die Möglichkeit der Beschaffung von [X.]rihuana angesprochen haben soll, als richtig unterstellt wird, ergibt sich daraus allenfalls die Einwirkung der Ermittlungsbehörden auf eine bis dahin noch unverdächtige Person. Umstände, die darauf hindeuten, dass der Angeklagte aufgrund eines den Strafverfolgungsorganen zurechenbaren Verhaltens bei der Begehung der Taten anschließend lediglich noch "als Objekt der staatlichen Ermittlungsbehörden einen vorgefertigten [X.] ohne eigenen Antrieb ausgeführt hätte", ergeben sich daraus nicht. In seiner schriftlichen Erklärung behauptet der Angeklagte zwar eine Vielzahl von Kontakten zu "P.  " ("sicherlich zum [X.] auf das Thema angesprochen"). Er führt jedoch selbst aus, es sei nie über Mengen, Preise oder sonstige Modalitäten gesprochen worden.

(3) Damit fehlen Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise zum Verfahrenshindernis führende polizeiliche Tatprovokation. Im Gegenteil enthalten die Ermittlungsakten Anhaltspunkte dafür, dass gegen den Angeklagten bereits ein Anfangsverdacht bestand, bevor eine polizeiliche Vertrauensperson Kontakt mit ihm aufgenommen hat (siehe Ermittlungsakten Band [X.]. 381). Der Senat war daher nicht zu weiterer freibeweislicher Aufklärung (vgl. [X.], Urteil vom 28. Juni 1961 – 2 StR 154/61, [X.]St 16, 164, 166 mwN; KK-[X.]/[X.], 7. Aufl., [X.]. Rn. 415; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.]. Rn. 52 mwN) gedrängt.

II.

Soweit die durch Rechtsanwalt [X.].      begründete Revision dahin auszulegen (§ 300 [X.]) wäre, dass der Angeklagte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 [X.] sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG wegen polizeilicher Tatprovokation rügt, wäre die Rüge nicht im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] zulässig ausgeführt.

1. Nach dieser Vorschrift muss der [X.] die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensmangel begründen, so vollständig und genau mitteilen, dass das Revisionsgericht aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (siehe nur [X.], Beschluss vom 11. März 2014 – 1 [X.], Rn. 8 mwN).

Die gesetzlichen Anforderungen an die Revisionsbegründung aus § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] gelten auch bei einer (Verfahrens)Rüge der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 [X.] sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG. Zwar hält der [X.] bei nicht völlig unplausiblem ("not wholly improbable") Vorwurf des Angeklagten einer Tatprovokation die Staatsanwaltschaft für verpflichtet, den Beweis des Fehlens einer solchen zu führen ([X.], Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen [X.]" Rn. 53). Die Berücksichtigung dieser offenbar durch Auslegung des Art. 6 Abs. 1 [X.] gewonnenen Rechtsprechung des [X.] führt jedoch nicht dazu, auf die Einhaltung von § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] in der Begründungsschrift des Rechtsmittels zu verzichten oder die Anforderungen an den Tatsachenvortrag zu reduzieren. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der auch in ihrer Auslegung durch den [X.] mit dem Grundgesetz vereinbaren Vorschrift ([X.]E 112, 185, 209 f.) und ihres Zwecks, einer Überlastung der Revisionsgerichte vorzubeugen ([X.] aaO; KK-[X.]/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 32), besteht keine Möglichkeit einer konventionsfreundlichen Auslegung, weil diese mit den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung nicht mehr vereinbar wäre (zu diesem Kriterium [X.]E 111, 307, 329; [X.]E 128, 326, 371; [X.] [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 41 aE mwN).

2. Die Revisionsbegründung trägt nicht diejenigen Tatsachen vollständig vor, derer es zur Prüfung durch den Senat bedarf.

a) Der [X.] nimmt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 [X.] aufgrund polizeilicher Tatprovokation dann an, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt ([X.], Urteile vom 30. [X.]i 2001 – 1 StR 42/01, [X.]St 47, 44, 47; vom 18. November 1999 – 1 [X.], [X.]St 45, 321, 335). Ein tatprovozierender Lockspitzel ist gegeben, wenn eine polizeiliche Vertrauensperson in Richtung auf das Wecken der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der [X.]ung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, soweit die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht "unvertretbar übergewichtig" ist (vgl. [X.], Urteil vom 11. Dezember 2013 – 5 [X.], [X.], 277, 279 Rn. 34 mwN). [X.] eine polizeiliche Vertrauensperson eine betroffene Person lediglich ohne sonstige Einwirkung darauf an, ob diese Betäubungsmittel beschaffen könne, handelt es sich nicht um eine Tatprovokation. Ebenso fehlt es an einer Provokation, wenn die Vertrauensperson nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt ([X.], Urteile vom 30. [X.]i 2001 - 1 StR 42/01, [X.]St 47, 44, 47; vom 18. November 1999 - 1 [X.], [X.]St 45, 321, 338).

Im Hinblick auf eine mögliche polizeiliche Tatprovokation aufgrund einer Intensivierung der [X.]ung hängt die Bewertung der Erheblichkeit der Einwirkung durch den polizeilichen Lockspitzel auch von dem zum Zeitpunkt der Einwirkung bereits bestehenden Tatverdacht ab. Je stärker der Verdacht ist, desto nachhaltiger wird auch die Stimulierung zur Tat sein dürfen, bevor die Schwelle zu einer Tatprovokation erreicht wird ([X.], Urteil vom 30. [X.]i 2001 - 1 StR 42/01, [X.]St 47, 44, 49).

b) An diesen Kriterien hält der Senat unter gebotener Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] (dazu [X.]E 111, 307, 323 ff.; [X.]E 128, 326, 371; [X.] [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14 u.a. Rn. 41) zu den Voraussetzungen der mit Art. 6 Abs. 1 [X.] unvereinbaren polizeilichen Provokation fest.

Der Gerichtshof stellt für die materiell-rechtliche Prüfung des Vorliegens einer solchen Provokation ("substantive test of incitement"; siehe [X.], Urteil vom 4. November 2010 – 18757/06 "[X.] vs. [X.]" Rn. 37) darauf ab, dass sich die beteiligten Polizeibeamten nicht auf eine weitgehend passive Strafermittlung beschränken, sondern die betroffene Person derart beeinflussen, dass diese zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die sie anderenfalls nicht begangen hätte. Der Zweck des polizeilichen Handelns liege bei der Provokation darin, durch Beweiserbringung und [X.]eitung eines Strafverfahrens die Feststellung einer Straftat zu ermöglichen ([X.] aaO Rn. 37; [X.], Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen [X.]" Rn. 48 mwN). In die Prüfung der materiellen Voraussetzungen einer Tatprovokation bezieht der [X.] u.a. ein, dass die Strafverfolgungsbehörden keinen Grund hatten, eine Person der Beteiligung an Betäubungsmittelstraftaten zu verdächtigen, wenn diese nicht vorbestraft war, (noch) kein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet war und keine Anhaltspunkte für eine Tatgeneigtheit vor der Kontaktaufnahme vorlagen (so bereits [X.], Urteil vom 9. Juni 1998 – 44/1997/828/1034 "[X.] vs. [X.]" Rn. 38 sowie [X.], Urteil vom 4. November 2010 – 18757/06 "[X.] vs. [X.]" Rn. 39 und Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen [X.]" Rn. 51 jeweils mwN).

Als Subkriterien für das Vorhandensein bestehender krimineller Tätigkeit oder Tatgeneigtheit hält der Gerichtshof nach [X.]ßgabe des konkreten Einzelfalls u.a. die Vertrautheit des Betroffenen mit aktuellen Preisen von Betäubungsmitteln, dessen Fähigkeit, solche kurzfristig zu beschaffen, sowie seine Gewinnbeteiligung für bedeutsam ([X.], Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 "Furcht gegen [X.]" Rn. 51 mwN). Zudem komme es für die Abgrenzung zwischen einer rechtmäßigen Infiltrierung ("legitimate infiltration") und einer Provokation auf den auf den Betroffenen seitens der Strafverfolgungsbehörden ausgeübten Druck an ([X.] aaO Rn. 52).

Die die Rechtsprechung des [X.] in der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 [X.] prägenden Voraussetzungen der Tatprovokation werden in der Judikatur des [X.] (oben Rn. 24 und 25) abgebildet. [X.]ßgeblich ist jeweils vor allem das Vorhandensein einer Tatgeneigtheit, das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines Tatverdachts gegen den Betroffenen sowie die Art und die Intensität der dem Staat zurechenbaren Einwirkung auf diesen.

c) Um das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen einer mit Art. 6 Abs. 1 [X.] sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbaren Tatprovokation prüfen zu können, bedarf es des Vortrags der entsprechenden Tatsachen aus dem Verlauf des Ermittlungsverfahrens. Wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat, hätte die Revision dazu auf der Grundlage des ihr zugänglichen Inhalts der Verfahrensakten Umstände vortragen müssen, anhand derer der Senat wenigstens das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anfangsverdachts gegen den Angeklagten sowie eine bei ihm vorhandene Tatgeneigtheit hätte beurteilen können.

Daran fehlt es. Der Verweis auf den Inhalt der von Rechtsanwalt [X.].       verlesenen beiden schriftlichen Erklärungen des Angeklagten genügt dafür ersichtlich nicht. Zu in den Verfahrensakten vorhandenen Anhaltspunkten für das Vorliegen einer die Tatprovokation (in dem zuvor genannten Sinne) ausschließenden Tatgeneigtheit des Angeklagten und eines Anfangsverdachts gegen ihn vor Beginn der Kontaktaufnahme durch eine polizeiliche Vertrauensperson verhält sich die Revisionsbegründung nicht.

Solcher Vortrag war aber gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] erforderlich. Denn die Feststellungen des Urteils (oben Rn. 15 – 17) selbst schließen eine Tatprovokation aus. Danach hatte der Angeklagte bereits vor dem ersten Kontakt mit der Vertrauensperson "[X.]" gemeinsam mit dem Mitangeklagten [X.]den Entschluss gefasst, gewinnbringende [X.] mit [X.] im Kilogrammbereich zu tätigen.

3. Angesichts der Unzulässigkeit der Rüge kann offen bleiben, ob es der zusätzlichen Erhebung einer Aufklärungsrüge bedurft hätte, die auf die unterbliebene Aufklärung solcher Umstände abzielt, die zur Beurteilung der Voraussetzungen einer polizeilichen Tatprovokation erforderlich sind.

III.

Die durch den Verteidiger, Rechtsanwalt [X.].    , erhobene Rüge der Verletzung von § 261 [X.], weil der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung wesentlich umfangreicher eingelassen habe, als seitens des Gerichts gewürdigt worden sei, bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

1. Dem Senat ist im Revisionsverfahren die Prüfung verwehrt, ob die im angefochtenen Urteil erfolgte Darstellung der [X.]assung des Angeklagten ([X.]) die in der Hauptverhandlung erfolgte [X.]assung inhaltlich zutreffend wiedergibt. Ohne eine solche Prüfung kann durch das Revisionsgericht ein auf einer unzureichenden Würdigung der [X.]assung beruhender Verstoß gegen § 261 [X.] (vgl. LR/[X.], [X.], 26. Aufl., Band 6/2 § 261 Rn. 74 mwN) aber nicht beurteilt werden (siehe nur [X.], Beschluss vom 14. August 2003 – 3 StR 17/03, [X.], 163 Rn. 2).

2. Die Revision verkennt, dass nicht der Inhalt der von ihr vorgetragenen schriftlichen Erklärungen Gegenstand der Hauptverhandlung geworden ist, sondern lediglich der mündliche Vortrag ([X.] aaO; siehe auch KK-[X.]/[X.] aaO § 243 Rn. 57 mwN). Bereits nach dem eigenen Vorbringen der Revision sind die in der Revisionsbegründung wiedergegebenen schriftlichen "[X.]assungen" des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 8. Juli 2014 durch dessen Verteidiger, Rechtsanwalt [X.].     , verlesen worden und anschließend dem Gericht übergeben worden. Damit handelt es sich nicht um einen [X.] mit der Konsequenz, dass auch der Wortlaut der verlesenen Schriftstücke nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist ([X.] aaO; [X.], Beschluss vom 10. November 2008 – 3 [X.], [X.], 173; siehe auch bereits [X.], Urteil vom 3. Juli 1991 – 2 StR 45/91, [X.]St 38, 14, 16). Gegenstand der Hauptverhandlung sind lediglich der mündliche Vortrag sowie etwaige mündliche Erklärungen des Angeklagten dazu, etwa dass er sich den Inhalt zu Eigen mache, geworden. Diesen Inhalt der Hauptverhandlung kann das Revisionsgericht aber gerade nicht rekonstruieren ([X.], Beschluss vom 14. August 2003 – 3 StR 17/03, [X.], 163, 164 Rn. 3; Park StV 2001, 589, 592; KK-[X.]/[X.] aaO § 243 Rn. 57).

Gleiches gilt auch für die ergänzende schriftliche Erklärung des Angeklagten, die nach dem [X.] wiederum Rechtsanwalt [X.].     in der Hauptverhandlung vom 29. August 2014 verlesen hat.

3. Es bestand auch keine Verpflichtung des [X.]s die schriftlichen Erklärungen als Anlage zum Protokoll zu nehmen ([X.], Beschluss vom 10. November 2008 – 3 [X.], [X.], 173). Gemäß § 273 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist lediglich der Umstand, dass der Angeklagte sich zur Sache eingelassen hat (vgl. § 243 Abs. 5 Satz 2 [X.]), als wesentliche Förmlichkeit in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Der Inhalt seiner [X.]assung ist dagegen gerade keine wesentliche Verfahrensförmlichkeit. Selbst eine unnötigerweise erfolgende Entgegennahme einer durch den Verteidiger verlesenen schriftlichen Erklärung und deren Hinzufügung als Anlage zum [X.] machte die Erklärung nicht zu dessen Bestandteil ([X.] aaO).

IV.

Die sachlich-rechtliche Prüfung des Urteils hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

Das [X.] hat bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten bedacht, dass die polizeiliche Vertrauensperson zu der Begehung der Betäubungsmittelstraftaten beigetragen hat. Eine weitergehende Berücksichtigung war nicht veranlasst. Nach den rechtsfehlerfreien Urteilsfeststellungen lagen die Voraussetzungen einer konventions- bzw. rechtsstaatswidrigen Tatprovokation nicht vor (oben Rn. 15 – 17).

Rothfuß     

        

Jäger     

        

     [X.]

        

Mosbacher     

        

Ri'in[X.] Dr. [X.] ist
wegen Urlaubsabwesenheit
an der Unterschrift gehindert.

        
                          

Rothfuß

        

Meta

1 StR 128/15

19.05.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 29. August 2014, Az: 17 KLs (a) 221 Js 76526/13

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 6 Abs 1 MRK, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.05.2015, Az. 1 StR 128/15 (REWIS RS 2015, 10929)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10929

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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