Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.12.2010, Az. I B 83/10

1. Senat | REWIS RS 2010, 58

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Gegenstand

Verlustübernahme bei Organschaft


Leitsatz

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die für die ertragsteuerliche Organschaft mit einer GmbH als Organgesellschaft erforderliche Vereinbarung einer Verlustübernahme entsprechend den Vorschriften des § 302 AktG zwar nicht die Vereinbarung einer Regelung gemäß § 302 Abs. 2 AktG, wohl aber die Vereinbarung der Verjährungsregelung entsprechend § 302 Abs. 4 AktG voraussetzt (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 28. Juli 2010 I B 27/10, BFHE 230, 167, BStBl II 2010, 932, berichtigt durch Senatsbeschluss vom 15. September 2010 I B 27/10, BFHE 230, 208, BStBl II 2010, 935) .

Tatbestand

1

I. Streitpunkt ist im Rahmen eines Verfahrens betreffend die Aussetzung der Vollziehung (AdV), ob die für die ertragsteuerliche Organschaft mit einer GmbH als Organgesellschaft notwendige Vereinbarung einer Verlustübernahme die Vereinbarung einer Verjährungsregelung entsprechend § 302 Abs. 4 des Aktiengesetzes (AktG) erfordert.

2

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine GmbH, die am 30. Oktober 2006 von der [X.] als alleiniger Gesellschafterin gegründet wurde. Am gleichen Tag schlossen die beiden Gesellschaften einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ([X.]), in dem sich die Antragstellerin zur Abführung ihres ganzen Gewinns an die [X.] verpflichtete. Außerdem wurde vereinbart, dass die [X.] "entsprechend den Vorschriften des § 302 Abs. 1 und 3 des Aktiengesetzes" verpflichtet sei, jeden während der Vertragsdauer sonst entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen, soweit dieser nicht dadurch ausgeglichen werde, dass den anderen Gewinnrücklagen Beträge entnommen würden, die während der Vertragsdauer in sie eingestellt worden seien. Der [X.] wurde am 22. November 2006 in das Handelsregister eingetragen.

3

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --[X.]--) vertrat die Auffassung, aufgrund des [X.] sei weder ein körperschaftsteuerrechtliches noch ein gewerbesteuerrechtliches Organschaftsverhältnis zustande gekommen, weil es in Bezug auf den Verlustausgleichsanspruch der Antragstellerin an der Vereinbarung einer Verjährungsregelung entsprechend § 302 Abs. 4 AktG fehle. Er erließ daraufhin gegenüber der Antragstellerin für das Streitjahr 2006 geänderte und für das Streitjahr 2007 erstmalige Bescheide über die Festsetzung von [X.]. Die Antragstellerin hat gegen die das Streitjahr 2006 betreffenden Änderungsbescheide und gegen den [X.] --nicht aber gegen den [X.] erhoben und beim [X.] die AdV der Bescheide beantragt.

4

Nach Ablehnung der AdV-Anträge durch das [X.] hat die Antragstellerin bei dem [X.] ([X.]) des [X.] die AdV dieser Bescheide und außerdem noch die AdV des geänderten Körperschaftsteuerbescheids für 2007 und des [X.] für 2007 beantragt. Das [X.] hat mit Beschluss vom 22. April 2010  3 V 173/10 die AdV gewährt, soweit nicht der Körperschaftsteuerbescheid für 2007 betroffen war. In Bezug auf diesen Bescheid hat das [X.] den [X.] als unzulässig abgelehnt.

5

Gegen den [X.]-Beschluss hat das [X.] die --vom [X.] zugelassene-- Beschwerde zunächst hinsichtlich der AdV des Körperschaftsteuerbescheids und des Gewerbesteuermessbescheids für 2006 sowie hinsichtlich des Gewerbesteuermessbescheids für 2007 --nicht aber hinsichtlich des [X.] für [X.] erhoben. Der Beschwerde wurde nicht abgeholfen.

6

Nachdem das [X.] zunächst (sinngemäß) beantragt hatte, den [X.]-Beschluss in Bezug auf die Bescheide über die Körperschaftsteuer 2006 sowie die [X.] und 2007 aufzuheben und die entsprechenden AdV-Anträge abzulehnen, hat es mit Schriftsatz vom 1. November 2010 erklärt, die Anträge hinsichtlich der Bescheide zur Körperschaftsteuer 2006 und zum [X.] 2006 würden nicht aufrechterhalten.

7

Die Antragstellerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

8

II. 1. Der [X.] wertet die Erklärung des [X.], die Anträge zur Körperschaftsteuer 2006 und zum [X.] 2006 würden nicht aufrechterhalten, als Rücknahme der Beschwerde, soweit diese ursprünglich auch gegen die [X.] zur Körperschaftsteuer 2006 und zum [X.] 2006 gerichtet war.

9

2. Die sonach noch anhängige, den Gewerbesteuermessbescheid für 2007 betreffende Beschwerde ist begründet. Der Antrag auf AdV dieses Bescheids ist abzulehnen.

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll --u.a. und soweit hier einschlägig-- erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 [X.]O).

Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O sind u.a. dann zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 10. Februar 1967 [X.]/66, [X.], 447, [X.] 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung).

b) Derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen im Streitfall nicht. Nach summarischer Prüfung hat entgegen der Auffassung des [X.] keine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft i.S. von § 14 i.V.m. § 17 des [X.] ([X.] 2002) und damit auch keine gewerbesteuerrechtliche Organschaft nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG 2002) zwischen der Antragstellerin und der [X.] begründet.

aa) Ist eine Kapitalgesellschaft Organgesellschaft i.S. der §§ 14, 17 oder 18 [X.] 2002, so gilt sie gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG 2002 gewerbesteuerrechtlich als Betriebsstätte des [X.] (gewerbesteuerrechtliche Organschaft). Eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland ist dann Organgesellschaft nach den genannten körperschaftsteuerrechtlichen Vorschriften, wenn sie sich verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen i.S. des § 14 [X.] 2002 --den [X.] abzuführen. Handelt es sich bei der Organgesellschaft um eine andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] 2002 bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland [X.] damit auch eine inländische GmbH--, verlangt § 17 Satz 2 Nr. 2 [X.] 2002 als weitere Voraussetzung für die Anerkennung der Organschaft u.a., dass eine Verlustübernahme entsprechend den Vorschriften des § 302 [X.] vereinbart wird.

Nach ständiger Spruchpraxis des [X.] (vgl. zuletzt [X.]surteil vom 3. März 2010 [X.]/09, [X.]/NV 2010, 1132, m.w.N., die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom [X.] --BVerfG-- nicht zur Entscheidung angenommen, s. BVerfG-Beschluss vom 31. August 2010  2 BvR 998/10) muss der [X.] eine dem § 302 [X.] entsprechende Vereinbarung enthalten. Das [X.] erstreckt sich auf § 302 Abs. 1 und Abs. 3 [X.] (vgl. [X.]surteile vom 17. Dezember 1980 [X.]/78, [X.]E 132, 285, [X.] 1981, 383; vom 29. März 2000 [X.], [X.]/NV 2000, 1250; vom 22. Februar 2006 [X.], [X.]/NV 2006, 1513) und nach der Einfügung des § 302 Abs. 4 [X.] durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das [X.] vom 15. Dezember 2004 auch auf diesen. Der [X.] hat Letzteres --ebenfalls nach summarischer Prüfung in einem [X.] bereits in seinem Beschluss vom 28. Juli 2010 [X.] ([X.]E 230, 167, [X.] 2010, 932), berichtigt durch [X.]sbeschluss vom 15. September 2010 ([X.]E 230, 208, [X.] 2010, 935), entschieden; daran ist festzuhalten.

Das [X.] hat sein gegenteiliges Ergebnis in dem angefochtenen Beschluss --der zeitlich vor dem zitierten [X.]sbeschluss ergangen [X.] damit begründet, zur steuerlichen Anerkennung eines [X.] in der [X.] vor der Einfügung des § 302 Abs. 4 [X.] sei eine ausdrückliche Vereinbarung in Bezug auf die Verjährung des [X.] nicht erforderlich gewesen und es bestehe kein sachlicher Grund dafür, dies nach der Schaffung des § 302 Abs. 4 [X.] anders zu sehen. Der [X.] hält diese Argumentation nicht für stichhaltig. Denn vor Schaffung des § 302 Abs. 4 [X.] galten für die Verjährung des [X.] nach § 302 Abs. 1 [X.] die allgemeinen Verjährungsregeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs, während es sich bei der zehnjährigen Frist des § 302 Abs. 4 [X.] um eine spezifische Verjährungsregelung für den Verlustausgleichsanspruch handelt, die zweifelsohne Bestandteil der den Verlustausgleichsanspruch nach Abschluss eines [X.] betreffenden "Vorschriften des § 302 [X.]" ist und die deshalb gemäß § 17 Satz 2 Nr. 2 [X.] 2002 zur Begründung einer ertragsteuerlichen Organschaft mit einer GmbH als Organgesellschaft der Aufnahme in den [X.] bedarf.

Soweit sich das [X.] des Weiteren darauf bezieht, dass die Rechtsprechung nicht auch die Aufnahme einer Regelung entsprechend § 302 Abs. 2 [X.] in den Gewinnabführungsvertrag verlangt, besteht der wesentliche Unterschied darin, dass § 302 Abs. 2 [X.] sich nicht auf die Verlustübernahme nach Abschluss eines [X.], sondern auf jene nach Abschluss eines --für die ertragsteuerliche Organschaft nicht relevanten-- Betriebspacht- oder -überlassungsvertrags (§ 292 Abs. 1 Nr. 3 [X.]) bezieht. Die Bestimmung des § 302 Abs. 4 [X.] betrifft demgegenüber auch den Verlustausgleichsanspruch aufgrund eines [X.] und ist deshalb von der Bezugnahme auf § 302 [X.] umfasst.

bb) Im Streitfall haben die Vertragsparteien des --nach Inkrafttreten des § 302 Abs. 4 [X.] abgeschlossenen-- [X.] die Geltung nur der Abs. 1 und 3, nicht aber auch des Abs. 4 des § 302 [X.] vereinbart, so dass dadurch ein ertragsteuerliches Organschaftsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der [X.] nicht zustande gekommen ist. Mithin galt die Antragstellerin nicht gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG 2002 gewerbesteuerrechtlich als Betriebsstätte der [X.] und durfte das [X.] ihr gegenüber den angefochtenen Gewerbesteuermessbescheid erlassen. Weitere Gründe, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids begründen könnten, hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht und sind auch sonst für den [X.] nicht ersichtlich.

3. Der [X.]-Beschluss beruht auf einer anderen Beurteilung. Er ist deshalb aufzuheben; der [X.] ist abzulehnen.

Meta

I B 83/10

22.12.2010

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 22. April 2010, Az: 3 V 173/10, Beschluss

§ 14 Abs 1 KStG 2002, § 17 S 2 Nr 2 KStG 2002, § 2 Abs 2 S 2 GewStG 2002, § 302 Abs 2 AktG, § 302 Abs 4 AktG, § 69 Abs 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.12.2010, Az. I B 83/10 (REWIS RS 2010, 58)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 58

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